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15. Kapitel – Mein Vater

»Mein lieber Frank! Ich will die Richtigkeit der Hauptpunkte Ihrer Schilderung von der Zusammenkunft im Café Royal von Oscar Wilde, Bernard Shaw, Ihnen und mir kurz vor dem Beginn des Prozesses gegen meinen Vater nicht in Abrede stellen. Sie werfen mir in Ihrem Buch vor, daß ich trotz Ihrer Ausführungen über Oscars ziemlich schwache Aussichten, den Prozeß zu gewinnen, Wilde weiter dringend dazu geraten habe und jeden Menschen, der ihm das Gegenteil riet, für keinen wahren Freund Oscars erklärte. Es stimmt, daß Sie die Rechtslage meines Vaters ganz richtig auseinandersetzten. Damals waren sowohl Oscar wie auch ich uns über diesen Punkt klar. Mein Vater hatte von vornherein erklärt, daß er den »Wahrheitsbeweis antreten« würde, das heißt, den Nachweis erbringen, das alles, was er gesagt und geschrieben hatte, auf Wahrheit beruhe und er nur »im Interesse der Allgemeinheit« gehandelt habe. Ob Oscar und ich zu jener Zeit, als die Zusammenkunft im Café Royal stattfand, den Schriftsatz mit dem Beweismaterial meines Vaters gelesen hatten oder nicht, weiß ich nicht mehr genau, aber jedenfalls gingen wir mindestens acht Tage, ehe die Verhandlung im Old Bailey-Gericht begann, den Schriftsatz in allen Punkten – Namen, Beschuldigungen und sonstige Einzelheiten – mit Sir Edward Clarke und seinem jüngeren Kollegen Travers Humphreys in Sir Edwards Bureau durch.

Darum waren uns alle Ihre Ausführungen über die Rechtslage meines Vaters nichts Neues; wir waren schon lange genau darüber informiert und hatten gerade darum beschlossen, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Weder Sie noch Shaw ahnten damals (weil wir es Ihnen nicht sagten), worauf sich die Klage gegen meinen Vater eigentlich stützte. Schließlich kam dies aber während der Verhandlung gar nicht zur Sprache, aber zur Zeit, als die Unterredung im Café Royal stattfand, hatte Sir Edward Clarke sich verpflichtet, den Prozeß nach meinen Angaben zu führen und mich sofort nach seiner Eröffnungsrede als Zeuge zu vernehmen. Er hat es nicht getan, und wenn Sie den Grund erfahren wollen, müssen Sie ihn selber fragen. Ich habe ihn nie wieder gesehen oder gesprochen seit jener Katastrophe, an der er meiner Meinung nach die Hauptschuld trug, obgleich ich natürlich keinen Augenblick bezweifle, daß er nach bestem Wissen und Gewissen handelte.

Um unseren Prozeß gegen meinen Vater richtig verstehen zu können, muß man die Beziehungen genau kennen, die schon über zwanzig Jahre zwischen meinem Vater und meiner Mutter und uns Kindern, seinen Söhnen, geherrscht hatten. Es widerstrebt mir, alle diese Dinge gegen meinen Vater vorzubringen, und ich habe ihn darum auch in meinem Buch ›Oscar Wilde und Ich‹ ruhig die schöne Rolle des guten Vaters weiterspielen lassen, die die öffentliche Meinung ihm damals gab, auf die er aber in Wirklichkeit nicht das mindeste Anrecht hatte. Es scheint mir aber, daß die Zeit jetzt gekommen ist, in der die Wahrheit, die volle, ungeschminkte Wahrheit, unbedingt gesagt werden muß. Unsere Anklage gegen meinen Vater, die Sir Edward Clarke seinem Versprechen gemäß dem Gericht schon in seiner Eröffnungsrede unterbreiten wollte und die ich durch meine Aussage unterstützen sollte, war einfach die, daß mein Vater ein brutaler Rohling war, daß er meine Mutter seit Jahren (lange ehe sie sich im Jahre 1887 von ihm scheiden ließ, sieben Jahre vor dem Prozeß zwischen ihm und Wilde) unterdrückt, verfolgt, gequält und aufs gröbste beleidigt und außerdem seine Söhne zwanzig Jahre lang vernachlässigt und schlecht behandelt und sich darum jedes Recht auf die Ausübung seiner väterlichen Autorität verscherzt hatte.

Ich will mich jetzt nicht mit einer Unmenge Einzelheiten aufhalten. Die Erinnerung an die ganze Angelegenheit ist mir so widerlich, und es widerstrebt mir so, darüber zu schreiben, daß ich Ihnen nur einige Beispiele geben will, die Ihnen zeigen werden, welcher Art Mensch mein Vater war. Jahrelang, ehe meine Mutter sich endlich von ihm scheiden ließ, hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, Monate und sogar Jahre von zu Hause fernzubleiben. Der letzte Tropfen, der den Becher der unendlichen Geduld und Langmut meiner Mutter zum Überfließen brachte, war die an sie gestellte Zumutung meines Vaters, daß er seine Mätresse mit nach Hause bringen und sie alle drei zusammen unter einem Dach leben sollten. Wir Kinder sahen ihn äußerst selten. Zwischen meinem fünften Lebensjahr und dem Wilde-Queensberry-Prozeß hat er nicht zehnmal unter demselben Dach mit uns gelebt. Er wohnte eigentlich nie bei uns, sondern hatte seine eigene Wohnung in London und zeigte sich kaum in unserem Haus, weder in London noch auf dem Lande, und wenn er es jemals tat, war es höchstens für ein oder zwei Tage. Als ich noch ein Junge war, vergingen manchmal Jahre, bis ich meinen Vater wieder einmal zu Gesicht bekam.

Nachdem meine Mutter sich von ihm hatte scheiden lassen, verurteilte ihn das schottische Gericht zur Zahlung einer bestimmten jährlichen Rente an meine Mutter für ihren Unterhalt und unsere Erziehung. Obgleich er gesetzlich gar kein Recht dazu besaß, behielt er die Auszahlung dieser Summe selbst in Händen; dabei war sie eigentlich nur eine erste Zahlung auf sein ganzes Besitztum, auf das meine Mutter das Erbrecht hatte. Aber das gab ihm eine Waffe gegen sie, ein Mittel, mit dem er sie peinigen konnte, indem er sich zweimal jährlich, sobald der Betrag fähig wurde, einfach weigerte, ihn ihr auszuzahlen. Immer wieder war meine Mutter gezwungen, ihre Zuflucht zu Rechtsanwälten zu nehmen und ihm mit einem Prozeß zu drohen, ehe er sich dazu bewegen ließ, ihr das Geld zu geben, das zur Erhaltung des Hauses und zur Ernährung und Erziehung ihrer Kinder unbedingt notwendig war. Er bezahlte dann vier bis acht Wochen nach dem fälligen Zahlungstermin, und sobald die nächste halbjährliche Rate fällig war, begann er dieselbe Komödie von neuem.

Wie ich bereits angedeutet habe, lebte er eigentlich schon fast zwanzig Jahre, ehe der Wilde-Queensberry-Prozeß begann, nicht mehr mit meiner Mutter zusammen, und sieben Jahre vor diesem Prozeß hatte sie sich von ihm scheiden lassen. Während dieser ganzen Zeit jedoch schrieb er ihr fortwährend Briefe, die die unerhörtesten brutalsten Beleidigungen enthielten. Ich habe einige dieser Briefe gelesen, – ich kann von ihnen nur sagen, daß sie die Briefe eines Wüstlings und eines Wahnsinnigen sind.

Einmal, kurz vor der Scheidung, tauchte er plötzlich im Hause meiner Mutter, das unweit von Ascot lag, auf und warf sie und uns Kinder innerhalb von vierundzwanzig Stunden heraus, weil er mit seinen Bekannten, es war eine ›Dame‹ dabei, mit der meine Mutter unmöglich zusammenkommen konnte, – für die Rennwoche dort wohnen wollte. Meine Mutter hatte selbst einige Freunde für diese Woche eingeladen, und meine kleine Schwester und drei von uns Knaben waren damals zu Hause. Wir mußten aber alle unsere Sachen packen und das Haus räumen. Am nächsten Tag fuhren wir nach London, und meine Mutter war gezwungen, alle ihre Gäste telegraphisch auszuladen.

Mein Vater war ein Wahnsinniger, und seine Manie bestand darin, meine Mutter zu peinigen. Meine Mutter war – und ist noch heute – ein Engel an Geduld und hat in ihrem ganzen Leben nie wissentlich eine unrechte Handlung begangen oder unrechte Gedanken gehegt. Als mein Vater im Sterben lag, ging sie zu ihm, und in dem klaren Augenblick, den er kurz vor seinem Tode hatte, drückte er sein Bedauern über sein Benehmen ihr gegenüber aus; aber bis zu seiner letzten Krankheit hatte er sie beständig mit seinen Gemeinheiten verfolgt.

Mein ältester Bruder Drumlanrig war kurz vor seinem frühen und tragischen Tod Privatsekretär bei Lord Rosebery, der damals unter Lord Gladstone Minister des Auswärtigen Amtes war. Lord Rosebery schlug vor, daß Drumlanrig eine englische Pairswürde verliehen werden sollte, damit er Kammerherr der Königin werden könne. Gegenwärtig besitzt unsere Familie keine englische Pairswürde. Mein Vater hatte die Würde eines Marquis, eines Grafen, eines Vicomte und eines Barons, aber das waren alles schottische Adelstitel, und infolge einer lächerlichen Anomalie und Ungerechtigkeit Schottland gegenüber genügt eine schottische Pairswürde nicht, um einen Sitz im Oberhaus zu bekommen. Sechzehn schottische Pairs werden von ebenso vielen englischen Pairs im Oberhaus gewählt. Es war immer selbstverständlich, daß das Oberhaupt unserer Familie zum Mitglied des Oberhauses gewählt wurde, und mein Vater saß ebenfalls im Oberhaus, bis er einmal eine Szene machte und erklärte, daß er kein gläubiger Christ sei und darum nicht daran denke, den Treueid zu leisten, den er als »christliche Narretei« bezeichnete. Daraufhin weigerten sich seine Mitpairs, ihn wieder zu wählen, und seitdem wütete er gegen sie und beschimpfte sie bei jeder Gelegenheit. Als man meinem Bruder Drumlanrig die englische Pairswürde und einen Sitz im Oberhaus anbot, lehnte er es ab, dieses Anerbieten bei Lebzeiten meines Vaters anzunehmen, weil er unseren Vater kannte und genau wußte, daß dieser wütend sein würde, wenn Drumlanrig einen Sitz im Oberhaus hätte, während er, der Marquis von Queensberry, ausgeschlossen war. Gladstone und Rosebery schlugen dann vor, daß mein Bruder meinen Vater fragen solle, ob er etwas dagegen habe, wenn Drumlanrig englischer Pair würde. Als man ihn fragte, war mein Vater die Liebenswürdigkeit selbst. Er machte keine Einwände und erklärte, er fühle sich im Gegenteil sehr geschmeichelt über diese Ehre, die man seinem Sohne erweise. Aber Drumlanrig, der diese Genehmigung schriftlich bestätigt haben wollte, damit mein Vater sie nachher nicht rückgängig mache, bat ihn, seine Zustimmung selber Gladstone zu schreiben. Mein Vater tat es. In seinem Schreiben dankte er Gladstone und drückte seine große Freude über die Auszeichnung aus, die Ihre Majestät seinem Sohne erwiesen hatte.

Drumlanrig wurde also zum Pair des Britischen Reichs ernannt, und der Titel Lord Kelhead wurde ihm verliehen. (Dieser Titel ist nun erloschen, weil mein Bruder keine Leibeserben hinterließ.) Es waren noch nicht vier Wochen vergangen, als mein Vater bereits Schmähbriefe an meinen Bruder, an die Königin, an Gladstone und hauptsächlich an den armen Lord Rosebery richtete. Er drohte sogar, den letzteren durchzuprügeln, und verfolgte ihn zu diesem Zweck nach Homburg, wo er vor Roseberys Hotel, eine Peitsche in der Hand, stundenlang auf und ab ging. Der verstorbene König Edward, der damals Prinz von Wales war, intervenierte schließlich, und es gelang ihm, meinen Vater zu überreden, seine Absicht, Lord Rosebery zu verprügeln, aufzugeben und Homburg zu verlassen.

Mein zweiter Bruder, Percy, der kürzlich verstorbene Marquis von Queensberry, der zur Zeit der Wilde-Affäre Douglas von Hawick war, wurde mindestens ebenso schlecht von meinem Vater behandelt. Als Percy die reizende Tochter eines Geistlichen aus Cornwall heiratete, die einer sehr alten und angesehenen Familie entstammte, beschimpfte mein Vater ihn ohne jeglichen Grund und überhäufte seine junge Frau und deren Familie, die ihm vollkommen unbekannt waren, mit den gemeinsten Schmähungen. Er weigerte sich auch stets, die schönen Kinder meines Bruders – zwei Jungen und ein Mädchen – zu sehen, und starb, ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Nur weil mein Bruder Percy, der mich innig liebte, meine Partei ergriff, als mein Vater, nachdem er meine Existenz jahrelang ignoriert hatte, mich in rohester Weise beschimpfte und beleidigte, wurde er ebenfalls beschimpft, und nicht zufrieden damit, überschüttete mein Vater auch noch die junge Frau meines Bruders mit obszönen und beleidigenden Postkarten. Fast zum Wahnsinn getrieben durch dieses Benehmen, ging mein Bruder eines Tages auf meinen Vater zu, als er ihn zufällig in Piccadilly traf, und bat ihn, davon abzulassen, fortwährend seine Frau zu beleidigen, bloß weil er auf meine Bitte die Kaution für Wilde bezahlt hatte – worauf Queensberry (um die damaligen Zeitungsberichte zu zitieren) »ein ordinäres Geräusch mit den Lippen machte«. Jetzt konnte sich Percy nicht mehr beherrschen und schlug meinen Vater. Dieser erwiderte den Schlag, eine Prügelei entstand, bis die Polizei hinzukam und sie beide zur nächsten Polizeiwache brachte, wo sie ihr Wort geben mußten, »Frieden zu halten«. Mein Vater hat nie wieder mit Percy gesprochen, und von dem Tag an entzog er ihm alle Zuschüsse und anderen finanziellen Hilfen; dadurch zwang er Percy, sich Geld auf seine Anwartschaft auf den unveräußerlichen Familiengrundbesitz zu leihen. Außerdem ignorierte mein Vater weiter die Existenz der Frau und der Kinder meines Bruders. Als Queensberry im Sterben lag, besuchte ihn Percy, und mein Vater spie ihm ins Gesicht. Mein Bruder Percy war einer der gütigsten Menschen, die ich kenne, und besaß das weichste Gemüt, das man sich denken kann. Seine kleinen Fehler vermochten nicht den angeborenen Edelmut seines Charakters zu verdunkeln, wie unzählige Freunde, die er in allen Gesellschaftsschichten zeit seines Lebens hatte, bezeugen können. Mein Vater behandelte ihn brutal, ebenso gemein, wie er sich Drumlanrig und mir gegenüber benommen hat.

So sah also der Mann aus, der mit der ganzen Sir Edward Carson zu Gebot stehenden juristischen Gewandtheit den Geschworenen und dem Publikum ins rechte Licht gesetzt werden sollte. Ich wohnte den vorhergehenden Besprechungen mit Clarke bei und erzählte ihm die ganze Geschichte, die ich hier wiedergegeben habe, und noch viel mehr, ich gab auch eine schriftliche Kopie meiner Aussage dem Anwalt Humphreys als eine Basis für den Schriftsatz, den er für Sir Edward Clarke machte. Ich sagte Sir Edward, daß, wenn er mich sofort bei Beginn der Verhandlung, ehe Wilde vernommen wurde, zu Worte kommen ließe, wir eine so feindliche Stimmung gegen meinen Vater erzeugen würden, daß die Geschworenen ihn unmöglich freisprechen könnten.

Die Hauptsache war meines Erachtens, zu beweisen, daß seine gespielte Sorge um seinen Sohn und sein angeblicher Wunsch, ihn zu »retten«, nichts weiter als Heuchelei war und alles darauf hinauslief, mich zu ruinieren und das Herz seiner gepeinigten Frau zu brechen, was ihm auch gelang.

Ich wußte damals instinktiv, daß, wenn man mich als Zeuge auftreten lassen würde, ich die Geschworenen für mich gewinnen könnte. Ich habe es seitdem immer wieder ausprobiert und jedesmal mit Erfolg. Ich sagte Clarke, daß, wenn er mich nicht vernehmen würde, er den Prozeß sofort einstellen könnte. Darauf erwiderte er: »Sie können ganz ruhig sein, Lord Alfred, ich bin vollkommen Ihrer Meinung. Die einzig richtige Art, diesen Prozeß zu führen, ist, sofort mit einem vernichtenden Angriff gegen Lord Queensberry zu beginnen, und zwar auf Grund seines unerhörten Benehmens seiner Familie gegenüber. Dafür haben wir reichliche Beweise durch seine Briefe an Sie und Ihren Großvater, Lord Alfred Montgomery, die noch durch Ihre Aussagen ergänzt werden können.« Ich entgegnete: »Jawohl, aber wollen Sie mir Ihr Wort geben, daß Sie mich als Zeuge aufrufen werden?« Er antwortete: »Gewiß, das werde ich tun; Sie sollen sofort nach meiner Eröffnungsrede Ihre Zeugenaussage abgeben.«

Mit dieser Versicherung ging ich beruhigt fort. Ich wußte, daß uns ein schwerer Kampf bevorstand; ich wußte, daß Oscar dessen schuldig war, was mein Vater ihm vorwarf (in meinem Buch »Oscar Wilde und Ich« habe ich es auf Croslands Rat hin allerdings geleugnet). Aber ich dachte, wir würden den Prozeß gewinnen, und noch immer bin ich der Ansicht, daß wir ihn hätten gewinnen müssen. Ich schreibe den tragischen Ausgang von Wildes Prozeß einzig und allein dem Umstand zu, daß Sir Edward Clarke in letzter Minute seine Absicht, den Prozeß nach den von mir angegebenen Richtlinien zu führen, fallen ließ. Was ihn dazu bewog, sein Vorhaben und seine ganze Taktik zu ändern, habe ich niemals erraten können. Nur eines weiß ich: daß ich bestimmt den Prozeß für Wilde gewonnen hätte (der selber der unmöglichste Zeuge war, der mir jemals vorgekommen ist), habe ich doch in späteren Jahren jeden Prozeß für mich und für andere (siehe Pemberton-Billing und Crosland) gewonnen.

Und selbst wenn Oscar diesen Prozeß verloren hätte, würde wenigstens nachher kein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sein. Die öffentliche Meinung wäre auf unserer Seite gewesen, anstatt auf der Queensberrys. Dessen war ich sicher, und daran dachte ich, als ich Sie und Shaw im Café Royal traf. Ich hatte endlich Oscar so weit bekommen, daß er mit mir einig war. Meine ganze Familie außer Queensberry stand hinter mir; außerdem hatte ich die Unkosten des Prozesses aus meiner eigenen Tasche bezahlt. (Daß ich damals dreihundertsechzig Pfund für Wilde bezahlte, wird immer von den unter Ross' Einfluß stehenden Biographienschreibern ignoriert, obgleich diese Tatsache beim Ransome-Prozeß gegen mich verwertet wurde, und zwar als ein Beispiel meines pflichtvergessenen Benehmens meinem Vater gegenüber!) Als Sie und Shaw mir Ihren völlig einseitigen und auf eine ungenügende Kenntnis der Tatsachen begründeten Rat gaben, grollte ich Ihnen, weil ich die größte Angst hatte, daß Oscar wieder schwanken und die Flinte ins Korn werfen würde. Wußte ich doch, daß er furchtbar feige war. Ich wagte nicht, Ihnen zu sagen, worauf sich unsere Klage stützte, aus Angst, ich würde Sie und Shaw nicht überzeugen können, und Sie könnten dann Wilde, nachdem ich ihn mit so vieler Mühe zu meiner Auffassung bekehrt hatte, abreden. Mein einziges Bestreben war, ihn so schnell wie möglich aus dem Café herauszubekommen. Daher war ich so unhöflich. Daß ich es war, will ich gern zugeben. Aber damals kannte ich Sie ja kaum, und Shaw hatte ich noch nie gesehen. Außerdem war ich schon zu jener Zeit, wie in meinem ganzen späteren Leben, trotz meiner sonstigen Schüchternheit, ein wahrer Teufel, wenn man mich durch Opposition reizte; das bin ich auch, wenn ich verhört werde; dann bin ich dem gefürchtetsten Anwalt gewachsen.«


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