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31. Kapitel – Briefe

Seitdem ich das letzte Kapitel beendete, habe ich mich mit meiner Frau beraten, und sie ist einverstanden, daß ich hier einige Auszüge aus den Briefen einflechte, die sie mir zu jener Zeit schrieb. In der Regel würde man solche Briefe für zu intim halten, um sie zu veröffentlichen, aber unser Leben ist so anders gewesen als das der meisten Menschen, daß es töricht wäre, die Augen gegen diese Tatsache zu verschließen und dadurch Mißverständnissen Tür und Tor zu öffnen. Sowohl meine Frau als auch ich sind Dichter. Ich bin zeitlebens sehr vorsichtig im Gebrauch des Wortes Dichter gewesen. Wie gern ich einen Menschen an und für sich auch habe und wie gern ich ihm einen Gefallen tun möchte, nie sage ich, daß er ein Dichter ist, wenn ich nicht davon überzeugt bin. Behaupte ich also, daß meine Frau eine Dichterin ist, meine ich es auch, und ich bin der Ansicht, daß sie bessere Gedichte geschrieben hat als irgendeine andere lebende Frau, sogar noch bessere als Mrs. Meynell, deren Werke ich aufrichtig bewundere.

Wendet man hiergegen ein – wie es sicher viele tun werden –, daß ich Olive nur darum für eine begabte Dichterin halte, weil sie meine Frau ist, so stellt man den wahren Sachverhalt auf den Kopf. Gerade weil sie so wunderbare Gedichte schrieb und noch dazu so schön und anmutig war, fühlte ich mich zu ihr hingezogen; gerade das ließ sie in meinen Augen so anders erscheinen als alle anderen jungen Mädchen, denen ich bis dahin begegnet war. Ich kann literarische Arbeit wenigstens ebensogut beurteilen wie irgendein anderer, deshalb bin ich meines Erachtens vollauf berechtigt und dazu qualifiziert, die Arbeiten meiner Frau zu beurteilen. Da wir also beide dichterisch außergewöhnlich begabt sind und ich leider gezwungen worden bin, seit Jahren im grellen Licht der Öffentlichkeit zu leben, wäre es töricht, die Tatsache zu ignorieren, daß alles, was wir gesagt oder getan haben, nach unserem Tode der Gegenstand öffentlichen Interesses sein wird.

Die wenigen in meinem Besitz gebliebenen Briefe Oscar Wildes an mich einschließlich derjenigen, die er mir aus Berneval gleich nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus schrieb, verkaufte ich gleich nach dem Abschluß des Ransome-Prozesses an den jetzt verstorbenen, damals erkrankten Bernard Quaritch. Ich war dazu gezwungen, weil ich zu jener Zeit völlig mittellos war und unbedingt Geld für den Prozeß brauchte, den Oberst Custance gegen mich angestrengt hatte, um mir meinen elfjährigen Sohn zu nehmen. Quaritch war damals zu krank, um mich zu empfangen, als ich ihm die Briefe anbot – es waren ungefähr dreißig. Soviel ich mich erinnern kann, bot er mir dreihundertfünfzig Pfund an, jedenfalls weiß ich, daß ich die vorgeschlagene Summe annahm. Damals, als ich die Briefe verkaufte und auch für zwei- bis dreihundert Pfund alle jene Werke Wildes, die er mir, mit seiner eigenhändigen Unterschrift versehen, geschenkt hatte, war mir der Name Wilde verhaßt. Ich wollte alles, was mich an ihn erinnerte, loswerden. Ich weiß noch, wie mir der Gedanke kam, daß dies eigentlich der erste und einzige Vorteil sei, den mir die Freundschaft mit ihm gebracht hatte. Als ich Quaritch die Briefe verkaufte, gab er mir durch seinen Vertreter zu verstehen, daß sie zu seinen oder meinen Lebzeiten nicht verkauft werden dürften. Diese Bedingung, die Quaritch meines Erachtens aus freien Stücken machte, wird jetzt von seinen Nachfolgern bestritten. Da ich aber keine Belege für die Richtigkeit meiner Behauptung besitze, erübrigt es sich, weiter darüber zu sprechen. Jedenfalls hat die Firma Quaritch die Briefe kurze Zeit nach dem Tode von Mr. Quaritch verkauft, und seitdem sind sie schon ein paarmal in andere Hände übergegangen. Zuletzt wurden sie in New York von William Andrews Clark für die hohe Summe von zweitausend Pfund gekauft.

Meine eigenen Briefe an Wilde, von denen die meisten vermutlich in den Händen der Erben oder Testamentsvollstrecker des verstorbenen Robert Ross sind, der sie mir entwendete, werden nach meinem Tode ebenso wertvoll sein. Dasselbe gilt natürlich von meinen Briefen an meine Frau und ihren Briefen an mich, von denen man früher oder später sicher viele veröffentlichen wird. Wenn ich also jetzt schon einige Auszüge hier einflechte, greife ich nur ein wenig vor.

Den folgenden Brief schrieb mir Olive, kurz ehe ich nach Amerika fuhr:

»Mein lieber, süßer Prinz. – Ich denke jeden Augenblick des Tages an Dich und bitte Gott, daß Dein Schicksal eine günstigere Wendung nehmen möge und sich alles bald hoffnungsvoller gestalten wird ...

Die kleine Prinzessin ist sehr unglücklich über ihren lieben, schönen Prinzen ... Sie weinte über seinen Brief und wünschte, ach, wie sehr wünschte sie es, daß sie ›reich und mächtig‹ sei, damit sie ihm helfen könne ...

Gestern war ich zu traurig, um zu träumen ... darum nahm ich Paters ›Imaginary Portraits‹ zur Hand und las über Denys l'Auxerrois, weil er mich an Dich erinnerte ... und dann las ich Shakespeares Sonette und fragte mich, warum sich die Leute so den Kopf darüber zerbrechen, an wen sie gerichtet waren ... denn ich weiß es ganz bestimmt, daß sie nur Dir gelten können ... Shakespeare muß Dir in einer andern Welt begegnet sein!

Liebster Prinz, ich muß Dich am 30. sehen, wenn es auch nur für eine Minute ist.

Opal.«

Olive wurde von ihren Freunden und Bekannten »Opal« genannt, teils weil ihr erster Band Gedichte »Opals« hieß, und teils weil sie selbst an diesen Edelstein erinnerte. Ich habe es aber immer vorgezogen, sie Olive zu nennen. Die Punkte in ihren Briefen sind charakteristisch für sie, denn sie benutzte selten eine andere Interpunktion. Keiner ihrer damaligen Briefe ist mit Datum versehen, und darum ist es sehr schwierig, sie chronologisch zu ordnen, aber den folgenden hat sie sicher bald nach unserer ersten Begegnung geschrieben:

»Weston Hall, Norwich.

Schöner Prinz. – Ich muß Ihnen mit der ersten Post einige Worte senden ... bloß um Ihnen zu danken, daß Sie so lieb zu mir waren ... Es war so wundervoll, in Ihre klaren, tapferen Augen zu blicken und mit Ihnen zu sprechen ... Ihre Stimme zu hören, Ihr Lachen ... Es war so herrlich, daß ich fast glaube, es war nur ein schöner Traum ... Wann werde ich wieder einen Brief von Ihnen bekommen ...? Und sagen Sie mir doch bitte, wie gefällt Ihnen Ihre kleine Prinzessin?

Nein! ich bin nicht Ihre Prinzessin ... Sie, die richtige Prinzessin, wird sehr schön sein ... doch bis dahin haben Sie, bitte, lieber, guter, schöner Prinz, ein wenig lieb Ihre

Opal.«

Der folgende Brief wurde augenscheinlich geschrieben, als ich im Begriff war, nach New York abzureisen.

»Weston Hall, Norwich.

Mein geliebter Junge, – welche Freude hat mir Dein letzter Brief gemacht ... aber jetzt habe ich das Gefühl, daß Du wirklich fort bist; ich bin todunglücklich ohne Dich. Diese Nacht träumte ich von Dir, und als ich erwachte, war mein Kopfkissen von Tränen naß ... ich streckte Dir meine Arme entgegen und rief Dich, mein Prinz, ganz leise ... aber Du warst schon zu weit fort, um mich zu hören ... Ach, wie vermisse ich Dich ... Deinen schönen Blondkopf ... Deinen süßen roten Mund ... der meine Küsse immer ein bißchen schüchtern entgegenzunehmen scheint ... und vor allem Deine großen blauen Augen ... die schönsten Augen, die ein Junge je gehabt hat, wie zwei blaue Blumen unter Wasser (wie ich Dir schon einmal sagte). Und Deine ›Lider von langen, dichten Wimpern umsäumt‹ (ich muß an Dich gedacht haben, als ich jenes Gedicht schrieb!), wie meine Lippen sie lieben ... wenn ich sie nur diese Nacht küssen könnte ... Aber wenn ich Dir ewig schreiben würde, könnte ich Dir niemals sagen, wie sehr ich Dich liebe ... [hier sind anderthalb Seiten ausgelassen] Ich werde Dir die Photographien schicken, sobald sie fertig sind, und auch ein kleines Zigarettenetui will ich Dir zu Deinem Geburtstag am 22. (nicht wahr?) nach New York senden. Ich glaube, ich drücke mich sehr ungeschickt aus ... aber ich vergesse sogar gut zu schreiben, wenn ich an Dich schreibe ... ich vergesse alles, außer daß ich Dich liebe ... Sieh, was ich für ein Kind bin! Aber Du wirst mich verstehen, weil auch Du ein Kind bist ... mein geliebter Junge, mein einziger Bosie, den Gott bestimmt für mich schuf ... Gute Nacht, mein Dichter (Du mußt ein Gedicht für mich verfassen, nicht wahr?). Ich werde diese Nacht schöne Träume haben, und ich werde Gott bitten, daß sie in Erfüllung gehen. Deine Dich liebende

Olive.

P. S. Der Basilisk läßt Dich grüßen und der ›junge Basilisk‹ auch, wenn er nicht verloren ist. Das kleine Herz ist sicher aufbewahrt ...«

Der »junge Basilisk« war ein Ring mit einem Smaragdschlangenkopf, den Olive mir schenkte; wer aber der andere Basilisk war, weiß ich nicht mehr.

Der folgende Brief ist anscheinend nach meiner Rückkehr aus New York geschrieben worden.

»Dover-Street 19, London W.

Geliebter Prinz, – Wann kommst Du nach London? Ich sehne mich so sehr nach Dir ... Ich habe zwei Logenplätze zum nächsten Sonnabendnachmittag zu ›Bunbury‹ genommen. Könntest Du es irgendwie möglich machen, zu kommen? ... Auf diese Weise würden wir uns sehen ... Ich werde sagen, ich gehe mit George hin ... Mein Schönster, London ist sehr dunkel ohne Dich ... komme aus den Wolken, mein Sonnenstrahl ...

Dein Page.«

Diesen letzten Brief erhielt ich, als ich auf dem Gut meines Großonkels, Percy Wyndham, das Clouds (Wolken) hieß, weilte.

Den ersten der beiden nächsten Briefe schrieb Olive, kurz ehe ich nach New York fuhr, und den zweiten, als ich zurückkam:

»Weston Hall, Norwich.

Mein einziger Prinz, – das kleine Herz ist süß ... [ich hatte ihr einen Anhänger mit einer Locke von mir darin geschickt] und ich werde es immer ... immer tragen ... selbst dann, wenn Du mich schon längst vergessen und die schöne Prinzessin geheiratet hast, die Dir all die herrlichen Dinge schenken wird, die Du haben müßtest ... Du fehlst mir mehr, als ich sagen kann ... denn ich liebe Dich über alles in der Welt ... und ich glaube, wir werden nie wieder zusammen glücklich sein ... Schreibe mir bald ... recht bald und sage mir, daß Du Deinen kleinen Pagen liebst und daß Du eines Tages zu ihm zurückkommen wirst ... mein Prinz, mein Prinz ...

Mutti ist ziemlich unglücklich gewesen, weil ›Tannie‹ [Olives Erzieherin] ihr erzählt hatte, daß wir uns damals in London sahen ... war das nicht abscheulich von ihr? Mutti hat uns aber verziehen, und alles wird wieder gut sein, das heißt, wenn sie nichts von unserer Begegnung in Paris erfährt ... Dann würde sie uns, fürchte ich, niemals verzeihen!

Leb wohl, mein Liebling ... mögen alle Deine Träume in Erfüllung gehen ... Ich kann nicht mehr schreiben ... Leb wohl ...

Olive.«

Der nächste Brief scheint keine Unterschrift zu haben und hört mittendrin auf, aber vielleicht fehlt eine Seite:

»Mein einziggeliebter Prinz, – Schicke mir die Photographie sofort bitte ... ich werde dann etwas haben, was ich anschauen kann, bis ich Dich wiedersehe, mein Liebes, mein Schönes ... Ich habe noch eine Photographie von Dir, die besser ist als die letzte, und ich lasse sie malen. Bleib nicht allzu lange von London fort, da ich sicher am 30. wieder dort sein werde ... und schreibe mir bitte nach Dover-Street 19, Piccadilly ... da die Handschrift Deines Freundes so ganz anders ist als die Deine, wird kein Mensch etwas argwöhnen ... sag ihm bitte, nicht zu vergessen, Fräulein Olive Custance zu schreiben, denn sonst könnte man den Brief versehentlich Mutti geben!

Etwas Furchtbares ist mit Deiner letzten Depesche passiert! Vater hat sie geöffnet! Aber er wußte nicht, wer ›Bosie‹ war ... darum erzählte ich ihm, sie wäre von Nathalie ... bald darauf schickte ich mir selbst eine Depesche von ihr mit der Nachricht, daß sie nach Italien führe, da Mutti sie nicht ausstehen kann! Du wirst lachen über alle diese Dinge ... Aber warum, ach, warum macht es uns das Schicksal so schwer, uns zu sehen ...?!«

Ich zweifle nicht, daß manche meiner Kritiker sagen werden, ich hätte nicht gerade jene Briefe wählen dürfen, die schmeichelhafte Anspielungen auf mein Äußeres enthalten. Meine Antwort darauf ist zweifach. Erstens kann ich gar keine anderen Briefe wählen, aus dem einfachen Grund, weil sie alle derartige Anspielungen enthalten. In jedem Brief, den mir Olive zu dieser Zeit schrieb (und sogar auch noch später), waren ähnliche Bemerkungen. Meine zweite Antwort ist die, daß die Bewunderung des jungen Mädchens für den Jüngling an und für sich schon etwas Schönes, Richtiges und Klassisches ist, selbst wenn eine solche Einstellung der dummen modernen Jugend nicht einleuchtet. Shakespeares Heldinnen, die für edles Frauentum vorbildlich sind, bringen auch solche Empfindungen zum Ausdruck. »Schwör bei deinem edlen Selbst, dem Götterbilde meiner Anbetung«, sagt Julia ihrem Romeo, und dann wieder, wenn sie von ihm spricht: »O Schlangenseele unter Blumenauge«, zieht aber dann die Worte »Schlangenseele« reuevoll zurück und macht sich bittere Vorwürfe darüber. Hundert andere ähnlicher Beispiele könnte ich angeben. Ich muß gestehen, ich schäme mich gar nicht, daß ein schönes junges Mädchen mich »schöner junger Prinz« nannte, im Gegenteil, ich bin stolz darauf und rühme mich dessen. Diese Briefe sind überdies die beste Antwort auf Frank Harris' Versuche in seinem Buch voll Entstellungen und absichtlich irreführender Angaben, mein Äußeres zu bemängeln und zu behaupten, daß es zur Zeit meiner Begegnung mit Oscar Wilde gar nichts Anziehendes mehr hatte. Die bolschewistische Denkart, die die Schönheit in jeder Form haßt, ist wohl schuld an der modernen Tendenz der Kunst und der Literatur, alles Schöne geringschätzig zu betrachten. Ich werde mich niemals dieser Auffassung anschließen oder mich jener idiotischen Konvention beugen, die den Leuten verbietet, zu sagen – trotzdem sie es denken –, daß ein Jüngling ebenso schön sein kann wie ein Mädchen. Ich für mein Teil kann nur behaupten, daß Shakespeare mir stets maßgebend sein wird für das, was man über irgendein Thema sagen oder schreiben darf.


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