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10. Kapitel – Der erste Besuch bei Wilde

Lionel Johnson holte mich also eines Tages während meiner Ferien, die ich im Hause meiner Mutter, Cadogen-Place 18, verbrachte, ab und nahm mich mit nach der Tite-Street, um Oscar Wilde zu besuchen. Wir tranken Tee in seinem kleinen Arbeitszimmer, das nach der Straße hinausging. Ehe ich mich verabschiedete, führte mich Oscar in den Salon, um mich seiner Frau vorzustellen. Ich verstand mich immer sehr gut mit Mrs. Wilde. Ich mochte sie sehr gern und sie mich ebenfalls, glaube ich. Sie sagte mir ungefähr ein Jahr, nachdem ich sie kennengelernt hatte, daß sie mich von allen Freunden Oscars am liebsten hätte. Sie war häufig meiner Mutter Gast und war auch bei einer Tanzgesellschaft, die meine Mutter im ersten Jahr meiner Bekanntschaft mit Oscar Wilde gab. Nach dem Zusammenbruch sah ich sie nie wieder, und ich zweifle nicht, daß es Ross und seinen Freunden gelungen ist, sie gegen mich aufzuhetzen; doch bis zum letzten Tag unserer Bekanntschaft waren wir beide die besten Freunde. Ich sah sie zum letztenmal zwei Tage vor Beginn von Wildes Prozeß gegen meinen Vater. Wir aßen alle drei zusammen in einem kleinen Restaurant und gingen dann ins St. James-Theater, wo Oscars Stück »Bunbury« jeden Abend vor ausverkauftem Haus gespielt wurde. Mrs. Wilde war an diesem Abend sehr erregt, und als ich mich vor dem Theater von ihr verabschiedete, standen ihr die Tränen in den Augen. Sie tat mir unsagbar leid, denn obgleich ich damals fest überzeugt war, daß Oscar den Prozeß gewinnen würde, und ich keine Ahnung von der entsetzlichen Katastrophe hatte, die bevorstand, wußte ich doch, daß die ganze Angelegenheit, selbst wenn sie gut auslief, eine furchtbare Prüfung für die arme Frau sein würde. Meine Wahrheitsliebe zwingt mich hier zu sagen, daß Oscar während unserer ganzen Bekanntschaft nicht sehr freundlich gegen seine Frau war. Zweifellos war er eine Zeit lang – er hat es mir selber oft gesagt – sehr in sie verliebt, und die Heirat war eine Liebesheirat. Als ich ihm zuerst begegnete, hatte er sie auch noch sehr gern, aber er war oft recht ungeduldig gegen sie und zeigte ihr sehr deutlich, daß er ihr die etwas mißbilligende Haltung ihm gegenüber sehr übelnahm. In der Zeit unmittelbar vor der Katastrophe (sie sahen sich nie wieder, nachdem Oscar seine Strafe abgebüßt hatte) waren die Beziehungen zwischen ihnen entschieden gespannt. Aber wenn man versucht, mich für diesen Umstand verantwortlich zu machen, tut man mir sehr unrecht. Alle diejenigen, die uns damals kannten, werden bezeugen können, daß ich niemals der »Zankapfel« zwischen Oscar und seiner Frau war, obgleich ich einmal im Scherz diesen Ausdruck in einem Brief an Ross gebraucht habe, den Ross sofort bei dem Prozeß gegen mich ausnutzte. Die belastenden Beweise für Oscars damalige Lebensführung, die während der Gerichtsverhandlung gegen ihn vorgebracht wurden, genügen wohl, um die Entfremdung zu erklären, die zwischen Oscar und seiner Frau bestand, ohne daß es nötig war, mich hineinzuziehen und dafür verantwortlich zu machen.

In Wirklichkeit hätte Oscar – und das wissen Harris, Ross und alle meine anderen Verleumder sehr gut – alle seine Feinde, sogar auch meinen Vater, auslachen können, wenn er sich mit seiner übertriebenen Bewunderung für mich begnügt hätte (selbst wenn man zugibt, daß eine Zeitlang etwas Perversität darin lag) und sich nicht mit allen jenen Strolchen abgegeben hätte, die im Prozeß gegen ihn aussagten. Die an mich geschriebenen Briefe Wildes, die mein Vater gegen ihn vorbrachte ( nicht weil er, wie Sir Edward Carson wiederholt den Geschworenen versicherte, Verdacht hegte, daß irgendwelche unerlaubten Beziehungen zwischen uns beständen, sondern nur, weil er einer »gefährlichen Freundschaft« ein Ende machen wollte), sind immer wieder in den Zeitungen veröffentlicht worden. Es waren ihrer nur zwei. Jedermann steht es frei, sie selbst zu lesen, und ich kann behaupten, daß niemand mit dem besten Willen in diesen beiden Briefen einen Beweis für irgendeine Unsittlichkeit finden könnte. Sie bewiesen ausschließlich – und das hatten weder Wilde noch ich jemals geleugnet –, daß Wilde eine übertriebene Zuneigung zu mir empfand und eine grenzenlose Bewunderung für mein Äußeres. Er verglich mich mit Hylas und Hyacinthus, und die Sprache, die er gebrauchte, war natürlich sehr überschwenglich und ungewöhnlich. Aber diese Briefe enthalten durchaus nichts, was nicht seinesgleichen in Shakespeares Sonetten hätte, die auch an einen Knaben gerichtet waren. Obgleich es heutzutage, glaube ich, Mode ist, Shakespeare dieselben Laster, die Wilde hatte, zuzusprechen, ist dies meines Erachtens nur ein Beweis der grenzenlosen Unwissenheit, Gemeinheit und Dummheit der Menschen, die solche Beschuldigungen auf so schwache Beweise stützen. Shakespeare hat, wie ich schon einmal auseinandergesetzt habe, seine Verleumder im voraus Lügen gestraft, und zwar durch die sechs letzten Zeilen desselben Sonetts, das als hauptsächlicher Beweis gegen ihn zitiert wird. Ich meine das Sonett, das mit folgenden Worten beginnt:

A woman's face, with nature's own hand painted,
Hast thou, the master-mistress of my passion.

Diese Zeilen zeigen deutlich nicht nur, daß Shakespeares Liebe zu »Sir W. H.« völlig rein war, sondern daß Shakespeare selbst niemals die Möglichkeit erwogen hat, jemand könne sie anders auffassen. »Die Natur«, sagt er, »hat dich als Frau gedacht, doch sie verliebte sich beim Werke«, und »hat durch Zuvieltun dich mir weggenommen«. Hätte er es noch deutlicher sagen können? »Wenn du eine Frau gewesen wärst«, meint er, »... aber leider warst du eben ein Knabe, so daß du mir weggenommen wurdest«. Um es den Menschen noch deutlicher zu sagen, fügt er weiter unten hinzu:

But since she pricked thee out for woman's pleasure,
Mine be thy love, and thy love's use their treasure.

Die Wirkung dieser Zeilen ist um so stärker, als sie augenscheinlich nicht als Antwort auf irgendeine widersprechende Behauptung beabsichtigt waren. Mit diesen Worten spricht sich Shakespeare in den Augen jedes vernünftigen Menschen endgültig und unbewußt frei. Offenbar ist es ihm nie eingefallen, daß irgend jemand seine Liebe und Verehrung für W. H. falsch auslegen könnte.

So könnte ich jeden herausfordern, der nicht schon von vornherein ein Vorurteil hegt, irgend etwas in einem Brief Wildes an mich zu finden, das nicht mit reiner Liebe und Bewunderung vereinbar wäre. Die beiden Briefe, die mein Vater als Beweis anführte, waren Wildes und meiner Meinung nach gerade die »schlimmsten«, hauptsächlich weil sie gekünstelt waren und darum nicht im geringsten herzbewegend. Doch irgend etwas Unsittliches oder Belastendes enthalten sie ganz bestimmt nicht. Wenn nicht andere schlagende Beweise für Wildes unsittliche Lebensführung existiert hätten, und zwar auf Grund der Zeugnisse eines ganzen Heeres von Straßenjungen, für deren Bekanntschaft er unmöglich eine andere Erklärung geben konnte, wäre er sicher niemals wegen seiner Freundschaft mit mir verurteilt worden. Der gütige Harris und alle diejenigen, die so bereit sind – aus Gründen, die sie allein am besten wissen – mir vorzuwerfen, daß ich Wilde »ruiniert« und »hingeopfert« hätte, um meinen »Haß gegen meinen Vater« zu befriedigen, übersehen die Tatsache, daß die zahlreichen Jungen, um derentwillen er angeklagt und verurteilt wurde, allesamt seine Ankläger waren. Sie waren es, die ihn durch ihre Aussagen »verrieten«. Ich hingegen blieb ihm durch dick und dünn treu und erbot mich, als Zeuge für ihn aufzutreten und ihn zu verteidigen – ja, noch mehr, ich bettelte um die Erlaubnis, es tun zu dürfen.

Während ich bei dem Thema der beiden an mich gerichteten Briefe Wildes bin, möchte ich ein Beispiel von den Methoden geben, die Frank Harris anscheinend für empfehlenswert hält, in seinem angeblich edlen und selbstlosen Versuch, »das Andenken seines Freundes zu verteidigen«. Einer der Briefe, auf die ich eben angespielt habe, enthält folgende Worte:

»Ich bin sicher, daß Du in griechischen Tagen Hyacinthus warst, den Apollo so wahnsinnig liebte.«

In seinem Buch über Wilde hält es Frank Harris für gerecht und vorteilhaft für das Andenken und die Ehre seines verstorbenen Freundes, diese Worte folgendermaßen zu verändern:

»In griechischen Tagen hat kein Apollo der Liebe so wahnsinnig gehuldigt wie Du.«

In seinem Bestreben, mir einen Hieb zu versetzen, will Harris absichtlich den Glauben erwecken, daß sein »geliebter Freund« der Urheber jener widerlichen Worte ist, über die man wohl sagen könnte, Oscar Wilde würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüßte, daß man ihn beschuldigt hat, eine solche Gemeinheit geschrieben zu haben.

Wenn ich also sage, daß die Briefe Wildes an mich nichts enthielten, was ihm die geringsten Unannehmlichkeiten hätten verursachen können, so kann ich mit gleichem Recht behaupten, daß niemals irgendwelche ernstlich belastenden Beweise gegen uns existiert haben. Harris in seinem »Neuen Vorwort« zu seinem Buch »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« spricht über meine Beziehungen zu Oscar Wilde in folgenden Worten: »In seinen Beziehungen zu Oscar Wilde kann man Douglas nichts weiter vorwerfen, als eine grenzenlose Bewunderung für einen älteren und sehr begabten Mann und daß er – widerstrebend – solche Vertraulichkeiten gestattet hat, wie sie unter Jungen in englischen Internaten häufig vorkommen … Die ernstere Anklage ist von Anfang bis zu Ende eine einfache Erfindung.« Ganz recht; von Frank Harris erfunden. Denn niemand sonst hat jemals diese Anschuldigung erhoben.

Harris schrieb die oben zitierten Worte, nachdem ich ihm aus freien Stücken genau auseinandergesetzt hatte, welcher Art meine Beziehungen zu Oscar Wilde während einer verhältnismäßig kurzen Zeit waren. Es lag durchaus kein Grund vor, ihm ein solches Geständnis zu machen, meine Wahrheitsliebe ausgenommen. Wenn ich geschworen hätte, daß in meinen Beziehungen zu Wilde das niemals existiert hatte (was kurze Zeit doch existierte), wäre Harris niemals in der Lage gewesen, das Gegenteil zu beweisen. Es wurden im übrigen niemals solche Beschuldigungen gegen mich erhoben (auch nicht einmal eine Andeutung von dem gemacht, was ich freiwillig gebeichtet habe), weder bei dem Prozeß gegen meinen Vater, als die Andeutung einer solchen Bezichtigung durch den Anwalt meines Vaters, Carson, in aller Form zurückgewiesen wurde, noch später beim Strafverfahren gegen Wilde. Abgesehen von dem boshaften, verlogenen Klatsch, den man von Zeit zu Zeit über mich verbreitet, ist nie eine derartige Beschuldigung gegen mich erhoben worden, das heißt nicht in der Form, daß ich berechtigt gewesen wäre, mich öffentlich dagegen aufzulehnen. In seinem Buch erfindet Harris eine ganz verlogene Beschreibung meiner ersten Begegnung mit Wilde. Wenn man bedenkt, daß Lionel Johnson bei dieser Begegnung anwesend und Mrs. Wilde in unmittelbarer Nähe war, bedarf es nur des elementarsten gesunden Menschenverstandes, um sofort zu merken, daß Harris' Geschichte eine boshafte, gemeine, ans Groteske grenzende, unsinnige Lüge ist. Wie in aller Welt konnte Harris wissen, was bei meiner ersten Begegnung mit Wilde gesagt oder getan wurde? In seinem Buch versucht er gar nicht den Anschein zu erwecken, daß er seine Kenntnisse von Wilde selbst hat, und die beiden einzigen Menschen, die etwas davon wußten, waren Lionel und ich. Was in Wirklichkeit bei dieser ersten Begegnung vorging, war natürlich nichts weiter als der übliche Austausch von Höflichkeiten. Wilde war äußerst liebenswürdig und redete viel. Auf mich hatte er einen sehr tiefen Eindruck gemacht, einen noch viel tieferen als ich in meinem Buch »Oscar Wilde und Ich« zugebe; und ehe ich mich verabschiedete, forderte er mich auf, zum Lunch oder Abendessen in seinen Klub zu kommen, und ich nahm seine Einladung an.

Wenn Harris' Buch »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« in England veröffentlicht worden wäre, hätte ich selbstverständlich schon längst ihn und seinen Verleger verklagt, und Harris hätte ohne Zweifel die Höchststrafe für böswillige Verleumdung, das heißt zwei Jahre Gefängnis, bekommen. Aber da das Buch in Amerika von Harris selber ohne Verleger publiziert wurde, war ich machtlos. Geldknappheit hinderte mich, nach Amerika zu fahren, und selbst wenn ich es getan hätte, welche Aussicht hätte ich gehabt, dort jene Gerechtigkeit zu finden, die ich erst nach einem langen erbitterten Kampf gegen eine große Übermacht im eigenen Land kaum erreicht habe?


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