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40. Kapitel – Vor Gericht

Jetzt muß ich in meiner Erzählung zu jener Periode zurückkehren, die einige Monate nach dem Ransome-Prozeß liegt. Meine Versöhnung mit Olive war leider nicht vollständig oder dauerhaft. Nachdem die erste Freude des Wiedersehens sich gelegt hatte, sah ich sie nicht mehr oft. Ich löste meinen Haushalt in Hampstead auf und siedelte in das Haus meiner Mutter über, das sie vor einigen Monaten in Chelsea gemietet hatte. Es war Anfang des Jahres 1914. Während dieser Zeit und bis ich England verließ, um nicht wegen der Wiederholung meiner »Verleumdung« gegen Oberst Custance verhaftet zu werden, hatte ich mit Croslands Hilfe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Ross zur Rechenschaft zu ziehen. Eines Tages las ich zufällig in einer Sonntagszeitung von einem sechszehnjährigen Jungen namens Garrett, der im Gefängnis saß und bei seiner Vernehmung einen Freund von Ross als Entlastungszeugen verlangt hatte. Ich erhielt die Erlaubnis vom Innenministerium, einen Anwalt zu diesem Jungen schicken zu dürfen. Der Advokat besuchte ihn, natürlich in Gegenwart eines Gefängniswärters, und der Junge machte eine Aussage, die Ross, den er sehr gut zu kennen behauptete, schwer belastete. Der Junge weigerte sich jedoch, irgendwelche Einzelheiten anzugeben, versprach aber, dem Anwalt alles zu sagen, wenn dieser bei seiner Entlassung vor dem Tor des Gefängnisses auf ihn warten würde.

Dies geschah: der Anwalt war an Ort und Stelle zur verabredeten Zeit, und der Junge machte eine für Ross sehr schwer belastende Aussage. Ich nahm ihn mit nach Scotland Yard, und er wiederholte die Erklärung (ich war nicht zugegen) vor dem Kriminalbeamten, und sie wurde zu Protokoll genommen. Der Junge unterschrieb die Erklärung. Nachdem einige Tage verstrichen waren, weigerte sich plötzlich die Polizei, gegen Ross vorzugehen. Ich schickte Crosland zur Mutter des Knaben, die auf dem Lande lebte. Schließlich kam sie nach London, machte unter Eid ihre Aussage und ging dann, von meinem Anwalt und ihrem Sohn begleitet, zum Richter, um einen Haftbefehl gegen Ross zu erwirken. Der Sekretär des Richters sagte ihr jedoch, sie solle noch einmal etwas später kommen. Sie ging weg, und inzwischen lief der Junge fort und war nicht mehr aufzufinden. Trotzdem aber verwertete ich diese Aussage, als ich meine Beschuldigungen gegen Ross vor Gericht rechtfertigte.

Um Ross zu zwingen, eine Verleumdungsklage gegen mich anzustrengen, schrieb ich in dieser Zeit an mehrere seiner Freunde, darunter an den Premierminister Asquith, und wiederholte in diesen Briefen meine Beschuldigungen.

Zugleich schrieb ich an Custance und warf ihm vor, schuld an der Trennung zwischen mir und meiner Frau zu sein. Custance zeigte George Lewis meinen Brief, der sofort erklärte, ich hätte durch dieses Schreiben mein dem Richter gegebenes Versprechen, die »Verleumdungen« nicht zu wiederholen, gebrochen. Lewis riet meinem Schwiegervater, einen Haftbefehl gegen mich zu beantragen, der mir auch zuging.

Sofort erkannte ich, daß man mir eine Falle gestellt hatte. Wenn ich jetzt eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bekäme, war es für immer aus mit mir. Denn sobald ich ins Gefängnis kam, würde Lewis in Ross' Namen eine Verleumdungsklage gegen mich einleiten, und im Gefängnis würde ich keine Möglichkeit haben, Belastungsmaterial gegen Ross zu sammeln und meinen Wahrheitsbeweis anzutreten. Darum war ich gezwungen, die Flucht zu ergreifen, auch auf die Gefahr hin, daß dieser Schritt wie ein Schuldgeständnis aussehen würde.

Doch wäre ich nicht geflohen, hätte ich – so wunderbar sind die Wege Gottes – niemals Ross zur Rechenschaft ziehen können. Jetzt glaube ich zwar kaum, daß der Richter in meinem Brief an Custance ein Wiederholen der »Verleumdung« erblickt hätte. Im schlimmsten Fall wäre ich mit einer neuen Verwarnung davongekommen, denn er hat mich nicht einmal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, als ich einige Monate später in Wirklichkeit die Beschuldigungen gegen meinen Schwiegervater wiederholte. Doch wäre ich damals nicht geflohen (und das ist das erstaunlichste bei der ganzen Geschichte), hätte mich Ross nicht acht Monate später, als ich in Boulogne war, verklagt. Solange ich in England weilte, wagte er es nicht, aber als er dachte, ich würde nicht mehr zurückkommen oder wenigstens jahrelang fortbleiben, ging er zu Lewis und beantragte zwei Haftbefehle gegen mich.

Am 4. März, meinem Hochzeitstag, verließ ich England und fuhr nach Boulogne, wo ich Dick Luckman mit seiner zweiten Frau und seinem Kind traf. Ich stieg in ihrem Hotel ab und blieb bis ungefähr zwei Monate nach Ausbruch des Krieges in Boulogne.

Während ich dort weilte, besuchte mich Crosland häufig. Bei diesen Gelegenheiten war er stets mein Gast. Eines Tages brachte er meine liebe kleine D... E... mit, und wir verlebten zwei schöne Stunden zusammen. Wir sahen uns zum letztenmal, denn gleich darauf fuhr sie nach ihrer Heimat in San Francisco zurück. Ungefähr ein Jahr später schrieb sie mir und bat mich, nach Amerika zu kommen. Sie fügte hinzu, daß sie »jetzt reichlich Geld« hätte. Obwohl ich sie sehr gern hatte, beschloß ich aus religiösen Gründen, sie nie wieder zu sehen. Darum hielt ich es auch für das beste, ihr nicht zu antworten.

In dieser Zeit trafen Crosland und ich Vorbereitungen für den Kampf gegen Ross und Custance. Ich ließ mehrere hundert Exemplare meiner beiden »Briefe an meinen Schwiegervater« drucken und in England verbreiten. Beide enthielten Beschuldigungen gegen Ross und lagen später einem Teil seiner Anklagen gegen mich zugrunde. Als Crosland einmal von Boulogne nach London zurückfuhr, wurde er verhaftet, und zwar unter der Begründung, daß er »mit Lord Alfred Douglas konspiriert« habe, um Robert Ross wegen des Knaben Garrett zu verleumden.

Die Geschichte von Croslands Prozeß, der acht Tage dauerte, gehört eher in Croslands Biographie als in meine. Mein langjähriger und treuer Freund, Herr Sorley Brown, der seit Jahren meine Schlachten in seiner prachtvollen Zeitschrift »The Border Standard« auskämpft, hat eben ein Leben Croslands herausgebracht, und ich empfehle es meinen Lesern, die in diesem Buch enthaltene Schilderung jenes sensationellen Prozesses zu lesen. Croslands Verteidiger war Cecil Hayes, der Anwalt der Gegenpartei F. E. Smith, jetzt Lord Birkenhead. Der Prozeß endete mit einem glänzenden Sieg und Freispruch für Crosland und einer verheerenden Niederlage für Ross. Da es sich hier um ein »Komplott« handelte, hätte man mich, wenn ich in England gewesen wäre, ebenfalls verhaftet.

Aber als ich hörte, daß Crosland verhaftet und gegen Kaution wieder freigelassen worden war – sein Bürge war mein Vetter Sholto Johnstone Douglas, der Porträtmaler –, beschloß ich, nach England zurückzukehren und den Prozeß mit Crosland zusammen auszufechten. Aber Crosland telegraphierte mir, ich solle nicht kommen, ehe er mich gesprochen hätte. Er bat die Polizei um Erlaubnis nach Boulogne zu fahren, um mich zu besuchen. Sonderbarerweise wurde sie ihm gewährt, ich denke mir, weil Ross und Sir George Lewis sehr froh gewesen wären, wenn Crosland seine Kaution hätte verfallen lassen und den Prozeß durch sein Nichterscheinen verloren hätte. Crosland kam also nach Boulogne und riet mir dringend davon ab, nach England zurückzukehren, ehe sein Prozeß entschieden war. Wir waren beide sehr zuversichtlich und überzeugt, daß die Klage mit einem Freispruch für ihn und einer Niederlage für Ross enden würde. Kehrte ich aber jetzt zurück, würde ich sofort wegen dieses angeblichen »Komplotts« verhaftet, allerdings sicher wieder gegen Kaution entlassen werden, aber da die Verleumdungsklage meines Schwiegervaters noch gegen mich schwebte, würde ich noch einmal verhaftet werden. Sollte ich dann eine Gefängnisstrafe bekommen, was ich damals irrtümlicherweise für sicher hielt, so könnte ich nicht das nötige Beweismaterial gegen Ross sammeln.

Darum beschlossen wir, ich sollte vorläufig in Boulogne bleiben, um das Ergebnis von Croslands Prozeß abzuwarten. Crosland kam jedes Wochenende nach Boulogne, und als sein Freispruch erfolgte, war damit auch diese Anklage gegen mich hinfällig geworden.

In dieser Zeit waren nicht weniger als drei Haftbefehle gegen mich erlassen worden! Damals wußte ich nur von den beiden eben erwähnten, da ich erst zwei bis drei Monate später, als ich nach England zurückkehrte, erfuhr, daß Ross mittlerweile einen Haftbefehl gegen mich erwirkt hatte, und zwar wegen böswilliger Verleumdung.

Crosland war während seines Prozesses sehr auf der Höhe. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine besonders geistreiche Bemerkung von ihm. Auf eine Frage, die F. E. Smith ihm stellte, sagte Crosland irgend etwas über die Geschworenen. Smith erwiderte: »Ach, kümmern Sie sich nicht um die Geschworenen, die können schon allein für sich sorgen.« Da antwortete Crosland: »Aber ich will, daß sie für mich sorgen.« Die Geschworenen begrüßten seine schlagfertige Erwiderung mit lautem Gelächter. Crosland erwies sich dem angeblich so »gefährlichen« F. E. Smith vollkommen gewachsen. Es ist ihm sogar gelungen, ihn ein paarmal während der Vernehmung zu blamieren. Smith versuchte, sich in einer giftigen Schlußrede zu rächen, indem er mich in boshaftester Weise angriff. Ich war nicht anwesend und konnte mich nicht verteidigen, doch erwiderte ich durch ein Spottgedicht, von dem ich tausend Exemplare drucken und in England verbreiten ließ. Das Gedicht ist betitelt »The Rhyme of F. double E.« und ist in meiner Gedichtsammlung »Collected Satires« veröffentlicht.

Während Crosland auf den Beginn seines Prozesses wartete, hatte meine liebe Mutter ihn auf meine Bitte hin reichlich mit Geld versorgt. Cecil Hayes übernahm seine Verteidigung entweder umsonst oder höchstens für ein sehr bescheidenes Honorar, die üblichen fünf Guineen, glaube ich, im Gegensatz zu den Tausenden, die F. E. Smith liquidierte. Jedes Wochenende während dieser Zeit verbrachte Crosland als mein Gast in Boulogne. Ich bin gezwungen, dies zu erwähnen, weil ich später erfuhr, daß Crosland (nach berühmtem Muster, siehe Oscar Wilde) allen Leuten erzählte, daß weder ich noch meine Familie ihm damals einen Pfennig angeboten hätten. Meine Mutter hat ihm, um genau zu sein, ungefähr zweihundertfünfzig Pfund gegeben, obgleich sie seit dem Ausbruch des Krieges mit Geld sehr knapp war.

Gerade um diese Zeit kam mein Buch »Oscar Wilde und Ich« heraus, das ich mit Crosland geschrieben hatte; ich gab ihm die Hälfte der Einnahmen. In diesem Buch steht fast gar nichts über Ross. Die Verleger verhinderten mich, die Wahrheit über die Rolle, die er damals spielte, zu sagen, und auch in anderer Beziehung knebelten sie den Autor derartig, daß der Erfolg des Buches unbedingt darunter leiden mußte. Um allem die Krone aufzusetzen, kam es am selben Tag heraus, als der Krieg erklärt wurde.


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