F. M. Dostojewski
Erniedrigte und Beleidigte
F. M. Dostojewski

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Achtes Kapitel

Wir hatten nicht weit zu fahren, nach der Torgowy-Brücke. Zunächst schwiegen wir. Ich dachte unterdessen: wie wird er das Gespräch mit mir anknüpfen? Ich meinte, er werde mich sondieren und den Versuch machen, etwas aus mir herauszuholen. Aber er begann ohne alle Umschweife zu reden und kam sogleich zur Sache:

»Es macht mir jetzt eine Frage große Sorge, Iwan Petrowitsch«, hob er an, »und ich möchte darüber vor allen Dingen mit Ihnen Rücksprache nehmen und Sie um Ihren Rat bitten: Ich habe schon vor längerer Zeit beschlossen, auf das Geld, das ich in meinem Prozeß gewonnen habe, zu verzichten und die Streitsumme im Betrag von zehntausend Rubel Herrn Ichmenew zu überlassen. Wie soll ich nun diese Überlassung bewerkstelligen?«

Mir schoß der Gedanke durch den Kopf: ›Es ist doch unmöglich, daß du nicht wüßtest, wie du das anfangen sollst! Willst du dich etwa nur über mich lustig machen?‹

»Das weiß ich nicht, Fürst«, antwortete ich in möglichst harmlosem Ton; »in der anderen Angelegenheit, das heißt, was Natalja Nikolajewna angeht, bin ich bereit, Ihnen alle für Sie und für uns notwendigen Mitteilungen zu machen; aber in diesem Punkt wissen Sie natürlich mehr als ich.«

»Nein, nein, sicherlich weniger. Sie sind mit ihnen bekannt, und vielleicht hat sogar Natalja Nikolajewna selbst Ihnen wiederholt ihre Gedanken über diesen Gegenstand ausgesprochen; und das würde für mich ein wichtiger Fingerzeig sein. Sie können mir dabei viel helfen; die Sache hat ihre sehr großen Schwierigkeiten. Ich bin bereit, ihm das Geld zu überlassen, und habe mir sogar fest vorgenommen, dies zu tun, ohne Rücksicht darauf, welchen Ausgang die andere Angelegenheit nimmt; Sie verstehen? Aber wie und in welcher Form ich diese Überlassung vornehmen soll, das ist die Frage. Der Alte ist stolz und eigensinnig; am Ende wird er mich zum Dank für meine Gutherzigkeit noch beleidigen und mir das Geld vor die Füße werfen . . .«

»Aber erlauben Sie, wie denken Sie über dieses Geld: gehört es Ihnen oder ihm?«

»Selbstverständlich bin ich der Ansicht, daß es mir gehört«, antwortete er, etwas pikiert über meine Ungeniertheit. »Übrigens scheinen Sie den eigentlichen Kernpunkt dieses Prozesses nicht zu kennen. Ich beschuldige den alten Mann nicht des absichtlichen Betruges und habe das, wie ich Sie versichern kann, niemals getan. Es war sein eigener freier Wille, das Vorhandensein einer Beleidigung zu behaupten. Seine Schuld besteht in Unachtsamkeit, in nachlässiger Ausführung der ihm anvertrauten Geschäfte, und nach unserer ursprünglichen Abrede war er für gewisse derartige Geschäfte haftbar. Aber wissen Sie wohl, daß auch das nicht der eigentliche Kern der Sache ist? Der Kern der Sache liegt in unserm Zank, in den wechselseitigen damaligen Beleidigungen, kurz, in dem beiderseitig verletzten Ehrgefühl. Ich hätte mich damals um diese elenden zehntausend Rubel vielleicht gar nicht gekümmert; aber es ist Ihnen selbstverständlich bekannt, weswegen und wie damals dieser ganze Prozeß entstand. Ich gebe zu, ich war argwöhnisch, ich war vielleicht im Unrecht (das heißt: damals); aber ich bemerkte das nicht, und in meinem Ärger, in dem Gefühl der Kränkung über seine Grobheiten wollte ich die Gelegenheit nicht aus der Hand lassen und strengte einen Prozeß an. Es scheint Ihnen vielleicht, daß dieses ganze Verfahren meinerseits nicht sehr anständig war. Ich will mich nicht zu rechtfertigen suchen; ich möchte nur bemerken, daß Jähzorn und Reizbarkeit des Ehrgefühls noch nicht von Mangel an anständiger Gesinnung zeugen, sondern etwas Natürliches und Menschliches sind, und ich wiederhole Ihnen: ich muß bekennen, daß ich damals Ichmenew noch so gut wie gar nicht kannte und all den Gerüchten über Aljoscha und seine Tochter völlig glaubte und somit auch an einen vorsätzlichen Diebstahl von Geld glauben konnte . . . Aber das nur nebenbei. Die Hauptsache ist: was soll ich jetzt tun? Ich möchte auf das Geld verzichten; aber wenn ich dabei sage, daß ich auch jetzt noch meine Sache in dem Prozeß für gerecht halte, so bedeutet das, daß ich ihm das Geld schenke. Und nun nehmen Sie noch die heikle Lage in bezug auf Natalja Nikolajewna hinzu . . . Er wird mir jedenfalls das Geld vor die Füße werfen . . .«

»Nun, sehen Sie, Sie sagen selbst: ›Er wird es mir vor die Füße werfen‹; folglich halten Sie ihn doch für einen ehrenhaften Menschen und können daher auch vollständig davon überzeugt sein, daß er Ihnen Ihr Geld nicht gestohlen hat. Wenn es aber so ist, warum wollen Sie dann nicht zu ihm hingehen und geradezu erklären, daß Sie Ihre Sache nicht für gerecht halten? Das wäre edel gedacht, und Ichmenew würde sich dann vielleicht nicht weigern, das Geld als ihm gehörig anzunehmen.«

»Hm! . . . als ihm gehörig; eben darum handelt es sich. In welche Lage bringen Sie mich dadurch? Ich soll hingehen und ihm erklären, ich hielte meine Sache nicht für gerecht. Aber dann wird mir jeder ins Gesicht sagen: ›Warum hast du denn dann einen Prozeß angestrengt, wenn du wußtest, daß du das Recht nicht auf deiner Seite hattest?‹ Das habe ich aber nicht verdient, da meine Klage rechtlich begründet war; ich habe nie gesagt oder geschrieben, daß er mich bestohlen hätte; aber von seinem Mangel an Vorsicht, von seiner Leichtfertigkeit, von seiner Unkenntnis der Geschäftsführung bin ich auch jetzt noch überzeugt. Dieses Geld gehört zweifellos mir, und daher wäre es mir peinlich, mich selbst zu verleumden. Schließlich, ich wiederhole es Ihnen, ist es eine eigene Erfindung des alten Mannes, daß ihm eine Beleidigung zugefügt sei; und da wollen Sie mich nun veranlassen, ihn wegen dieser Beleidigung um Entschuldigung zu bitten; das ist doch hart.«

»Mir scheint, wenn zwei Menschen sich versöhnen wollen, so . . .«

»So ist das leicht, meinen Sie?«

»Ja.«

»Nein, manchmal ist das sehr schwer, namentlich wenn . . .«

»Namentlich wenn damit noch andere Umstände verknüpft sind. Darin stimme ich Ihnen bei, Fürst. Die Angelegenheit mit Natalja Nikolajewna und Ihrem Sohn muß von Ihnen in allen Punkten, die von Ihnen abhängen, entschieden sein, und zwar in einer für die Familie Ichmenew völlig befriedigenden Weise. Erst dann können Sie sich mit Ichmenew auch über den Prozeß mit völliger Offenheit aussprechen. Jetzt aber, wo noch nichts entschieden ist, gibt es für Sie nur einen Weg: die Ungerechtigkeit Ihrer Klage zuzugeben und sie offen, nötigenfalls sogar vor der Öffentlichkeit, zu bekennen; das ist meine Meinung. Ich spreche zu Ihnen ganz aufrichtig, da Sie selbst mich ja um meine Meinung befragt und doch wohl nicht gewünscht haben, daß ich sie schlau verstecke. Das macht mich so kühn, Sie zu fragen: warum beunruhigen Sie sich denn so sehr um die Rückgabe dieses Geldes an Ichmenew? Wenn Sie bei diesem Prozeß das Recht auf Ihrer Seite zu haben glauben, warum wollen Sie dann das Geld zurückgeben? Verzeihen Sie meine Neugier; aber dies hängt mit den anderen Umständen eng zusammen.«

»Wie denken Sie darüber?« fragte er plötzlich, wie wenn er meine Frage gar nicht gehört hätte. »Sind Sie davon überzeugt, daß der alte Ichmenew die zehntausend Rubel zurückweisen wird, wenn sie ihm ohne alle Entschuldigungen und . . . und . . . ohne all solche Milderungsversuche angeboten werden?«

»Selbstverständlich wird er sie zurückweisen!«

Ich wurde ganz rot und zuckte ordentlich zusammen vor Empörung. Diese unverschämte, zynische Frage wirkte auf mich, wie wenn mir der Fürst geradezu ins Gesicht gespien hätte. Und zu meiner Kränkung trug noch etwas anderes bei: die brutale, vornehme Manier, mit der er, ohne auf meine Frage zu antworten, wie wenn er sie gar nicht gehört hätte, seinerseits eine Frage stellte, wahrscheinlich um mir zu verstehen zu geben, daß ich zu weit gegangen und zu familiär geworden sei, indem ich mich erdreistet hätte, ihm solche Fragen vorzulegen. Diese vornehme Manier war mir widerwärtig, ja geradezu verhaßt, und ich hatte mich früher aus aller Kraft bemüht, sie Aljoscha abzugewöhnen.

»Hm! . . . Sie sind zu hitzig; aber in der Welt werden manche Dinge nicht so behandelt, wie Sie sich das vorstellen«, bemerkte der Fürst ruhig auf meinen Ausruf. »Ich glaube übrigens, daß darüber auch Natalja Nikolajewna mitreden könnte; machen Sie ihr doch Mitteilung davon! Sie könnte einen Rat geben.«

»Fällt mir nicht ein!« erwiderte ich grob. »Sie haben nicht beliebt, zu Ende zu hören, was ich soeben anfing Ihnen zu sagen, und haben mich unterbrochen. Natalja Nikolajewna wird einsehen, daß, wenn Sie das Geld ohne aufrichtige Aussprache und ohne all diese, wie Sie sich ausdrücken, Milderungsversuche zurückgeben, dies nichts anderes bedeutet, als daß Sie dem Vater für die Tochter und ihr für Aljoscha eine pekuniäre Entschädigung zahlen . . .«

»Hm! . . . Also so haben Sie mich verstanden, mein bester Iwan Petrowitsch!« Der Fürst lachte. Warum lachte er? »Indessen«, fuhr er fort, »wir haben noch so vieles, so vieles miteinander zu besprechen. Aber jetzt haben wir keine Zeit. Ich bitte Sie nur, eines im Auge zu behalten: die Sache betrifft direkt Natalja Nikolajewna und ihre ganze Zukunft, und all das hängt zum Teil davon ab, wie wir beide, Sie und ich, darüber befinden und worauf wir uns einigen. Sie sind dabei unentbehrlich; das sehen Sie selbst. Und darum können Sie, wenn Sie auch fernerhin Natalja Nikolajewnas treuer Anhänger bleiben, mir eine Unterredung nicht abschlagen, so unsympathisch ich Ihnen auch sein mag. Aber wir sind am Ziel . . . à bientôt!«


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