F. M. Dostojewski
Erniedrigte und Beleidigte
F. M. Dostojewski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Ich begab mich geradenwegs zu Aljoscha. Er wohnte bei seinem Vater in der Kleinen Morskaja. Der Fürst hatte eine recht große Wohnung inne, obwohl er allein lebte. Aljoscha hatte in dieser Wohnung zwei schöne Zimmer für sich. Ich kam nur sehr selten zu ihm und war bisher, glaube ich, nur einmal dagewesen. Er dagegen war häufiger bei mir gewesen, besonders anfangs, in der ersten Zeit seiner Verbindung mit Natascha.

Er war nicht zu Hause. Ich ging geradenwegs in seine Zimmer und schrieb ihm folgendes Billett:

»Aljoscha, Sie scheinen den Verstand verloren zu haben. Da Ihr Vater am Dienstagabend Natascha selbst gebeten hat, Ihnen die Ehre zu erweisen, Ihre Frau zu werden, und Sie Ihrerseits über diese Bitte erfreut waren, wovon ich Zeuge war, so werden Sie selbst zugeben müssen, daß Ihr gegenwärtiges Benehmen einigermaßen sonderbar ist. Wissen Sie, was Sie Natascha antun? Jedenfalls wird dieses mein Billett Sie daran erinnern, daß Ihr Verhalten gegen Ihre künftige Frau im höchsten Grad unwürdig und leichtfertig ist. Ich weiß sehr wohl, daß ich keinerlei Recht habe, Ihnen Strafpredigten zu halten; aber darum kümmere ich mich nicht.

P. S. Von diesem Brief weiß sie nichts; sie hat nicht einmal von Ihnen zu mir gesprochen.«

Ich siegelte den Brief und ließ ihn auf seinem Tisch liegen. Der Diener antwortete auf meine Frage, Alexei Petrowitsch sei fast nie zu Hause und werde auch diesmal erst in der Nacht, kurz vor Tagesgrauen, zurückkommen.

Nur mühsam schleppte ich mich nach Hause. Der Kopf war mir schwindlig, die Beine waren mir schwach und zitterten. Die Tür zu meiner Wohnung war nicht verschlossen. Drinnen saß Nikolai Sergejewitsch Ichmenew und wartete auf mich. Er saß schweigend am Tisch und blickte erstaunt Jelena an, die ihn mit nicht geringerem Erstaunen ansah, obgleich sie hartnäckig schwieg. ›Hm‹, dachte ich, ›da muß sie ihm wohl sonderbar vorkommen.‹

»Ich warte schon eine ganze Stunde auf dich, lieber Freund«, sagte er, »und ich muß gestehen, ich hätte nicht erwartet . . . dich so zu finden«, fuhr er fort, indem er sich im Zimmer umsah und mit kaum merklichem Augenzwinkern auf Jelena hindeutete.

In seinen Augen prägte sich sein Erstaunen aus. Aber als ich ihn näher ansah, bemerkte ich an ihm eine starke Unruhe und Traurigkeit. Sein Gesicht war ungewöhnlich blaß.

»Setz dich hin, setz dich hin!« fuhr er mit sorgenvoller, bekümmerter Miene fort. »Ich bin eilig zu dir gekommen, in einer ernsten Angelegenheit. Aber was ist dir? Du siehst ja ganz entstellt aus!«

»Ich bin nicht wohl. Schon seit heute früh habe ich Schwindel.«

»Na, da nimm dich in acht; so etwas darf man nicht vernachlässigen. Du hast dich wohl erkältet?«

»Nein, es ist einfach ein nervöser Anfall. Das kommt bei mir manchmal vor. Und Sie, befinden Sie sich wohl?«

»Es geht, es geht! So leidlich; ein bißchen Fieberhitze. Ich habe mit dir zu reden. Setz dich hin!«

Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich ihm gegenüber. Der alte Mann beugte sich zu mir und begann leise, fast flüsternd:

»Sieh nicht zu ihr hin, hörst du wohl? und tu, als ob wir von etwas anderem sprächen! Was hast du denn da für ein fremdes Mädchen sitzen?«

»Ich werde es Ihnen nachher erklären, Nikolai Sergejewitsch. Es ist ein armes, vater- und mutterloses Mädchen, die Enkelin eben jenes Smith, der hier gewohnt hat und in der Konditorei gestorben ist.«

»Ah, der hat also eine Enkelin gehabt! Na, aber ein wunderliches Ding ist sie, lieber Freund! Wie sie einen ansieht, wie sie einen ansieht! Offen gesagt: wenn du noch fünf Minuten länger ausgeblieben wärst, so hätte ich es nicht mehr ausgehalten, hier zu sitzen. Mit Müh und Not habe ich sie dazu gebracht, mir die Tür aufzuschließen, und seitdem hat sie noch nicht eine Silbe gesagt; es ist einem ordentlich unheimlich, mit ihr zusammen zu sein; sie hat ja gar nichts von einem menschlichen Wesen an sich. Und wie ist sie denn hierhergekommen? Ah, ich verstehe: gewiß hat sie zu ihrem Großvater gewollt und nicht gewußt, daß er gestorben ist?«

»Ja, sie war sehr unglücklich. Der alte Mann hat noch im Sterben von ihr gesprochen.«

»Hm, wie der Großvater, so die Enkelin. Das kannst du mir alles nachher erzählen. Vielleicht kann man ihr auch irgendwie helfen, wenn sie so unglücklich ist . . . Na, aber kannst du ihr jetzt nicht sagen, lieber Freund, sie möchte weggehen? Denn ich muß mit dir etwas Ernstes besprechen.«

»Sie kann nirgends hingehen. Sie wohnt hier.«

Ich erklärte dies dem Alten, so gut es ging, in ein paar Worten und fügte hinzu, er könne auch in ihrer Gegenwart reden, da sie noch ein Kind sei.

»Nun ja . . . allerdings, sie ist noch ein Kind. Aber du hast mich wirklich in Erstaunen versetzt, lieber Freund. Sie wohnt hier bei dir? Herr du mein Gott!«

Der Alte sah mich noch einmal höchst verwundert an. Jelena, die merkte, daß von ihr die Rede war, saß schweigend mit gesenktem Kopf da und zupfte mit den Fingern an der Kante des Sofabezuges. Sie hatte bereits das neue Kleid angezogen, das ihr sehr gut paßte. Das Haar hatte sie mit besonderer Sorgfalt glattgekämmt, vielleicht aus Anlaß des neuen Kleides. Überhaupt, hätte sie nicht diesen sonderbar scheuen Blick gehabt, so wäre sie ein recht hübsches Mädchen gewesen.

»Um es kurz und deutlich zu sagen, die Sache ist nämlich die, lieber Freund«, begann der alte Mann wieder, »es ist eine lange Geschichte, eine sehr wichtige Sache . . .«

Er saß mit gesenktem Kopf da, mit wichtiger, nachdenklicher Miene, vermochte aber, trotzdem er es so eilig hatte und trotz seines ›kurz und deutlich‹ nicht die richtigen Worte für den Anfang seiner Mitteilung zu finden. ›Was wird da nur herauskommen?‹ dachte ich.

»Siehst du, Wanja, ich bin mit einer sehr großen Bitte zu dir gekommen. Aber vorher . . . wie ich mir jetzt selbst sage, muß ich dir gewisse Umstände auseinandersetzen, sehr heikle Umstände.«

Er räusperte sich und streifte mich mit einem Blick; darauf errötete er; dann ärgerte er sich über seine eigene Ungeschicklichkeit, und schließlich faßte er einen energischen Entschluß:

»Na, was ist da erst noch auseinanderzusetzen! Du wirst es schon von selbst verstehen! Ich will ganz einfach den Fürsten zum Duell fordern und bitte dich, die Sache zu arrangieren und mein Sekundant zu sein.«

Ich sank gegen die Lehne des Stuhles zurück und blickte ihn, ganz außer mir vor Erstaunen, an.

»Nun, warum siehst du mich so an? Ich habe ja doch nicht den Verstand verloren.«

»Aber erlauben Sie, Nikolai Sergejewitsch! Was haben Sie denn dabei für einen Grund und was für eine Absicht? Und schließlich, wie ist es überhaupt möglich?«

»Grund! Absicht!« schrie der Alte. »Nun, das ist schön! . . .«

»Gut, gut, ich weiß, was Sie sagen werden; aber was werden Sie denn durch diesen auffälligen Schritt erreichen? Was für einen Nutzen bringt Ihnen das Duell? Ich gestehe, daß ich das nicht verstehe.«

»Das hatte ich mir doch gedacht, daß du nichts verstehen würdest! Nun, höre zu: unser Prozeß ist zu Ende (das heißt, er wird in den nächsten Tagen zu Ende sein; es sind nur noch Förmlichkeiten zu erledigen); ich bin verurteilt. Ich muß an die zehntausend Rubel bezahlen; so lautet das Urteil. Für diese Summe haftet mein Gut Ichmenewka. Folglich ist dieser gemeine Mensch jetzt hinsichtlich seines Geldes gesichert; ich aber werde, wenn ich Ichmenewka hingegeben habe, meine Schuld bezahlt haben und wieder ein freier, selbständiger Mensch sein. Nun kann ich wieder den Kopf erheben. ›Soundso, verehrter Fürst‹, werde ich sagen, ›Sie haben mich zwei Jahre lang beleidigt; Sie haben meinen Namen und die Ehre meiner Familie beschimpft, und ich habe das alles ertragen müssen! Ich konnte Sie bisher nicht zum Zweikampf fordern. Sie würden mir geradezu gesagt haben: ‚Ah, du Schlaukopf, du willst mich töten, damit du mir nicht das Geld zu bezahlen brauchst, zu dessen Bezahlung an mich du, wie du voraussiehst, früher oder später verurteilt werden wirst! Nein, zuerst wollen wir einmal sehen, wie der Prozeß entschieden werden wird, und dann fordere mich!‘ Jetzt, verehrter Fürst, ist der Prozeß entschieden; Sie haben Ihre Sicherheit; somit bestehen keine Schwierigkeiten mehr, und darum frage ich Sie, ob es Ihnen nun gefällig ist, an die Barriere zu treten!‹ Darum also handelt es sich. Nun, und da bin ich wohl deiner Ansicht nach nicht berechtigt, schließlich für das alles, für das alles Rache zu nehmen!«

Seine Augen funkelten. Ich blickte ihn lange schweigend an. Ich wollte gern in seine geheimen Gedanken eindringen.

»Hören Sie, Nikolai Sergejewitsch«, erwiderte ich endlich, nachdem ich mich entschlossen hatte, den Hauptpunkt zur Sprache zu bringen, ohne den wir einander nicht hätten verstehen können, »können Sie gegen mich völlig offenherzig sein?«

»Ja, das kann ich«, antwortete er in festem Ton.

»Dann sagen Sie mir aufrichtig: ist es nur der Wunsch, sich zu rächen, der Sie zu dieser Herausforderung treibt, oder haben Sie dabei noch andere Ziele im Auge?«

»Wanja«, antwortete er, »du weißt, daß ich niemandem gestatte, im Gespräch mit mir gewisse Punkte zu berühren; aber diesmal mache ich eine Ausnahme, weil du mit deinem klaren Verstand sogleich erkannt hast, daß es nicht möglich ist, diesen Punkt zu umgehen. Ja, ich habe dabei noch ein anderes Ziel im Auge. Dieses Ziel ist: meine verlorene Tochter zu retten und sie von dem unheilvollen Weg abzulenken, auf den sie durch die letzten Ereignisse getrieben worden ist.«

»Aber wie wollen Sie sie denn durch dieses Duell retten? Das ist die Frage!«

»Indem ich all das verhindere, was dort jetzt geplant wird. Höre: glaube nicht, daß aus mir irgendwelche väterliche Zärtlichkeit oder eine ähnliche Schwäche spricht! Das ist alles dummes Zeug! Mein innerstes Herz zeige ich niemandem. Auch du kennst es nicht. Meine Tochter hat mich verlassen, ist mit ihrem Liebhaber aus meinem Haus davongegangen, und ich habe sie aus meinem Herzen gerissen, ein für allemal, gleich an jenem Abend – erinnerst du dich? Wenn du mich beim Anblick ihres Porträts hast schluchzen sehen, so folgt daraus noch nicht, daß ich den Wunsch hätte, ihr zu verzeihen. Ich habe ihr auch damals nicht verziehen. Ich weinte über ein verlorenes Glück, über ein leeres Traumbild, aber nicht über sie, wie sie jetzt ist. Ich weine vielleicht auch sonst oft; ich schäme mich nicht, das zu bekennen, ebenso wie ich mich nicht schäme zu bekennen, daß ich mein Kind früher mehr als alles in der Welt geliebt habe. All dies steht anscheinend im Widerspruch zu meinem jetzigen auffälligen Schritt. Du kannst mir sagen: ›Wenn dem so ist, wenn Sie gleichgültig gegen das Schicksal derjenigen sind, die Sie nicht mehr für Ihre Tochter halten, warum mischen Sie sich denn dann in das, was jetzt dort geplant wird?‹ Darauf antworte ich: Erstens, weil ich diesen gemeinen, heimtückischen Menschen nicht triumphieren lassen will, und zweitens aus dem Gefühl der allergewöhnlichsten Menschenliebe. Wenn sie auch nicht mehr meine Tochter ist, so ist sie doch ein schwaches, schutzloses, betrogenes Geschöpf, das sie noch mehr betrügen wollen, um sie ganz und gar zugrunde zu richten. Direkt kann ich mich nicht in die Sache einmischen; aber indirekt, durch das Duell, kann ich es. Wenn ich mein Blut vergieße oder getötet werde, wird sie dann über dieses Hindernis, vielleicht über meinen Leichnam, hinwegschreiten und mit dem Sohn meines Mörders zum Traualtar gehen wie jene Königstochter (du erinnerst dich, es war bei uns zu Hause ein Büchelchen, in dem du lesen lerntest), die in ihrer Kutsche über den Leichnam ihres Vaters hinwegfuhr? Und schließlich, wenn es zum Duell kommt, werden der Fürst und sein Sohn die Heirat selbst nicht mehr wollen. Kurz, ich will diese Ehe nicht und wende alle Mittel an, damit sie nicht zustande kommt. Hast du mich jetzt verstanden?«

»Nein. Wenn Sie Natascha Gutes wünschen, wie können Sie es dann darauf anlegen, ihre Ehe zu verhindern, das heißt, gerade das zu verhindern, wodurch ihr guter Name wiederhergestellt werden kann? Sie hat noch lange auf der Welt zu leben; da bedarf sie eines guten Namens.«

»›Was schere ich mich um die Meinung der Welt!‹ so muß sie denken! Sie muß sich bewußt sein, daß die größte Schande für sie in dieser Ehe besteht, gerade in der Verbindung mit diesen gemeinen Menschen, mit dieser jämmerlichen sogenannten vornehmen Welt. Edler Stolz, das muß die Antwort sein, die sie dieser Welt gibt. Dann werde auch ich mich vielleicht bereit finden lassen, ihr meine Hand zu reichen, und dann wollen wir einmal sehen, wer es wagen wird, mein Kind zu beschimpfen!«

Dieser sinnlose Idealismus setzte mich in Erstaunen. Aber ich merkte sofort, daß der alte Mann nicht ganz zurechnungsfähig war, sondern in fieberhafter Erregung sprach.

»Das ist zu ideal gedacht«, antwortete ich ihm, »und infolgedessen grausam. Sie verlangen von ihr eine Kraft, die Sie ihr vielleicht bei der Geburt nicht mitgegeben haben. Und willigt sie denn in diese Ehe etwa deswegen ein, weil sie Fürstin werden möchte? Sie liebt ja; das ist eine Leidenschaft, das ist ein Verhängnis. Und endlich: Sie fordern von ihr, sie solle die Meinung der Welt verachten; aber Sie selbst beugen sich vor dieser Meinung. Der Fürst hat Sie beleidigt, Sie öffentlich verdächtigt, als ob Sie niedrigerweise danach strebten, durch List mit seinem fürstlichen Haus verwandt zu werden, und da spekulieren Sie nun so: wenn Natascha selbst dem Fürsten und seinem Sohn nach deren förmlichem Antrag eine abschlägige Antwort erteilt, so wird das selbstverständlich die vollständigste, deutlichste Widerlegung der früheren Verleumdung sein. Das ist es, was Sie erreichen wollen; Sie beugen sich vor der Meinung des Fürsten selbst; Sie wollen es erreichen, daß er sich seines Irrtums bewußt werde. Es reizt Sie, ihn zu verhöhnen, sich an ihm zu rächen, und diesem Zweck bringen Sie das Glück Ihrer Tochter zum Opfer. Ist das etwa nicht Egoismus?«

Der Alte saß mürrisch und finster da und antwortete lange keine Silbe.

»Du bist ungerecht gegen mich, Wanja«, sagte er endlich, und eine Träne glänzte an seinen Wimpern. »Ich versichere dich, du bist ungerecht; aber lassen wir das! Ich kann nicht mein ganzes Herz vor dir ausschütten«, fuhr er fort, indem er sich erhob und nach seinem Hut griff; »ich will nur eins sagen: du sprachst soeben von dem Glück meiner Tochter. Ich glaube mit aller Entschiedenheit nicht an dieses Glück, ganz abgesehen davon, daß diese Ehe auch ohne mein Eingreifen niemals zustande kommen wird.«

»Wieso! Warum glauben Sie das? Wissen Sie vielleicht irgend etwas?« rief ich gespannt.

»Nein, ich weiß nichts Besonderes. Aber daß dieser verdammte Fuchs sich wirklich dazu sollte entschlossen haben, ist unmöglich. Das sind nur Redensarten, hinterlistige Ränke. Davon bin ich überzeugt; erinnere dich daran, daß ich es vorhergesagt habe! Zweitens, selbst wenn diese Ehe zustande käme (was nur möglich ist, wenn dieser Schurke dabei seine besondere, geheime, niemandem bekannte Spekulation hat und von dieser Ehe für sich einen Nutzen erhofft, eine Spekulation, die ich absolut nicht verstehe), dann überlege selbst und frage dein eigenes Herz: wird sie in dieser Ehe glücklich sein? Sie wird Vorwürfe und Demütigungen zu ertragen haben als Lebensgefährtin eines Jungen, der sich schon jetzt durch ihre Liebe belästigt fühlt und nach der Verheiratung sogleich anfangen wird, sie geringschätzig zu behandeln, sie zu kränken, sie zu erniedrigen; die Leidenschaft wird gleichzeitig auf ihrer Seite in demselben Maß an Kraft zunehmen, in welchem er selbst kühler werden wird; dann folgen Eifersucht, Qualen, ein Höllendasein, Scheidung, vielleicht kommt es sogar zum Verbrechen . . . Nein, Wanja, wenn ihr das ins Werk setzt und du dazu mithilfst, dann sage ich dir vorher: du wirst dich vor Gott deswegen zu verantworten haben; aber dann wird es zu spät sein! Leb wohl!«

Ich hielt ihn zurück.

»Hören Sie, Nikolai Sergejewitsch«, sagte ich, »machen wir es so: warten wir noch ein Weilchen! Seien Sie überzeugt, daß ich diese Sache nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen verfolge; und vielleicht wird sie auf die beste Art ganz von selbst ihre Lösung finden, ohne gewaltsame künstliche Mittel, wie zum Beispiel dieses Duell eins sein würde. Am besten überläßt man solche Entscheidungen der Zeit! Gestatten Sie mir aber zuletzt noch die Bemerkung, daß Ihr ganzes Projekt völlig unausführbar ist. Haben Sie denn wirklich auch nur einen Augenblick lang denken können, daß der Fürst Ihre Forderung annehmen wird?«

»Warum soll er sie nicht annehmen? Was redest du da? Komm zu dir!«

»Ich versichere Sie, er wird sie nicht annehmen; seien Sie überzeugt, er wird einen völlig ausreichenden Grund zur Ablehnung finden; er wird die Sache mit pedantischem Ernst behandeln, und Sie werden dabei Hohn und Spott ernten.«

»Aber ich bitte dich, lieber Freund, ich bitte dich! Du versetzt mich durch deine Bemerkung in das äußerste Erstaunen! Wie soll er denn die Forderung ablehnen? Nein, Wanja, du bist eben ein Dichter, ein richtiger Dichter! Was ist denn nach deiner Meinung dabei unpassend, wenn er sich mit mir schlägt? Ich bin nicht schlechter als er. Ich bin ein alter Mann, ein beleidigter Vater, du ein russischer Schriftsteller und daher ebenfalls eine achtbare Persönlichkeit und kannst Sekundant sein und . . . und . . . Ich verstehe nicht, was du noch mehr verlangst . . .«

»Nun, Sie werden ja sehen. Er wird solche Gründe vorbringen, daß Sie selbst der erste sein werden, der einen Zweikampf zwischen ihm und Ihnen für absolut unmöglich hält.«

»Hm! . . . Nun gut, lieber Freund; machen wir es, wie du gesagt hast! Ich werde warten, natürlich nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Wir wollen sehen, welche Wirkung die Zeit ausüben wird. Aber höre, mein Freund: gib mir dein Ehrenwort, daß du weder dort noch zu Anna Andrejewna etwas von unserem Gespräch sagen wirst!«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«

»Zweitens, Wanja, tu mir den Gefallen und fang nie mehr mit mir von dieser Sache zu reden an!«

»Gut, ich gebe mein Wort.«

»Und endlich noch eine Bitte: ich weiß, mein Lieber, es ist dir vielleicht bei uns langweilig; aber komm recht oft zu uns, wenn du irgend kannst! Meine arme Anna Andrejewna hat dich so gern, und . . . und . . . sie langweilt sich so ohne dich . . . du verstehst, Wanja?«

Ich drückte ihm kräftig die Hand. Ich versprach es ihm von ganzem Herzen.

»Und jetzt noch eine letzte, delikate Angelegenheit, Wanja: hast du Geld?«

»Geld?« wiederholte ich erstaunt.

»Ja.« (Der alte Mann errötete und schlug die Augen nieder.) »Ich sehe so deine Wohnung, lieber Freund . . . und deine Verhältnisse . . . und da ich glaube, daß du vielleicht noch andere, besondere Ausgaben haben wirst (und gerade jetzt kann das vorkommen), so . . . hier, lieber Freund, sind hundertfünfzig Rubel für den ersten Bedarf . . .«

»Hundertfünfzig Rubel, und noch dazu für den ersten Bedarf, wo Sie doch selbst Ihren Prozeß verloren haben!«

»Wanja, wie ich sehe, verstehst du mich gar nicht! Du wirst vielleicht besondere Ausgaben haben; versteh das doch! In manchen Fällen verhilft Geld zu unabhängiger Lage und ermöglicht unabhängige Entschlüsse. Vielleicht brauchst du es augenblicklich nicht; aber kannst du wissen, ob du es nicht in Zukunft brauchen wirst? Jedenfalls möchte ich dir das Geld hierlassen. Es ist alles, was ich habe zusammenbringen können. Wenn du es nicht ausgibst, kannst du es mir ja nachher zurückgeben. Jetzt aber adieu! Mein Gott, wie blaß du aussiehst! Du bist ja ganz krank . . .«

Ich machte keine Einwendungen und nahm das Geld hin. Es war sehr klar, wozu er es mir übergab.

»Ich kann mich kaum auf den Beinen halten«, antwortete ich ihm.

»Vernachlässige deine Krankheit nicht, Wanjuscha, vernachlässige sie nicht! Geh heute nicht aus! Ich werde meiner Frau sagen, in welchem Zustand du dich befindest. Hast du nicht einen Arzt nötig? Morgen werde ich dich wieder besuchen; wenigstens werde ich mich aus allen Kräften bemühen, es zu tun, wenn ich nur selbst meine Beine schleppen kann. Aber jetzt solltest du dich hinlegen . . . Nun, adieu! Adieu, Kleine! Sie hat sich weggewendet! Hör mal, lieber Freund: da sind noch fünf Rubel; die sind für das kleine Mädchen. Sag ihr aber nicht, daß ich das gegeben habe, sondern verwende es so stillschweigend für sie, na, zu Schuhen, zu Wäsche . . . was braucht so ein Kind nicht alles! Adieu, mein Freund . . .«

Ich begleitete ihn bis zur Haustür. Ich mußte den Hausknecht bitten, Essen zu holen. Jelena hatte noch nichts zu Mittag gegessen.


 << zurück weiter >>