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V. Sigismund Planus zittert für seine Kasse.

»Eine Equipage, Freund Schorsch? ... Ich eine Equipage? ... Aber wozu?«

»Ich versichere Ihnen, lieber Risler, daß das unumgänglich nothwendig ist. Mit jedem Tage dehnen sich unsere Verbindungen, unsere Geschäfte weiter aus – meine Kutsche genügt nicht mehr für uns. Überdies ist es nicht schicklich, daß der eine Associé immer im Wagen, der andere immer zu Fuß gesehen wird. Glauben Sie mir, es ist eine durchaus nothwendige Ausgabe, die selbstverständlich auch auf das Handlungsunkostenconto fällt. Vorwärts, entschließen Sie sich!«

Es kostete in der That einen schweren Entschluß.

Risler schien es, als stehle er der Firma etwas, wenn er sich den unerhörten Luxus eines Wagens gestatte. Schließlich gab er jedoch dem Drängen Fromonts nach, indem er bei sich dachte:

– Wie glücklich wird Sidonie darüber sein!

Der arme Mann ahnte nicht, daß Sidonie selbst schon vor Monatsfrist bei Binder das Coupé ausgewählt hatte, welches Georges Fromont ihr schenken wollte, und für welches man angeblich das Handlungsunkostenconto belastete, um den Gatten nicht stutzig zu machen.

Er war so recht der Mensch, sich sein Lebelang betrügen zu lassen, der gute Risler. Seine angeborene Rechtlichkeit und jenes Vertrauen auf Menschen und Dinge, das den Grundzug seiner offenen Natur bildete, wurden seit einiger Zeit noch durch die Unruhe verstärkt, mit der er der Erfindung jener »Druckpresse Risler« nachging, die eine Umwälzung in der ganzen Tapetenindustrie hervorbringen sollte, und die in seinen Augen seine Einlage in das Geschäft repräsentirte. Verließ er nun seine Zeichnungen und das kleine Arbeitszimmer im ersten Stock, so zeigte er beständig das zerstreut gedankenvolle Aussehen der Leute, deren Leben und deren Gedanken auseinandergehen. Welches Glück war es daher für ihn, daß er, wenn er in seine Wohnung trat, die Räume immer recht ruhig und seine Frau immer lächelnd, geputzt und bei guter Laune fand. Ohne sich das Warum dieser Veränderung klar zu machen, spürte er, daß die »Kleine« seit einiger Zeit in Bezug auf ihn nicht mehr dieselbe sei. Sie erlaubte ihm jetzt, seine alten Gewohnheiten wieder aufzunehmen: die Pfeife beim Dessert, das Schläfchen nach dem Diner und sogar die Rendez-vous in der Brauerei mit Delobelle und Herrn Chèbe. Auch die Zimmereinrichtung hatte sich verändert und zwar verschönert. Von Tag zu Tag machte die Bequemlichkeit immer mehr dem Prunke Platz. Von den mit lebendigen Blumen besetzten Blumentischen und dem ponceaufarbenen Salon gelangte Sidonie jetzt zu den Modethorheiten, zur Sucht nach antiken Möbeln und seltenen Fayencen. Ihr Zimmer war mit mattblauer Seide ausgeschlagen und wie ein Schmuckkästchen verziert. An Stelle des Klaviers prangte jetzt im Salon ein Flügel aus einer berühmten Fabrik, und nicht mehr zweimal wöchentlich, sondern täglich sah man jetzt die Gesanglehrerin, Frau Dobson, mit ihrer Romanze erscheinen.

Diese junge Frau, eine geborene Amerikanerin, war eine ziemlich seltsame Erscheinung. Ihr Haar war säuerlich blond wie das Fleisch einer Citrone und hing über eine hohe Stirn und stahlblaue Augen herab. Da ihr Gatte nicht zugab, daß sie zur Bühne ging, so gab sie Gesangunterricht und ließ sich in einigen bürgerlichen Salons hören. Durch das beständige Leben und Schweben in der künstlichen Welt der Melodien für eine Singstimme mit Klavierbegleitung war sie in eine Art sentimentale Verzweiflung verfallen.

Sie war die verkörperte Romanze. In ihrem Munde schienen die Worte »Liebe« und »Leidenschaft« achtzig Silben zu haben, mit solchem Ausdruck wußte sie dieselben auszusprechen. Ja, der Ausdruck! Das war's, was Mistreß Dobson über alles schätzte und was sie ihrer Schülerin vergebens beizubringen suchte.

Damals war gerade die schöne Zeit jener » Ay Chiquita«, mit der Paris sich ganze Semester lang die Kehlen gurgelte. Sidonie studirte die Arie mit großer Gewissenhaftigkeit; den ganzen Vormittag über hörte man sie singen:

»Man sagt, du nähmst eine andre,
Du weißt, das wäre mein Tod« ...

»Tooood!« unterbrach sie ausdrucksvoll Frau Dobson, indem sie auf den Tasten des Flügels hinschmolz. Und dabei starb sie in der That: sie hob ihre hellen Augen zur Decke empor und warf verscheidend den Kopf zurück. Das erreichte Sidonie nie. Ihre boshaften Augen und ihre von Lebenslust geschwellten Lippen waren nicht für dergleichen sentimentale Äolsharfenklänge geschaffen. Die Melodien Offenbachs oder Hervés mit ihren plötzlichen Übergängen, bei denen man sich durch das Geberdenspiel, mit einer Wendung des Kopfes oder einer Hüftenbewegung nachhilft, würden ihr besser behagt haben, aber das wagte sie ihrer gefühlvollen Lehrerin nicht zu gestehen. Im Übrigen war ihre Stimme, obgleich man sie bei Fräulein Le Mire viel zum Singen genöthigt hatte, noch frisch und ziemlich hübsch.

Da es ihr an Bekanntschaften mangelte, machte sie ihre Gesanglehrerin allmählich zu ihrer Freundin. Sie behielt sie zum Frühstück da, fuhr mit ihr in der neuen Kutsche spazieren und zog sie bei der Auswahl und dem Einkauf von Toilettengegenständen und Schmucksachen zu Rathe. Der sentimentale, theilnahmvolle Ton der Frau Dobson machte zu vertraulichen Geständnissen geneigt. Ihre beständigen Klagen schienen andere zu gleichen Ergüssen veranlassen zu wollen. Sidonie erzählte ihr von Georges, von ihrer Liebe und entschuldigte ihr Vergehen mit der Härte ihrer Eltern, die sie gezwungen hätten, einen Mann zu heirathen, der zwar reich, aber auch weit älter sei als sie. Frau Dobson zeigte sich sogleich bereit, ihnen zu helfen – nicht daß sie käuflich gewesen wäre, aber diese kleine Frau besaß die Leidenschaft der Leidenschaft: den Hang zu romantischen Intriguen. Mit einem Zahnarzt verheirathet, der sie prügelte, und demnach in ihrer Ehe äußerst unglücklich, hielt sie alle Ehemänner für Ungeheuer, und namentlich der arme Risler machte auf sie den Eindruck eines schrecklichen Tyrannen, den zu hassen und zu betrügen seine Frau ein vollgiltiges Recht besaß.

Sie war eine thätige und äußerst nützliche Vertraute. Zwei oder drei Mal wöchentlich brachte sie ein Logenbillet zur großen oder zur italienischen Oper oder zu einem jener kleinen Theater mit irgend einem Zugstücke, denen zu lieb in mancher Saison ganz Paris ganz Paris durchwandert. In Rislers Augen kamen diese Billets von Frau Dobson, die ja in den Singtheatern so viel Freiplätze bekam, als sie nur wollte. Der Unglückliche ahnte nicht, daß die geringste dieser Logen zur »Première« eines Stücks, das gerade in der Mode war, seinem Associé oft zehn oder fünfzehn Louisd'or gekostet hatte. Es war wirklich kinderleicht, einen solchen Gatten zu betrügen. Seine grenzenlose Leichtgläubigkeit nahm ruhig alle Lügen hin, und zudem kannte er jene heuchlerische Welt nicht, in der seine Frau bereits bekannt zu werden begann. Er begleitete sie nie. Die wenigen Male, wo er sie, im Beginn ihrer Ehe, ins Theater geführt hatte, war er schmählich eingeschlafen, da er zu arglos war, um sich mit dem Publikum zu beschäftigen, und zu langsam begriff, um sich für das Schauspiel zu interessiren. Daher wußte er Frau Dobson den größten Dank dafür, daß sie ihn bei Sidonie ersetzte. Sie that es ja mit so guter Art.

Wenn seine Frau abends, wie immer in prachtvoller Toilette, aufbrach, betrachtete er sie mit Bewunderung, ohne zu ahnen, was diese Toiletten kosteten, geschweige denn, wer sie bezahlte, und frei von jedem Argwohn erwartete er sie zeichnend am Kaminfeuer, indem er sich vergnügt sagte: »Wie sie sich amüsiren muß!«

Im untern Stockwerk, bei den Fromonts, spielte dasselbe Stück, aber mit umgekehrten Rollen. Hier war es die junge Frau, die zu Hause blieb. Allabendlich öffnete sich eine halbe Stunde nach der Abfahrt Sidoniens das große Portal für den Wagen Fromonts aufs neue: der Herr fuhr in den Club. Was ist dagegen zu sagen? Das Geschäft verlangte es so. Im Club, am Spieltische, dort werden die großen Geschäfte angesponnen, und man muß durchaus hingehen, will man nicht dem Ansehn seiner Firma schaden. Clara glaubte das ganz treuherzig. War ihr Gatte fort, so war sie einen Augenblick recht traurig. Sie hätte ihn so gern bei sich behalten, wäre so gern an seinem Arme zu einem gemeinsamen Vergnügen ausgegangen. Aber der Anblick des Kindes, das vor dem Kamine plauderte und kreischte und beim Auskleiden mit den kleinen, rosigen Füßchen baumelte, hatte die Mutter schnell wieder beruhigt. Und dann kam ihr auch das große Wort »Geschäft« zu Hilfe, diese Staatsraison der Kaufleute, so daß sie sich willig in ihr Loos ergab.

Georges und Sidonie trafen sich im Theater. Ihre erste Empfindung, wenn sie sich beisammen fanden, war das Gefühl befriedigter Eitelkeit. Sie erregten Aufsehen. Sidonie war jetzt wirklich hübsch: das unregelmäßige Gesichtchen, das aller Excentricitäten der Mode bedurfte, um seine rechte Wirkung hervorzubringen, eignete sich dieselben mit solchem Geschicke an, daß es schien, als seien sie ausdrücklich für sie erfunden worden. Nach einigen Minuten brachen die beiden auf, und Frau Dobson blieb allein in der Loge zurück. Sie hatten in der Avenue Gabriel eine kleine Wohnung gemiethet, gerade am Rondell der Champs-Elysées, ganz wie die jungen Mädchen bei Fräulein Le Mire es geträumt hatten – zwei prächtig ausgestattete, ruhige Zimmer, wo ihre Liebe von der Stille der reichen Viertel, die nur das leichte Geräusch der rollenden Wagen unterbrach, wunderbar eingewiegt wurde. Nach und nach, als ihr der Frevel zur Gewohnheit geworden, verfiel sie auf gewagte Partien, auf tolle Launen. Von ihrer Lehrzeit her waren ihr noch die Namen von Balllokalen und berühmten Restaurants im Gedächtnis geblieben, die sie jetzt besuchen wollte, gerade wie es ihr Vergnügen machte, sich beide Flügel der Thüren großer Modistinnen öffnen zu lassen, von denen sie sonst nur die Firma auf dem Schilde draußen gekannt hatte. Denn vor allem andern suchte sie in dieser Liebe einen Ersatz für die Trübsal und die Leiden ihrer Jugend. Nichts z. B. ergötzte sie nach der Rückkehr aus dem Theater oder von einer nächtlichen Fahrt ins Boulogner Wäldchen mehr als ein Souper im Café Anglais, mit dem Geräusche des prunkenden Lasters um sich her. Von diesen beständigen Ausflügen brachte sie Redewendungen, Manieren, zweideutige Lieder und Kleidermuster mit, die in der bürgerlichen Atmosphäre des alten Handlungshauses die genaue und auffallende Silhouette des Cocotten-Paris der damaligen Zeit auftauchen ließen.

In der Fabrik begann man etwas zu ahnen. Die Frauen aus dem Volke, selbst die ärmsten, wissen so schnell eine Toilette zu zergliedern! ... Wenn Frau Risler gegen drei Uhr nachmittags ausging, so beobachteten sie, hinter den Scheiben der Polirwerkstätten versteckt, fünfzig Paar scharfe, neidische Augen, die ihr durch den schwarzsammetnen Überwurf und das mit blitzendem Jet besetzte Leibstück hindurch tief in das schuldbeladene Gewissen schauten.

Ohne daß sie darauf Acht gab, flogen alle Geheimnisse dieses kleinen, tollen Köpfchens um sie her wie die Bänder, die um ihren entblößten Nacken flatterten, und die feinen Füßchen in den zehnknöpfigen Goldkäferschuhen erzählten beim Gehen von allerlei verstohlenen Ausflügen, von teppichbedeckten Treppen, über die sie nachts hinschritten, um zum Souper zu gehen, und von warmen Pelzen, in die sie eingehüllt wurden, wenn der Wagen bei Laternenschein die Fahrt um den See machte.

Die Arbeiterinnen spotteten und zischelten: »Aber seht doch nur das aufgedonnerte Püppchen! ... Das soll eine Straßentoilette sein ... Um in die Messe zu gehen, putzt sie sich gewiß nicht so auf ... Und wenn man bedenkt, vor drei Jahren, da ging sie noch alle Morgen im Regenmantel ins Geschäft und hatte für zwei Sous geröstete Kastanien in der Tasche, um sich die Finger warm zu halten ... Jetzt aber hat das Equipage« ... Und inmitten des Talkstaubes und beim Schnauben der Winter und Sommer rothglühenden Öfen dachte mehr als ein armes Mädchen an jene Launen des Glücks, die mit einem Schlage das Schicksal eines Weibes umgestalten, und begann von einer glänzenden Zukunft zu träumen, die auch ihrer vielleicht harrte, ohne daß sie es ahnte.

Risler war für alle der betrogene Gatte. Zwei Abzieher bei den Druckpressen, getreue Stammgäste der Folies-Dramatiques, erklärten, Frau Risler mehrere Male in jenem Theater gesehen zu haben, und zwar in Begleitung eines Herrn, der sich im Hintergrunde der Loge verbarg. Auch Vater Achille berichtete merkwürdige Geschichten – – – Daß Sidonie einen oder sogar mehrere Geliebte habe, daran zweifelte niemand mehr. Nur hatte noch niemand an Fromont junior gedacht.

Und doch gebrauchte sie im Verkehre mit ihm keinerlei Vorsicht. Im Gegentheil, sie schien geflissentlich alles mit einer gewissen Auffälligkeit zu betreiben, und gerade das vielleicht rettete sie. Wie oft hatte sie ihn in frechster Weise auf der Freitreppe angeredet, um das Stelldichein für den Abend mit ihm zu vereinbaren, wie oft sich darin gefallen, ihm einen Schrecken einzujagen, indem sie ihm beim Sprechen vor allen Leuten schamlos in die Augen sah. War aber die erste Bestürzung vorüber, so wußte ihr Georges noch Dank für diese Kühnheit, denn er schrieb dieselbe dem Übermaße ihrer Liebe zu. Er täuschte sich.

Sie wünschte nämlich, ohne es sich zu gestehen, vor allem, daß Clara sie beide bemerke, daß sie die Vorhänge an ihrem Fenster öffne, um zu lauschen, daß sie Verdacht schöpfe. Das fehlte ihr noch, um vollständig glücklich zu sein: die Unruhe ihrer Nebenbuhlerin. Aber sie mühte sich vergebens ab, Clara Fromont wurde nichts gewahr und lebte wie Risler in unzerstörbarer Seelenruhe.

Nur der alte Kassirer Sigismund war in Wahrheit unruhig. Und auch er dachte nicht an Sidonie, wenn er einen Augenblick im Rechnen inne hielt, die Feder hinters Ohr steckte und die Blicke durch sein Gitter hindurch auf das feuchte Erdreich des kleinen Gartens richtete. Er dachte nur an seinen Chef, Herrn Schorsch, der jetzt so viel Geld für laufende Ausgaben aus der Kasse nahm und ihm die ganzen Bücher in Verwirrung brachte. Das geschah jedes Mal unter einem neuen Vorwand. Mit leichter, sorgloser Miene trat er an den Verschlag:

»Haben Sie ein wenig Geld, guter Planus? ... Ich bin gestern Abend beim Hazard gerupft worden und möchte wegen einer solchen Kleinigkeit nicht nach der Bank schicken« ...

So zu sagen mit Bedauern öffnete Sigismund Planus seine Kasse, um die verlangte Summe herauszunehmen, und gedachte dabei mit Schrecken eines gewissen Tages, wo Herr Georges, der damals erst zwanzig Jahre zählte, seinem Onkel einige Tausend Franken Spielschulden eingestanden hatte. Jetzt nun faßte der brave Mann einen Haß gegen den Club und eine tiefe Verachtung gegen alle seine Mitglieder. Und als eines Tages ein reicher Kaufmann, der ebenfalls dazu gehörte, in die Fabrik kam, sagte er mit seiner treuherzigen Derbheit:

»Der Teufel hole Ihren Club im Château-d'Eau! ... Binnen zwei Monaten hat Herr Georges mehr als dreißigtausend Franken bei Ihnen sitzen lassen.«

Der andere fing an zu lachen:

»Aber Sie irren sich, Papa Planus ... Wir haben Ihren Chef seit mindestens drei Monaten nicht bei uns gesehen.«

Der Kassirer ließ das Gespräch fallen, aber in seinem Geiste setzte sich ein Gedanke fest, der ihn den ganzen Tag über beschäftigte.

Wo brachte Georges, da er nicht zum Club ging, seine Abende zu? Wo gab er das viele Geld aus?

Augenscheinlich steckte ein Weib dahinter.

Sobald dieser Gedanke in ihm aufgetaucht war, begann Sigismund Planus ernstlich für seine Kasse zu zittern. Der alte Bär aus dem Kanton Bern, der sein Lebelang Junggesell geblieben war, hatte vor den Frauen im allgemeinen und vor den Pariserinnen im besondern eine furchtbare Angst. Um sein Gewissen zu beruhigen, glaubte er vor allen Dingen Risler benachrichtigen zu müssen. Er that dies zunächst in ziemlich unbestimmter Art und Weise:

»Herr Schorsch giebt viel Geld aus,« bemerkte er eines Tages.

Risler bewahrte seine ganze Ruhe.

»Was soll ich dagegen thun, alter Freund? ... Er hat das Recht dazu.«

Und der brave Bursche dachte, was er sagte. In seinen Augen war Fromont junior der absolute Herr des Hauses. Es wäre doch nett, wenn er, der frühere Musterzeichner, sich da hätte erlauben wollen, Bemerkungen zu machen. Auch der Kassirer wagte nicht mehr darüber zu reden bis zu dem Tage, wo ihm von einem großen Shawlgeschäfte eine Rechnung über sechstausend Franken für einen Cachemir an der Kasse präsentirt wurde.

Da suchte er Georges in seinem Privatcomtoir auf.

»Soll ich zahlen, Herr?«

Georges Fromont war ein wenig betroffen. Sidonie hatte vergessen, ihn von diesem neuen Einkauf zu benachrichtigen: sie verfuhr jetzt bereits ganz nach Gutdünken ihm gegenüber.

»Gewiß, zahlen Sie, zahlen Sie, Papa Planus« ... erwiderte er mit einem Anflug von Verlegenheit, und dann fügte er hinzu: »Buchen Sie den Posten auf das Privatkonto Fromont junior ... Es ist ein Auftrag, den ich übernommen hatte« – – –

Am nämlichen Abend sah der Kassirer, als er eben seine kleine Lampe anzündete, Risler durch den Garten schreiten und klopfte an die Fensterscheibe, um ihn heranzurufen.

»Es ist ein Weib im Spiele« ... flüsterte er ihm dann leise zu. »Ich habe jetzt den Beweis dafür« ...

Und indem er das furchtbare Wort »ein Weib« aussprach, bebte seine Stimme, die sich im lauten Geräusch der Fabrik verlor, vor innerm Entsetzen. Dem armen Kassirer kam in diesem Augenblicke das Arbeitsgetöse um ihn her wie ein unheilverkündender Zuruf vor. Es schien ihm, als ob alle diese rastlos schaffenden Maschinen, als ob der ungeheure Schornstein mit der stoßweis emporwirbelnden Rauchwolke und das bunte Treiben der Arbeiter bei ihren verschiedenen Hantierungen, als ob alles das nur eines geheimnisvollen, in Seide gekleideten, mit Geschmeide geschmückten kleinen Wesens wegen stampfe, stiebe, schaffe.

Risler machte sich über ihn lustig und wollte ihm nicht glauben. Er kannte ja die Sucht seines Landsmanns, in allem den verderblichen Einfluß des Weibes zu erblicken, schon aus früherer Zeit. Dennoch kamen ihm die Worte Sigismunds zuweilen wieder in den Sinn, besonders abends in den Stunden der Einsamkeit, wenn Sidonie nach endlich vollendeter Toilette sich mit Frau Dobson ins Theater begab und die Wohnung so unendlich öde zurückließ, sobald ihre lange Schleppe über die Schwelle geglitten war. Die Kerzen vor den Spiegeln brannten noch, und die kleinen Toilettengegenstände, die hier und da herumlagen, erzählten dann von thörichten Einfällen und übertriebenen Ausgaben. Von alledem sah Risler nichts, nur wenn er den Wagen seines Associés über den Hof rollen hörte, dann fühlte er ein fröstelndes Unbehagen bei dem Gedanken, daß in der untern Etage Frau Fromont ihre Abende ganz allein verbringe. Die arme Frau! Wenn es doch wahr wäre, was Planus sagte ... Wenn Georges eine Wirtschaft in der Stadt hätte ... O, das wäre abscheulich!

In solchen Fällen stieg er, anstatt sich an die Arbeit zu machen, leise hinunter, um zu fragen, ob Madame zu sprechen sei, und hielt es dann für seine Pflicht, ihr Gesellschaft zu leisten.

Das Kind schlief bereits, aber vor dem Kamin lagen zwischen einigem Spielzeug noch die blauen Stiefelchen und das kleine Häubchen. Clara las oder arbeitete. Neben ihr stand ihre Mutter, wie immer in fieberhafter Weise mit Putzen und Fegen beschäftigt: sie hauchte bis zur Erschöpfung auf den Deckel ihrer Uhr oder stellte mit der Halsstarrigkeit beginnenden Wahnsinns zehnmal denselben Gegenstand auf denselben Platz. Auch der brave Risler war keine sehr erheiternde Gesellschaft, aber das hinderte die junge Frau nicht, ihn freundlich zu empfangen. Sie wußte alles, was man in der Fabrik von Sidonie erzählte, und obwohl sie nur die Hälfte davon glaubte, preßte ihr der Anblick dieses armen Mannes, den seine Frau so oft im Stiche ließ, doch das Herz zusammen. Ein gegenseitiges Mitleid bildete den Urquell dieser stillen Freundschaft, und es gab keinen rührendern Anblick als diese beiden Verlassenen, die sich gegenseitig bedauerten und zu zerstreuen suchten.

Wenn er an dem kleinen, gut beleuchteten Tische in der Mitte des Salons saß, fühlte Risler sich allmählich von der Wärme des Kamins und der Harmonie der Umgebung durchdrungen. Er fand da Möbel wieder, die er seit zwanzig Jahren kannte, er hatte das Portrait seines frühern Chefs vor sich, und seine theure »Madam Schorsch«, die da neben ihm über irgend eine zierliche Handarbeit gebeugt saß, erschien ihm unter all diesen alten Erinnerungen noch schöner und jünger. Sie stand von Zeit zu Zeit auf, um nach dem Kinde zu sehen, das im Nebenzimmer schlief, und dessen Athemzug man in den Pausen der Unterhaltung vernahm. Ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, befand sich Risler hier wohler und wärmer als in seinem eigenen Heim, denn an gewissen Tagen machte seine hübsche Wohnung in Folge des beständigen eilfertigen Kommens und Gehens seiner Frau auf ihn den Eindruck einer Halle ohne Thüren und Fenster, die allen vier Winden offen steht. Bei ihm war man zu Besuch, hier wohnte man. Eine sorgsame Hand verbreitete hier allenthalben Ordnung und Eleganz. Die im Kreise umherstehenden Stühle schienen leise mit einander zu plaudern, das Feuer brannte mit traulichem Geknister, und Fräulein Fromonts kleines Häubchen schien in seinen blauen Bandschleifen noch das süße Lächeln und die freundlichen Blicke der Kleinen bewahrt zu haben.

In solchen Momenten, während Clara bedachte, daß ein so vortrefflicher Mann wohl eine andere Gefährtin für das Leben verdient habe – in solchen Momenten fragte sich Risler beim Anblick dieses ruhigen, schönen Gesichts und dieser milden, geistreichen Augen, was für einer Dirne wegen wohl Georges ein so anbetungswürdiges Weib verrathe.


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