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IV. In Savigny.

Dieser einen Monat währende Aufenthalt der beiden Familien in Savigny war ein großes Unglück.

Nach zwei Jahren also befanden Georges und Sidonie sich wieder zusammen auf dem Gute, das zu alt war, um sich nicht beständig gleich zu sein, und wo die sich immer gleich bleibenden Steine, Teiche und Bäume wie ein Hohn auf alles Veränderliche und Vergängliche erschienen. Es hätte zwei besser gestählter und ehrenhafterer Charaktere bedurft, wenn diese Wiederannäherung nicht hätte verderblich werden sollen.

Clara freilich hatte sich nie so glücklich gefühlt, nie war ihr Savigny so schön erschienen. Welche Lust, ihr Kind auf den Rasenplätzen spazieren zu führen, wo sie selbst einst umhergesprungen war, sich als junge Mutter auf die überschatteten Bänke zu setzen, von wo aus ihre eigene Mutter einst ihre Spiele überwachte, und am Arme des Gatten all die Plätze wieder aufzusuchen, wo sie einst als Kinder zusammen gespielt hatten. Sie empfand eine stille Zufriedenheit, jenes volle Glück eines ruhigen, still dahinfließenden Lebens, und den ganzen Tag über schleiften ihre langen Hauskleider über den Kies der Alleen, wobei die kleinen Schritte des Kindes, sein Geschrei und seine kleinen Wünsche ihren Gang verlangsamten.

Sidonie betheiligte sich wenig an diesen Spaziergängen. Sie behauptete, Kinderlärm ermüde sie, und stimmte darin mit dem alten Gardinois überein, dem jeder Vorwand recht war, wenn er seine Enkelin kränken konnte. Er glaubte dies am besten dadurch zu erreichen, daß er sich nur mit Sidonie beschäftigte und sie noch mehr feierte als bei ihrem letzten Aufenthalte in Savigny. Die seit zwei Jahren in der Remise vergrabenen Wagen, die man wöchentlich einmal abstäubte, weil die Spinnen ihre Netze über die Seidenpolster zogen, wurden derselben jetzt zur Verfügung gestellt. Drei Mal täglich wurde angespannt, und das Gitter drehte sich fast beständig in den Angeln. Das ganze Haus folgte diesem lebensfrohen Impulse. Der Gärtner pflegte jetzt seine Blumen sorgfältiger, weil Frau Risler die schönsten auswählte, um sie bei der Toilette für das Diner als Haarschmuck zu verwenden. Auch kam Besuch. Man veranstaltete Nachmittagsimbisse und Landpartien, bei denen Frau Fromont die Honneurs machte, bei denen jedoch Sidonie mit ihrer Munterkeit ohne Rivalin glänzte. Überdies ließ ihr Clara auch oft das Feld völlig frei. Das Kind hatte seine Schlaf- und seine Spazierstunden, die kein Vergnügen je verkürzen durfte. Dann entfernte die Mutter sich gewiß, und sogar abends war sie sehr oft des Vergnügens beraubt, mit Sidonie den beiden Associés entgegenzufahren, die um diese Zeit aus Paris zurückkamen.

»Du wirst mich entschuldigen,« sagte sie dann und stieg in ihr Zimmer hinauf.

Frau Risler triumphirte. Elegant und lässig in die Kissen gelehnt, fuhr sie im Galopp davon, ohne irgend etwas zu denken und unbekümmert um die schnelle Fahrt.

Der frische Wind, der mit ihrem Schleier spielte, erhöhte nur ihre Lebenslust. Zwischen den halbgeschlossenen Lidern hervor bemerkte sie undeutlich eine Schenke an einer Biegung des Weges oder ein paar zerlumpte Kinder, die auf dem Grase neben den Fahrgleisen hinliefen. Das erinnerte sie an die frühern Sonntagsspaziergänge mit Risler und ihren Eltern, und das leise Beben, das sie bei dieser Erinnerung ergriff, ließ ihr ihre frische, weichfaltige Toilette und das sanfte Schaukeln des Wagens, bei welchem ihre Gedanken ruhig und sicher wieder einschlummerten, nur um so angenehmer erscheinen.

Am Bahnhofe warteten noch andere Equipagen. Zwei- oder dreimal hörte sie neben sich flüstern: »Das ist Frau Fromont junior« ... Und in der That konnte man sich täuschen, wenn man die drei von der Bahn zurückkehren sah: Sidonie saß lachend und plaudernd neben Georges im Fond des Wagens, während Risler, über das schöne Gefährt ein wenig verlegen, ihnen gegenüber die breiten Hände flach auf die Kniee gedrückt hielt und friedlich lächelte. Der Gedanke, daß man sie für Frau Fromont halte, erfüllte sie mit Stolz, und mit jedem Tage gewöhnte sie sich mehr daran. Nach der Ankunft auf dem Schlosse trennten sich die beiden Familien bis zum Diner, aber auch an der Seite seiner Frau, die ruhig am Bette des schlafenden Töchterchens saß, dachte Georges Fromont, der noch zu jung war, um von seinem häuslichen Glücke erfüllt zu werden, immer an die strahlende Sidonie, deren Stimme man in triumphirenden Rouladen in den Laubgängen des Parkes erklingen hörte.

Während sein ganzes Schloß sich nach den Launen eines jungen Weibes umgestaltete, lebte der alte Gardinois sein freudenloses Dasein als gelangweilter, müßiger und abgestorbener Geldprotz weiter. Am meisten Zerstreuung gewährte ihm noch die Spionage. Das Kommen und Gehen des Gesindes, die Gespräche, die über seine Person in der Küche geführt wurden, der Korb mit Früchten und Gemüse, der jeden Morgen aus dem Garten in die Küche kam, waren Gegenstand beständiger Untersuchungen. Es gab für ihn kein größeres Vergnügen, als wenn er jemand bei einem Fehltritte ertappen konnte. Das beschäftigte ihn, verlieh ihm Wichtigkeit, und bei Tische schilderte er dann den schweigenden Gästen die Unthat, die Schliche, deren er sich bedient, um den Frevler zu fangen, das Benehmen des Schuldigen, seine Angst und seine Bitten mit größter Ausführlichkeit.

Für diese beständige Überwachung seiner Leute hatte sich der gute Mann eine Steinbank hinter einer riesigen Paulownia ausgesucht. Dort saß er ganze Tage lang, nicht mit Lesen oder Nachdenken, sondern ausschließlich mit der Beobachtung der Kommenden und Gehenden beschäftigt. Für die Nacht hatte er etwas anderes ausgesonnen. In der großen Vorhalle am Eingange, zu welcher die mit Blumen geschmückte Freitreppe hinaufführte, hatte er eine Öffnung anbringen lassen, die mit seinem im obern Stockwerk gelegenen Zimmer in Verbindung stand. Dort hinauf sollte ihm nun ein vervollkommtes Hörrohr alle Geräusche aus dem Erdgeschosse zuführen, sogar die Reden der Dienstboten, wenn dieselben abends auf der Freitreppe frische Luft schöpften.

Unglücklicherweise jedoch verstärkte, vermengte und verlängerte das allzu vollkommene Instrument die Töne dermaßen, daß Herr Gardinois, als er sein Ohr an das Hörrohr legte, nichts weiter unterscheiden konnte als das ununterbrochene, regelmäßige Tiktak einer großen Uhr, das Geschrei eines Papageis, der da unten auf seiner Stange hockte, und das Glucksen einer Henne, die nach einem verlorenen Korne suchte. Von den Stimmen drang immer nur ein verworrenes Summen zu ihm, ein vieltöniges Gemurmel, aus dem unmöglich etwas zu entnehmen war. Die Kosten der Einrichtung waren vollständig weggeworfen, und so versteckte er denn sein wunderbares Hörrohr hinter einer Falte seines Bettvorhangs.

Eines Nachts wurde der brave Mann, nachdem er eben eingeschlafen war, durch das Knarren einer Thür plötzlich wieder aufgeweckt. Zu dieser Stunde war das ziemlich ungewöhnlich. Das ganze Haus schlief. Man hörte nur die Schritte der Wachthunde auf dem Sande, oder wie sie am Fuße eines Baumes Halt machten, in dessen Wipfel eine Eule fauchte. Eine prächtige Gelegenheit, um sich des Schallrohrs zu bedienen! Indem er das Ohr an dasselbe legte, überzeugte sich Herr Gardinois, daß er sich nicht getäuscht hatte. Das Geräusch dauerte fort. Man öffnete unten eine Thür, dann eine zweite. Der Riegel der zur Freitreppe führenden Pforte wurde mit einiger Anstrengung zurückgeschoben. Aber weder Pyramus, noch Thisbe, noch selbst Kiß, der riesige Neufundländer, hatten sich gerührt. Gardinois stand daher leise auf, um zu sehen, wer wohl diese eigenthümlichen Spitzbuben sein möchten, die aus- statt einbrachen, und da bemerkte er zwischen den Stäben der Jalousien hindurch folgendes:

Ein schlanker, hagerer Mann, der in Wuchs und Haltung dem jungen Fromont glich, führte eine Dame am Arm, deren Kopf durch eine mit Spitzen besetzte Kapuze verhüllt wurde. Die beiden ließen sich zunächst auf der Bank unter der Paulownia nieder, deren Zweige in voller Blüte standen.

Es war eine herrliche, wunderhelle Nacht. Der Mondschein glitt über die Wipfel der Bäume hin und streute Lichtflocken zwischen die dichtgedrängten Blätter. Die strahlenübergossenen Terrassen, auf denen die zottigen Neufundländer hin und her sprangen und nach den Nachtschmetterlingen schnappten, die weiten, glatten, tiefen Wasserbecken, alles lag in stillem, ruhigem Glanze, wie von einem silbernen Spiegel reflectirt. Hier und da am Rande der Rasenplätze blitzten Johanniswürmchen auf.

Die beiden Spaziergänger blieben schweigend einen Augenblick im Schatten der Paulownia sitzen, in jene tiefe Nacht verloren, die der helle Mondschein um sie her erzeugte. Dann tauchten sie plötzlich im hellen Lichte auf, schritten in zärtlicher Umschlingung langsam über die Terrasse und verschwanden im Gebüsch.

»Ich war dessen sicher,« sagte der alte Gardinois, der sie erkannte, zu sich selbst. Und was brauchte er sie noch zu erkennen? Verrieth ihm das Verstummen der Hunde, der Anblick des schlummernden Hauses nicht klarer als alles andere, welches freche Verbrechen allnächtlich straflos und ungeahnt durch die Alleen seines Parkes schlich? Doch gleichviel, der alte Bauer freute sich seiner Entdeckung. Ohne Licht zu machen, legte er sich mit heimlichem Lachen wieder zu Bett, und bald beleuchtete der Mond in dem kleinen, mit Jagdgewehren vollgepfropften Zimmer, von wo aus er sie in dem Glauben, er habe es mit Dieben zu thun, beobachtet hatte, nur noch die an der Wand hängenden Gewehre und die mit Patronen jeden Kalibers gefüllten Schachteln.

*

Am alten Flecke, an der Ecke der nämlichen Allee, war ihre Liebe von neuem erstanden. Das letztverflossene Jahr mit all seinem Zögern, Kämpfen, Sträuben schien nur eine Vorbereitung zu ihrer Wiedervereinigung gewesen zu sein. Und kaum ist es der Mühe Werth, es ausdrücklich zu sagen, daß sie, nachdem das Verbrechen einmal begangen war, sich nur noch wunderten, warum sie so lange gezögert hatten ... Georges Fromont besonders war von rasender Leidenschaft besessen. Er betrog sein Weib, seine beste Freundin, er betrog Risler, seinen Associé, den treuen Gefährten jeder Stunde.

Das Übermaß, die beständige Wiederkehr der Gewissensbisse steigerten seine Liebe mit der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens. Sidonie wurde sein beständiger Gedanke, und er wurde inne, daß er bis dahin noch gar nicht gelebt hatte. Sidoniens Liebe dagegen war nichts als Eitelkeit und Grimm. Sie labte sich vor allem an der Demüthigung, die Clara in ihren Augen erlitt. Ja, wenn sie derselben hätte zurufen können: »Dein Gatte liebt mich ... er hintergeht dich mit mir« ... so würde ihr Vergnügen noch um vieles größer gewesen sein. Was Risler betrifft, so hatte derselbe nach ihrer Meinung wohl verdient, was ihm geschah. In ihrem Putzmacherinnen-Jargon, in welchem sie immer noch dachte, wenn sie ihn auch nicht mehr sprach, war der arme Mann nur ein »Alter«, den sie genommen hatte, um zu Vermögen zu kommen. »Ein Alter« aber ist ja zum Betrogenwerden da!

Tagsüber gehörte Savigny Clara und dem Kinde, das dort langsam heranwuchs, über den Sand lief und den Vögeln und den Wolken zulächelte. Mutter und Kind hatten das Licht, die mit Sonnenschein übergossenen Alleen für sich. Die blauen Nächte aber gehörten dem Ehebruch, jenem Verbrechen, das frech sich eingedrängt hatte, das nur leise flüsterte, das geräuschlos hinter den geschlossenen Jalousien wandelte, und vor dem das schlummernde Haus stumm und blind ward und seine steinerne Unempfindlichkeit wieder annahm, als schäme es sich, zu sehen und zu hören.


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