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III. Die Brauerei in der Rue Blondel.

Seit seiner Verheiratung hatte Risler auf den Besuch der Brauerei verzichtet. Es würde Sidonie Vergnügen gemacht haben, hätte sie ihn abends ausgehen sehen, um einen eleganten Club, eine Gesellschaft von reichen und wohlgekleideten Leuten zu besuchen, aber der Gedanke, daß er in den Pfeifenqualm und zu seinen Freunden aus früherer Zeit, zu Sigismund, Delobelle und ihrem Vater zurückkehren möchte – dieser Gedanke demüthigte sie, machte sie unglücklich. Er ging also nicht mehr hin, aber es kostete ihn doch einige Überwindung. Diese Brauerei in einem abgelegenen Winkel des alten Paris war ja so zu sagen ein Andenken an die Heimat. Der geringe Wagenverkehr, die Erdgeschosse mit den hohen, vergitterten Fenstern, der frische Geruch nach Droguen und Apothekerwaaren verliehen der kleinen Rue Blondel eine gewisse Ähnlichkeit mit gewissen Straßen von Basel oder Zürich. Der Wirth war ein Schweizer, und die Gäste fast sämmtlich Landsleute von ihm. Wenn die Thür geöffnet wurde, zeigte sich ein mit Tabaksrauch gefüllter und von den schweren Lauten des Nordens widerhallender, weiter und niedriger Saal, an dessen Gebälk Schinken hingen und auf dessen Fußboden, der handhoch mit Sägespänen bestreut war, eine Reihe von Bierfässern lagerte, während auf dem Schenktische große Schüsseln voll rothem Kartoffelsalat und Körbe mit frischgebackenen Bretzeln standen, deren goldgelbe Windungen ganz mit weißem Salze bedeckt waren.

Zwanzig Jahre lang hatte dort Risler seine Pfeife gehabt, eine lange Pfeife, deren Platz am Pfeifenständer der Stammgäste mit seinem Namen bezeichnet war, und ebenso seinen Tisch, an dem noch einige schweigsame, ruhige Landsleute Platz zu nehmen pflegten, die die endlosen Discussionen Chèbes und Delobelles anhörten und bewunderten, ohne ein Wort davon zu verstehen. Seit nun Risler wegblieb, waren auch diese beiden letztern nicht mehr in die Brauerei gekommen, und zwar aus guten Gründen. Zunächst wohnte Herr Chèbe jetzt sehr weit entfernt. Dank der Großmuth seiner Kinder sah er endlich den Traum seines Lebens verwirklicht.

»Wenn ich erst reich bin,« pflegte der kleine Mann in der traurigen Behausung im Marais zu sagen, »so kaufe ich mir ein eigenes Haus vor den Thoren, beinahe auf dem Lande, mit einem kleinen Garten, den ich selbst bearbeiten und begießen werde. Das wird meiner Gesundheit zuträglicher sein als die ewigen Aufregungen der Hauptstadt.«

Nun, jetzt hatte er sein Haus, aber Vergnügen fand er daran nicht, das steht fest.

Es lag in Montrouge dicht an den Wällen. »Ein kleines Schweizerhaus mit Garten« besagte das betreffende Document, dessen viereckiger Carton eine nahezu genaue Vorstellung von der Größe des Grundstücks gab. Die Tapeten waren neu und im ländlichen Geschmack, der Anstrich völlig frisch. Eine Bewässerungstonne neben einer Laube mit wildem Wein vertrat die Stelle eines Teiches. Zu diesen Vorzügen kam noch der, daß dies Paradies nur durch eine Hecke von einem anderen »Schweizerhaus mit Garten« getrennt war, in welchem der Kassirer Sigismund Planus und seine Schwester wohnten. Für Frau Chèbe war das eine kostbare Nachbarschaft. Sobald die gute Frau sich langweilte, trug sie ihre Strick- und Flickarbeiten hinüber in die Laube der alten Jungfer, der sie mit der Schilderung ihres ehemaligen Reichthums imponirte. Unglücklicherweise hatte ihr Gatte keine solche Zerstreuung.

In der ersten Zeit ging noch alles gut. Man war im Hochsommer. Herr Chèbe lief beständig in Hemdsärmeln: er besorgte die Einrichtung. Der kleinste Nagel, der im Hause eingeschlagen werden sollte, war für ihn ein Gegenstand müßigen Nachdenkens und endloser Discussionen. Ebenso ging es mit dem Garten. Zuerst sollte es ein englischer Garten werden mit immer grünen Rasenplätzen, gewundenen Gängen und dichtem Gesträuch. Aber Teufel, was brauchte das dichte Gesträuch für eine Zeit zum Wachsen!

»Meiner Treu, ich habe Lust, einen Obstgarten daraus zu machen,« sagte der ungeduldige kleine Mann.

Nun träumte er nur noch von Gemüsebeeten, Bohnenreihen, Pfirsichspalieren. Er hackte ganze Vormittage im Garten umher, runzelte mit gedankenvoller Miene die Brauen und trocknete sich in Gegenwart seiner Frau prahlerisch die Stirn, nur um sagen zu hören:

»Aber ruhe dich doch aus ... du arbeitest dich ja zu Tode.«

Schließlich blieb der Garten ein Mixtum mit Obst und Blumen, ein Halbding zwischen Park und Küchengarten, und wenn Herr Chèbe nach Paris ging, versäumte er nie, sein Knopfloch mit einer Rose von seinen Beeten zu schmücken.

So lange das gute Wetter anhielt, wurden die guten Leute nicht müde, das Verschwinden der Sonne hinter den Festungswerken, die Länge der Tage und die gute Landluft zu bewundern. Abends sangen sie zuweilen zweistimmig bei offenen Fenstern, und angesichts der Sterne, die gleichzeitig mit den Laternen der Ringbahn aufblitzten, wurde Ferdinand oftmals lyrisch gestimmt ... Welches Elend aber, als der Herbstregen eintrat und man nicht mehr ausgehen konnte! Wie sehnte sich da Frau Chèbe, die mit Leib und Seele Pariserin war, nach den engen Straßen des Marais, nach ihren Marktwegen zum Marché-des-Blancs-Manteaux, nach ihren Gängen zu den Kaufleuten im Viertel.

Von ihrem Platz am Fenster aus, der sich am besten zum Nähen und zum Spähen eignete, überschaute sie den kleinen, feuchten Garten, wo die samenschweren Winden und verblühten Kressen sich von selber wie ermüdet von den Stöcken lösten, die lange, gerade Linie der immer grünen Wälle und ein wenig weiter, an einer Straßenecke, den Halteplatz der Pariser Omnibusse, auf deren Wänden alle Punkte ihrer Strecke in verlockenden Lettern verzeichnet standen. Jedes Mal, wenn einer von diesen Omnibussen sich in Bewegung setzte, folgte sie ihm mit den Augen, etwa wie ein Beamter in Cayenne oder Noumea dem nach Frankreich zurückkehrenden Paquetboot nachsieht; sie machte die Fahrt mit ihm, sie wußte, an welcher Stelle er anhalten, an welcher andern er langsam wenden und dabei mit seinen Rädern die Scheiben der Läden streifen würde ...

Als Gefangener wurde Herr Chèbe schrecklich. Im Garten konnte er jetzt nichts mehr thun. Dabei waren jetzt auch die Festungswerke sonntags menschenleer: es gab also keine Möglichkeit mehr, unter den Arbeiterfamilien, die im Grase einen Imbiß nahmen, umherzuspazieren und als Nachbar in gestickten Pantoffeln mit dem Ansehen eines reichen Eigenthümers aus der Nachbarschaft von Gruppe zu Gruppe zu gehen. Das aber fehlte ihm besonders, ihm, der von dem Verlangen verzehrt wurde, von den Leuten bemerkt zu werden. Seitdem wußte er nicht mehr, was er beginnen sollte, und da er niemand mehr hatte, vor dem er glänzen konnte, niemand, der seinen Projecten, seinen Geschichten, der Erzählung von dem Unfalle, der den Herzog von Orleans betroffen – der gleiche war ihm, wie man weiß, in seiner Jugend widerfahren – lauschen mochte, so überhäufte der unglückliche Ferdinand seine Frau mit Vorwürfen.

»Deine Tochter stößt uns von sich ...deine Tochter schämt sich unsrer« ...

Man hörte immer nur: »Deine Tochter! ... deine Tochter!« ... denn in seiner Erbitterung verläugnete er Sidonien und überließ seiner Frau die ganze Verantwortlichkeit für dies unnatürliche, entartete Kind. Daher war es eine wahre Erleichterung für die arme Frau Chèbe, wenn ihr Gatte in einen der Omnibusse stieg, um Delobelle aufzusuchen, der immer zum Bummeln bereit war, und ihm all den Groll anzuvertrauen, den er gegen seinen Schwiegersohn und seine Tochter im Herzen hegte.

Auch der berühmte Delobelle zürnte dem braven Risler und sagte von Herzen gern von ihm: »Er ist ein Lump« ...

Der große Mann hatte nämlich gehofft, ein wesentliches Glied in der neuen Familie zu werden und dort als Festordner und Kenner alles Eleganten zu glänzen. Statt dessen empfing ihn Sidonie mit der größten Kälte, und Risler führte ihn nicht einmal mehr zur Brauerei. Dennoch beklagte der Schauspieler sich nicht allzu laut und überhäufte seinen Freund jedes Mal, wenn er ihm begegnete, mit Zuvorkommenheiten und Schmeicheleien, denn er hatte ihn binnen kurzem nöthig.

Da er es müde war, auf den einsichtsvollen Director zu warten, und nie die Rolle kommen sah, auf die er seit so vielen Jahren hoffte, so war Delobelle auf die Idee verfallen, selbst ein Theater zu kaufen und die Leitung zu übernehmen. Betreffs der nöthigen Gelder rechnete er auf Risler. Nun war gerade um diese Zeit in Folge des Bankerotts eines Directors ein kleines Theater auf dem Boulevard du Temple zu verkaufen. Delobelle sprach mit Risler darüber, zunächst nur andeutungsweise und in durchaus hypothetischer Form: »Da wäre ein gutes Geschäft zu machen« – – – Risler hörte ihn mit seinem gewöhnlichen Phlegma an und sagte: »In der That, das wäre recht gut für Sie« ... Auf eine directere Anfrage hatte er dann nicht Nein zu sagen gewagt, sondern sich hinter ein »Ich will sehen ... später ... vielleicht« ... verschanzt und schließlich das unglückselige Wort gesprochen: »Man müßte erst einen Kostenanschlag sehen.«

Acht Tage lang hatte nun der Schauspieler eifrig gearbeitet, Pläne entworfen, Zahlen zusammengestellt. Er saß dabei zwischen den beiden Frauen, die ihn mit Bewunderung betrachteten und sich an diesem neuen Traume berauschten. Im Hause hieß es: »Herr Delobelle wird ein Theater kaufen.« Auf dem Boulevard und in den Schauspieler-Cafés war nur von diesem Kaufe die Rede. Delobelle verhehlte nicht, daß er einen Kapitalisten gefunden habe, der das Geld vorstrecke, und das trug ihm die Ehre ein, sich von einem Haufen stellenloser Komödianten umringt zu sehen, alten Kameraden, die ihm vertraulich auf die Schulter klopften und sich ihm ins Gedächtnis zurückriefen: – »Du weißt ja, er« – – – Er versprach Engagements, frühstückte im Café, schrieb dort Briefe, grüßte die Eintretenden mit den Fingerspitzen, pflog in den Winkeln äußerst lebhafte vertrauliche Unterredungen, und zwei abgerissene Schriftsteller hatten ihm bereits ein Drama in sieben Bildern vorgelesen, das als Eröffnungsstück »wie ein Handschuh« für ihn paßte. Er sagte: »Mein Theater!« und empfing Briefe mit der Aufschrift: »Herrn Director Delobelle«.

Als er seinen Prospectus verfaßt und seinen Kostenanschlag aufgesetzt hatte, suchte er Risler in der Fabrik auf. Dieser war sehr beschäftigt und gab ihm daher ein Rendezvous in der Rue Blondel. Am selben Abend setzte sich demgemäß Delobelle, der zuerst in der Brauerei erschienen war, an den alten Stammtisch, forderte einen Krug und zwei Gläser und wartete. Er wartete lange, das Auge unverwandt auf die Thür geheftet, zitternd vor Ungeduld. Risler kam nicht. Jedesmal, wenn jemand eintrat, wandte sich der Schauspieler um. Er hatte die Papiere vor sich auf den Tisch gelegt und las sie mit leisen Gesten und eigentümlicher Kopf- und Lippenbewegung nochmals durch.

Das Geschäft war einzig, glänzend. Schon sah er sich auf der Bühne – das war die Hauptsache – wie er auf seinem Theater eigens für ihn geschriebene Rollen spielte, in denen er allen Beifall erntete – – –

Plötzlich öffnete sich die Thür, und im Tabaksqualme tauchte Herr Chèbe auf. Beim Anblick Delobelles war er ebenso überrascht und verstimmt wie Delobelle selbst. Er hatte seinem Schwiegersohne am Morgen geschrieben, daß er in ernsten Angelegenheiten mit ihm zu reden wünsche und ihn in der Brauerei erwarten würde. Es beträfe eine Ehrensache, die unter vier Augen, Mann gegen Mann, verhandelt werden müsse. Das Wahre an dieser Ehrensache war, daß Herr Chèbe das kleine Häuschen in Montrouge aufgekündigt und in der Rue du Mail, also mitten im Geschäftsviertel, einen großen Laden mit Wohnung gemiethet hatte ... Einen Laden? ... Mein Gott, ja ... Und nun erschreckte ihn sein Handstreich doch ein wenig. Er war unruhig, wie seine Tochter denselben aufnehmen würde, um so mehr, da der Laden beträchtlich theurer war als das Haus in Montrouge und beim Einziehen noch einige bedeutende Ausbesserungen vorzunehmen waren. Da er die Gutmüthigkeit seines Schwiegersohns seit langem kannte, so wollte Herr Chèbe sich zunächst an diesen wenden, um ihn womöglich in sein Spiel zu ziehen und ihm die Verantwortlichkeit für diesen häuslichen Staatsstreich aufzubürden. Statt Rislers fand er nun Delobelle.

Die beiden sahen sich von unten herauf mit mißtrauischem Auge an wie zwei Hunde, die sich am selben Napfe begegnen. Jeder hatte begriffen, was der andere hier suche, und sie versuchten daher nicht, einander darüber zu täuschen.

»Ist mein Schwiegersohn nicht da?« fragte Herr Chèbe, indem er die auf dem Tische ausgebreiteten Schriftstücke ins Auge faßte und die Worte »mein Schwiegersohn« scharf betonte, um anzudeuten, daß Risler ihm und keinem andern gehöre.

»Ich erwarte ihn eben,« erwiderte Delobelle, indem er seine Papiere zusammennahm.

Und mit zusammengekniffenen Lippen fügte er in würdevollem, mysteriösem, durchaus theatralischem Tone hinzu:

»Es handelt sich um etwas sehr Wichtiges.«

»Bei mir auch« ... versicherte Herr Chèbe, dessen drei Haare sich wie die Nadeln eines Stachelschweins in die Höhe sträubten.

Gleichzeitig nahm er auf dem Divan neben Delobelle Platz, forderte wie dieser einen Krug und zwei Gläser, steckte dann die Hände in die Hosentaschen, lehnte sich in gespreizter Haltung mit dem Rücken gegen die Wand und wartete. Die beiden leeren Gläser neben einander, die für ein und denselben Abwesenden bestimmt waren, hatten ein herausforderndes Aussehn.

Und Risler kam nicht.

Die beiden schweigsamen Zecher wurden ungeduldig und rückten unruhig auf dem Divan hin und her, immer in der Hoffnung, einer von ihnen würde der Sache müde werden.

Schließlich brach sich ihre schlechte Laune Bahn, und natürlich mußte nun der arme Risler herhalten.

»Wie unpassend, einen Mann von meinem Alter so lange warten zu lassen!« begann Herr Chèbe, der sein hohes Alter nur bei solchen Gelegenheiten zu Hilfe rief.

»Ich glaube wirklich, daß man uns zu Narren hat,« entgegnete Herr Delobelle.

Und der andere fuhr fort:

»Der Herr hatte ohne Zweifel Gesellschaft zu Tisch.«

»Und was für Gesellschaft!« ... bemerkte in verächtlichem Tone der berühmte Delobelle, in welchem bittere Erinnerungen erwachten.

»Sicher ist« – – – fuhr Herr Chèbe fort.

Sie rückten einander näher, und man plauderte. Beide hatten viel gegen Risler und Sidonie auf dem Herzen. Sie vertrauten es einander an. Dieser Risler war trotz seines gutmüthigen Aussehens im Grunde genommen nur ein Egoist, ein Emporkömmling. Sie machten sich über seine Aussprache, seine Manieren lustig und äfften einige von seinen Angewohnheiten nach. Dann sprachen sie von seinen häuslichen Verhältnissen, und plötzlich wieder Freunde geworden, raunten sie sich mit vertraulichem Lachen allerlei Geheimnisse über ihn ins Ohr.

Herr Chèbe ging sehr weit:

»Er mag sich in Acht nehmen! Er hat die Dummheit begangen, Vater und Mutter von ihrem Kinde zu trennen – wenn ihm etwas geschieht, wird er uns keine Vorwürfe zu machen haben. Ein Kind, das nicht mehr das Beispiel seiner Eltern vor Augen hat – Sie begreifen« – –

»Gewiß ... gewiß« ... stimmte Delobelle bei, »besonders da Sidonie sehr kokett geworden ist ... Aber was wollen Sie? Es wird ihm nur geschehn, was er verdient. Mußte etwa ein Mann von seinem Alter – – – St! da ist er.«

Risler war soeben eingetreten und kam nun näher, indem er auf seinem Wege die Bänke entlang den alten Bekannten die Hand schüttelte.

Einen Augenblick herrschte zwischen den drei Freunden eine gewisse Verlegenheit. Risler entschuldigte sich, so gut er konnte. Er hatte sich zu Hause verspätet, Sidonie hatte Gesellschaft – Delobelle stieß Herrn Chèbe unter dem Tische mit dem Fuße an – und während er sprach, betrachtete der arme Mann ein wenig verlegen die beiden Gläser, die seiner harrten, und wußte nicht, vor welchem er Platz nehmen sollte.

Delobelle war großmüthig:

»Die Herren haben mit einander zu reden – bitte, thun Sie sich keinen Zwang an.«

Und indem er Risler zublinzelte, raunte er ihm ins Ohr:

»Ich habe die Papiere bei mir.«

»Die Papiere?« ... fragte jener betroffen.

»Ja, die Kostenanschläge« ... hauchte der Schauspieler.

Dann drückte er sich mit einem möglichst großen Aufwande von erkünstelter Zurückhaltung und Bescheidenheit in eine Ecke und begann wieder in den Schriftstücken zu lesen, indem er dabei den Kopf in die Fäuste und diese gegen die Ohren drückte.

Neben ihm plauderten die beiden andern zusammen, anfangs leise, dann lauter, denn das scharfe, schrille Organ Herrn Chèbes vermochte nicht lange in den Schranken der Mäßigung zu bleiben ... Zum Teufel auch, er stand noch nicht in dem Alter, um sich irgendwo zu begraben! ... In Montrouge würde er vor Langeweile gestorben sein ... Die Rue du Mail, die Rue du Sentier, das Leben und Treiben der Geschäftsviertel, das war's, was ihm noth that!

»Ja, aber ein Laden? ... Wozu denn nur?« ... wagte Risler schüchtern einzuwenden.

»Wozu ein Laden? ... Wozu ein Laden?« wiederholte Herr Chèbe, roth wie ein Osterei, während seine Stimme auf die höchste Note ihres Registers übersprang – »weil ich Kaufmann bin, Herr Risler, Kaufmann und Sohn eines Kaufmanns! ... O, ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen! Ich habe kein Geschäft mehr ... Aber an wem liegt die Schuld? ... Wenn die Personen, die mich wie einen Thunichtgut nach Montrouge dicht vor die Thore von Bicêtre schickten, so vernünftig gewesen wären, mir die Fonds zu einem Unternehmen vorzustrecken« – –

Hier gelang es Risler, ihn zum Schweigen zu bringen, und man hörte nur noch einige Brocken von der Unterhaltung: »... bequemern Laden ... hohe Decke ... athmet besser ... Pläne für die Zukunft ... riesiges Geschäft ... werde schon sprechen, wenn es Zeit ist ... Leute werden sich wundern« ...

Während diese Bruchstücke des Gesprächs an sein Ohr schlugen, vertiefte Delobelle sich mehr und mehr in seine Berechnungen und nahm die energische Haltung eines Mannes an, der durchaus nichts hört. Risler trank in seiner Verlegenheit von Zeit zu Zeit einen Schluck Bier, um seine Fassung zu bewahren. Als Herr Chèbe sich schließlich, und zwar aus gutem Grunde, beruhigt hatte, wandte sein Schwiegersohn sich lächelnd zu dem berühmten Delobelle und begegnete nun dessen strengem, unbarmherzigem Blick, der zu sagen schien: »Nun? Und ich?«

– Ja, mein Gott ... das ist ja wahr ... dachte der arme Mann.

Und sogleich wechselte er seinen Platz und sein Glas und setzte sich dem Schauspieler gegenüber. Aber Herr Chèbe hatte nicht so viel Lebensart wie Delobelle. Anstatt sich bescheiden zu entfernen, schob er sein Glas näher und schloß sich der Gruppe an, so daß der große Mann, der nicht in seiner Gegenwart reden wollte, zum zweiten Male feierlich seine Papiere in die Tasche steckte und zu Risler sagte:

»Wir werden das später ansehen.«

Sehr spät, in der That, denn Herr Chèbe hatte folgende Reflexion gemacht:

– Mein Schwiegersohn ist ein so gutmüthiger Narr ... Wenn ich ihn mit diesem Windbeutel allein lasse, wer weiß, was man ihm ablockt.

Er blieb also, um Risler zu überwachen. Der Schauspieler war wüthend. Sollte er die Sache auf einen andern Tag verschieben? Unmöglich, da Risler ihnen eben mitgetheilt hatte, daß er am andern Tage abreisen würde, um einen Monat in Savigny zuzubringen.

»Einen Monat in Savigny?« ... rief Herr Chèbe, entrüstet darüber, daß sein Schwiegersohn ihm zu entgehen drohte. »Und das Geschäft?«

»O, ich werde alle Tage mit Georges nach Paris kommen ... Herr Gardinois wollte seine kleine Sidonie wiedersehen.«

Herr Chèbe schüttelte den Kopf. Er fand das sehr unvorsichtig. Geschäft ist Geschäft. Man muß da sein, immer da sein, immer auf der Bresche. Wer weiß? Konnte nicht nachts in der Fabrik Feuer ausbrechen? Und in sentenziösem Tone wiederholte er: »Des Herrn Auge, mein Lieber, des Herrn Auge« – während der Komödiant neben ihm, dem diese Abreise nicht weniger störend war, sein großes Auge zurundete und ihm einen feinen und zugleich gebieterischen Ausdruck gab, den wahren Ausdruck für des Herrn Auge.

Gegen Mitternacht endlich entführte der letzte Omnibus den tyrannischen Schwiegervater nach Montrouge, und Delobelle konnte reden.

»Zuerst den Prospect,« sagte er, da er die Geldfrage nicht sogleich in Angriff nehmen wollte, und mit dem Lorgnon auf der Nase begann er ausdrucksvoll wie auf der Bühne: »Wenn man mit kaltem Blute den Grad des Verfalls betrachtet, der über die dramatische Kunst in Frankreich hereingebrochen ist, wenn man den Abstand mißt, der die Bühne Molières« – – – und so ging es mehrere Seiten lang fort. Risler hörte zu, seine Pfeife schmauchend, und wagte sich nicht zu regen, denn der Vorleser sah ihn alle Augenblicke über das Lorgnon hin an, um die Wirkung seiner Worte zu erkunden. Unglücklicherweise wurde gerade bei der schönsten Stelle des Prospectus das Café geschlossen. Die Lichter wurden ausgelöscht, man mußte aufbrechen ... Und der Kostenanschlag? ... Man kam überein, ihn im Gehen zu lesen. Bei jeder Gaslaterne wurde Halt gemacht. Der Schauspieler zählte die Summen auf: So viel für das Gebäude, so viel für Beleuchtung, so viel an die Armenkasse, so viel für Gagen ... Bei dieser Position hielt er inne.

»Das Gute an der Geschichte ist, daß wir keinen ersten Helden zu bezahlen brauchen,« erklärte er. »Unser erster Held wird Bibi sein.« (Wenn Delobelle von sich selbst sprach, nannte er sich mit Vorliebe Bibi.) »Ein erster Held kostet zwanzigtausend Franken ... da wir diesen Posten nicht zu bezahlen haben, ist das so gut, als ob Sie zwanzigtausend Franken in die Tasche steckten. Habe ich da nicht recht?«

Risler gab keine Antwort. Sein Gesicht hatte einen gezwungenen Ausdruck, sein Blick war zerstreut wie bei einem Menschen, dessen Gedanken ganz wo anders sind. Nachdem der Kostenanschlag gelesen war, stellte Delobelle, der mit Schrecken die Ecke der Rue des Vieilles-Haudriettes näher kommen sah, rundweg die Hauptfrage: ob er das Geschäft machen wolle, ja oder nein?

»Nun denn – nein!« entgegnete Risler, von einem Muthe beseelt, den er besonders aus der Nachbarschaft der Fabrik und dem Gedanken schöpfte, daß das Glück seines Haushalts auf dem Spiele stehe. Delobelle war wie versteinert. Er glaubte das Geschäft schon in der Tasche zu haben, und sah nun den andern, seine Papiere in der Hand haltend, tief erregt mit großen Augen an.

»Nein,« wiederholte Risler ... »Ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen ... hören Sie, warum.«

Langsam, mit seiner gewöhnlichen Schwerfälligkeit setzte nun der brave Junge auseinander, daß er nicht reich sei. Obgleich er Associé eines bedeutenden Handlungshauses war, hatte er doch kein disponibles Vermögen. Georges und er erhoben jeden Monat eine bestimmte Summe aus der Kasse und theilten dann beim Jahresabschluß den Reingewinn. Seine Einrichtung hatte ihm viel, alle seine Ersparnisse, gekostet. Bis zur Bilanz waren noch vier Monate. Woher sollte er also die dreißigtausend Franken nehmen, die sofort zum Ankauf des Theaters nöthig waren? Und dann konnte ja auch das Unternehmen fehlschlagen.

»Das ist unmöglich ... Bibi ist ja da!«

Bei diesen Worten reckte der arme Bibi sich in die Höhe, aber Risler war fest entschlossen, und alle Vorstellungen Bibis scheiterten an der beständig wiederholten abweisenden Antwort: »Später, in zwei, drei Jahren vielleicht« ...

Der Schauspieler kämpfte lange, vertheidigte das Terrain Schritt um Schritt. Er machte den Vorschlag, den Kostenanschlag nochmals durchzuarbeiten. Vielleicht ließe sich die Sache zu einem billigern Preise einrichten ...

»Für mich würde es immer zu theuer sein,« unterbrach ihn Risler. »Mein Name gehört nicht mir, er bildet einen Theil der Firma. Ich habe nicht das Recht, ihn zu verpfänden. Denken Sie doch, wenn ich Bankerott machte!«

Seine Stimme zitterte, als er das Wort Bankerott aussprach.

»Aber es geht ja doch alles auf meinen Namen,« entgegnete Delobelle, der nicht an Aberglauben litt. Er bot alles auf, er rief die heiligen Interessen der Kunst zu Hilfe, er ging sogar so weit, von den kleinen Schauspielerinnen zu sprechen, deren herausfordernde Blicke – – –

Risler brach in ein lautes Gelächter aus.

»Gehen Sie doch, Sie Spaßvogel Sie ... Was schwatzen Sie denn da ... Sie vergessen, daß wir beide verheirathet sind, und sogar, daß es schon sehr spät ist und unsere Frauen auf uns warten ... Sie grollen mir nicht, nicht wahr? Verstehen Sie mich nur recht, ich gebe Ihnen keinen Korb ... Besuchen Sie mich nur nach der Bilanz – dann sprechen wir nochmals über die Angelegenheit ... Ah, da löscht eben Vater Achille sein Gas aus ... ich muß hinein. Adieu!«

Es war bereits ein Uhr vorbei, als der Schauspieler nach Hause kam.

Die beiden Frauen erwarteten ihn wie immer bei der Arbeit, aber in ungewöhnlicher, fieberhafter Aufregung. In jedem Augenblicke erzitterte die große Scheere, deren Mama Delobelle sich zum Schneiden der Messingdrähte bediente, in ganz eigenthümlicher Weise, und beim Anblick der kleinen Finger Désirées, die eben einen Putz anfertigte, bekam man fast den Schwindel, so schnell bewegten sie sich. Auch die langen Federn der Schmuckvögel, die vor ihr auf dem Tische lagen, schienen heute von größerem Glanze, von reicherem Colorit zu sein als an anderen Tagen. War doch heute Abend hier eine schöne Fee zu Gaste – die Hoffnung. Sie hatte sich die nicht geringe Mühe gemacht, auf einer düstern Treppe fünf Stockwerke hoch zu steigen und die Thür der kleinen Wohnung zu öffnen, um einen Lichtblick hineinzuwerfen. Und wieviel Enttäuschungen man auch im Leben erfahren haben mag, dieser magische Schimmer blendet uns immer wieder.

»O, wenn es doch dem Vater glückte!« ... sagte Mama Delobelle von Zeit zu Zeit, wie um eine Welt von freudigen Gedanken, in die ihre Träumerei sie versenkte, in einen einzigen Satz zusammenzufassen.

»Es wird ihm glücken, Mama, sei dessen sicher. Herr Risler ist so gut, für ihn stehe ich ein. Auch Sidonie liebt uns, obgleich sie seit ihrer Verheirathung ihre Freunde ein wenig zu vernachlässigen scheint. Man muß aber auch ihrer neuen Stellung Rechnung tragen ... Übrigens werde ich nie vergessen, was sie für mich gethan hat.«

Und bei der Erinnerung an das, was Sidonie für sie gethan hatte, arbeitete die kleine Lahme noch fieberhafter als zuvor. Ihre elektrisirten Finger bewegten sich mit doppelter Schnelligkeit. Es war gerade, als ob sie etwas Flüchtigem, Ungreifbarem nachflögen, dem Glück zum Beispiel oder der Liebe jemandes, von dem man nicht geliebt wird.

»Was hat sie denn für dich gethan?« hätte die Mutter fragen müssen, aber in diesem Augenblicke interessirte es sie nicht, was die Tochter sagte. Sie dachte nur an ihren großen Mann.

»Nicht wahr? Meinst du nicht auch, Kind? ... Wenn der Vater ein eigenes Theater hätte, wenn er wieder anfinge zu spielen wie früher! Du erinnerst dich dessen nicht mehr, du warst damals noch zu klein. Aber er erntete rasenden Beifall und wurde immer wieder herausgerufen. In Alençon überreichten ihm die Theaterabonnenten eines Abends einen goldenen Kranz ... Ach, wie gefeiert war er damals, und so heiter, so lebensfroh. Wer ihn jetzt sieht, erkennt ihn nicht mehr wieder, meinen armen Mann, so sehr hat das Unglück ihn verändert ... Aber ich bin überzeugt, es brauchte nur ein wenig Beifall, um ihn uns wieder jung und zufrieden zu machen ... Und dann verdient ein Director viel Geld. Der Director in Nantes hatte Equipage. Stell' dir einmal vor, wir in einer Equipage ... Aber denke doch nur! ... Besonders für dich würde das gut sein. Du könntest dann aus dem Hause, deinen Sessel ein wenig verlassen. Der Vater würde uns aufs Land führen. Du würdest Wasser sehen, Bäume, du, die sich so sehr danach sehnt.«

»O! Bäume« ... sagte erbebend die bleiche kleine Klausnerin ganz leise.

In diesem Augenblicke wurde die schwere Hausthür heftig zugeschlagen, und im Treppenhause widerhallte der gleichmäßige Schritt Herrn Delobelles. Es erfolgte ein Augenblick lautloser, athemloser Beängstigung. Die beiden Frauenzimmer wagten nicht einmal, sich anzusehen, und die große Scheere der Mutter zitterte so heftig, daß sie den Draht an unrechter Stelle zerschnitt.

Gewiß, den armen Teufel hatte soeben ein furchtbarer Schlag getroffen. Seine zerstörten Hoffnungen, die Schmach einer Abweisung, die Spöttereien der Kameraden, die Rechnung im Café, wo er während der ganzen Dauer seiner Direction auf Credit gefrühstückt hatte, und die er nun bezahlen mußte – das alles trat ihm jetzt vor Augen, als er in der Stille und dem Dunkel der Nacht die fünf Stockwerke hinaufstieg. Das Herz blutete ihm ... Und doch war die Komödiantennatur so mächtig in ihm, daß er auch bei diesem wahren, aufrichtigen Schmerze die herkömmliche tragische Maske vornehmen zu müssen glaubte.

Kaum eingetreten, blieb er stehen und musterte das Zimmer, den mit Arbeitsmaterial beladenen Tisch, das einfache Abendbrot, das in einer Ecke für ihn bereit stand, und die beiden theuren, beängstigten Gesichter, die mit glänzenden Augen zu ihm aufsahen, mit einem düstern Blick. Eine gute Minute lang sprach der Schauspieler kein Wort, und man weiß, wie unendlich lang auf der Bühne ein minutenlanges Schweigen erscheint. Dann that er drei Schritte vorwärts, sank auf einen niedrigen Stuhl neben dem Tische und sagte mit zischender Stimme:

»Ha, ich bin verdammt!«

Und gleichzeitig schlug er mit der Faust so furchtbar auf den Tisch, daß die Vögel und Käfer in alle vier Winkel des Zimmers flogen. Seine Frau sprang erschreckt auf und näherte sich ihm zagend, während Désirée mit dem Ausdruck nervöser Angst im Gesichte, der alle ihre Züge verzerrte, sich halb von ihrem Sessel erhob.

Gebrochen, besiegt, mit hängenden Armen und auf die Brust gesenktem Kopfe auf seinem Stuhle zusammengekauert, sprach der Schauspieler mit sich selber. Er hielt einen zerhackten, abgebrochenen, mit Seufzern und dramatischem Schluchzen vermischten Monolog voll Verwünschungen gegen die grausamen, egoistischen Spießbürger, diese Ungeheuer, denen der Künstler sein Fleisch und sein Blut hinopfert zum Fraße.

Dann ging er seine ganze Theaterlaufbahn durch, die Triumphe bei seinem ersten Auftreten, den goldenen Kranz der Abonnenten von Alençon, seine Verheirathung mit diesem »heiligen Weibe« – und dabei deutete er auf das arme Geschöpf, das, in Thränen gebadet, mit zitternden Lippen neben ihm stand und bei jedem Worte ihres Gatten greisenhaft mit dem Kopfe nickte.

Wahrhaftig, auch wer den berühmten Delobelle gar nicht kannte, hätte doch nach diesem langen Monologe seine ganze Lebensgeschichte mit allen Einzelheiten erzählen können. Er gedachte seiner Ankunft in Paris, seiner Mühen, seiner Entbehrungen ... Leider war er es nicht, der entbehrt hatte. Man brauchte nur sein breites, blühendes Gesicht mit den beiden langen, abgezehrten Frauengesichtern zu vergleichen. Aber der Schauspieler nahm es nicht so genau und fuhr fort, sich mit declamatorischen Phrasen zu berauschen.

»O!« rief er, »nach so vielen Kämpfen ... Zehn Jahre, fünfzehn Jahre ringe ich bereits, unterstützt von diesen treuen Wesen, von ihnen ernährt!«

»Papa, Papa, schweigen Sie doch« ... flehte Désirée mit gefalteten Händen.

»Ja, ja, von ihnen ernährt ... und ich erröthe deshalb nicht ... denn nur für die heilige Kunst nehme ich solche Opfer an ... Jetzt aber ist's zu viel. Man hat mich zu tief verletzt. Ich entsage.«

»O, mein Freund, was sagst du da?« rief Mama Delobelle und warf sich ihm um den Hals.

»Nein, laß mich ... Meine Kräfte sind erschöpft. Sie haben den Künstler in mir getödtet. Es ist zu Ende ... ich entsage der Bühne.«

Hättet ihr nun gesehen, wie die beiden Frauen ihn mit ihren Armen umschlangen, wie sie ihn baten, noch fortzukämpfen, wie sie ihm bewiesen, er habe gar nicht das Recht, auf die Bühne zu verzichten, ihr hättet euch der Thränen nicht erwehren können. Delobelle widerstand jedoch.

Endlich ergab er sich und versprach, noch einige Zeit auszuharren, weil sie es so wollten. Aber es waren flehentliche Bitten und Schmeicheleien nöthig gewesen, um ihn dahin zu bringen.

Eine Viertelstunde später saß der große Mann, den sein Monolog hungrig gemacht und der Erguß der Verzweiflung erleichtert hatte, an einer Ecke des Tisches und verzehrte mit gutem Appetite sein Abendbrot. Er verspürte von dem allen jetzt nur noch ein wenig Abspannung, gerade wie ein Schauspieler, der am Abend eine sehr lange und sehr leidenschaftliche Rolle gespielt hat.

In solchem Falle denkt der Schauspieler, der ein ganzes Theater gerührt und wahre Thränen auf der Bühne geweint hat, gar nicht mehr daran, sobald er einmal draußen ist. Mit seinem Costüm und seiner Perrücke läßt er auch seine innere Erregung in der Garderobe zurück, während die naivern und lebhafter ergriffenen Zuschauer mit rothen Augen und gepreßtem Herzen nach Hause zurückkehren, wo die Überreizung ihrer Nerven sie noch lange wach erhält.

Die kleine Désirée und Mama Delobelle schliefen in jener Nacht sehr wenig!


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