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Vierzehntes Kapitel.

So saßen einst – ein edler Blick! – die Söhne
Der alten Roma, während Roscius auftrat.

Cowper.

Der Tag war noch nicht weit vorgerückt, als alle Theilnehmer an dem großen Zuge auf dem Platze an gekommen waren. Bald darauf kündigte ein Tusch von Zinken die Annäherung der Oberbehörden. Zuerst kam der Landvogt, die ganze Würde seiner Stellung entfaltend und mit aufmerksamem aber heimlichen Blick jeden Ausdruck von Gesinnungen, deren Kenntniß seinen Vorgesetzten von Interesse sein konnte, scharf beachtend, während er äußerlich viele Theilnahme an dem Feste zeigte und sich den Thorheiten des Augenblicks hinzugeben schien; denn Peter Hofmeister verdankte seine langjährige Gunst bei der Bürgerschaft mehr einer nie schlummernden Beachtung ihrer ausschließlichen Interessen und ihres ungeschmälerten Uebergewichts, als irgend einer besondern Geschicklichkeit in der Kunst, die Leute behaglich und glücklich zu machen. Mit dem würdigen Landvogt – denn abgesehen von einer nicht zu bändigenden Entschlossenheit, das Ansehen seiner Gebieter aufrecht zu erhalten, werde daraus was da wolle, verdiente Herr Hofmeister den Namen eines würdigen Mannes – kam Roger von Blonay und sein Gast, der Freiherr von Willading, welche gleichen Schrittes an der Seite des Stellvertreters von Bern gingen. Man hätte wohl fragen können, in wie fern der Landvogt mit dieser Anordnung des schwierigen Punktes der Etiquette zufrieden war, denn er trat aus seinem eigenen Haus mit einer Art Seitenbewegung, durch welche er dem Signor Grimaldi fast gegenüber stand, obgleich sie ihn in den Stand setzte, seinen Weg zu wählen und alles umher genau zu beobachten. In keinem Falle hatte der Genueser, obgleich er offenbar eine untergeordnete Stellung einnahm, einen Grund, sich über eine Gleichgültigkeit gegen seine Person zu beschweren. Die meisten Bemerkungen, und nicht wenige der witzigen Ausfälle des ehrlichen Peter's, der einigen Ruhm als Witzbold und » bel esprit« hatte – wie es wohl der Fall bei ähnlichen Ortsobrigkeiten ist, vorzüglich wenn ihre Stelle unabhängig von denen ist, mit welchen sie verkehren, was aber vielleicht dann nicht der Fall ist, wenn ihr Rang von der Gunst des Volkes abhängt – waren an Signor Grimaldi gerichtet. Viele dieser schönen Sachen wurden in gleicher Münze zurückgegeben, da der Genueser die Artigkeiten wie ein Mann aufnahm, der gewöhnt ist, der Gegenstand besonderer Aufmerksamkeiten zu sein, und vielleicht wie jemand, der in der Freiheit von Förmlichkeiten und öffentlicher Beachtung, deren er sich jetzt zufällig erfreute, sich gütlich that. Adelheid schloß mit einem Fräulein aus dem Hause von Blonay den kleinen Zug.

Da die öffentlichen Diener den lobenswerthesten Eifer angewendet hatten, dem Landvogt Platz zu machen, so gelangte Herr Hofmeister mit seiner Gesellschaft bald zu den angewiesenen Sitzen, welche, wie wir kaum nöthig haben zu wiederholen, die obern Plätze auf der Bühne waren. Peter setzte sich, nachdem er zahlreiche Begrüßungen erwiedert hatte – denn niemand, auf den sein Blick fallen konnte, vernachlässigte eine so günstige Gelegenheit, seine genaue Bekanntschaft mit dem Landvogt an den Tag zu legen, – als sein umschweifender Blick auf das glückliche Gesicht des Vaters Xavier fiel. Der Landvogt erhob sich rasch und stattete dem Mönche eine Menge förmlicher Höflichkeiten ab, welche die Sitte jenes Ortes und jener Zeit auszeichneten, wie ein öfteres Lüften und Schwenken des Hutes, tiefe Bücklinge, ein Lächeln, das aus dem Herzen zu fließen schien, und vielfache andere Zeichen außerordentlicher Liebe und Achtung. Als alles abgethan war, nahm er seinen Platz an der Seite Melchior von Willading's wieder ein, mit welchem er ein vertrauliches Gespräch begann.

»Wir wissen nicht, Freiherr von Willading,« sagte er in der Sprache ihres gemeinschaftlichen Cantons, – »ob wir mehr Grund haben, diese Augustiner zu achten, oder sie mißfällig anzusehen. Während sie an den Reisenden auf ihrem Berge droben viele christliche Werke üben, sind sie eingefleischte Teufel dadurch, daß sie das Pabstthum und die Greuel desselben unter dem Volke aufrecht zu erhalten bemüht sind. Sieh, der große Haufe – Gott segne ihn, wie er es verdient! – ist nicht für belehrende Auseinandersetzungen und läßt sich leicht durch den Schein hinreißen. Eine zahllose Menge armer Tölpel glaubt, die Frömmigkeit, die sich begnügt, ihre Zeit auf dem Gipfel eines Schneebergs damit hinzubringen, daß sie Gutes thut, die Hungrigen speißt und die Wunden der Gefallenen verbindet, und – aber du weißt ja, wie man von diesen Dingen bei uns spricht – die unwissende Menge, wollte ich sagen, ist zu sehr geneigt zu glauben, die Religion, welche die Menschen veranlasse dies zu thun, müsse doch wohl einigen Beigeschmack vom Himmel an sich haben!«

»Haben sie so unrecht, Peter, daß es weise von uns wäre, die Mönche in dem Genuß einer Gunst zu stören, die so wohl verdient ist?«

Der Landvogt blickte seitwärts auf seinen Bruder Bürger, – denn dies war der schlichte Titel, welche die Aristokratie zu Bern annahm – und schien begierig, die Tiefe der politischen Grundsätze des Andern zu sondiren, ehe er freimüthiger spräche.

»Obgleich aus einem so geehrten und angesehenen Geschlechte, bist du doch, wie ich glaube, in der letzten Zeit nicht sehr gewöhnt, mit dem Rathe zu verkehren?« bemerkte er ausweichend.

»Seit dem schweren Verluste in meiner Familie, von dem du gehört haben wirst, war die Sorge für dieses einzige überlebende Kind mein einziger Trost und meine vorzüglichste Beschäftigung. Ich weiß nicht, ob der öftere und nahe Anblick des Todes bei denen, die ich so zärtlich liebte, mein Herz gegen die Augustiner sanfter gestimmt hat, aber ihr Leben scheint mir ein selbstverläugnendes und sehr würdiges Leben.«

»Es ist ohne Frage, wie du sagst, guter Melchior, und wir werden wohl thun, unsere Liebe zu den frommen Mönchen öffentlich kund zu thun. Höre, Diener – sei so gut und bitte den hochwürdigen Vater von St. Bernhard, uns näher zu rücken, damit das Volk die Achtung kennen lernt, in welcher ihre duldsame Menschenliebe und ihr nie zu ermüdendes Wohlwollen bei denen steht, die davon Kunde haben. Da du Gelegenheit haben wirst, Herr von Willading, eine Nacht unter dem Dache des Klosters hinzubringen, wenn du nach Italien gehst, so wird eine kleine Höflichkeit gegen den wackern und unverdrossenen Schlüsselmeister bei der geistlichen Gemeinde nicht verloren sein, sofern diese Mönche ja die Sitten ihrer Mitgeschöpfe gehörig würdigen können.«

Vater Xavier nahm den angebotenen Platz, welcher der Person des Landvogts näher als der, den er eben verließ, und daher auch ehrenvoller war, mit den gewöhnlichen Dankbezeigungen, aber mit einer Einfachheit an, welche darthat, daß ihm nicht entging, daß die Höflichkeit der Gemeinde, von welcher er ein Glied war, und nicht ihm selbst gebühre. Als diese kleine Anordnung getroffen und alle andere einleitenden Vorkehrungen gehörig beachtet waren, schien der Landvogt für den Augenblick mit sich und seinen Anstalten völlig zufrieden zu sein.

Der Leser denkt sich wohl das Getöse in dem Haufen, die Wichtigkeit der untern Bedienstigten, welche bestimmt waren den Zug anzuführen, und das Gemisch von Ungeduld und Neugierde, welche sich der Zuschauer bemächtigt hatte, während die verschiedenen Abtheilungen eines so ausgedehnten und großen Zuges, in ihre vorgeschriebene Ordnung und Reihenfolge eintreten sollten. Da aber die Feierlichkeiten, welche folgten, von einem eigenthümlichen Charakter waren, und mit den Begebenheiten unserer Erzählung in dem innigsten Zusammenhang stehen, werden wir sie einigermaßen im Einzelnen beschreiben, obgleich der Plan, den wir uns vorgesetzt haben, weniger der ist, Skizzen von örtlichen Sitten zu geben, und der Einbildungskraft des Lesers Scenen vorzuführen, welche eine ältere Zeit wirklich oder angeblich treu veranschaulichen, als der, eine Grundidee und eine gesunde Moral darzulegen, welche, wie wir uns stets schmeichelten, in höherem oder geringerem Grade aus unsern Darstellungen hervorgegangen sein dürfte.

Kurze Zeit vor dem Anfange der Feierlichkeiten hatte eine Ehrenwache, aus Schäfern, Gärtnern, Mähern, Schnittern und Winzern, von Hellebardieren begleitet und mit Musik an ihrer Spitze, den Platz verlassen, um den Abt, wie das regelmäßige und ständige Oberhaupt der Abtei, oder Gesellschaft genannt wird, abzuholen. Dieser Zug, in welchem jeder Einzelne die seinem Charakter angemessene Kleidung trug, erschien bald wieder mit dem genannten Oberhaupte, einem kräftigen und wohlhabenden Bürger und Gutsbesitzer, welcher, übrigens in der gewöhnlichen damaligen Kleidung jenes Standes, seinen Hut mit einer wallenden Feder geschmückt hatte, in der Hand einen Krummstab und um seine Schulter eine fliegende Schärpe trug. Diese Person, welcher während des Festes eine Art Gerichtsbarkeit übertragen war, nahm einen passenden Platz vor der Bühne ein, und gab den Dienern sofort ein Zeichen, ihre Obliegenheiten zu beginnen.

Zwölf Winzer, mit einem Führer an ihrer Spitze, alle mehr oder weniger mit Kränzen von Weinlaub und mit andern Sinnbildern ihres Berufes geschmückt, zogen auf, ein ländliches Lied singend. Sie geleiteten zwei Winzer, welche als die geschicktesten und fleißigsten Bebauer der Weingärten umher öffentlich erklärt worden waren. Als sie vor die Bühne kamen, hielt der Abt eine kurze Rede zu Ehren der Landbebauer im Allgemeinen, worauf er zu dem besondern Lobe der fleißigen Winzer überging – zwei zufriedene, verlegene, unbeholfene Landleute, welche die einfachen Preise mit klopfendem Herzen annahmen. Als inmitten der heitern und entzückten Blicke der Freunde und dem scheelen und unzufriedenen Blinzeln der Wenigen, deren Herz zu verschrumpft war, um sich, selbst bei diesem einfachen und schönen Feste, der Freude Anderer zu öffnen, die kleine Feierlichkeit vorüber war, klangen die Trompeten wieder, und man hörte den Ruf, Platz zu machen.

Ein Zug trat aus der Schaar der Schauspieler auf einen offenen, hinreichend großen und erhabenen Raum, unmittelbar vor der Bühne. Als sie vor die versammelte Menges kamen, reihten sie sich in vorgeschriebener und passender Ordnung. Es war das Gefolge des Bacchus. Der Oberpriester, in priesterlichem Gewande, mit fliegendem Bart, sein Haupt mit Weinlaub gekrönt, stand voran und sang ein Lied, zu Ehren der Weinbebauer. Sein Gesang enthielt auch einige passende Anspielungen auf die lächelnden, erröthenden Winzer. Die übrigen fielen im Chore ein, obgleich der Anführer der Schaar der Unterstützung anderer Lungen, als der, mit welcher ihn die Natur sehr reich ausgestattet hatte, kaum bedurfte.

Diesem Gesange folgte ein allgemeines Schmettern der Instrumental-Musik, und das Gefolge des Bacchus nahm seinen angewiesenen Platz wieder ein, worauf der ganze Zug sich in Bewegung setzte und um den weiten Raum sich so schwenkte, daß sie der Reihe nach vor dem Landvogt vorüber kamen.

Der erste Zug bestand aus den Rathsherrn der Abtei, begleitet von den Schäfern und Gärtnern. Der Anführer trug das alterthümliche Costüm, und hatte eine Hellebarde in der Hand. Er wird der Trabant der Gesellschaft genannt. Uebers. Ihm folgten die zwei gekrönten Winzer, nach welchen der Abt mit seinen Rathsherrn, Gruppen von Schäfern und Schäferinnen, und viele andere mit der Feldarbeit Beschäftigte beiderlei Geschlechts kamen, sämmtlich gekleidet, wie es die Ueberlieferungen ihrer verschiedenen Beschäftigungen forderten. Der Trabant und die Diener der Gesellschaft schritten langsam und mit dem ganzen Anstande und der Würde vorüber, welche ihrem Charakter angepaßt war; dann und wann hielten sie still, um denen, die folgten, Zeit zu lassen, sich anzuschließen; aber die andern Schauspieler begannen nun in Ernst ihre verschiedenen Rollen zu spielen. Eine Schaar junger Schäferinnen in eng anliegenden himmelblauen Miedern mit weißem Besatz, jede ihren Schäferstab in der Hand, kamen tanzend hervor und sangen Lieder, welche das Blöcken ihrer Heerden und alle andern auf den hohen Weideplätzen jenes Landes bekannten Töne nachahmten. Zu diesen gesellte sich bald eine gleiche Anzahl junger Hirten, welche gleichfalls ihre Alpenlieder sangen, so daß das Ganze eine belebte und heitere Gruppe von Tänzern darstellte, die gewöhnt waren, ihre Kunst auf dem Rasen der Alpen zu üben; denn obgleich wir die bei diesem Feste auftretenden Personen Schauspieler genannt haben, so ist dies doch nicht in dem wörtlichen Sinne zu nehmen, indem, mit wenigen Ausnahmen, niemand einen andern Beruf darzustellen schien, als den, welcher seine tägliche Beschäftigung ausmachte. Wir wollen, um die Erzählung nicht aufzuhalten, von dieser Schaar nur sagen, daß sie eine minder auffallende Ausnahme von dem gewöhnlichen Bilde war, welches man sich von Schäfern und Schäferinnen macht, als man dies fast immer in der Wirklichkeit findet; und daß ihre laute Heiterkeit, ihre blühenden Gesichter und ihre unermüdliche Thätigkeit eine gute, einleitende Vorbereitung zu dem Tanze war, der folgen sollte.

Die Gärtner erschienen in ihren Schürzen, Spaten, Rechen und anderes Gartengeräthe tragend; die Gärtnerinnen hatten Körbe auf den Köpfen, welche mit prächtigen Blumen, Kräutern und Früchten gefüllt waren. Als sie dem Landvogt gegenüber waren, bildeten die jungen Männer aus ihren verschiedenen Geräthschaften mit einer Schnelligkeit, welche von vieler Uebung zeugte, eine Art Fasces, während die Mädchen an deren Fuß ihre Körbe in einem Kreise reihten. Dann faßten sie sich an den Händen und die ganze Schaar wirbelte rundum und erfüllte die Luft mit einem diesen Beschäftigungen angepaßten Gesang.

Während aller Vorbereitungen des Morgens hatte Adelheid mit gedankenleerem Auge zugesehen, als hätten ihre Gefühle wenig Zusammenhang mit dem, was vor ihren Blicken sich begab. Es ist kaum nothwendig zu sagen, daß ihr Geist wider ihren Willen zu andern Scenen schweifte und ihre umschwärmenden Gedanken mit Gegenständen beschäftigte, welche von denen sehr verschieden waren, die hier ihren Sinnen dargeboten wurden. Zur Zeit aber, als die Gärtnergruppe sich tanzend weiter bewegte, fingen ihre Gefühle an, denen Theilnahme zuzuwenden, die an sich und allem umher so sichtbares Wohlgefallen hatten, und ihr Vater sah sich, zum ersten Mal an diesem Morgen, für die liebevolle Aufmerksamkeit, mit welcher er das Spiel ihrer Züge beachtet hatte, durch ein zärtliches und natürliches Lächeln belohnt.

»Das hebt sehr munter an, Herr Landvogt,« rief der Freiherr, durch das ermuthigende Lächeln erheitert, wie das Blut durch einen belebenden Strahl der Sonnenwärme rascher durch die Adern gejagt wird, wenn es lange durch Kälte erstarrt und ertödtet war. – »Das hebt mit einer freudigen Lust an und wird gewiß zur Ehre deiner Stadt endigen! Ich wundere mich nur, daß Ihr dergleichen nicht öfter habt, jeden Monat! Wenn man die Freude so wohlfeil haben kann, ist es knickerisch, sie einem Volke vorzuenthalten.«

»Wir tadeln diesen Tand nicht, edler von Willading, denn so ein Leichtsinn gibt einen nüchternen und pflichtgetreuen Unterthan ab; aber wir werden mehr dieser Art sehen, und von einer weit bessern Gattung, oder unsere Zeit wäre vergeudet. Was denkt man, edler Melchior, zu Bern von der Hoffnung des Kaisers, neue Zugeständnisse für eine Truppenaushebung in unsern Cantonen zu erhalten?«

»Verschone mich, gutes Peterchen; aber wenn es dir beliebt, wollen wir bei besserer Muße diese Gegenstände besprechen. Obgleich es deinen Augen, die so lange gewöhnt sind, Staatsgeschäfte zu sehen, kindisch scheint, muß ich doch bekennen, daß jene Thorheiten dort mich zu unterhalten angefangen und wohl eine müßige Stunde dessen in Anspruch nehmen dürfen, der nichts besseres zur Hand hat.«

Peter Hofmeister seufzte ein wenig nachdrücklich. Er prüfte nur Signor Grimaldi's Gesicht, welcher mit dem ganzen Wohlwollen und der Selbst-Hingebung eines Mannes von starkem Geiste, der sich seiner Kraft zu sehr bewußt ist, um wegen des Scheines in Sorgen zu sein, sich der Freude überlassen hatte. Wie Jemand, der sich getäuscht sieht, die Achseln zuckend, wandte der thätige Landvogt seine Blicke auf die Jubelnden, um, wenn möglich, einen Anstoß gegen die Gebräuche des Landes zu entdecken, der einen amtlichen Verweis nothwendig machen könnte; denn Peter gehörte zu der Klasse von Statthaltern, welche einen Drang haben, ihre Finger, selbst die Luft, welche von dem Volke eingeathmet wird, in Bewegung setzen zu sehen, damit es dieselbe nicht von einer Qualität und in einer Quantität erhält, die für ein ausschließliches Recht, das nach der jetzigen Sitte das erhaltende Prinzip genannt wird, gefährlich werden möchte. Mittlerweile schritten die Festlichkeiten fort.

Die Gärtner hatten die Bahn nicht sobald verlassen, als ein feierlicher und ernster Zug erschien, um den offenen Raum einzunehmen. Vier Mädchen, einen Altar tragend, der in antiker Form gearbeitet und mit passenden Sinnbildern verziert war, gingen voran. Sie waren ihrem Charakter gemäß gekleidet und hatten Blumenkränze in den Haaren. Knaben mit Rauchfässern schritten vor einem der Flora geweihten Altar her; die Hohepriesterin der Göttin, mit der Stirnbinde geschmückt und Blumen tragend, folgte dem Altar. Wie die übrigen Priesterinnen, denen sie voranschritt, war sie sorgfältig in die Gewänder gekleidet, die ihr heiliges Amt andeuteten. Die Göttin selbst saß auf einem von vier Mädchen getragenen Thron Diese Rollen der Göttinnen, so wie die des Bacchus werden von Kindern von 10-13 Jahren dargestellt. , der einen mit Blumen gezierten Baldachin hatte, und von dem an allen Seiten flatternde Blumenguirlanden jeder Farbe und Schattirung bis auf die Erde niederhingen. Mäher und Mäherinnen, munter und ländlich in ihrem Wesen und Anzug, folgten, und ein Wagen, schwer beladen mit dem duftenden Grase der Alpen, und von Mädchen mit Rechen begleitet, beschlossen den Zug.

Als der Altar und der Thron auf der Bahn niedergestellt waren, brachte die Priesterin das Opfer dar und sang mit einer Berg-Lunge das Lob der Göttin. Dann kam der Tanz der Mäher, wie bei dem ersten Zuge, und die Schaar entfernte sich, wie vorher.

»Ganz herrlich und treuer, als die wirklichen Heiden es hätten machen können,« rief der Landvogt, der trotz seiner amtlichen Gelüsten die Mummerei mit wohlgefälligem Auge zu betrachten schien. »Dies schmeckt stark nach unsern jugendlichen Thorheiten bei den Carnevals zu Genua und in der Lombardei, wo man, um die Wahrheit zu sagen, bei diesen Darstellungen alter Gottheiten seltene Niedlichkeiten zu sehen bekommt.«

»Ist es Sitte, Freund Hofmeister,« fragte der Freiherr, »sich dieser bewundernswerthen Ergötzlichkeiten oft hier in der Waadt zu erfreuen?«

»Wir haben sie von Zeit zu Zeit, wie die Gesellschaft es wünscht und in der Art, wie du siehst. Der ehrenwerthe Signor Grimaldi – der mir verzeihen möge, daß er nicht besser behandelt wird, als dies der Fall ist, und der nicht anstehen wird, das, was bei allen, die ihn kennen, sonst für nicht zu entschuldigende Vernachlässigung gelten würde, seinem eigenen Wunsche, unbekannt zu bleiben, zuzuschreiben – er wird uns, wenn es ihm belieben sollte, uns mit seiner wirklichen Meinung zu beehren, sagen, daß der Zweck dadurch nicht verliert, daß er Gelegenheit zu Lachen und Fröhlichkeit gibt. Da ist Genf, eine Stadt, die sich mit so feinen und verwickelten Spitzfindigkeiten befaßt, wie die Maschinerien ihrer Uhren. Dort ist keine Lustbarkeit ohne einen Zusatz von Wortstreit und Grübelei, zwei eben so verwerflichen Ingredienzien in der öffentlichen Lust, wie Spaltung in der Religion, oder zweierlei Sinne in einer Haushaltung. Es ist kein Schelm in jener Stadt, der sich nicht für besser als Calvin hält, und einige glauben, daß sie nicht Cardinäle wären, sei blos dem Umstande zuzuschreiben, daß die reformirte Kirche keine Freude an Beinen habe, die in einem rothen Gehäuse steckten. Bei dem Worte eines Landvogts! Ich möchte nicht der Beherrscher einer solchen Gemeinde sein und wenn ich die Hoffnung hätte, Schultheiß von Bern selbst zu werden. Hier ist es anders. Wir spielen unsere Possen in der Gestalt von Göttern und Göttinnen wie nüchterne Leute, und wenn alles vorüber ist, pflegen wir unsere Reben oder zählen unsere Heerden wie treue Unterthanen des großen Cantons. Stelle ich die Sache unsern Freunden richtig dar, Freiherr von Blonay?«

Roger von Blonay biß sich in die Lippe, denn er und die Seinigen gehörten seit tausend Jahren der Waadt an, und die Anspielung auf die ruhige Weise, in welcher seine Landsleute sich der aufgedrungenen und fremden Gewaltherrschaft fügten, hatte ihn nicht sehr erfreut. Durch eine kalte Verbeugung gab er jedoch sein Zustimmen zu des Landvogts Darstellung zu erkennen, als bedürfe es keiner fernern Antwort.

»Da kommen neue Feierlichkeiten, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen,« sagte Melchior von Willading, der hinreichende Kenntniß von den Ansichten seines Freundes hatte, um sein Stillschweigen zu verstehen.

Der nächste Zug, der nun herankam, bestand aus solchen, die sich mit der Sennerei beschäftigten. Zwei Kuhhirten führten ihre Thiere, und die einförmigen Töne ihrer schweren Glocken stimmten ergreifend und voll in die Musik ein, welche regelmäßig jeden Zug begleitete, während eine Schaar von Sennerinnen und jungen Aelplern aus der Klasse, welche die Heerden auf den Sommerweiden warten, folgte, und ein Wagen mit den Geräthschaften ihres Berufes den Beschluß machte. Die Ausrüstung dieses kleinen Zuges ließ nichts zu wünschen übrig. Die Sennen hatten den Melkstuhl Eigentlich Melchstuhl genannt, ein Stuhl mit einem Bein, worauf man beim Melken sitzt. angeschnallt; der eine trug den kleinen Milcheimer in der Hand, während der andere die Melchtere Hölzernes ovales Gefäß, mit einem Griff an der Mitte, um es zu tragen, in welches die Milch aus den kleinen Eimern geschüttet wird. auf seinem Rücken trug, in welcher die Milch die Abhänge auf und nieder in die Sennhütte gebracht wird. Als sie auf dem freien Platze ankamen, begannen die Küher ihre Kühe zu melken und die Mädchen ließen die verschiedenen Beschäftigungen der Sennerei sehen, während sich alle vereinigten, den Kuhreihen Der Schweizer-Ausdruck und auch der richtige, der »reihen« in der Schweiz »holen, heimholen« bedeutet, und durch deren Gesang die Kühe herbeigerufen werden. Uebers. der Gegend zu singen. Man glaubt allgemein, aber irrig, es gebe einen Gesang der unter diesem Namen in der ganzen Schweiz bekannt sei, während doch fast jeder Canton seinen eigenen Kuhreihen hat Selbst in den einzelnen Cantonen weichen Worte und Melodien oft sehr von einander ab. , welche alle in der Melodie, so wie in den Worten und selbst in der Sprache, kann man sagen, von einander verschieden sind. Der Ranz des Vaches Auch Ranz ist deutschschweizerisch und heißt der Ruf, der Schrei. Uebers. der Waadt ist in dem Patois des Landes, einer Mundart, die aus Wörtern griechischen und lateinischen Ursprungs, mit Celtischen gemischt, besteht. Unserm eigenen bekannten Liede ähnlich, das man uns zum Hohne zuschob, welches aber eine glorreiche Geschichte uns ermächtigte, beizubehalten, hat er zu viele Strophen, als daß wir sie wiederholen könnten. Wir wollen jedoch dem Leser eine einzelne Strophe aus einem Liede mittheilen, welches durch das Schweizer Gefühl so berühmt geworden ist und das den Bergbewohner in fremden Diensten verleiten soll, die Söldner-Fahne und die zahmen Scenen der Städte zu verlassen, um zu der prächtigen Natur zurückzukehren, welche seine wache Phantasie verfolgt und seine Träume verschönt. Man wird sogleich bemerken, daß die Macht dieses Gesanges vorzüglich in den Erinnerungen gesucht werden muß, welche er erweckt, indem er die einfachen Reize des ländlichen Lebens zurückruft und die unverlöschlichen Eindrücke wieder belebt, welche die Natur überall hervorbringt, wo sie ihre Hand mit derselben Majestät, wie in der Schweiz, auf das Antlitz der Erde legte.

Die Senner der Colombette Berg in der Waadt.
Sind fruh aufgestanden.

Chor.

Ha, ah! ha, ah!
Lioba! Lioba! Name einer Kuh. Deutsch: Lobe. um zu melken.
Kommt ihr alle,
Schwarze und weiße,
Rothe und gefleckte,
Junge und alte;
Unter dieser Eiche
Will ich euch melken,
Unter dieser Pappel
Laß ich (die Milch) gerinnen.
Lioba! Lioba! um zu melken.

Die Musik der Gebirge ist eigenthümlich und kühn, indem ihr wahrscheinlich die Größe der Natur ihren Charakter ausdrückte. Die meisten der sehr hoch gehenden und überschlagenden Töne haben Aehnlichkeit mit dem Wiederhall, wie ihn die Felsen in den Thälern zurückgeben, wenn die Stimme über ihre natürliche Höhe hinausgeht, um die Höhlen und wilden Klüfte unzugänglicher Jähen zu erreichen. Weisen, wie diese, erinnern augenblicklich an die Alpenthäler und an die Pracht, inmitten derer sie zuerst gehört wurden, und daher wird der Geist durch einen unwiderstehlichen Trieb veranlaßt, den stärksten aller Gefühle nachzugehen – denen, die mit den reinen und ungetrübten Freuden einer muntern Kindheit verbunden sind.

Die Käser und Sennerinnen hatten kaum die ersten Töne dieses magischen Liedes gesungen, als eine tiefe und athemlose Stille unter der Menge eintrat. Als die eigenthümlichen Töne des Chors die Ohren berührten, ließ sich ein murmelnder Wiederhall unter den Zuhörern vernehmen, und ehe die wilden Intonationen wiederholt werden, welche die Worte »Lioba! Lioba!« begleiten, erhoben sich gleichzeitig tausend Stimmen, gleichsam um die umliegenden Berge mit dem Jubel ihrer Kinder zu grüßen. Von jetzt an waren die übrigen Strophen des Kuhreihen ein allgemeiner Ausbruch der Begeisterung, jener natürlichen Glut entsprossen, welche ein so mächtiges Glied in der geselligen Kette bildet und im Stande ist, der Brust, welche in andern Hinsichten durch Laster und Verbrechen verhärtet ist, die reinsten Gefühle unserer Natur einzuflößen.

Der letzte Ton erstarb unter diesen allgemeinen Beweisen eines gesunden Gefühls. Die Sennen und Sennerinnen sammelten ihre verschiedenen Geräthschaften, und begannen ihren Zug bei dem schwermüthigen Klange der Glocken, welche einen schneidenden Contrast mit den wilden Tönen bildeten, die eben den Platz erfüllt hatten.

Nach diesen kam das Gefolge der Ceres mit dem Altar, die Priesterin und die auf ihrem Throne sitzende Göttin, wie es bei dem Aufzug der Flora beschrieben worden ist. Füllhörner schmückten den Thron der Göttin, und der Himmel war mit den Gaben der Erndte geziert. Eine Weitzengarbe deckte das Ganze. Sie hielt die Sichel statt des Scepters, und ein Kranz von bärtigen Aehren umschlang ihre Schläfe. Schnitter und Schnitterinnen mit den Sinnbildern der ergiebigen Jahreszeit folgten, und Aehrenleser beschlossen den Zug. Dann der Halt, der Gesang, der Chor und das Loblied zu Ehren der gütigen Erntegöttin, wie das Gefolge der Göttin der Blumen gethan hatte. Ein Tanz der Schnitter und Schnitterinnen, der Aehrenleser und Aehrenleserinnen folgte, die Drescher schwangen ihre Dreschflegel, und Alle zogen wieder weiter.

Nach diesen kam die große Fahne der Gesellschaft und die Winzer, denen eigentlich das Fest galt, folgten. Die Arbeiter des Frühjahrs schritten voran, die Männer ihre Grubeneisen Fossoirs. und Kärste, die Mädchen Korbe tragend, die abgelesenen Weinblätter hinein zu legen. Dann kam ein Zug mit Körben, welche mit Trauben in ihren verschiedenen Graden der Vollkommenheit und von jeder Farbenschattirung beladen waren. Nun erschienen Knaben, die auf langen Ställen kleine Nachbildungen der verschiedenen Geräthschaften, die man bei dem Bau und der Bereitung des Weines braucht, z. B. einen Winzer mit dem Faß auf seinem Rücken, die Butte und die Kelter, trugen. Eine Abtheilung von Männern, welche die Schmiede, auf der das Winzergeräthe verfertigt wird, brachten, Die sogenannte Esse des Vulkan. Uebers. schlossen diesen Theil des Schauspiels. Auch der Gesang und der Tanz folgten wieder, und der ganze Zug verschwand auf ein Zeichen, das von der herankommenden Musik des Bacchus gegeben wurde. Da wir nun auf den am sorgfältigsten vorbereiteten Theil des Festes kommen, benutzen wir den Zwischenraum, welcher zu dessen Einführung nöthig ist, um selbst Athem zu schöpfen.



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