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Sechstes Kapitel.

Mir war, als säh' ich tausend Schiffestrümmer,
Und tausend Menschen, angenagt von Fischen,
Goldklumpen, große Anker, Perlenhaufen,
Stein' ohne Preis, unschätzbare Juwelen,
Zerstreuet alles auf dem Grund des Meeres.

Richard III.

Das flatternde Zwielicht schwand nun allmählig und die Schatten des Abends sammelten sich dicht über dem tiefen Becken des Sees. Die Gestalt des Maso, der fortwährend auf seiner erhabenen Terrasse auf und niederschritt, zeichnete sich in düstern, bestimmten Umrissen an dem südlichen Himmel ab, wo noch die letzten schwachen Sonnenstrahlen zögerten, während die Gegenstände an den beiden Ufern bereits mit den gestaltlosen Massen der Berge zu verschwimmen anfingen. Da und dort tauchte ein blasser Stern auf, obgleich der größte Theil des Himmelsgewölbes, das sich über den beschränkten Gesichtskreis ausbreitete, von dunkeln Wolken verhüllt war. Einen Streifen matten, unnatürlichen Lichtes gewahrte man in jener Richtung, welche über den Rhone-Wiesen und fast in einer Linie mit dem Gipfel des Montblanc lag, von welchem man, obgleich er von diesem Theile des Sees nicht gesehen werden konnte, wußte, daß er hinter den Felsenwällen Savoyens sich erhob, wie ein König der Berge, in seiner Festung von Felsen und Eis verschanzt.

Der Wechsel, die späte Stunde, und die unerfreulichen Betrachtungen, welche das kurze Gespräch mit Balthasar zurückließ, erzeugte ein lebhaftes und allgemeines Verlangen, eine Fahrt enden zu sehen, die verdrießlich zu werden anfing. Die Gegenstände, welche vorher einen so großen und so reinen Genuß gewährten, wurden nun düster und drohend, und selbst die Erhabenheit des Maßstabs, in welchem die Natur hier ihre Elemente zusammengeworfen hatte, wurde eine fernere Quelle der Ungewißheit und der Unruhe. Diese feengleichen, sanft gezeichneten, natürlichen Arabesken, auf welchen der Blick vorher mit so vielem Entzücken ruhte, verwandelten sich jetzt in schaurige Klippen; welche über dem hülflosen Fahrzeug zu ragen schienen und auf eine unerfreuliche Weise an den wilden und ungastfreundlichen Charakter ihrer eisenfesten Unterlagen erinnerten, welche sich, wie man wußte, allen denen verderblich erwiesen, die gegen sie geschleudert wurden, während die Elemente im Aufruhr waren.

Diese Wechsel im Charakter der Scene, welche in vielfacher Hinsicht schlimme Vorzeichen abzugeben anfingen, beachteten alle auf dem Hintertheil des Schiffes mit Unbehaglichkeit, obwohl das sorglose Lachen, die rohen Scherze und das lärmende Geschrei, welche zuweilen auf dem Vorcastell laut wurden, hinreichend bewiesen, daß die unbekümmerten Leute, welche dort schalteten, sich noch den gemeinen, ihren Sitten am meisten zusagenden Ergötzlichkeiten überließen. Eine Person sah man jedoch dem Haufen sich entziehen und auf dem Güterhaufen Platz nehmen, als sei sein Geist mehr zum Nachdenken gestimmt und dem sinnlosen Gelärm minder hold, als die Mehrzahl derer, welche er eben verlassen hatte. Dies war der westphälische Gelehrte, welcher, der Unterhaltung müde, welche weit unter der Sphäre seiner Befähigung war, und durch den auffallenden Charakter des Sees und der Berge lebhaft erregt, sich zurückzog, um an seine ferne Heimath und die ihm theuersten Wesen unter einer Aufregung zu denken, welche jener krankhaften Empfindlichkeit angemessen war, die er lange Zeit durch spitzfindige metaphysische Studien genährt hatte. Bis jetzt hatte Maso, seinen erhabenen Platz beschreitend, sein Auge vorzüglich auf den Himmel in der Richtung des Montblanc gerichtet, es jedoch gelegentlich auf das bewegungslose Schiff wieder wendend; als der Gelehrte aber seinen Weg kreuzte, blieb er stehen und lächelte über das abgezogene Wesen und den starren Blick, mit welchem der Jüngling einen Stern betrachtete.

»Seid Ihr ein Sternkundiger, daß Ihr so genau auf jene glänzende Welt schaut?« fragte il Maledetto mit der Ueberlegenheit, welche der Seemann zu Wasser mit Erfolg über den unglücklichen Wicht von Landmenschen anzunehmen pflegt, der sein Unvermögen über das neue und gefährliche Element sehr leicht zugibt: »Selbst ein Sterndeuter könnte sie nicht ernster studiren.«

»Die Stunde ist zwischen mir und einem Wesen, das ich liebe, verabredet, um das unsichtbare Prinzip unserer Geister zu vereinigen, indem wir durch ihre Vermittlung mit einander verkehren.«

»Ich habe mir von solchen Verkehrsmitteln sagen lassen. Seht Ihr mittelst eines solchen Beistandes mehr, als Andere?«

»Ich sehe den Gegenstand, auf welchen in diesem Augenblicke freundliche, blaue Augen sich richten, die oft mit Liebe auf mich geschaut. Wenn man in einem fremden Lande und in einer gefahrvollen Lage ist, hat eine solche Vereinigung ihre Freuden.«

Maso legte seine Hand auf die Schulter des Gelehrten, welche er mit der Kraft eines Schraubstocks drückte.

»Ihr habt recht,« sagte er finster: »haltet fest an Euern Freundschaften und wenn Euch jemand liebt, so festigt die Bande durch alle mögliche Mittel. Niemand kennt den Fluch, in diesem selbstischen und grausamen Kampfe der Interessen einsam zu stehen, besser als ich! Schämt Euch Eures Sternes nicht, sondern blickt auf ihn, bis die Augennerven reißen. Seht die glanzhellen Augen des Wesens das Euch liebt, in seinem Funkeln, ihre Treue in seinem Strahl, und ihre Trauer in seiner Blässe; verliert die glücklichen Augenblicke nicht, denn bald wird ein dunkler Vorhang seinen Anblick verhüllen.«

Der Westphale staunte über die auffallende Kraft so wie über die Poesie des Seemannes und mißtraute der deutlichen Anspielung auf die Wolken, welche wirklich das Gewölbe über ihren Häuptern fast bedeckten.

»Gefällt Euch die Nacht?« fragte er, sich zweifelhaft von seinem Sterne wendend.

»Sie könnte schöner sein. Dies ist ein wildes Land und solche kalten Schweizerseen werden manchmal für das stärkste Matrosenherz zu heiß. Seht auf Euern Stern, junger Mann, so lange Ihr könnt, und denkt an das Mädchen, das Ihr liebt, und an alle ihre Huld; wir sind auf einem tollen Wasser und man sollte angenehme Gedanken nicht leichthin wegwerfen.«

Maso ging weg und ließ den Gelehrten beunruhigt, unbehaglich, er wußte selbst nicht warum, und doch mit kindischem Eifer an den kleinen Lichtkörper gefesselt, den man dann und wann noch durch Massen von Dunst brechen sah. In diesem Augenblick hörte man auf dem Vorcastell den Jubel gedankenloser, lärmender Heiterkeit.

Il Maledetto blieb nicht länger auf den Kisten, sondern überließ diese dem neuen Inhaber und ging zu der schweigenden, gedankenvollen Gesellschaft herab, welche im Besitze des freien Raumes in der Nähe des Steuers war. Es war so dunkel, daß eine kleine Aufmerksamkeit nöthig war, um selbst in unbedeutender Entfernung die Gesichter zu unterscheiden. Indem er sich aber unter diesen vornehmen Personen mit großer Unbefangenheit und anscheinender Kaltblütigkeit hin und her bewegte, gelang es ihm, an die Seite des Genuesers und des Mönchs zu kommen. »Signore,« sagte er auf Italienisch, und zog vor dem erstern seine Mütze mit derselben aufmerksamen Achtung wie vorher ab, obgleich es offenbar nicht leicht war, ihm die Ehrerbietung einzuflößen, welche der Niedrige gewöhnlich gegen den Vornehmen empfindet, – »das Ende unserer Reise, welche unter so günstigen Anzeichen begann, dürfte sich leicht unglücklich gestalten. Ich wünschte, Eure Excellenz und die ganze edle und schöne Gesellschaft wäre glücklich zu Vevay gelandet.«

»Glaubst du, wir hätten etwas anderes als Verzögerung zu fürchten?«

»Signore, des Seemanns Leben ist ein wechselvolles Leben; jetzt schwimmt er in trägerm stillen Winde, und dann wird er zwischen Himmel und Erde umhergeschleudert, so daß das stärkste Herz erkrankt. Meine Kenntniß von diesen Wassern ist nicht groß, aber es lassen sich Zeichen an dem Himmel gewahren, dort über der Kuppe in der Richtung des Montblanc, welche mich beunruhigen würden, wäre dies hier unser blaues, aber verrätherisches Mittelmeer.«

»Was haltet Ihr davon, Vater? Ein langer Aufenthalt in den Alpen muß Euch mit ihren Stürmen einigermaßen bekannt gemacht haben!«

Seit der Unterhaltung mit Balthasar war der Augustiner ernst und gedankenvoll geworden. Auch ihn hatten die Vorzeichen beunruhigt, und da er lange gewohnt war, die Veränderungen des Wetters in einer Gegend zu beobachten, wo die Natur ihren Willen manchmal in einer Weise geltend macht, welche der Größe der Gebirge angemessen ist, flüchteten seine Gedanken ängstlich zu der Behaglichkeit und Sicherheit eines jener gastfreien Dächer in der Stadt, wohin sein Weg führte, und welche stets bereit waren, zur Vergeltung für die Dienste und Selbstverläugnung seiner Brüderschaft den Schlüsselmeister des St. Bernhard-Klosters aufzunehmen.

»Wohl wünschte ich mit Maso, uns glücklich gelandet zu sehen,« erwiederte der gute Geistliche; – »die große Hitze, welche ein Tag wie dieser in unsern Thälern und auf den Seen erzeugt, erschlafft die Substrata, oder die Grundlagen der Luft so, daß die kalten Massen, welche sich um die Gletscher sammeln, zuweilen wie Lawinen von ihren Höhen herabkommen, um die Leere auszufüllen. Die Erschütterung ist furchtbar, selbst für den, welchen sie in den Schluchten und zwischen den Felsen trifft, aber der Sturz einer solchen Luftsäule auf einen unserer Seen muß gewiß schrecklich sein.«

»Und Ihr glaubt, uns bedrohe jetzt eine solche Erscheinung?«

»Ich weiß es nicht, aber ich wollte, wir wären unter Dach! Dieses unnatürliche Licht oben, und diese tiefe Ruhe unten, welche mehr als eine gewöhnliche Windstille ist, haben mich bereits gezwungen, zu meinem Gebete zu flüchten.«

»Der hochwürdige Augustiner redet wie ein Büchermensch, und wie jemand, der in seinem Bergkloster droben seine Zeit mit Studiren und Nachdenken verbracht hat,« versetzte Maso, »während die Gründe, die ich anzuführen habe, mehr nach der Erfahrung des Seemannes schmecken werden. Einer Stille, wie diese ist, wird früher oder später eine Erschütterung der Atmosphäre folgen. Das Ausbleiben der Landkühlte, auf welche Baptist so sicher zählte, gefällt mir nicht; nehme ich diesen Umstand zu den Zeichen jenes rothen Himmels, so dürfen wir erwarten, daß an die Stelle dieser ungewöhnlichen Ruhe bald ein heftiger Kampf der Winde treten wird. Auch Nettuno, mein treuer Hund, hat durch die Art, wie er die Luft schnüffelt, angedeutet, daß wir die Nacht nicht in diesem bewegungslosen Zustande hinbringen werden.«

»Ich hatte gehofft, früher ruhig in unserm Hafen zu sein. Was bedeutet jenes helle Licht? Ist es ein Stern des Himmels, oder erscheint es blos an der Seite jenes hohen Berges?«

»Da glänzt der alte Roger von Blonay!« rief der Freiherr freudig: »er weiß, daß wir auf dem Schiffe sind und hat seine Feuerbecken erhellt, damit wir nach seinem Lichte steuern.«

Die Vermuthung schien wahrscheinlich, denn das Schloß von Blonay, an dem Schooß des Berges, welcher Vevay nordöstlich schützt, gelegen, war vor dem Einbruche des Abends vollkommen sichtbar. Es war der Gegenstand der Bewunderung gewesen, ein ungemein freundlicher Punkt in einer an Dörfern und Schlössern so reichen Gegend, und Adelheid hatte es Sigismund als das unmittelbare Ziel ihrer Reise gezeigt. Da der Herr von Blonay von dem beabsichtigten Besuche benachrichtigt war, so war nichts wahrscheinlicher, als daß er, ein alter und bewährter Freund Melchiors von Willading, ein solches Zeichen der Ungeduld geben werde, theils aus Artigkeit gegen die, welche er erwartete, und theils als Signal, welches denen wirklich nützlich werden konnte, die in einer mit so schauriger Dunkelheit drohenden Nacht den Leman beschifften.

Der Signor Grimaldi erachtete mit Recht die Umstände für sehr ernst und, seinen Freund und Sigismund zu sich rufend, theilte er ihnen die Besorgnisse Maso's und des Mönchs mit. Ein wackerer Mann als Melchior von Willading lebte nicht in der ganzen Schweiz, aber er hörte die düstern Prophezeihungen des Genuesers nicht, ohne an jedem Gliede zu zittern.

»Mein armes, schwaches Kind!« sagte er, sich der Zärtlichkeit eines Vaters überlassend: »was wird aus dieser zarten Pflanze werden, wenn sie in einem offenen Fahrzeuge einem Sturme ausgesetzt wird?«

»Sie wird bei ihrem Vater und bei den Freunden ihres Vaters sein,« antwortete die Jungfrau selbst; denn der kleine Raum, auf welchen sie natürlich beschränkt waren, und der plötzliche Ausbruch der Gefühle des Vaters, welcher die Vorsicht nicht gebraucht hatte, seine Stimme zu dämpfen, hatte sie mit dem Grund der Unruhe bekannt gemacht. – »Ich habe genug von dem gehört, was der gute Vater Xavier und dieser Seemann sagten, um zu wissen, daß wir in einer Lage sind, welche besser sein könnte; aber bin ich nicht bei bewährten Freunden? Ich weiß ja bereits, was Herr Sigismund für die Erhaltung meines Lebens thun kann und, was auch kommen mag, wir haben alle einen gütigen Schirmen in Dem, der niemanden von uns zu Grunde gehen lassen wird, ohne zu gedenken, das wir seine Kinder sind.«

»Dieses Mädchen beschämt uns alle,« sagte der Signor Grimaldi; »aber es trifft sich oft, daß diese schwachen Wesen, als die Stärksten und Edelsten, in Augenblicken sich erheben, wo der stolzere Mann zu verzweifeln anfängt. Sie setzen ihr Vertrauen auf Gott, der eine Stütze ist für die selbst, welche noch schwächer sind, als unsere holde Adelheid. Aber wir wollen diese Gründe der Besorgniß nicht übertreiben, welche vielleicht doch noch, wie viele andere drohende Gefahren, vorübergehen und uns Stunden des Glückes und der Freude lassen werden für die wenigen Minuten der Angst.«

»Sagt vielmehr, des Gebetes,« bemerkte der Schlüsselmeister, – »denn der Anblick des Himmels wird allmählig furchtbar feierlich. Du, der du ein Seemann bist – weißt du keinen Rath?«

»Wir haben das einfache Hülfsmittel unserer Streichen, Vater; nachdem wir es aber so lange vernachlässigt haben, sie zu brauchen, ist es nun zu spät, zu ihnen unsere Zuflucht zu nehmen. Bei dem bis zum Saum des Wassers beladenen Fahrzeuge könnten wir durch sie Vevay nicht erreichen, ehe die Nacht wechselt, und wenn das Wasser einmal tüchtig in Bewegung ist, sind sie uns von gar keinem Nutzen mehr.«

»Aber wir haben unsere Segel,« fiel der Genueser ein: »diese wenigstens werden uns gute Dienste thun, wenn der Wind eintritt.«

Maso schüttelte den Kopf, antwortete aber nicht. Nach einer kurzen Pause, während welcher er den Himmel noch sorgfältiger zu beobachten schien, ging er zu dem Platze, wo der Schiffsherr noch im Schlafe lag, und schüttelte ihn gewaltig – »Ho! Baptista! Wacht auf! Hier bedarf's Eures Raths und Eurer Befehle.«

Der schläfrige Rheder rieb sich die Augen, und kam langsam zu sich.

»Ich fühle keinen Windhauch,« murmelte er, – »warum weckt Ihr mich, Maso? Wer gelebt hat, wie Ihr, sollte wissen, das der Schlaf denen, die sich abmühen, unschätzbar ist.«

»Ja, diesen Vortheil haben sie über die Ueppigen und Müßigen. Seht den Himmel an, Mensch, und sagt uns, was Ihr von seinem Aussehen haltet. Ist Euer Winkelried stark genug, einen Sturm auszuhalten, wie der, dem wir begegnen dürften?«

»Ihr sprecht wie ein thörichtes Weibsen, das durch das Flattern seines Federviehs erschreckt worden ist. Der See war nie ruhiger und das Fahrzeug nie sicherer.«

»Seht Ihr jenes helle Licht? dort, über dem Thurm der Kirche von Vevay?«

»Ja, es ist ein prächtiger Stern! und ein günstiges Zeichen für den Schiffer!«

»Thor, es ist eine rothe Flamme in dem Feuerbecken Roger's von Blonay. Sie fangen an zu sehen, daß uns Gefahr droht, und stecken die Signale aus, um uns zu erinnern, thätig zu sein. Sie glauben, wir nähmen uns wie wackere Männer zusammen, wie Leute, die an das Wasser gewöhnt sind, während wir freilich so sorglos sind, als wär' unser Fahrzeug ein Fels, der des Lemans und seiner Wogen spotten kann. Der Mann ist betäubt,« sagte er, sich von ihm weg zu den Umstehenden wendend: »er will nicht sehen, was bald allen Andern im Schiffe nur allzu deutlich werden wird.«

Ein zweites müßiges und allgemeines Gelächter erschallte von dem Vorcastell, um Maso's Ansicht zu widerlegen und zu beweisen, wie leicht der Unwissende in Sicherheit fortlebt, selbst wenn er an dem Rande des Verderbens steht. Dies war der Augenblick, wo die Natur das erste jener Signale gab, für die der Verstand des großen Haufens empfänglich ist. Das ganze Gewölbe des Himmels war jetzt verschleiert, mit Ausnahme des öfter genannten Flecks, der fast über der schäumenden Rhone lag. Diese feurige Oeffnung glich einem Fenster, das schreckende Blicke in die schauderhaften Vorbereitungen thun ließ, welche um die höhern Gipfel der Alpen statt fanden. Ein Strahl rothen, zuckenden Lichtes schoß heraus und ein fernes, rollendes Rauschen, das kein Donnern war, sondern eher der Schwenkung von tausend Schwadronen ins Glied glich, folgte dem Strahle. Das Vorcastell war plötzlich verlassen, und der Güterhügel war wieder von zusammengeschmiegten menschlichen Formen besetzt. Gerade jetzt erhob das Fahrzeug, das so lange in dem Zustande vollkommner Ruhe geblieben: war, seinen Bug Die Seiten des Vordertheils des Schiffes. , als arbeite es unter seiner großen und ungewöhnlichen Last, während eine langsame Woge unter seiner ganzen Länge hinging, die ganze Masse, Fuß um Fuß, hebend und am Spiegel verlassend, um sich an den Ufern der Waadt zu brechen.

»Es ist Wahnsinn, die kostbaren Augenblicke länger zu vergeuden,« sagte Maso, bei welchem dieser klare und verständliche Wink nicht verloren war, eilig. – »Signori, wir müssen keck und rasch sein, sonst werden wir unvorbereitet von dem Sturme überfallen. Ich spreche nicht für mich, denn durch die Hülfe dieses treuen Hundes und von meinem eigenen Arm begünstigt, bleibt mir das Ufer immer gewiß. Aber es ist jemand in dem Schiffe, den ich zu retten wünschte, wenn es auch einige Gefahr für mich hätte. Baptista ist von der Furcht gelähmt, und wir müssen für uns selbst handeln oder zu Grunde gehen.«

»Was willst du?« fragte Signor Grimaldi; »sollte er, der die Gefahr verkündigt, ein Mittel kennen, sie abzuwenden?«

»Wäre man früher an das Werk gegangen, so hätten die gewöhnlichen Mittel ausgereicht; aber wir haben, gleich denen, die in ihren Sünden sterben, die köstlichsten Minuten thöricht vergeudet. Wir müssen das Fahrzeug leichter machen, und wenn es auch seine ganze Ladung kostet.«

Ein Schrei von Nikolaus Wagner verkündigte, daß der Geist des Geizes in seiner Brust noch so thätig war, wie immer. Selbst Baptist, der unter den auffallenden Vorzeichen, welche sich jetzt selbst ihm bemerklich gemacht hatten, allen seinen Eigensinn und seine Neigung, den Befehlshaber zu spielen, verloren hatte, stimmte heftig gegen solche Vergeudung des Eigenthums. Gar selten findet ein rascher und äußerster Vorschlag, wie der des Maso, ein schnelles Echo in den Urtheilen derer, welchen die Nothwendigkeit unvorbereitet dargelegt wird. Die Gefahr schien nicht hinreichend drohend, um zu einem entschiedenen Mittel seine Zuflucht zu nehmen, und, obgleich bangend und erschreckt, waren die Gemüther derer, welche den bedrohten Waarenhaufen inne hatten, eher in einem Zustande der Unbehaglichkeit, als der wilden Aufregung, zu welchem sie so leicht gebracht werden konnten, und zu dem es gewissermaßen nöthig war, selbst sie, die arm und mittellos waren, zu reizen, um sie eine so große Vernichtung des Eigenthums bewirken zu helfen. Der Plan des kalten und berechnenden Maso würde daher gänzlich gescheitert sein, ohne eine zweite Schwenkung jener lustigen Schwadronen und eine neue Woge, welche das ächzende Fahrzeug empor hob, bis seine lockeren Raan sich knarrend über ihren Häuptern schwangen. Auch das Segeltuch schlug in der Dunkelheit an, wie ein großer Raubvogel seine Flügel dehnt, ehe er auffliegt.

»Heiliger und gerechter Beherrscher des Landes und der Wasser,« rief der Augustiner aus, »gedenke deiner reumüthigen Kinder, und nimm uns, in dieser schrecklichen Stunde, in deinen allmächtigen Schutz!«

»Die Winde sind hernieder gekommen, und selbst der stumme See gibt uns das Zeichen, uns fertig zu halten« rief Maso. »Ueber Bord mit der Ladung, wenn ihr euer Leben liebt!«

Ein rascher, schwerer Fall in das Wasser bewies, daß der Seemann Ernst machte. Trotz der hehren und furchtbaren Zeichen, von welchen man umgeben war, dachte doch jeder Einzelne aus der namenlosen Schaar an den Pack, welcher seine spärlichen weltlichen Habe enthielt, und die Bewegung, wodurch dieselbe gesichert werden sollte, war allgemein und rasch. Da Jeder seine Absicht glücklich erreicht sah, ließ er sich durch jene Gemeinschaftlichkeit des Gefühls hinreißen, wodurch die Menge beherrscht wird. Man glaubte, der gemeinsame Anlauf habe zum Zweck, Maso zu helfen, obgleich Jeder heimlich die Unrichtigkeit dieses Glaubens in Betreff seiner selbst kannte. Kiste um Kiste begann nun in das Wasser zu stürzen, so wie neue und eifrige Hände sich bei der Arbeit einfanden. Die Anregung theilte sich rasch unter Allen mit, und selbst der junge Sigismund war bei dem Werke thätig. Von solchen leichten Zufällen hängen die wichtigsten Erfolge ab, sobald die heißen Impulse, welche die Masse beherrschen, die Oberhand gewinnen.

Es ist nicht anzunehmen, daß Baptist und Nikolaus Wagner die Vernichtung ihrer vereinigten Habe mit gänzlicher Gleichgültigkeit angesehen hätten. Weit davon entfernt, wandte jeder alle möglichen Mittel an, sie durch Wort und That zu hindern. Der Eine wollte die Gesetze in Anspruch nehmen – der Andere drohte Maso mit gebührender Strafe für seinen Eingriff in die Rechte und Pflichten des Schiffsherrn; aber ihre Drohungen verhallten vor unaufmerksamen Ohren. Maso wußte, daß seine Lage ihn der Verantwortlichkeit überhob, denn es war nicht leicht, ihn der Obrigkeit in die Hände zu liefern; die Andern betreffend, so waren die Meisten bei weitem zu arm, um große Noth wegen eines Ersatzes zu fühlen, der, wenn er Jemanden heimfiel, wahrscheinlich denen zur Last kam, welche im Stande waren, ihn zu leisten. Sigismund allein war unter dem Gefühle seiner Verbindlichkeiten thätig; aber er arbeitete für Eine, die ihm theurer war als Gold, und es lag ihm wenig an andern Folgen als denen, welche das köstliche Leben der Adelheid von Willading bedrohen konnten.

Die schmalen Päcke der Mehrzahl der Reisenden waren mit einer Art gedankenlosen Instinctes, mit dem wir für unsere Glieder sorgen, wenn Gefahr droht, an einen sichern Platz gebracht worden. Diese zeitige Vorsicht gestattete Jedem mit einem Eifer zu arbeiten, der durch kein persönliches Interesse gestört ward, und die Wirkung war verhältnismäßig. Hundert Hände waren geschäftig, und fast eben so viele klopfende Herzen harrten sehnlich des Endes dieser wichtigen Maßregel.

Baptist und seine Leute hatten, von den Hafen-Arbeitern unterstützt, einen ganzen Tag damit zugebracht, jenen Haufen auf dem Verdeck des Winkelried aufzuschichten, welcher nun mit einer Raschheit, die mit Zauberei im Bunde schien, auseinander fiel. Der Schiffsherr und Nikolaus Wagner schrien sich heiser, nutzlose Drohungen und Verwünschungen ausstoßend; denn die an dem Werke der Zerstörung Thätigen hatten jetzt einen Trieb erhalten, wie ihn wohl der Stein durch das wachsende Moment seines Falles gewinnt. Päcke, Kisten, Ballen und Alles, was ihnen in die Hände fiel, wurde wahnwitzig und ohne daß man an etwas Anderes als an die Erleichterung des ächzenden Fahrzeuges dachte, in das Wasser geworfen. Auch die Erregung des Sees wuchs regelmäßig, Welle folgte auf Welle, so daß dadurch ein starkes Stampfen des Fahrzeugs entstand, das mit der kommenden Woge sich hob und mit der scheidenden sank. Endlich verkündigte ein lauter Ruf, daß man bei einem Theil des Güterhaufens den Boden erreicht habe.

Die Arbeit schritt nun mit größerer Sicherheit für die damit Beschäftigten fort; denn bisher hatte die Bewegung des Fahrzeugs und die Unsicherheit des Auftretens in der Dunkelheit und Verwirrung ihre Lage im höchsten Grade gefährlich gemacht. Maso gab jetzt seine thätige Mithülfe bei der Arbeit auf; denn er sah nicht sobald die Andern rüstig und eifrig bei dem Unternehmen zur Hand, als er seine persönlichen Anstrengungen einstellte, um die Anleitungen zu geben, welche, da sie von Einem herrührten, der an das Geschäft gewöhnt war, bei weitem schätzbarer waren, als irgend ein Dienst, den ein einzelner Arm leisten konnte.

»Ich kenne Euch, Signor Maso,« sagte Baptist, heiser von den fruchtlosen Anstrengungen, dem Strom Einhalt zu thun, »und Ihr sollt, sobald wir den Hafen von Vevay erreicht haben, dieses und andere Eurer Verbrechen verantworten!«

»Thor! Ihr würdet Euch und alle Andern durch die Beschränktheit Eures Geistes in einen Hafen führen, aus welchem Niemand, wenn er einmal eingelaufen ist, wieder ausfährt.«

»Ihr Beide theilt die Schuld,« fiel Nikolaus Wagner ein; – »Ihr seid nicht minder zu tadeln, Baptist, als diese Tollköpfe. Hättet Ihr den Hafen in der Stunde verlassen, welche in unserm Vertrage genannt ist, so wäre diese Gefahr nicht über uns gekommen.«

»Bin ich ein Gott, der den Winden gebieten kann? Ich wollte, ich hätte Euch und Eure Käse nie gesehn, oder Ihr überhöbt mich Eurer Gegenwart und folget ihnen in den See.«

»Das kömmt davon, wenn man im Dienste schläft; ja, es ist möglich, daß die gehörige Anwendung der Ruder uns noch sicher und ohne nothwendigen Nachtheil für unser Aller Eigenthum in den Hafen brächte. Edler Freiherr von Willading, Euer Zeugniß dürfte hier in Anspruch genommen werden und ich bitte Euch, auf die Umstände ein sorgfältiges Auge zu werfen.«

Baptist war nicht aufgelegt, diese wohlverdienten Vorwürfe zu ertragen, und er antwortete dem schwer bedrängten Nikolaus in einer Weise, welche ihren unzeitigen Streit rasch zu Ende gebracht hätte, wäre Maso nicht rauh zwischen sie getreten, sie mit der Kraft eines Riesen auseinander schleudernd. Dieses Einschreiten stellte den Frieden für den Augenblick her, aber der Wortkampf wurde mit solcher Bitterkeit und mit so vielen angemessenen Ausdrücken fortgesetzt, daß Adelheid und ihre Frauen, blaß und schreckenstarr von dem sie umgebenden Auftritt, ihre Ohren gern verschlossen, um, Ausdrücke solcher Bitterkeit und Bedrohung, daß sie das Blut gerinnen machten, nicht zu hören. Als Maso die Streitenden getrennt hatte, ging er zu den Arbeitern. Mit vollkommener Selbstbeherrschung gab er seine Befehle, obgleich sein geübter Blick gewahrte, daß er, statt die Gefahr zu vergrößern, ihre Ausdehnung selbst nicht völlig geahnt hatte. Die Wellen rollten nun ohne Unterbrechung daher, und das rasche, spülende Anrauschen des Wassers, ein dem Seemanne bekannter Ton, kündigte an, daß sie so stark geworden waren, daß ihre Spitzen sich brachen, ihren leichtern Schaum recht von vorne verspritzend. Es zeigte sich auch, daß ihre Lage von denen am Ufer verstanden worden war. Längs des Ufers um Vevay flammten Lichter auf und es war selbst in der Entfernung, in welcher sie waren, nicht schwer, die Beweise einer lebhaften Theilnahme der Stadtbewohner zu entdecken.

»Ich zweifle nicht, daß wir gesehen worden sind,« sagte Melchior von Willading, »und daß unsere Freunde thätig sind, Mittel zu unserm Beistande ausfindig zu machen. Roger von Blonay ist der Mann nicht, der uns, ohne alles aufzubieten, zu Grunde gehen läßt, und auch der würdige Landvogt, Peter Hofmeister, wird nicht müßig sein, da er weiß, daß einer seiner Landsleute und ein alter Schulfreund seines Beistandes bedarf.«

»Niemand kann zu uns gelangen, ohne sich derselben Gefahr, in welcher wir sind, auszusetzen,« antwortete der Genueser. »Es wäre besser, wenn wir unseren eigenen Kräften überlassen blieben. Mir gefällt die Kaltblütigkeit dieses unbekannten Seemanns und ich setze mein Vertrauen auf Gott!«

Ein neuer Ruf verkündigte, daß auch auf der andern Seite des Fahrzeugs das Deck erreicht war. Der größte Theil der Deckladung war jetzt unwiderbringlich verschwunden, und die Bewegung des erleichterten Schiffes wurde lebendiger und gesünder. Maso rief einige aus der Schiffsmannschaft zu sich und sie rollten das Segeltuch, in der der lateinischen Takelage eigenen Weise miteinander aus, denn ein warmer Lufthauch, überhaupt der erste, der seit mehren Stunden fühlbar geworden war, strich recht von der Quere des Fahrzeugs. Dieses Geschäft wurde vollbracht, wie das Segeltuch bekanntlich im Nothfall beschlagen wird, aber es wurde sicher vollbracht. Maso begab sich jetzt wieder zu den Arbeitern, sie durch seine Stimme ermuthigend und ihre Arbeit mit seinem Rathe leitend.

»Ihr seid Eurer Arbeit nicht gewachsen,« sagte er zu einem, der etwas entfernter von der übrigen geschäftigen Menge sich vergeblich bemühte, reinen Ballen auf die Seite des Schiffes zu wälzen; »Ihr würdet besser thun, den andern zu helfen, als Eure Kraft hier zu verschwenden.«

»Ich fühle die Kraft, einen Berg zu lüften! Arbeiten wir nicht für unser Leben?«

Der Seemann beugte sich vorwärts und blickte in des Andern Gesicht. Die wahnwitzigen und schlecht geleiteten Anstrengungen waren die des Westphalen.

»Euer Stern ist untergegangen,« setzte er, lächelnd hinzu – denn Maso hatte bei Auftritten gelächelt, welche bei weitem ergreifender waren, als selbst der, von welchem er sich jetzt umgeben sah.

»Sie blickt noch immer auf ihn; sie denkt an den, der sie liebt und fern von dem Vaterlande weilt.«

»Haltet ein! da Ihr es so haben wollt, will ich Euch helfen, diesen Ballen in das Wasser zu werfen. Faßt hier an. Eine Unze gut gebrauchter Kraft wiegt ein Pfund jener auf, die gegen sich selbst wirkt.«

Sich gegeneinander bückend, vollbrachte ihre vereinigte Stärke, was der Einzeln-Anstrengung des Gelehrten gespottet hatte. Der Pack rollte auf die Laufplanke und der Deutsche, durch die Anstrengung überreizt, jubelte laut. Das Fahrzeug krängte Krängen, krengen, überhellen, sich auf die Seite neigen. Uebers. und der Ballen fiel über die Seite, als wenn die leblose Masse plötzlich den Wunsch gehabt hätte, die Bewegung zu vollbringen, welcher ihr starres Gewicht so lange widerstanden hatte. Die unerwartete Bewegung brachte Maso aus dem Gleichgewicht, aber erfaßte mit der Gewandtheit eines Matrosen wieder festen Fuß, sein Gefährte jedoch war nicht mehr an seiner Seite. Auf der Laufplanke knieend, sah er den dunkeln Ballen, den Fuß des Westphalen nach sich ziehend, verschwinden. Er beugte sich hinaus, um den sich hebenden Körper zu fassen, da dieser aber in die Stricke sich verwickelt, oder, was eben so wahrscheinlich war, die wahnsinnige Hand des Unglücklichen, dessen Geist dem furchtbaren Charakter der Nacht erlegen war, sich fest angeklammert hatte, kehrte er nie wieder zur Oberfläche zurück.

Das Leben des Maledetto war großen Widerwärtigkeiten und Gefahren unterworfen gewesen. Er hatte Menschen oft plötzlich in den andern Zustand des Seins übergehen sehen, und war selbst ruhig unter dem Geschrei, den Seufzern, und, was bei weitem ergreifender ist, unter den Flüchen der Sterbenden gewesen, aber nie hatte er ein so kurzes und stilles Ende gesehen. Länger als eine Minute hing er drauf, über dem dunkeln, erregten Wasser, in der Hoffnung, den Gefährten wieder auftauchen zu sehen; und, als er dieser Hoffnung schmerzlich entsagen mußte, stand er auf, ein erschreckter und gewarnter Mann. Dennoch verließ ihn die Besonnenheit nicht. Er sah das Nutzlose und selbst das Gefährliche, die Aufmerksamkeit der Arbeiter abzulenken und der unglückliche Gelehrte ging ohne einen Laut der Trauer, ohne ein Wort über sein Unglück dahin. Niemand wußte von seinem Verluste, als der vorsichtige Seemann, und keiner derer vermißte ihn, welche den Tag in seiner Gesellschaft hingebracht hatten. Aber sie, der er an den Ufern der Elbe ewige Treue geschworen, blickte lange auf den blassen Stern und weinte bitterlich, daß ihre weibliche Beständigkeit keine Erwiederung fand. Ihre treue Liebe überlebte ihren Gegenstand lange, denn sein Bild war tief in einem warmen Mädchenherzen eingeschlossen. Tage, Wochen, Monate und Jahre entschwanden ihr in dem verzehrenden Kummer einer verzögerten Hoffnung, aber der düstere Leman behielt sein Geheimniß und er, dem allein ihres Geliebten Schicksal bekannt war, bekümmerte sich wenig um einen Vorfall, welcher, wenn nicht vergessen, doch einer von vielen ähnlichen schrecklichen Begebnissen in seiner abenteuerlichen Laufbahn war.

Maso erschien wieder unter den Leuten mit der gezwungenen Fassung dessen, der wohl weiß, daß das Ansehen am meisten sich geltend macht, wenn es ruhig ist. Der Befehl über das Schiff war ihm nun anheim gegeben, da Baptist, durch die außerordentliche Wendung der Dinge gelähmt und vor Zorn berstend, ganz unfähig war, einen bestimmten oder nützlichen Befehl zu geben. Es war ein Glück für die in dem Fahrzeug, daß der Stellvertreter so gut war, denn fürchterlichere Zeichen hingen nie über dem Leman, als die, welche diese Stunde verdunkelten.

Wir haben nothwendig viel Zeit gebraucht, um diese Ereignisse zu erzählen, da die Feder der Thätigkeit der Gedanken nicht gleich kömmt. Zwanzig Minuten waren jedoch nicht verflossen, seit die Ruhe des Sees zuerst gestört worden, und die Anstrengungen der Leute in dem Winkelried waren so groß gewesen, daß die Zeit noch kürzer erschien. Allein wenn diese Augenblicke gut angewendet wurden, so waren auch die Mächte der Luft nicht müßig. Die unnatürliche Oeffnung an dem Himmel schloß sich und in kurzen Zwischenräumen ließen sich jene furchtbaren Evolutionen der luftigen Schwadronen näher und näher hören. Dreimal waren kurze warme Luftzüge über das Schiff hingegangen und einigemal, wenn es sich in die schwerer als gewöhnlich gehenden Wogen stürzte, wurden die Gesichter derer an Bord wie mit einem ungeheuern Fächer, kalt angeweht. Dies kam jedoch nur von dem plötzlichen Wechsel in der Atmosphäre, von welcher sich durch den entfernten Kampf zwischen der erhitzten Luft des Sees, und der, welche an den Gletschern abgekühlt worden, einzelne Schichten verschoben hatten, oder es war die einfachere Folge der heftigen Bewegung des Schiffes.

Die tiefe Dunkelheit, welche das Himmelsgewölbe umlagerte, gab dem eingebetteten Leman das Aussehn einer düstern flüssigen Thalschlucht, und erhöhte das Schauerlich-Erhabene der Nacht. Die Wälle Savoyens waren blos von den fliehenden Wolken zu unterscheiden und hatten das Ansehen von schwarzen Mauern, welche man mit der Hand fassen zu können glaubte, während die mannigfaltigern und sanftern Höhen der Waadt wie eine zerfließende und dunkle Masse dalagen, zwar weniger drohend, aber gleich wirre und unerreichbar.

Noch flammte das Feuer in dem Roste des alten Roger von Blonay und flackernde Fackellichter glitten das Ufer entlang. Das Gestade schien lebendig von menschlichen Wesen, welche, wie sie selbst, ihre Lage beurtheilen und für sie fühlen konnten.

Das Verdeck war jetzt leer und die Reisenden in einer Gruppe zwischen den Masten versammelt. Pippo hatte all seine Munterkeit unter den furchtbaren Zeichen dieser Stunde verloren, und Konrad, der vor Angst und Schrecken zitterte, war aller Scheinheiligkeit baar. Diese und ihre Genossen sprachen von ihrem Schicksal, über die Art der Gefahren, welche ihnen drohten, und über deren wahrscheinliche Ursachen.

»Ich sehe kein Bild der Jungfrau Maria, nicht einmal eine arme Lampe zu Ehren eines Heiligen in diesem verwünschten Fahrzeuge!« sagte der Possenreißer, nachdem verschiedene ihre absonderliche und seltsame Ansichten vorgebracht hatten. »Laßt den Schiffsherrn herbeikommen und diese Nachlässigkeit verantworten.«

Die Zahl der Passagiere, welche es mit der römischen Kirche hielten, kam der der Protestanten ziemlich gleich. Jener Vorschlag fand daher eine gemischte Aufnahme. Die Katholiken eiferten gegen die Vernachlässigung, während die Protestanten, gleichfalls unter dem Einflusse feiger Furcht, laut erklärten, dieser Götzendienst selbst könnte sie alle das Leben kosten.

»Des Himmels Fluch auf die schlechte Zunge, welche zuerst den Gedanken aussprach,« murmelte der zitternde Pippo zwischen seinen Zähnen, zu klug, einer so starken Partei offen entgegen zu treten, und doch zu gläubig, um nicht die Unterlassung in jedem seiner Glieder zu fühlen, – »habt Ihr nichts bei Euch, frommer Konrad, das einem Christen frommen könnte?«

Der Pilger reichte einen Rosenkranz mit einem Kreuze hin. Das geweihte Sinnbild ging bei den Gläubigen von Lippe zu Lippe, mit einem Eifer, welcher wenig hinter dem zurückblieb, den sie bei dem Entladen des Verdecks bewiesen hatten. Durch diese Sühnung ermuthigt, riefen sie Baptist laut auf, sich zu zeigen. Diesen ungebändigten Wesen gegenüberstehend, bebte der Schiffsherr an jedem Glied; denn zwischen Zorn und niedriger Furcht hin und her geworfen, hatte ihn die Besonnenheit in diesem Augenblicke gänzlich verlassen. Der wiederholten Aufforderung, ein Licht zu schaffen, das vor ein von Konrad beigebrachtes Bild der Mutter des Heilands gestellt werden sollte, setzte er seinen protestantischen Glauben, die Unmöglichkeit, die Flamme zu erhalten, so lange das Fahrzeug so heftig stürzte, und die abweichende Ansicht der Reisenden entgegen. Die Katholiken gedachten des Landes und des Einflusses des Maso und riefen ihm laut zu; um Gottes willen zu kommen und ihrem Begehren Gewährung zu erzwingen. Aber der Seemann war auf dem Vorcastell beschäftigt, einen Anker nach dem andern in das Wasser zu senken, einigermaßen von den Schiffleuten unterstützt, die sich über eine so nutzlose Vorsicht wunderten, da kein Tau den Grund erreichen konnte, während sie es jedoch nicht wagten, sich seinen Befehlen zu entziehen. Jetzt verlautete etwas von dem Fluche, welcher das Schiff in Folge der Absicht des Rheders getroffen habe, den Scharfrichter einzunehmen. Baptist schauderte bis in das Mark seiner Knochen und sein Blut stockte vor bangem Grausen.

»Glaubt Ihr wirklich, es sei etwas daran?« fragte er mit bleichen Lippen und stotternder Zunge.

Aller Unterschied des Glaubens war dem allgemeinen lächerlichen Aberglauben gewichen. Nun, da der Westphale dahin war, befand sich Niemand mehr unter ihnen, der gezweifelt hätte, eine Fahrt, in solchem Geleite, habe den Fluch auf sich. Baptist stotterte, murmelte einige unzusammenhängende Worte und ließ sich endlich in seiner Schwäche das gefährliche Geheimniß entschlüpfen.

Die Nachricht, Balthasar sei unter ihnen, brachte ein tiefes und feierliches Schweigen hervor. Die Thatsache gab jedoch den Gemüthern dieser rohen Wesen eine so unwiderlegliche Gewißheit von dem Grunde ihrer Gefahr, wie sie ein Mathematiker nur aus einem seiner glücklichsten Beweise herleiten konnte. Ein neues Licht ging ihnen auf, und der verhängnisvollen Stille folgte eine allgemeine Aufforderung, der Schiffsherr solle ihnen den Mann zeigen. Theils in Folge eines Schreckens, der sich seiner moralischen Schwäche zugesellt hatte, und theils in Leibesangst schob er den Scharfrichter vorwärts; die Person des geächteten Mannes statt seiner hinstellend, und stahl sich, den Augenblick benutzend, aus dem Gedränge weg.

Als Herr Müller, oder, wie er jetzt erkannt und genannt wurde, Balthasar, rauh in die Hände dieser wilden Werkzeuge des Aberglaubens geschleudert war, veranlaßte die vermeintliche Wichtigkeit der Entdeckung eine allgemeine und athemlose Pause. Gleich der verrätherischen Stille, welche so lange auf dem See geherrscht hatte, war sie die Vorläuferin eines heftigen, fürchterlichen Ausbruchs. Man sprach wenig, denn der Augenblick war für ein Darlegen der Gefühle der Menge zu bedeutungsvoll; aber Konrad, Pippo und einer oder zwei Andere, nahmen den geglaubten Verbrecher in ihre Arme und trugen ihn wahnsinnig an die Seite des Fahrzeugs.

»Rufe die Jungfrau an, zum Heil deiner Seele,« flüsterte der Neapolitaner, mit einer seltsamen Mischung christlichen Eifers inmitten all seiner Wildheit.

Der Klang von Worten, wie diese, wecken gewöhnlich den Gedanken an Liebe und Erbarmen; allein ungeachtet dieses Hoffnungsstrahles sah sich Balthasar seinem Tode entgegen schleppen.

Als Baptist das Gedränge verließ, das sich in einer dichten Masse zwischen den Masken gesammelt hatte, begegnete er seinem alten Gegner, Nikolaus Wagner. Die Wuth, welche so lange in seiner Brust eingeschlossen war, machte sich plötzlich Luft, und in dem Wahnsinn des Augenblicks schlug er ihn. Der stämmige Berner faßte den Angreifer, und der Kampf wurde ungestüm, wie der wilder Thiere. Verletzt durch ein solches Schauspiel, beleidigt durch die Unehrerbietung und unkundig dessen, was in der Nähe vorging – denn der Haufe hatte sein Urtheil mit der unterdrückten Stimme entschlossener Menschen ausgesprochen – schritten der Freiherr von Willading und Signore Grimaldi mit Würde und Festigkeit vor, um den schmachvollen Streit zu verhüten. In diesem kritischen Augenblicke wurde, das Brüllen des kommenden Windes übertönend, Balthasar's Stimme gehört, nicht die Jungfrau anrufend, wie er gemahnt worden war, sondern die zwei alten Edelleuten auffordernd, ihn zu retten. Sigismund sprang bei diesem Rufe wie ein Löwe vorwärts; aber war es gleich zu spät, um die zu erreichen, welche im Begriff waren, den Scharfrichter über die Laufplanken zu werfen, so kam er doch zeitig genug, den Mann an seinen Kleidern zu fassen, als er eben durch die Luft flog. Durch eine ungeheure Kraftanstrengung erhielt er eine andere Richtung. Balthasar fiel, statt in das Wasser zu stürzen, auf die zornentflammten Kämpfer, die, auf die zwei Edlen zurückgestoßen, mit diesen über die Seite des Schiffes in das Wasser gedrängt wurden.

Der Kampf zwischen den zwei Luftmassen hörte auf, indem der auf der Oberfläche des Sees der Lawine von oben wich, und der Sturm stürzte sich heulend auf das Fahrzeug.



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