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Viertes Kapitel.

Mir zu drein, und dir zu drein
Und nochmal drei, so macht es neun.

Macbeth.

Widrige und leichte Winde fesselten den Winkelried lange Zeit fast an eine Stelle, und nur dadurch, daß man dem Segen der Segel und all dem kleinen Detail der Schifferkunst die größte Aufmerksamkeit weihte, ward es dem Schiffe möglich, sich, als die Sonne die duftige Linie des Jura berührte, in das östliche Horn des Halbmondes zu arbeiten. Hier fehlte der Wind ganz, die Oberfläche des Sees wurde glasig und oben wie ein Spiegel, und an ein Vorrücken war, für den Augenblick wenigstens, nicht zu denken. Das Schiffsvolk warf sich, das hoffnungslose ihrer Anstrengungen bemerkend und durch die frühere Arbeit erschöpft, auf die Blinke und Ballen, und suchte einen kurzen Schlaf zu erhaschen, den Nordwind erwartend, welcher in dieser Jahreszeit gewöhnlich eine oder zwei Stunden nach dem Verschwinden der Sonne von dem Ufer der Waadt herweht.

Das Deck des Schiffes blieb jetzt in dem unbestrittenen Besitz der Passagiere. Der spätere Theil des Tages war, für diese Zeit, warm gewesen, da das glatte Wasser die heißen Strahlen der Sonne grell zurückwarf, und mit dem herannahenden Abend labte eine erfrischendes Kühle die eng zusammengedrängten und schmachtenden Reisenden. Die Wirkung eines solchen Wechsels war der ähnlich, welche man bei einer dichtbewollten Schafheerde bemerken würde, die man, nachdem sie während der heißen Tageszeit unter Bäumen und Hecken nach Odem geschnappt, auf ihren Weiden sich zerstreuen sieht, um Futter zu suchen oder ihre Sprünge zu machen, sobald der willkommene Schatten ihre keichenden Seiten ein wenig kühlt.

Baptist hatte den Tag über, wie dies wohl Leute zu thun pflegen, deren Ansehen nur kurze Zeit währt, gegen alle Reisende, welche unter den privilegirten Graden waren, den Tyrannen auf eine unbarmherzige Weise gespielt, und mehreren, welche bei dem Zwang und dem Unbehagen ihrer ungewohnten Lage Unruhe zeigten, öfter hart gedroht. Vielleicht hat niemand weniger Mitleiden mit den Klagen eines Neulings, als so ein wetterzerschlagener und abgehärteter Seemann; denn an die Mühseligkeiten und die Gefangenschaft eines Schiffes gewöhnt und der Vergünstigung sich erfreuend, in seinen Pflichten und seinem Berufe Trost zu suchen, kann er sich von den Entbehrungen und Verlegenheiten derer, denen alles neu und peinlich ist, kaum eine Vorstellung machen. Der Schiffsherr des Winkelried's besaß aber natürliche Gleichgültigkeit gegen die Leiden Anderer und eine kleinliche Selbstsucht des Charakters, wozu die Grundsätze noch kamen, welche ein mühseliges und vielgefährdetes Leben erzeugt hatten. Er betrachtete den Reisenden aus der untern Volksklasse wie so viel lästige Fracht, welche, während sie den Vortheil eines höheren Lohnes abwarf, die unangenehme Kehrseite der Unruhe und Bewegung hatte. Bei diesem allgemeinen Hange zum Poltern und Schrecken-machen hatte der umsichtige Patron doch eine stillschweigende Ausnahme zu Gunsten des Italieners eintreten lassen, der sich bei den Lesern selbst unter dem unheilvollen Namen il Maledetto, oder der Verfluchte, eingeführt hat. Diese fürchterliche Person war von den Wirkungen von Baptist's Tyrannei gänzlich befreit geblieben, was er durch ein sehr einfaches und ruhiges Verfahren zuwege gebracht hatte. Statt sich bei dem wilden Blicke des ungeschlachten Schiffsherrn zu schmiegen oder vor seinen rauhen Zurechtweisungen Furcht zu zeigen, wählte er grade die Zeit, wo Baptist in einer seiner heißesten Zornesaufwallungen war und Flüche und Drohungen in Strömen aus seinem Munde flossen, und stellte sich kaltblütig an dieselbe Stelle, die jener eben untersagt hatte, seinen Platz mit einer Ruhe und Fassung behaupten, wovon es schwer gewesen sein möchte anzugeben, ob man sie mehr der äußersten Unwissenheit oder unermeßlicher Verachtung zuschreiben sollte. Wenigstens war dies die Ansicht der Zuschauer; manche glaubten, der Fremde habe die Sachen zu einem schleunigen Ende bringen wollen, indem er der Wuth des Patrons trotzte; andere waren der menschenfreundlichen Ansicht, er wisse es nicht besser. Aber Baptist selbst dachte nicht so. Er sah an dem ruhigen Auge und der entschlossenen Haltung seines Passagiers, daß er selbst, seine anmaßlichen Gewerbs-Wunderlichkeiten, seine Zanksucht und seine Drohungen, gleichermaßen verachtet würden; und er bebte vor einem Zusammentreffen mit einem solchen Muthe grade aus demselben Grunde zurück, aus welchem die Eingeschüchterten unter den übrigen Reisenden vor einem Kampfe mit seinem eigenen zurückbebten. Von diesem Augenblicke an war il Maledetto, oder, wie Baptist selbst, der einige Kenntniß von seiner Person zu haben schien, ihn nannte, Maso, so vollkommen Herr aller seiner Bewegungen, als wäre er einer der Geehrteren in dem hintern Theil des Schiffes, oder selbst dessen Patron gewesen. Er mißbrauchte jedoch seinen Vortheil nicht, sondern verließ selten seinen bereits angegebenen Platz bei seinen Effekten, wo es ihm ungemein zu behagen schien; in sorgloser Trägheit zu ruhen und die Stunden zu verschlafen.

Aber die Scene war jetzt gänzlich geändert. Im Augenblicke, als der hadernde, mißvergnügte und, weil er sich getäuscht sah, unglückliche Schiffsherr seine Unfähigkeit bekannte, seinen Hafen vor dem Erwachen der erwarteten Nachtkühlte zu erreichen, und sich auf einen Ballen warf, um seinen Verdruß in dem Schlafe zu verbergen, erhob sich ein Kopf nach dem andern auf den emporgethürmten Ballen, und ein Körper nach dem andern folgte dem edlern Gliede, bis die ganze Masse von menschlichen Wesen lebendig wurde. Die kräftigende Kühle, die ruhige Stunde, die Hoffnung einer sichern, wo nicht schnellen Ankunft und der Erholung von der ungemeinen Abspannung brachte eine plötzliche und angenehme Gegenwirkung in den Gefühlen Aller hervor. Selbst der Freiherr von Willading und seine Freunde, welche keine der oben aufgezählten Entbehrungen mitempfunden hatten, stimmten in den allgemeinen Ausdruck der Freude und des Wohlwollens ein und förderten die Schnurren und Scherze der mannigfachen Individuen in der bunten Schaar ihrer namenlosen Gefährten durch ihr Lächeln und ihre Leutseligkeit eher, als sie ihnen durch ihre Gegenwart einen Zwang auflegten.

Das Aussehen und die Stellung des Fahrzeuges, so wie die Aussichten derer an Bord, sofern letztere sich auf ihre Ankunft im Hafen bezogen, verdienen jetzt näher erwähnt zu werden. Auf die Art, wie das Schiff bis zu dem Rande des Wassers geladen war, ist schon mehr als einmal hingedeutet worden. Die ganze Mitte des breiten Deckes, eines Theils des Winkelried's, welcher zufolge der breiten Laufplanken, wie alle ähnliche Fahrzeuge auf dem Leman, eine größere Weite hatte, als dies bei Schiffen derselben Größe anderswo gewöhnlich ist, war mit Ballen u. s. w. so bedeckt, daß kaum ein schmaler Gang noch hinten und vorne für das Schiffsvolk blieb, das auf den Kisten und Päcken hinschritt, welche weit höher als die Köpfe der Leute aufgehäuft waren. Dem Spiegel nahe war ein kleiner leerer Raum geblieben, wo sich die Gesellschaft, welche diesen Theil des Verdeckes einnahm, bewegen konnte, obgleich nur in ziemlich beschränkten Grenzen, während die große Ruderpinne hinten in ihrem Halbzirkel spielte. An dem andern Ende war, wie dies auf jedem Schiffe durchaus nothwendig ist, die Back hinreichend klar, obwohl selbst in diesem wichtigen Theil des Verdeckes die Hände von nicht weniger als neun Ankern sich ausstreckten, welche in einer Reihe die Breite entlang lagen, da die wilden Rheden dieses Endes des Sees solch einen Vorrath von Festigungswerkzeugen für die Sicherheit jedes Fahrzeugs, welches sich in das östliche Horn wagte, durchaus unentbehrlich machten. Die Wirkung des Ganzen, wenn man es, wie jetzt, in einem Zustande unbedingter Ruhe sah, mußte dem Winkelried das Aussehen eines kleinen aus der Mitte des Wassers sich erhebenden Hügels geben, der mit menschlichen Wesen bedeckt und scheinbar mit dem Elemente, auf welchem er schwamm, so verbunden war, daß er aus seinem Grund heraus erwachsen schien – ein Bild, das die Phantasie sich um so leichter schuf, da der unbewegte See die Masse eben so vollkommen gebaut, eben so schwerfällig und beinahe eben so bestimmt, wie das Original, aus seiner spiegelgleichen Fläche zurückwarf. Sonderliche Ausnahmen gaben jedoch bei diesem Gemälde eines bewegungslosen Felsen oder einer Insel die Spieren, Segel und der hochgespitzte Schnabel ab. Die Raaen hingen, wie die Seeleute sagen, klar zum Vieren, oder so nachlässig und malerisch, wie ein Maler sie am liebsten zeichnen würde, während die Draperie der Segeltücher in anmuthigen und makellosen Festons aufgehängt war, als wäre sie zufällig so gefallen oder von den Händen der Schiffleute sorgfältig geordnet worden. Der Schnabel, oder das Vordertheil lief in seinem scharfen, zierlichen Vorsteven aus und glich dem prächtigen Halse eines Schwanes, leicht von seiner Richtung abweichend oder sich in einer fast unmerklichen Krümmung neigend, wie der Rumpf sich dem geheimen Einflusse der wechselnden Luftzüge fügte.

Als der fruchtbare Haufen der Ladung so reichlich zu gebären anfing und ein Reisender um den andern sein Gepäcke verließ, war kein großer Raum übrig, auf welchem sie ihre müden Glieder ausstrecken oder die Abwechslung suchen konnten, deren sie bedurften. Aber Dulden ist eine treffliche Vorbereitung zur Freude, und nichts macht die Freiheit angenehmer als frühere Gefangenschaft. Sobald man Baptist schnarchen hörte, war das ganze belastete Netz mit aufgerichteten Körpern und ausgestreckten Armen und Beinen eingefaßt, wie man Mäuse während des Schlafs ihrer Todfeindin, der Katze, sich aus ihren Höhlen stehlen sieht.

Der Leser ist mit der moralischen Zusammensetzung der lebendigen Fracht des Winkelried's in dem Eingangs-Kapitel hinreichend bekannt gemacht worden. Da sie keine andere als den durch Ermüdung erzeugten Wechsel erfahren hat, ist er daher vorbereitet, seinen Verkehr mit den verschiedenen Gliedern derselben zu erneuern, welche sämmtlich in der besten Stimmung waren, sich in ihren gegenseitigen Charakteren zu zeigen, sobald sich dazu nur eine günstige Gelegenheit darböte. Wie der lebhafte Pippo den Tag über sich am schwersten fügte, so war er jetzt der Erste, der sich von seinem Lager schwang, sobald Baptist's Argusaugen freie Bahn gaben und die ermunternde Kühle des Sonnenuntergangs zur Thätigkeit einlud. Sein Erfolg machte Andern Muth, und es währte nicht lange, so hatte der Possenreißer eine bewundernde Zuhörerschaft um sich, welche ganz gestimmt war, seine Witze zu belachen und alle seine praktischen Späße zu beklatschen. Der Muth des Spaßmachers wuchs, wie er fortfuhr, und er ging von Freiheit zu Freiheit über, bis er endlich in der angebrachten Ausübung seiner Kunst siegreich auf den Punkt kam, den man eine vorgerückte Kuppe des von Nikolaus Wagner's Fässern gebildeten Berges nennen konnte, während sich eine Schaar vergnügter und neugieriger Zuschauer um ihn drängte, jeden Theil der Erhöhung in Anspruch nehmend und selbst auf das bevorrechtetere Verdeck, in ihrem Eifer zu sehen und zu bewundern, eindringend.

Obschon Pippo durch widrige Schicksale oft gezwungen war, zu den niedrigsten Stufen seines Gewerbes herabzusteigen, z. B. zu den handgreiflichen Späßen des Polichinello oder der Nachahmung seltsamer Töne, die ihres Gleichen weder im Himmel noch auf der Erde haben, so war er doch ein tüchtiger Bursche in seiner Art und der Darstellung höherer Zweige seiner Kunst ebenso gewachsen, wenn der Zufall ihm Zuhörer verschaffte, welche im Stande waren, seine Befähigungen zu schätzen. Bei dieser Gelegenheit mußte er sich sowohl an Gebildete als an Ungebildete wenden; denn die Nähe ihres Platzes so wie eine gutmüthige Bereitwilligkeit, an den Späßen, welche den Meisten um sie her so angenehm waren, Theil zu nehmen, hatte den edlern Theil der Reisenden innerhalb des Einflusses seines Witzes gebracht.

»Und nun, meine sehr edeln Herren,« fuhr der verschmitzte Possenreißer fort, nachdem er durch einen seiner glücklichsten Handgriffe in der Taschenspielerkunst den lautesten Beifall geerntet hatte, »komme ich zu dem wichtigsten und geheimnisvollsten Theil meines Wissens – ich meine die Kunst, in die Zukunft zu blicken und das Geschehende vorherzusagen. Wenn Einer unter euch ist, der wissen will, wie lange er noch das Brod saurer Arbeit essen wird, so laßt ihn zu mir kommen; wenn ein Jüngling hier ist, der zu wissen wünscht, ob das Herz seiner Geliebten von Fleisch oder von Stein ist – ein Mädchen, das eines Jünglings Treue und Beständigkeit sehen will, während ihre langen Wimpern wie ein bescheidener seidner Schleier das Auge bedecken – oder Einer von Adel, der gern das Treiben seiner Nebenbuhler bei Hofe näher kennen lernen möchte – laßt sie Alle ihre Fragen dem Pippo vorlegen, der für Jeden eine Antwort zur Hand hat, und eine so treffende Antwort, daß die Erfahrensten unter den Zuhörern bereit sein werden, zu schwören, eine Lüge aus seinem Munde sei mehr werth, als die Wahrheit aus dem eines andern Menschen.«

»Dies würde den Glauben an die Kenntniß der Zukunft fördern,« bemerkte ernst der Genueser Grimaldi, welcher seines Landsmannes redseligem Anpreisen seiner eignen Verdienste mit einem gutmüthigen Lachen zugehört hatte: »er fing am besten damit an, daß er seine Bekanntschaft mit dem Vergangenen an den Tag legte. Als Probe seiner Geschicklichkeit im Wahrsagen – wer und was ist der, welcher mit dir spricht?«

»Seine Excellenz ist mehr, als sie scheint, weniger als sie zu sein verdient, und so viel als irgend einer der Anwesenden. Sie hat einen alten und theuern Freund an ihrer Seite; sie will, weil es ihr so beliebte, die Lustbarkeiten zu Vevay sehen – wird aus demselben Grunde, wenn sie vorüber sind, wieder abreisen und in Muße ihre Heimath aufsuchen – nicht gleich dem Fuchs, der sich in seine Höhle stiehlt, sondern wie das edle Schiff, stattlich und in dem Glanz der Sonne, in seinen Hafen segelt.«

»Das reicht nicht aus,« erwiederte der heitere alte Herr; »im Nothfall könnte ich selbst dergleichen wahrsagen. Du mußt etwas vorbringen, das minder wahrscheinlich, während es wahrer ist.«

»Signore, wir Propheten schlafen gern mit heiler Haut. Wenn es der Excellenz und Eurer edeln Gesellschaft gefällt, wahrhaft Wunderbares zu hören, so will ich einiges von den Verhältnissen dieser wackern Leute mittheilen, das ihre eigenen Interessen betrifft und ihnen selbst unbekannt ist, und doch jedem Andern so klar sein soll, wie die Sonne am Himmel während eines heitern Mittags.«

»Du willst ihnen wahrscheinlich ihre Fehler sagen?«

»Die Excellenz hat Ansprüche an meinen Platz, denn kein Prophet hätte meine Absicht besser errathen können,« antwortete der Schelm lachend. – »Kommt näher, Freund,« setzte er hinzu, indem er dem Berner winkte: »du bist Nikolaus Wagner, ein feister Landmann aus dem großen Kanton, und ein wohlgebetteter Landwirth, der Ansprüche auf die Achtung Aller, die ihm begegnen, zu haben glaubt, weil einer seiner Vorfahren das Bürgerrecht gekauft hat. Du hast eine reiche Ladung in dem Winkelried und denkst in diesem Augenblicke, welche Strafe für einen unverschämten Wahrsager wohl groß genug wäre, der es wagt, so ohne alle Umstände in die Geheimnisse eines so begüterten Herrn zu schauen, während Alle um dich her wünschen, deine Käse hätten nie zum Verdruß unserer Gliedmaßen und zum großen Nachtheil der Eile des Fahrzeugs die Käsehütte verlassen.«

Dieser Ausfall auf Kosten des Nikolaus entlockte den Zuhörern ein lautes, lustiges Gelächter; denn der selbstsüchtige Geist, den er den ganzen Tag über gezeigt hatte, konnte wenig Gunst bei der Mehrzahl seiner Reisegenossen finden, welche sämmtlich jene freigebige Neigung hatten, die gewöhnlich bei denen so reichlich gefunden wird, die wenig oder nichts zu geben haben, und jetzt so sehr zur Heiterkeit gestimmt waren, daß bei weitem Minderes ihre Munterkeit zu reizen hingereicht hätte.

»Wärst du der Eigenthümer dieser Güter, Freund, so möchtest du deren Hiersein minder unbehaglich finden, als du jetzt zu glauben scheinst,« erwiederte der Berner, der nicht zum Scherzen aufgelegt war und für den ein Spott auf Eigenthum jene Art unehrerbietigen Charakters hatte, welchen die volksthümliche Meinung und heilige Aussprüche der Verschwendung beigelegt haben. »Die Käse sind gut genug, wo sie sich befinden; gefällt dir ihre Gesellschaft nicht, so steht es dir frei, das Wasser zu wählen.«

»Friede zwischen uns, ehrenwerther Herr! Und laß unser Scharmützel mit etwas endigen, das uns Beiden Nutzen bringen kann. Du hast etwas, was für mich ganz annehmbar wäre, und ich habe etwas, was kein Käsebesitzer zurückweisen würde, wenn er die Mittel wüßte, wie er ehrlicherweise dazu gelangen könnte.«

Nikolaus murmelte einige Worte des Mißtrauens und der Gleichgültigkeit; es war aber sichtbar, daß es der dunkeln Sprache des Possenreißers gelungen war, wie dies gewöhnlich der Fall ist, das Interesse zu erwecken. Mit dem gezwungenen Wesen eines Menschen, der sich seiner Einfältigkeit bewußt ist, gab er sich den Schein, gleichgültig gegen das zu sein, was der Andere zu enthüllen sich bereit zeigte, während er mit der Gier eines Habsüchtigen das Verlangen verrieth, mehr zu erfahren.

»Zuerst will ich dir sagen,« sprach Pippo mit dem Tone der Gutmüthigkeit, »daß du zur Strafe für deinen Stolz und deinen Mangel an Vertrauen in Unwissenheit zu bleiben verdientest; aber es ist ein Fehler deines Propheten, das bekannt zu machen, was er verschweigen sollte. Du schmeichelst dir, dies sei die fetteste Ladung Käse, welche in dieser Jahreszeit die Schweizer Gewässer auf ihrem Wege nach einem Italienischen Marktplatz durchschneidet? Schüttele deinen Kopf nicht! – Du verläugnest es vergeblich vor einem Manne meines Tiefblicks.«

»Ja, ich weiß, daß es andere eben so gewichtreiche und vielleicht selbst eben so gute gibt; diese aber hat den Vortheil, die erste zu sein, ein Umstand, der gewiß zur Empfehlung dient.«

»Dies ist die Blindheit derer, welche die Natur auf die Erde gesetzt hat, um mit Käsen zu handeln!« Herr von Willading und seine Freunde lächelten für sich über die kaltblütige Unverschämtheit des Possenreißers. »Du glaubst, dem sei so; und in diesem Augenblicke segelt mit dem günstigsten Winde an dem obern Ende des Vierwaldstädter-Sees ein schwer beladenes Fahrzeug, während eine lange Reihe von Maulthieren zu Flüelen harrt, um seine Ladung über die Wege des St. Gotthard nach Mailand und andere reiche Marktplätze des Südens zu bringen. Vermöge meiner geheimen Macht sehe ich, daß sie, trotz aller deiner habsüchtigen Wünsche, vor der deinigen ankommen wird.«

Nikolaus zeigte die heftigste Unruhe; denn die bestimmten Einzelnheiten, welche Pippo vorbrachte, verleiteten ihn fast zu glauben, die Prophezeihung könnte wahr sein.

»Wäre dieses Schiff unserm Vertrage gemäß abgesegelt,« sagte er mit einer Einfachheit, welche sein Uebelbehagen verrieth, »so würden die Thiere, welche ich bestellt habe, jetzt zu Villeneuve schon bepackt; und wenn es eine Gerechtigkeit im Waadtlande gibt, so werde ich Baptist für jeden Nachtheil verantwortlich machen, welcher aus dieser Verzögerung hervorgehen kann.«

»Der großmüthige Baptist schläft glücklicherweise,« erwiederte Pippo, »sonst könnten wir Einwendung gegen diesen Anschlag hören. Aber, Signori, ich sehe, daß ihr mit diesem Blick in den Charakter des reichen Berners zufrieden seid, der, wenn ich die Wahrheit sagen soll, nicht viel vor uns zu verstecken hat, und ich will meine forschenden Blicke in die Seele dieses frommen Pilgers, des hochwürdigen Conrado, werfen, dessen Salbung unfehlbar hinreichende Hefen abgeben kann, um alle in diesem Schiff von den Bürden ihrer Sünden zu erleichtern. Du trägst die Buße und Gebete vieler Sünder, und auch etwas eigne Waare dieser Art.«

»Mein Weg führt nach Loretto, und ich trage die Gebetes-Opfer gewisser Christen, welche mit ihrem täglichen Geschäft zu viel zu thun haben, um die Reise selbst zu machen,« antwortete der Pilger, der seinen eigentlichen Charakter niemals ganz bei Seite legte, obgleich er im Allgemeinen sich so wenig daraus machte, daß man seine Heuchelei durchschaute. »Ich bin arm, und niedrig von Ansehen, aber ich habe in meinem Leben Wunder gesehen!«

»Wenn dir jemand Opfer von Werth aufzubewahren gibt, so bist du selbst ein lebendiges Wunder! Ich kann vorhersehen, daß du nichts anderes tragen wirst, als Gebete.«

»Ja, ich befasse mich mit wenig anderm. Die Reichen und Großen, welche unseren lieben Frauen Gold und reiche Gewänder senden, wählen dazu ihre eigenen Lieblings-Boten; ich bin nur der Ueberbringer von Gebeten und der Stellvertreter von Büßenden. Die Leiden, welche ich in dem Fleisch erdulde, werden auf die, welche mich bestellen, übertragen, und ihnen kommen meine Schmerzen und Wehen zu gut. Ich will nicht mehr sein als ihr Zwischenhändler. wie jener Seemann mich heute nannte.«

Pippo wandte sich plötzlich, und folgte der Richtung des Auges des Andern, einen Blick auf den Maledetto werfend. Dieser Mensch war unter allen den Reisenden der untern Klasse der einzige, der sich enthalten hatte, zu der gaffenden und erfreuten Schaar um den Possenreißer sich zu gesellen. Seine Enthaltsamkeit oder der Mangel an Neugierde hatten ihm den ruhigen Besitz der kleinen Terrasse gelassen, welche durch die Lagerung von Kisten gebildet wurde, und er stand jetzt auf der Höhe des Gepäckes, durch seine Stellung wie durch seine Miene hervorstechend, welche letztere durch ihre unerschütterte Ruhe, die durch das einem Seemann, wenn er auf dem Wasser ist, so eigene verständige Wesen erhöht wurde, sich auffallend auszeichnete.

»Wollt Ihr die Geschichte Eurer künftigen Gefahren hören, Freund Seemann?« rief der rührige Marktschreier: »ein Tagebuch Eurer künftigen Klippen und Stürme, um Euch in dieser Windstille zu ergötzen? So ein Gemälde von Meerungeheuern und von Korallen, welche in den Grotten des Oceans, wo Matrosen schlafen, wachsen, das Euch Monate lang das Alpdrücken verursacht und Euer ganzes Leben lang Euch von Wracks und gebleichten Knochen träumen läßt? Ihr braucht es nur zu wünschen, so lege ich die Abenteuer Eurer nächsten Seereise, wie eine Karte, vor Euch hin.«

»Ihr würdet mir mehr Vertrauen, als ein Eingeweihter in Eure Kunst einflößen, wenn Ihr mir die Geschichte meines letzten Abenteuers mittheilen wolltet.«

»Die Forderung ist vernünftig und ich will ihr entsprechen, denn ich liebe den kühnen Abenteurer, der sich muthig dem großen Weltmeere anvertraut,« erwiederte der unverschämte Pippo. »Meinen ersten Unterricht in der Schwarzkunst erhielt ich auf dem Molo von Neapel unter bauschigen Engländern, gradnasigen Griechen, schwarzbraunen Sicilianern und Malthesern mit einem Geiste, so fein, wie das Gold an den Ketten, die sie trugen. Dies war die Schule, in welcher ich meine Kunst studirte, und als tüchtiger Schüler bewährte ich mich in allem, was sich auf die Philosophie und die Humaniora meines Gewerbes bezieht. Eure Hand, Herr!«

Maso streckte seine sehnige Hand dem Possenreißer, ohne von seiner Höhe herabzusteigen und auf eine Weise entgegen, die zeigte, daß er, obschon er den Leuten die frohe Stunde nicht verkümmern wollte, über die gaffende Bewunderung und kindische Leichtgläubigkeit der meisten unter denen, welche des Resultates harrten, erhaben war. Pippo schien den Hals weit auszustrecken, um die harten und dunkeln Linien zu studiren, dann ließ er seine Orakel wieder vernehmen, wie jemand, der mit dem, was er entdeckt hat, vollkommen zufrieden ist.

»Die Hand ist männlich und war zu ihrer Zeit mit vielen Freunden vertraut. Sie verkehrte mit Stahl, mit Tauwerk und Pulver, und vor allem am meisten mit Gold. Signori, der wahre Sitz der Verdauung eines Menschen liegt in der Fläche seiner Hand; wenn diese frei ist, zu geben und zu empfangen, so wird er nie ein verstocktes Gewissen haben, denn unter allen verruchten Ungelegenheiten, welche den Sterblichen quälen, ist ein Gewissen, das weder geben noch nehmen will, der schwerste Fluch. Laßt einen Menschen soviel Beistand haben, daß man einen Kardinal aus ihm machen kann – wenn er in die Netze eines solchen unnachgiebigen Gewissens verwickelt wird, werdet Ihr in seiner Todesstunde einen Bettelbruder in ihm sehen; laßt ihn als Prinzen mit einer enge gepanzerten Ansicht dieser Art geboren werden, und er wäre besser als Bettler geboren worden, denn seine Herrschaft wird einem Flusse gleichen, dessen Strömung ohne Wiederkehr aus dem Bette bricht. Nein, meine Freunde, eine flache Hand, wie die des Maso, ist ein glückliches Zeichen, das sie sich nach einem lenksamen Willen krümmt, der da öffnen und schließen wird, wie ein wohlgebildet Auge oder der Panzer eines Schalthieres nach dem Willen seines Besitzers. Ihr habt Euch manchem Hafen genaht, nachdem die Sonne sich gesenkt hatte, ehe Ihr den von Vevay aufsuchtet, Signor Maso!«

»Dann habe ich mich dem Schicksal des Seemanns überlassen, das eher von den Winden, als seinen Wünschen abhängt.«

»Ihr haltet den Boden des Fahrzeugs, in welchem Ihr zu segeln aufgefordert werdet, für bei weitem wichtiger, als seine Flagge. Ihr habt ein kluge für einen Kiel, aber nicht für die Farbe, es müßte denn freilich sein, was auch eintreffen kann, daß es passend befunden wird, das zu scheinen, was Ihr nicht seid.«

»Ei, Herr Wahrsager, ich argwöhne fast, in Euch den Diener irgend einer der heiligen Brüderschaften zu sehen, der in dieser Verkleidung ausgesendet worden, uns arme Reisende zu unserm Verderben auszufragen!« erwiederte Maso. »Ich bin, was Ihr seht; nur ein armer Seemann, der kein besseres Fahrzeug unter sich hat, als das von Baptist, und auf einem Meere, das nicht größer ist, als ein Schweizer See.«

»Schlau gesagt,« bemerkte Pippo, und winkte den Umstehenden zu, obgleich er das Auge und das Benehmen des Andern so wenig liebte, daß es ihm nicht leid that, zu einem neuen Gegenstand überzugehen. »Doch, was liegt daran, Signori, die Eigenschaften von Männern zu besprechen. Wir sind einer wie der andere, ehrenwerth, barmherzig, eher geneigt, andern zu helfen, als uns selbst, und der Selbstsucht so wenig ergeben, daß sich die Natur genöthigt sah, einen jeglichen von uns mit einer Art Stachel zu versehen, welcher uns beständig kitzelt, damit wir unsere eigenen Interessen beachten. Hier sind Thiere, deren Neigungen minder erforscht sind, und wir wollen der Prüfung ihrer Eigenschaften eine nützliche Minute widmen. Hochwürdiger Augustiner, dieser Euer Hund hier heißt Uberto?«

»Unter diesem Namen ist er in allen Kantonen und bei den Bundesgenossen derselben bekannt. Der Ruf des Thieres reicht selbst bis Turin und bis zu den meisten Städten in der Ebene der Lombardei.«

»Nun, Signori, Ihr bemerkt, daß dies nur ein untergeordnetes Geschöpf auf der Stufenleiter der Thiere ist. Erweist ihm Gutes, und er wird dankbar sein; fügt ihm Leid zu, und er wird verzeihen. Füttert ihn, und er ist zufrieden. Er wird Tag und Nacht die Wege des St. Bernhard durchstreifen, um seiner Dressur Ehre zu machen, und wann dies Tagewerk vollbracht ist, fordert er nur so viel Nahrung, als den Odem in seinen Rippen erhalten wird. Hätte der Himmel diesem Uberto ein Gewissen und mehr Verstand gegeben, so hätte das erstere ihm die Ruchlosigkeit gezeigt, sich für Reisende an Sonn- und Feiertagen abzumühen, während der letztere ihm wohl sagen könnte, er sei ein Narr, daß er sich überhaupt wegen der Rettung Anderer quäle.«

»Und doch gilt bei seinen Herrn, den guten Augustinern selbst, ein solcher selbstsüchtiger Glaube nicht,« bemerkte Adelheid.

»Ha, die haben den Himmel im Auge; ich bitte die hochwürdigen Augustiner um Verzeihung – aber, Fräulein, der Unterschied liegt in der Länge der Berechnung. Wehe mir, ihr Brüder! Ich wollte, meine Eltern hätten mich zu einem Bischof, zu einem Vicekönig oder zu einer andern bescheidenen Stelle erzogen, damit dies mein gelehrtes Gewerbe in bessere Hände gefallen wäre! Ihr würdet an Belehrung verlieren, aber ich würde von den schwindelnden Höhen des Ehrgeizes entfernt werden und zuletzt mit einigen Aussichten, ein Heiliger zu werden, sterben. Schöne Dame, der Zweck Eurer Reise ist eitel, wenn ich ja den Grund kenne, der Euch in so später Jahreszeit über die Alpen lockt.«

Diese plötzliche Anrede erschreckte sowohl Adelheit wie ihren Vater, denn trotz des Stolzes und der Kraft der Vernunft, können wir doch unsere Ansichten selten ganz von den Fesseln des Aberglaubens und jener Furcht vor der verhüllten Zukunft losreißen, welche als eine rastlose Mahnerin an das ewige Leben, welchem alle mit so geräuschlosen und doch so sichern Schritten entgegen eilen, unserer Natur eingeprägt scheint. Die Gesichtsfarbe des Mädchens wechselte, und sie wandte einen schnellen, unwillkührlichen Blick auf ihren ängstlichen Vater, als wollte sie die Wirkung dieser herben Verkündigung auf ihn beobachten, ehe sie antwortete.

»Ich will das Glück der Gesundheit suchen,« sagte sie, »und es würde mir leid thun, wenn ich glauben müßte, deine Prophezeihung könne eintreffen. Jugend, eine gute Körperbeschaffenheit und liebe Freunde sind mir zur Seite, und da ist wohl Grund, zu denken, du dürftest dich, darin wenigstens, als ein falscher Prophet erweisen.«

»Habt Ihr Hoffnung, Fräulein?«

Pippo that diese Frage auf gutes Glück, wie er seine Ansicht auf das Ungefähr von sich gegeben hatte, das heißt, sorglos, anmaßlich und sehr gleichgültig gegen jede Wirkung, welche sie haben könnte, die wahrscheinliche ausgenommen, seinen Ruf bei dem großen Haufen zu begründen. Dennoch schien es, als hätte er, durch ein seltsames Zusammentreffen, wie es im wirklichen Leben täglich vorkömmt, eine empfindliche Saite in dem System seiner schönen Reisegefährtin berührt. Ihre Augen senkten sich bei dieser plötzlichen Frage auf das Verdeck, die Farbe stahl sich wieder auf ihre zarten Schläfe, und der in den Regungen des schönen Geschlechtes Ungeübteste hätte in ihrer Miene peinliche Verlegenheit entdecken können. Die unerwartete und rasche Dazwischenkunft Maso's überhob sie jedoch der Unannehmlichkeit einer Antwort.

»Die Hoffnung ist der letzte unserer Freunde, der sich abtrünnig zeigt,« sagte dieser Seemann, »sonst möchte es mit vielen in der Gesellschaft schlecht stehen, Euch nicht ausgeschlossen, Pippo, denn wenn ich nach äußern Zeichen schließen darf, so hat der schwäbische Feldzug nicht viel Beute abgeworfen.«

»Die Vorsehung hat die Ernten des Geistes nicht minder bestimmt, wie die Ernten der Gefilde,« versetzte der Marktschreier, welcher den Spott der Bemerkung des Andern mit aller der Schärfe fühlte, welche ihr die Wahrheit geben konnte; denn er verdankte, wenn wir den Leser über seine wirkliche Lage aufklären sollen, lediglich einem außerordentlichen Anfall von Großmuth bei Baptist, sogar die Ueberfahrt über den Leman. – »In dem einen Jahr werdet Ihr die Weinberge von einem Safte, köstlich wie Diamanten, träufen sehen, während in dem andern die Unfruchtbarkeit ihren Sitz darin aufschlägt. Heute klagt der Landmann, die Armuth hindere ihn, die nöthigen Gebäude aufzuführen, um sein Getreide unterzubringen, während man ihn morgen über leere Scheunen seufzen hören wird. Ueberfluß und Hunger sind sich bei ihrer Erdenreise nahe auf den Fersen, und es ist kein Wunder, daß der, welcher von seinem Witze lebt, eben so wie der, welcher durch seine Hände lebt, zuweilen eine Mißernte hat.«

»Wenn eine stete Kundschaft den Erfolg sichern kann, so müßte der fromme Konrad glücklich sein,« antwortete Maso, »denn unter allen Maschinen ist die der Sünde am wenigsten selten müßig. Sein Gewerbe kann wenigstens niemals wegen Mangel an Kunden in Abnahme kommen.«

»Ganz richtig, Maso; und aus diesem besondern Grunde wünsche ich, meine Eltern hätten mich für ein Bischofthum erzogen. Wer es über sich genommen hat, seine Mitgeschöpfe wegen ihrer Laster zurechtzuweisen, kennt nothwendig niemals eine müßige Stunde.«

»Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht,« fiel Konrad ein; »die Liebe zu den Heiligen hat seit meiner Jugend gewaltig abgenommen, und wo jetzt Ein Christ sich bereit zeigt, sein Silber zu opfern, um den Segen irgend eines Lieblings-Schrein's zu gewinnen, waren damals zehn. Ich habe Aeltere von uns Pilgern sagen hören, vor fünfzig Jahren sei es eine Freude gewesen, die Sünden eines ganzen Kirchspiels auf sich zu nehmen, denn unser Gewerbe ist der Art, daß das Gewicht nicht sowohl in Anschlag kommt, als die Qualität; und zu ihrer Zeit habe es bereitwillige Opfer, freimüthige Beichten und großmüthige Rücksichten auf die gegeben, welche sich der Mühe unterzogen.«

»Je weniger ihr in einem solchen Gewerbe für andere zu verantworten habt, desto mehr wird euch auf der Rechnung eurer eigenen Sünden gut gethan,« bemerkte Nikolaus Wagner nachdrücklich, welcher ein muthiger Protestant war und solche Seitenhiebe gern gegen die Anhänger eines Glaubens führte, welcher den Angriffen aller blosgestellt war, die den Ansichten und der geistigen Herrschaft Roms entgegen waren.

Aber Konrad war ein seltenes Beispiel von dem, was durch Erziehung und tief gewurzelte Vorurtheile erzielt werden kann. Indem wir diesen Mann unsern Lesern vorführen, haben wir nicht die Absicht, die Lehren der Kirche anzugreifen, zu welcher er gehörte, sondern einfach, wie die Wahrheit völlig verbürgen wird, zu zeigen, zu welcher Höhe ausgedehnter und unverschämter Ansprüche der Charakter eines Menschen, den die heilsame Beschränkung einer kräftigen und gesunden Ansicht nicht im Zaume hält, Mißbräuche in Bezug auf die ernstesten und wichtigsten Gegenstände führen konnte. In jenem Zeitalter herrschten Gebräuche und waren den Gemüthern derer, welche sie übten, so gewöhnlich geworden, daß sie weder Nachdenken noch Erklärung forderten – Gebräuche, welche nun zu Revolutionen und zu einem allgemeinen Aufstande zur Vertheidigung von Grundsätzen führen würden, die für so klar gelten, wie die Luft, die wir athmen. Obgleich wir keinen Zweifel gegen jene Wahrheit hegen, die das Weltall durchdringt, und nach welcher Alles hinstrebt, so glauben wir doch, daß die Welt in ihrem Thun, in ihren Theorien und ihrem conventionellen Urtheil über Recht und Unrecht in einem Zustande steten Wechsels ist, welchen die Weisen und Tüchtigen zu begünstigen die Pflicht haben, so lange gesorgt wird, daß der Vortheil nicht durch eine Reaction eines größern Uebels erkauft wird. Konrad gehörte zu der niedrigsten Klasse jener Schwämme, welche aus dem vermoderten Theil der moralischen Welt erwachsen, wie ihre materielleren Vorbilder die Fäulniß der vegetabilischen Welt beweisen; und die Wahrscheinlichkeit der Treue des Portraits darf nicht oben hin, ohne reifliches Nachdenken über ähnliche Anomalien, welche noch allseitig bei uns gefunden werden, und ohne eindringendes Studium der Geschichte der Mißbräuche geläugnet werden, welche damals das Christenthum herabwürdigten und welche in Wahrheit in ihrem Charakter so unerträglich, in ihrem Ausdruck so häßlich waren, daß sie die wirksamste Ursache ihrer eigenen Vernichtung wurden.

Pippo hatte jenen nützlichen Takt, der einen Mann in den Stand setzt, seine eigene Geltung durch Andere zu ermessen, und bemerkte daher bald, daß der bessere Theil seiner Zuhörerschaft allgemach seiner angeblichen Possenreißerei müde ward. Er nahm daher seine Zuflucht zu einem glücklichen Auskunftsmittel und mittelst eines seiner Taschenspielerstreiche gelang es ihm, die ganze Masse der Zuschauer, welche noch an seinem Treiben Vergnügen fanden, zu dem andern Ende des Schiffes hinzuziehen, wo sie sich auf die Anker setzten, so bereit wie immer, eine Nahrung zu sich zu nehmen, nach welcher dem Volke ein unauslöschlicher Appetit inne zu wohnen scheint. Hier setzte er seine Comödie fort, bald in der zierlichen und öfter in der kräftigen Weise moralisirend, welche den südlichen Possenreißer so weit über seinen schwerfälligen Nebenbuhler des Nordens erhebt, und einen wilden Mischmasch gesunder Wahrheiten, lockerer Moral und witziger Ausfälle vorbringen, welche letztere nie verfehlten, Allen ein schallendes Gelächter zu entlocken, nur denen nicht, welche zufällig der unglückliche Gegenstand derselben waren.

Einmal oder zweimal hob Baptist den Kopf und starrte mit schläfrigen Augen umher; zufrieden jedoch, daß nichts zu thun war, das Schiff »recht von vorne« zu drängen, setzte er sein Schläfchen wieder fort, ohne die Unterhaltung derer zu unterbrechen, die in ihren Vergnügungen zu stören ihm früher Freude zu machen schien. Die Schaar auf dem Vorcastell blieb sich daher selbst überlassen und stellte eines jener alltäglichen aber lehrreichen Lebensgemälde dar, denen der Blick so oft begegnet, die aber, obgleich sie an Belehrung so reich sind, mit der Gleichgültigkeit behandelt werden, welche die unvermeidliche Folge der Gewohnheit zu sein scheint.

Das vollgedrängte und überladene Fahrzeug hätte wohl dem Schiffe des menschlichen Lebens verglichen werden können, das immerdar den tausend Zufällen einer feinen und verwickelten Maschinerie unterworfen dahin schwimmt; – der See, so glatt und lockend in seiner jetzigen Ruhe, aber so leicht geneigt, seine festgeschlossenen Küsten wüthend zu peitschen, der trügerischen Welt, deren Lächeln fast immer eben so gefährlich ist, wie ihr Zürnen; – und, um das Gemälde zu vollenden, die müßige, lachende, gedankenlose und doch entzündliche Gruppe, welche den Possenreißer umgab, dem sonderbaren Gemisch von menschlichen Neigungen, von raschen und wilden Leidenschaften, von Possen und Kurzweil, so unerklärlich mit der plumpsten Selbstsucht gepaart, die dem Herzen des Menschen sich zugesellt, mit einem Worte so vielem, das schön und göttlich ist, neben so. vielem, das geradezu aus der Hölle zu stammen scheint, eine Mischung, welche diesen geheimnißvollen und wunderbaren Zustand des Daseins ausmacht, und welche, wie wir durch Vernunft und Offenbarung gelehrt werden, nur eine Vorbereitung zu einem andern noch unbegreiflicheren und wunderbarern ist.



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