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Dreizehntes Kapitel.

Halt, thut ihm nichts, ich bitt' euch – er ist toll.

Lustspiel der Irrungen.

Die Feste des Bacchus sollen das Vorbild der seit langer Zeit bestehenden Feierlichkeiten, welche jetzt noch in der Schweiz unter dem Namen des Winzerfestes bekannt sind, gewesen sein.

Dieses Fest war ursprünglich einfachen und ländlichen Charakters und hatte bei weitem nicht die ausgedehnten Feierlichkeiten und klassischen Allegorien der neuern Zeit aufzuweisen, indem die Strenge der Mönchszucht die Einführung von Anspielungen auf die heidnische Mythologie, wie sie später statt fand, sehr wahrscheinlich hinderte; denn gewisse geistliche Gesellschaften, welche in der Nachbarschaft ausgedehnte Weinberge besaßen, scheinen die ersten bekannten Beschützer dieser Sitte gewesen zu sein. So lange eine strenge Einfachheit bei diesen Festen herrschte, wurden sie jährlich begangen; als aber lästigere Ausgaben und größere Vorbereitungen nöthig wurden, traten längere Zwischenräume ein; zuerst ließ man es alle drei Jahre feiern und später fand es nur alle sechs Jahre statt. Da man größere Zeit gewann, Mittel zu sammeln und die Neugier zu spannen, gewann das Fest an » éclat;,« bis es endlich eine Art Jubelfest wurde, zu welchem die Müßigen, die Neugierigen und die Schaulustigen aller umliegenden Gegenden in großen Haufen herbeizuströmen gewohnt waren. Die Stadt Vevay benutzte diesen Umstand, denn die gewöhnliche Triebfeder des Gewinnes half die Sitte begünstigen, und bis zur Zeit der großen Europäischen Revolution herab scheint das Fest in ununterbrochener Reihenfolge begangen worden zu sein. Die Vorbereitungen, auf welche wir schon so oft angespielt haben, galten einem der regelmäßigen und lange erwarteten Feste, und da der Ruf von den großen Zurüstungen sich weit verbreitet hatte, war der Besuch noch zahlreicher als gewöhnlich.

Früh an dem Morgen des zweiten Tages nach der Ankunft unserer Reisenden in dem benachbarten Schlosse Blonay, zog eine Abtheilung Männer, nach Art der Hellebardiere, einer damals an den meisten Höfen Europens bekannten Truppengattung, auf den großen viereckigen Platz von Vevay, nahm Besitz von der ganzen Mitte desselben und stellte ihre Schildwachen so aus, daß die gewöhnlichen Zugänge zu dem Platze gesperrt blieben. Dies war die Einleitung zu den kommenden Festlichkeiten, denn hier war der für die meisten Feierlichkeiten des Tages bestimmte Schauplatz. Die Neugierigen blieben nicht lange hinter den Schildwachen und als die Sonne über den Freiburger Bergen aufgegangen war, drängten sich einige Tausend Zuschauer in und um die Zugänge des Platzes, und von den jenseitigen Savoyischen Ufern kamen jeden Augenblick Boote, bis zu dem Rande mit Landleuten und ihren Familien gefüllt, an. An dem obern Ende des Platzes waren große Gerüste aufgeschlagen, auf welchen die Platz nehmen sollten, welche entweder durch ihren Rang dazu berechtigt waren, oder welche sich solche Ehre durch das gewöhnliche Mittel erkaufen konnten; während kleinere Bühnen für die minder Begünstigten die zwei andern Seiten eines Raumes einschlossen, welcher die Form eines gestreckten Vierecks hatte und bestimmt war, die in dem kommenden Schauspiel handelnden Personen aufzunehmen. Die dem Wasser zugekehrte Seite war frei, obgleich ein Wald von lateinischen Spieren und eine Terrasse von Verdecken den Abgang von Gerüsten und Raum mehr als ersetzten. Von Zeit zu Zeit hörte man Musik, die sich mit jenem wilden Alpentone, welcher die Gesänge der Bergbewohner charakterisirt, vermischte oder diese begleitete. Die Vorstände der Stadt waren früh zur Hand und erfüllten ihre Amtsverrichtungen, wie es bei den wichtigen Vollstreckern unbedeutender Geschäfte herkömmlich ist, mit einem Getöse, welches an sich schon den einleuchtendsten Beweis abgab, daß sie nicht von großer Wichtigkeit waren, und mit einer Gravität der Miene, deren die Häupter eines großen Staates entbehren zu können, für möglich erachtet haben dürften.

Die große Bühne, oder die für die vornehmere Klasse der Zuschauer bestimmte Estrade, war mit Fahnen geziert und die Mitte derselben mit Tapeten und seidenen Zeugen reich ausgeschmückt. Das schloßähnliche Gebäude an dem Ende des Platzes, dessen Fenster nach der gewöhnlichen Sitte in der Schweiz und Deutschland, von farbigem Glase waren, und das Gebäude als ein öffentliches bezeichneten, war auch bunt herausgeputzt, denn die Fahne der Republik flatterte über seinem zugespitzten Dache und reiche Seidenzeuge wehten an den Wänden. Dies war die Amtswohnung Peter Hofmeisters, des Beamten, mit welchem wir die Leser bereits bekannt gemacht haben.

Eine Stunde später gab ein Schuß den verschiedenen » troupes« das Zeichen zu erscheinen, und bald darauf langten Abtheilungen der verschiedenen handelnden Personen auf dem Platze an. Als die kleinen Züge unter dem Klange von Trompeten oder Hörnern herannahten, wurde die Neugierde thätiger, und das Volk durfte sich in jenen Theilen des Platzes, die nicht unmittelbar zu andern Zwecken bestimmt waren, umhertreiben. Um diese Zeit erschien ein Mann auf der Bühne, welcher nicht nur nach seinem Platze, sondern auch nach den lauten Begrüßungen und dem ungestümen Willkommen, mit welchen er von dem Volke unten begrüßt wurde, sich besonderer Auszeichnung zu erfreuen schien. Es war der gute Mönch vom St. Bernhard, der baarhaupt und mit einem heiter zufriedenen Gesicht die vielfachen Grüße der Landleute erwiederte, die größtentheils dem würdigen Augustiner entweder bei seinen häufigen Reisen zu den Mildthätigen der tiefer gelegenen Welt Gastfreundschaft bewiesen, oder sie bei ihren öftern Gängen über das Gebirg bei ihm gefunden hatten. Dieses Wiedererkennen und Begrüßen war ein schönes Zeichen der Gesittung; denn überall trug es das Gepräge einer herzlichen Gutmüthigkeit und der Bereitwilligkeit, den wohlwollenden Charakter der geistlichen Gemeinde zu ehren, welche durch die Person ihres Schlüsselmeisters vertreten wurde.

»Glück Euch, Vater Xavier, und eine reiche › quête‹,«– rief ein runder Landmann; – »unfreundlich habt Ihr in der letzten Zeit Benoit Emery und die Seinigen vergessen. Wann hat je ein Schlüsselmeister des St. Bernhard an meiner Thüre geklopft und ist mit leerer Hand weggegangen? Wir erwarten Euch mit Euerm Gefäße morgen; denn der Sommer war heiß, der Herbst ist reich und der Wein fängt an, wacker in unsere Fässer zu fließen. Ihr sollt schöpfen, ohne daß jemand auf Euch sieht, und von welcher Farbe Ihr nehmen wollt, sollt Ihr ihnhaben und unsern Willkomm dazu.«

»Dank, Dank, edler Benoit; der heilige Augustin wird der Gunst eingedenk sein, und deine fruchtbaren Weinberge werden durch deine Freigebigkeit nicht leiden. Wir fordern nur, damit wir geben können, und niemanden geben wir williger, als den wackern Waadtländern, welche die Heiligen in ihren Schutz nehmen mögen für ihre Güte und Freigebigkeit.«

»Nein, ich mag von Euern Heiligen nichts wissen; Ihr wißt, wir sind in der Waadt des heiligen Calvins Leute, wenn es ja ein Seliggesprochener sein muß. Aber was liegt uns daran, daß du Messe hörst, während wir den einfachen Gottesdienst lieben? Sind wir nicht Alle Menschen? thut der Frost den Gliedern der Katholiken nicht eben so weh wie denen der Protestanten? Ich habe nie gehört, daß Ihr oder einer aus Euerm Kloster den erfrorenen Reisenden nach seinem Glauben fragtet; wir werden alle mit brüderlicher Liebe und wie Christen es verdienen, gespeißt und erwärmt, und im Nothfall aus Eurer Apotheke versorgt. Was Ihr auf Euern Bergen droben auch von dem Zustande unserer Seelen denken möcht, niemand wird die menschenfreundlichen Dienste, die Ihr unserm Leibe weiht, in Abrede stellen. Habe ich recht, Nachbarn, oder ist dies nur das thörichte Geschrei des alten Benoit, der so oft über den Col gekommen ist, daß er vergessen hat, daß unsere Kirchen mit einander haderten und daß die Gelehrten uns auf verschiedenen Wegen in den Himmel bringen wollen?«

Die allgemeine Bewegung unter dem Volke und das Klatschen der Hände unterstützte die Wahrheit und die Popularität der Gefühle des Landmannes, denn in jener Zeit war das St. Bernhards-Kloster ausschließlicher die Zuflucht des wirklich armen Reisenden als jetzt, und erfreute sich weitum eines wohlverdienten Ruhmes.

»Ihr werdet immer auf dem Bergpaß willkommen sein, ihr und eure Freunde, und alle andere, die nach Gottes Ebenbild geschaffen sind, ohne eine andere Einmischung in eure Meinungen zu erfahren als die unseres frommen Gebetes,« erwiederte der gefällige und glücklich aussehende Mönch, dessen rundes zufriedenes Gesicht theils in gewohntem Behagen, theils in Dankbarkeit über dieses öffentliche Zeugniß zu Gunsten seiner Gemeinde und vielleicht auch ein wenig aus Freude über das Versprechen einer reichlichen Vermehrung der klösterlichen Vorräthe, lebhaft glänzte; denn das St. Bernhards-Kloster hatte, während so großer Zuspruch war, auch den natürlichen und nicht unbilligen Wunsch, für seine stete und unermüdete Freigebigkeit einigen Ersatz zu erhalten. »Ihr werdet uns das Glück nicht wehren, für die zu beten, welche wir lieben, obgleich dies vielleicht in einer Art geschieht, welche von der verschieden ist, in welcher sie den Segen für sich erflehen.«

»Macht es, wie Ihr wollt, guter Herr; ich gehöre nicht zu denen, die da bereit sind, eine Gunst von sich zu weisen, weil sie nach Rom schmeckt. Aber was ist aus unserm Freund Uberto geworden? Er kömmt selten in die Thäler, ohne daß wir uns freuen, sein glattes Fell zu sehen.«

Der Augustiner ließ den gewohnten Ruf hören und der Hund kam mit einem ernsten gewichtigen Schritte, als kennte er den Werth und die Nützlichkeit des Lebens, das er führte, und wie ein Thier, das gewöhnt ist mit freundlichem Auge von den Menschen beachtet zu werden, auf die Bühne. Die Erscheinung dieses wohlbekannten und berühmten Hundes verursachte eine neue Erregung in dem Haufen und viele drängten gegen die Wachen, um ihn genauer zu sehen, während einige ihm aus ihren Taschen Brocken als Zeichen der Dankbarkeit und der Werthschätzung zuwarfen. Inmitten dieses kleinen Zwischenspiels guter Herzen sprang ein dunkler zottiger Hund auf die Bühne und begann sehr kaltblütig und mit einer Thätigkeit, welche den Einfluß der scharfen Bergluft auf seinen Appetit bewies, verschiedene Bissen, die Uberto's Auge bis jetzt entgangen waren, aufzuzehren. Der Zudringling wurde ziemlich in der Art empfangen wie ein unbeliebter oder widerwärtiger Schauspieler die Feindseligkeiten des Parterre's und der Gallerie aushalten muß, wenn diese eine Unaufmerksamkeit oder eine Nachlässigkeit, die abzubitten er verweigert oder vergessen hat, rächen wollen. Mit andern Worten, er wurde mit allem dem, was sich zuerst ihren Händen darbot, unaufhörlich und erbarmungslos geworfen. Das unbekannte Thier, in welchem der Leser jedoch sofort den Wasserhund des Maledetto erkannt haben wird, empfing diese ungewöhnlichen Heimsuchungen mit einigem Staunen und ziemlich übel gelaunt; denn Nettuno war eben so sehr gewöhnt, in seinen Kreisen Freundschaftsbezeugungen von dem Geschlechte, dem er so treu diente, zu erhalten, wie irgend einer der berühmten und beliebten Hunde des Klosters. Nachdem er verschiedenen Steinen und Knütteln so gut, als eine ungemeine Aufmerksamkeit auf den vorliegenden Hauptpunkt es erlaubte und mit einer Geschicklichkeit, welche seiner Besonnenheit und Muskelkraft gleiche Ehre machte, ausgewichen war, traf eine Sendung von furchtbarem Gewicht den unglücklichen Begleiter Maso's in die Seite, und jagte ihn heulend von der Bühne. Im nächsten Augenblick war sein Herr dem Angreifer an der Kehle und schüttelte ihn, bis er schwarz im Gesicht wurde.

Der unselige Stein war von Konrad gekommen. Seines angenommenen Charakters vergessend, hatte er sich in das Geschrei gegen den Hund, dessen Werth und Nutzen ihm wenigstens hinreichend bekannt hätte sein sollen, um ihn in Schutz zu nehmen, gemischt und ihn am härtesten unter allen getroffen. Wir haben bereits gesehen, daß zwischen Maso und dem Pilger keine große Freundschaft bestand, denn der erstere schien ein instinktartiges Mißfallen an dem Berufe des letztern zu haben, und dieser kleine Vorfall war nicht der Art, daß er den Frieden zwischen ihnen herstellen konnte.

»Auch du,« rief der Italiener, dessen Blut schon bei dem ersten Angriff auf seinen treuen Begleiter in Wallung gerathen war und nun kochte, als er das feige und muthwillige Benehmen dieses neuen Angreifers bemerkte, »bist du nicht zufrieden, Gebete und Gottseligkeit bei den Gläubigen zu heucheln, sondern mußt du selbst Feindschaft gegen meinen Hund heucheln, weil es Mode ist, das St. Bernhardsthier auf Kosten aller andern Hunde zu loben? Wurm! – Fürchtest du nicht den Arm eines ehrlichen Mannes, wenn er sich in gerechtem Zorn gegen dich erhebt?«

»Freunde – Vevayer – ehrenwerthe Bürger!« keuchte der Pilger, als Maso's Hand ihn Athem holen ließ. – »Ich bin Konrad, ein armer, unglücklicher, reumüthiger Pilger – wollt Ihr mich wegen eines Thieres morden sehen?«

Solch ein Streit konnte an einem solchen Platze nicht lange währen. Anfangs begünstigten das Gedränge der Neugierigen und die Undurchdringlichkeit der Masse den Angriff des Seemanns; am Ende aber erwiesen diese Umstände sich als seine Feinde, indem sie ihn an der Möglichkeit hinderten, denen zu entrinnen, welche mit der Erhaltung des öffentlichen Friedens besonders beauftragt waren. Zum Glücke für Konrad – denn die Leidenschaft hatte Maso in Bezug auf die Folgen seiner Wuth gänzlich geblendet – drängten sich die Hellebardiere bald in die Mitte des Haufens und es gelang ihnen, den Pilger noch zu rechter Zeit aus dem tödtlichen Griff seines Angreifers zu retten. Die Gegenwirkung des heißen Angriffs machte Maledetto in dem Augenblick, wo seine Hand mit Gewalt gelöst worden war, zittern und er würde sobald als möglich verschwunden sein, wenn es denen, in deren Hände er gefallen war, beliebt hätte, einen so klugen Schritt zuzugeben. Allein jetzt begann der Wortkampf und das Geschrei der Stimmen, wie dergleichen gewöhnlich allen Streitigkeiten populärer Art vorangehen und nachfolgen. Der mit der Aufsicht über diesen Theil des Platzes beauftragte Diener Die Vevayer heißen diese Leute »Offiziers.« »Diener« entspricht ihrem Dienste vollkommen; auch gebraucht der deutsche Schweizer nur den Ausdruck »Diener« hier. S. Beschreibung v. Bern I. 237. Uebers. fragte; zwanzig antworteten in einem Athem, nicht allein ihre Worte gegenseitig überschreiend, sondern durch ihre Erläuterungen auch allem, was vorgebracht worden war, geradezu widersprechend. Der Eine behauptete, Konrad sei nicht damit zufrieden gewesen, daß er Maso's Hund angegriffen, sondern indem er geworfen, habe er auch gegen dessen Herrn eine persönliche Beleidigung ausgesprochen; dies war der Wirth, in dessen Haus der Seemann seine Wohnung genommen hatte, und bei dem er sich in seinen Ausgaben hinreichend freigebig zeigte, um ihn auf die gastfreundliche Unterstützung seines Wirthes rechnen zu lassen. Ein Zweiter erklärte sich bereit zu beschwören, der Hund sei das Eigenthum des Pilgers und pflege dessen Reisetasche zu tragen, und Maso habe, in Folge eines alten Grolls gegen den Herrn wie gegen das Thier, den Stein, der das arme Geschöpf heulend weggejagt, geschleudert, und einen milden Verweis seines Eigenthümers auf die außerordentliche Weise erhalten, von der Alle Zeugen gewesen wären. Dieser Zeuge war der neapolitanische Possenreißer Pippo, welcher sich seit dem Vorfall in dem Fahrzeug an Konrad's Person sehr angeschlossen hatte und bereit und entschlossen war, zu Gunsten eines Freundes, der seines Zeugnisses offenbar so sehr benöthigt war, alles zu beschwören und geschäh es auch nur auf den Grund guter Genossenschaft. Ein dritter erklärte, der Hund gehöre wirklich dem Italiener und der Stein sei eigentlich von jemand geschleudert worden, der in der Nähe des Pilgers, welcher mit Unrecht von Maso der That beschuldigt worden, stand; Maso habe aus Irrthum den Streit angefangen, und verdiene für die unanständige Weise, mit welcher er Konrad's Athem gehemmt, eine reichliche Strafe. Dieser Zeuge war ein vollkommen ehrlicher Mann, aber von gemeinem und leichtgläubigem Gemüthe. Er gab als Urheber des Haders einen Nahestehenden an, der zufällig einen schlechten Namen hatte und welcher wohl zum Vater jeder Sünde paßte, die man ihm möglicherweise anheim geben konnte; so wie auch vieler, bei denen man dies nicht konnte. Andrerseits war er auch denselben Morgen durch des Pilgers überschwengliche Betheuerungen religiösen Eifers hinter das Licht geführt worden – ein Umstand, welcher ihn an sich schon gehindert hätte, Konrad's Arm in der Luft zu entdecken, als er den Stein schleuderte, und der bedeutend dazu beitrug, ihn in der Ueberzeugung zu bestärken, daß die erste Schuld dem unglücklichen Wicht, dessen wir gedacht haben, beizumessen sei; denn die, welche nach allgemeinen Ueberzeugungen und Volksvorurtheilen entscheiden, häufen gewöhnlich alles Gehässige, das sie hartnäckig von dem Glücklichen und Begünstigten abwenden, auf die, welche durch eine allgemeine Uebereinkunft der gemeinschaftliche Schild für die Pfeile der Welt abzugeben verdammt sind.

Der Diener, der nur die drei Hauptzeugen und zumal die verwirrenden Erläuterungen derer, welche erklärten, sie seien in der Sache nur halb unterrichtet, gehört hatte, war in der größten Verlegenheit zu entscheiden, wer Recht und wer Unrecht habe. Er faßte daher den klugen Entschluß, alle Parteien, die Zeugen mit eingeschlossen, auf das Wachthaus zu schicken, indem er völlig überzeugt war, so das sicherste Mittel gefunden zu haben, den wahren Verbrecher zur Strafe zu ziehen und alle die, welche Zeugniß gaben, zu warnen, künftig in der Art, wie sie einander widersprächen, vorsichtig zu sein. Als diese billige Entscheidung eben ausgesprochen war, verkündigte Trompetenklang die Annäherung einer Abtheilung der vorzüglichsten Vermummten, wenn ein so unehrerbietiger Ausdruck auf Leute angewendet werden darf, welche in einem Feste auftreten, das man mit so vielem Recht in Ansehen erhält, wie das der Winzer. Diese Ankündigung beschleunigte die Schritte der Gerechtigkeit sehr, denn die, welche mit der Vollstreckung ihrer Beschlüsse beauftragt waren, fühlten die Nothwendigkeit, zu eilen, wenn sie nicht der Strafe verfallen wollten, einen anziehenden Theil des Schauspiels einzubüßen. Unter dem Einfluß dieser neuen Triebfeder, welche, wenn nicht so achtungswürdig, doch eben so stark war, als der Wunsch, das Recht zu fördern, wurden die Friedensstörer, selbst bis auf die, welche eine zanksüchtige Gemüthsart gezeigt hatten, indem sie Geschichten erzählten, deren eine die andere Lügen strafte, in einem Haufen weggebracht und das Publikum blieb im Genusse jener Ruhe, welche in diesen gefährlichen Zeiten des Aufruhrs und des Wechsels so nothwendig für seine Würde, so besonders günstig für den Handel, und so angenehm für die sein soll, deren Pflicht es ist, den öffentlichen Frieden mit so wenig Unbequemlichkeit für sie als möglich zu erhalten.

Ein Trompetenstoß war die Losung zu einer allgemeinen Bewegung, denn er verkündigte den Anfang der Feierlichkeiten. Da es sogleich nothwendig sein wird, von den verschiedenen Personen zu sprechen, welche bei dieser fröhlichen Gelegenheit dargestellt wurden, wollen wir hier nur bemerken, daß eine Gruppe der Schauspieler nach der andern auf den Platz kam und daß jede Gesellschaft unter dem Klang von Musik von ihrem besondern Zusammenkunftsort dem allgemeinen Mittelpunkte entgegen zog. Die Bühne füllte sich jetzt mit den Vornehmen; unter ihnen waren viele aus der hohen Aristokratie des herrschenden Cantons, die meisten seiner Würdenträger, die viel zu gravitätisch waren, als daß sie mehr denn gefällige Zuschauer bei Scenen wie diese hätten abgeben sollen, viele Adlige von Auszeichnung aus Frankreich und Italien, einige Englische Reisende – denn in jener Zeit galt England für ein entlegenes Land, und schickte nur einige Auserkorne heraus, um sich bei dieser Gelegenheit vertreten zu lassen, – die Mehrzahl derer aus den Umgebungen, welche die Zeit und die Kosten darauf verwenden konnten, und durch Rang oder Charakter zu dieser Auszeichnung berechtigt waren und die Frauen und Familien der Ortsbedienstigten, welche als Schauspieler bei der Darstellung beschäftigt waren. Während sich die verschiedenen Theile des großen Zuges auf dem Platz versammelten, wurden alle Sitze auf der Bühne besetzt, die ausgenommen, welche für den Landvogt und seine nächsten Freunde aufbewahrt waren.



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