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Fünftes Kapitel.

Wie er dem Zöllner gleicht, dem gleisenden!

Shylock.

Durch den Wechsel der Schaubühne des Marktschreiers blieb die Gesellschaft auf der Schanze des Schiffes im ruhigen Besitze ihres Theils des Fahrzeugs. Baptist und seine Leute schliefen noch auf den Kisten; Maso fuhr fort, auf der erhabenen Terrasse über ihnen hin und her zu gehen; und der bescheiden aussehende Fremde, dessen Eintritt in das Schiff dem Pippo so viele Witzworte entlockt hatte, saß ein wenig bei Seite, still, heimlich beobachtend und in sich gekehrt, auf derselben Stelle, die er den ganzen Tag über eingenommen hatte. Diese ausgenommen waren alle übrigen Reisenden um den Marktschreier versammelt. Vielleicht hatten wir aber Unrecht, die beiden oben Genannten dem gemeineren Haufen zuzugesellen, denn es war in mannigfacher Hinsicht ein großer Unterschied zwischen ihnen und der Mehrzahl ihrer Gefährten.

Das Aeußere und die persönliche Erscheinung des unbekannten Reisenden, der so sichtlich vor den Ausfällen des Neapolitaners zurückbebte, erhob ihn bedeutend über alle andere in dem Fahrzeuge, die nicht dem adeligen Stande angehörten, selbst den wohlhabenden Nikolaus Wagner, den Eigenthümer eines so großen Theils der Ladung nicht ausgenommen. Er hatte etwas Anständiges, das mehr Achtung heischte, als man damals dem Namenlosen zu zollen pflegte, eine Ruhe des Benehmens, das Nachdenken verrieth und die Gewohnheit der Selbstbeachtung und Selbstnachhülfe, verbunden mit einer Ehrerbietung gegen andere, ganz geeignet, ihm Freunde zu machen. In Mitten der geräuschvollen, überlauten Lustigkeit Aller umher hatte seine in sich bekehrte und verweisende Miene die Gunst der Vornehmern gewonnen, welche den Unterschied gewahren mußten und den Weg zu einem freieren Verkehr zwischen der Gesellschaft der Adeligen und einem Manne geöffnet, der, obgleich in den gewöhnlichen Punkten der geltenden Abscheidung nicht ihres gleichen, bedeutend über die erhaben war, mit welchen der Zufall ihn zusammengeführt hatte. Nicht so mit Maso; dieser hatte offenbar nichts gemein mit dem bescheidenen und schweigsamen Wesen, das seinem Wege bei dem kurzen Gange, den er auf dem Waarenhaufen hin und her machte, so nahe saß. Der Seemann war bei weitem jünger, denn er konnte kaum das dreißigste Jahr erreicht haben, während das Haar des unbekannten Reisenden sich bereits mit Grau zu mischen anfing. Der Gang, die Haltung, die Geberden des Erstern waren auch die eines Mannes, der auf sich vertraute, wohl Gleichgültigkeit gegen andere hegen mochte und bei weitem geneigter war zu befehlen als zu gehorchen. Dies sind Eigenschaften, welche bemerkbar zu machen, seine gegenwärtige Lage kaum geeignet scheinen dürfte: aber die kalten scharfen Blicke, welche er von Zeit zu Zeit auf die von Baptist angeordneten Bewegungen warf, der ausdrucksvolle Spott, mit welchem er seine Aussprüche beurtheilte, und einige beißende Bemerkungen, welche ihm den Tag über entschlüpft waren, und welche nichts weniger als Artigkeiten gegen die nautische Geschicklichkeit des Schiffsherrn und seines Süßwasser-Gefolges enthielten, hatten jene Eigenschaften ziemlich außer Zweifel gestellt. Doch gewahrte man bei diesem verdächtig aussehenden Menschen Zeichen, von etwas besserm, als man gewöhnlich bei Menschen findet, deren Gewand, Gewerbe und Lage so deutliche Winke geben, daß die Welt gegen ihre Grundsätze schwer andringt, wie es zufällig bei diesem armen und unbekannten Seemanne der Fall war. Obschon schlecht gekleidet und die allgemeinen Merkmale eines umschweifenden Lebens und jene lockere Verbindung mit der Gesellschaft, welche gewöhnlich für einen hinreichenden Beweis des Unverdienstes eines Mannes gilt, zur Schau tragend, zeigten seine Züge doch gelegentlich Gedankentiefe und sein Auge hatte den Tag hindurch oft auf die Gruppe seiner geistvollern Reisegenossen sich gewendet, als fände er Gegenstände höhern Interesses in ihrem Gespräche als in den rohen Scherzen und den handgreiflichen Späßen derer um ihn.

Der Vornehme ist stets höflich, ausgenommen in Fällen, in welchen Anmaßung die Artigkeit zurückstößt; denn die, welche an die Standesprivilegien gewöhnt sind, denken weit weniger an ihre Vorrechte, als die, welche, weil sie von diesen eingebildeten Vortheilen ausgeschlossen sind, gar zu gern einen Vorzug übertreiben, welcher, wie eine kurze Erfahrung lehren würde, sehr zweifelhaften Werthes im Besitze wird. Ohne diese gerechte Vorsicht der Vorsehung würden die Gesetze der civilisirten Gesellschaft wahrhaft unerträglich werden, denn wenn Seelenfriede, Freude und was gewöhnlich Glück genannt wird, im ausschließlichen Besitz der Reichen und Geehrten wären, so würde freilich in ihren jetzigen Einrichtungen eine so schreiende Ungerechtigkeit walten, daß sie den vereinigten Angriffen der Vernunft und Gerechtigkeit nicht lange widerstehen könnte. Zum Troste für die minder Begünstigten und zur Erhaltung des Weltfriedens verhält sich die Sache glücklicherweise anders. Der Reichthum hat seine eigenen Leiden; Ehren und Vorrechte werden in dem Gebrauche schaal; und vielleicht kann man es als Regel annehmen, daß weniger wahrhaft geregelte Zufriedenheit, wie diese die nächste Stufe zu der Glückslage bildet, deren dieser unruhige Zustand unsers Daseins unterworfen ist, unter denen gefunden wird, welche gewöhnlich von ihren Mitmenschen am meisten beneidet werden, als in einer andern der zahlreichen Abstufungen, in welche die gesellschaftliche Leiter getheilt worden ist. Wer die vorliegende Erzählung mit dem Auge liest, welches wir uns wünschen, wird in ihrer Anwendung die Erläuterung dieser Wahrheit finden; denn wenn es unsere Absicht ist, einige der Uebel zu zeichnen, welche aus den Mißbräuchen der Privilegirten und Mächtigen entstehen, so hoffen wir gleichermaßen zu zeigen, wie völlig unerreicht ihr Zweck bleibt, wenn sie verfehlen, das ausschließliche Glück zu verleihen, welches das Ziel ist, das alle zu erreichen streben.

Weder der Freiherr von Willading, noch sein edler Freund, der Genuese, waren, obwohl in den Ansichten ihres Standes erzogen und nothwendig unter dem Einflusse der Vorurtheile der Zeit, dem Uebermuthe gemeinen Stolzes zugethan. Ihr Zartgefühl war durch die Rohheit der Mehrzahl der Reisenden verletzt und sie waren froh, durch Pippo's List derselben los zu sein; kaum machte sich aber das bescheidene, anständige Wesen des zurückbleibenden Fremden bemerkbar, so entstand der Wunsch in ihnen, denselben für die Entbehrungen, welche er bereits erfahren hatte, dadurch zu entschädigen, daß sie ihm die Höflichkeiten bewiesen, welche ihr Stand so leicht und gewöhnlich so angenehm macht. In dieser Absicht hob Signor Grimaldi, sobald die lärmende Schaar sich entfernt hatte, mit jener umsichtigen und würdevollen Höflichkeit, welche zumal anzieht und zurückstößt, seine Hauptbedeckung, redete den einsamen Fremden an und lud ihn ein, herabzusteigen und sich auf dem Theile des Verdeckes niederzulassen, welches bisher als ausschließlich seiner Gesellschaft bestimmt angesehen worden war. Der Andere erschrack, erröthete und sah aus, wie Jemand, der da zweifelt, ob er recht gehört habe.

»Diese edeln Herrn würden sich freuen, wenn Ihr herabkommen und die Gelegenheit, Euern Gliedern Erholung zugeben, benutzen wolltet,« sagte der junge Sigismund, indem er dem Fremden seinen athletischen Arm entgegen streckte, um ihm seinen Beistand anzubieten, auf das Verdeck herabzusteigen.

Noch zauderte der Unbekannte, als fürchte er, er möchte Unrecht thun, wenn er sich über die von der Bescheidenheit gesteckten Grenzen wagte. Er blickte verstohlen zu dem Platze empor, den Maso inne hatte und murmelte etwas von der Absicht, den jetzt leeren Raum dort zu benutzen.

»Den hat einer eingenommen, der nicht geneigt scheint, einen andern zuzulassen,« sagte Sigismund lächelnd; »so ein Seemann hat eine Besonnenheit auf dem Wasser, die ihm gewöhnlich dieselbe Ueberlegenheit gibt, welche der gutbewaffnete Großsprecher unter der furchtsamen Menge auf der Straße hat. Ihr werdet daher wohl thun, das Anerbieten des edeln Genuesers anzunehmen.«

Der Fremde, den Baptist ein oder zweimal den Tag über etwas prahlerisch »Herr Müller« angeredet hatte, als wäre der Patron gewillt, die Zuhörenden wissen zu lassen, daß sich selbst unter seinen gewöhnlichen Passagieren Leute befänden, welche wenigstens achtbare Namen hätten, zauderte nicht länger. Er kam von seinem Sitze herab und ging auf dem Verdecke in seiner gewöhnlichen ruhigen Weise umher, aber doch so, daß man sah, er sei für den Wechsel, der ihm gestattet worden, empfänglich und dankbar. Sigismund wurde für diese Handlung der Gutherzigkeit durch ein Lächeln von Adelheid belohnt, welche sein warmes Einschreiten zu Gunsten eines Mannes, der dem Anschein nach so tief unter ihm stand, für keine Beeinträchtigung seines Ranges hielt. Es ist möglich, daß der junge Krieger ein geheimes Gefühl von dem Vortheil hatte, welchen ihm seine freundliche Theilnahme an dem Fremden brachte, denn das Blut stieg ihm in die Wangen und seine Miene war selbstzufriedener, nachdem er dieses kleine Werk der Menschenliebe vollbracht hatte.

»Ihr seid besser bei uns hier,« bemerkte der Freiherr freundlich, nachdem Herr Müller sich auf seinem neuen Platze gehörig eingerichtet hatte, »als bei der Ladung des ehrlichen Nikolaus Wagner, der – der Himmel schirme den wackern Landwirth! – uns gehörig bis an den Rand des Wassers mit der bemerkenswerthen Betriebsamkeit seiner Käser Käser, eigentlich der Senn, der die Käse kocht. Uebers. belastet hat. Ich sehe gern die Wohlhabenheit unserer Bürger, es wäre aber besser, für uns Reisende mindestens, wenn weniger von dem Reichthum des wackern Nikolaus in unserer Gesellschaft wäre. Seid Ihr von Bern, oder von Zürich?«

»Von Bern, edler Herr.«

»Ich hätte das ahnen sollen, da ich Euch an dem Genfer See finde, und nicht an dem Vierwaldstädter. Es gibt wohl viele Eures Namens in dem Emmenthal?«

»Der Herr hat recht; der Name kömmt häufig vor, sowohl in diesem Thal, wie im Entlibuch.«

»Man hört ihn oft bei uns von dem deutschen Stamm. Ich hatte viele Müller in meiner Compagnie, Gaetano, als wir vor Mantua lagen. Ich erinnere mich, daß zwei dieser braven Bursche in den Sümpfen jener niedrigen Gegenden begraben wurden; denn das Fieber war dem Feind so hülfreich wie das Schwert in dem Leben wegraffenden Feldzuge des Jahres, in welchem wir den Platz belagerten.«

Der schärfer blickende Italiener sah, daß diese persönliche Richtung der Unterhaltung den Fremden betrübte; während er daher der Bemerkung seines Freundes ruhig beistimmte, nahm er die Gelegenheit wahr, sie auf einen andern Gegenstand zu wenden.

»Ihr reist, wie wir, Signore, um auch diese weitberühmten Lustbarkeiten von Vevay anzuschauen?«

»Dies und Geschäfte, haben mich in diese ehrenwerthe Gesellschaft gebracht,« antwortete Herr Müller, den jedoch die ganze Freundlichkeit des Tones nicht bewegen konnte, das Schüchterne und Demüthige seiner Sprache aufzugeben.

»Und Ihr, Vater,« fuhr er fort, sich zu dem Augustiner wendend, »zieht Eurer Gebirgsresidenz entgegen, nachdem Ihr den Thälern und ihrem Volke einen Liebesbesuch gemacht habt?«

Der Mönch von St. Bernhard bekräftigte die Wahrheit dieser Bemerkung und erklärte die Art, wie sein Kloster jährlich die Freigebigkeit der Edeldenkenden im Schweizerland zu Gunsten seiner Anstalt anzusprechen pflege, welche im Interesse der Menschheit, ohne Rücksicht auf Glaubensunterschiede, gegründet worden.

»Es ist eine segenreiche Gemeinde,« antwortete der Genueser, indem er sich vielleicht mehr aus Gewohnheit als aus Frömmigkeit, bekreuzigte, »und die Reisenden müssen ihr Gutes wünschen. Ich habe Eure Gastfreundschaft nie genossen, aber alle Gerüchte erheben sie sehr, und der Name »Brüder vom St. Bernhard« sollte bei jedem Christen als ein Schutz- und Empfehlungsbrief sich erweisen.«

»Signore,« sagte Maso, rasch einhaltend und sich unaufgefordert in die Unterhaltung mischend, und doch auf eine Weise, welche den Schein einer unartigen Zudringlichkeit vermied, – »niemand weiß dies besser, als ich! Ein Wanderer so viele Jahre her, habe ich das Steindach des Hospitals oft mit eben so viel Vergnügen gesehen, als ich je auf den Eingang meines Hafens schaute, wenn eine widrige Kühlte gegen mein Segeltuch brauste. Ehre daher und reiche Almosen dem Schlüsselmeister des Klosters, denn dort wird dem Armen Hülfe und dem Müden Ruhe!«

Bei diesen Worten that Maso seine Mütze mit Anstand ab und setzte seinen beschränkten Gang mit dem Eifer eines eingesperrten Tigers fort. Das Einmischen in die Unterhaltung der Schönen und Edeln war etwas so Ungewöhnliches bei jemand seines Standes, daß die Gesellschaft Blicke des Erstaunens wechselte; aber Signor Grimaldi, der mehr als die meisten seiner Freunde an das rücksichtslose Benehmen und die kecke Sprache der Seeleute gewöhnt war, da er lange an den Küsten des Mittelländischen Meeres gelebt hatte, fühlte sich eher geneigt, diese mittheilende Stimmung zu begünstigen, als sie zurückzuweisen.

»Du bist nach deinem Dialekt ein Genueser,« das Recht, jemand von so viel jüngern Jahren und von einem so viel niedrigern Stande zu fragen, als etwas ganz natürliches ansprechend.

»Signore,« versetzte Maso, sein Haupt wieder entblößend, obgleich seine Miene eher hohe persönliche Achtung, als die Ehrerbietung eines gemeinen Menschen verrieth, – »ich bin in der Stadt der Paläste geboren, obgleich es mein Schicksal wollte, daß ich das Licht zuerst unter einem niedrigen Dache erblicken sollte. Die Aermsten von uns sind auf den Glanz von Genova la superba stolz, wenn auch ihr Ruhm unsern Seufzern entstammt ist.«

Signor Grimaldi runzelte die Stirne. Da er sich jedoch schämte, sich durch eine so unbestimmte und vielleicht unabsichtliche, besonders aber aus einer so unbedeutenden Quelle kommenden Anspielung beunruhigen zu lassen, nahm sein Antlitz den Ausdruck seiner gewöhnlichen Ruhe wieder an.

Ein Augenblick des Nachdenkens sagte ihm, es stünde ihm besser an, die Unterhaltung fortzusetzen, als sie wegen einer so unbedeutenden Ursache rauh abzuschneiden.

»Du bist zu jung,« versetzte er, »um mit der Aufführung der prächtigen Gebäude, von welchen du sprichst, in Vortheil oder in Nachtheil, großen Zusammenhang zu haben.«

»Dies ist wahr, Signore; ausgenommen in so fern einer um so besser oder schlimmer durch die daran ist, welche ihm vorangingen. Ich bin das, was ich scheine, mehr durch das Thun Anderer, als durch meine eigene Schuld. Ich beneide aber die Reichen und Vornehmen keineswegs; denn wer so viel von dem Leben gesehen hat wie ich, kennt den Unterschied zwischen den muntern Farben der Kleider und der der runzligen und kranken Haut, welche sie bedecken. Wir übermalen unsere Felucken glänzend und schön, wenn ihre Spannen Die Spannen sind gleichsam die Rippen eines Schiffes. Uebers. am meisten arbeiten und wenn die verrätherischen Planken im Begriffe stehen, die Wellen herein zu lassen, um uns zu ertränken.«

»Du siehst die Sache richtig an, junger Mann, und hast eine beißende Wahrheit gegen die geäußert, welche ihre Jugend damit vergeuden, daß sie einem Schattenbilde nachjagen. Du hast diese Dinge reiflich erwogen, denn wenn du mit deinem Loose zufrieden bist, so würde kein Palast unserer Stadt dich glücklicher machen.«

» Wenn, Signore, ist ein bedeutsames Wort! Die Zufriedenheit gleicht dem Polarstern – wir Seeleute steuern darnach, aber nie kann ihn einer erreichen!«

»Hätte ich mich dann doch in dir getäuscht? – Ist deine anscheinende Mäßigung nur erkünstelt, und möchtest du der Herr des Schiffes sein, in welchem der Zufall dich blos zum Passagier machte?«

»Und als ein böses Schicksal hat es sich erwiesen,« gab Maso lachend zur Antwort. – »Wir scheinen verdammt, die Nacht darauf bleiben zu sollen, denn weit entfernt, irgend ein Anzeichen von dieser Landkühlte zu sehen, von welchem Baptist so zuversichtlich gesprochen hat, scheint der Wind so gut wie das Schiffsvolk schlafen gegangen zu sein. Ihr seid mit dem hiesigen Klima bekannt, hochwürdiger Augustiner; pflegt man in der Regel auf Euerm Leman in dieser späten Jahreszeit eine so tiefe Ruhe zu finden?«

Eine Frage, wie diese, war ganz geeignet, den Wunsch des Sprechenden, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, zu verbergen, denn sie leitete die Aufmerksamkeit aller Anwesenden von einem Gegenstande, der eher aus Muße geduldet, als an sich interessant war, auf die verschiedenen natürlichen Erscheinungen, von denen man umgeben war. Der Sonnenniedergang war nun ganz vorüber und die Reisenden befanden sich in dem bezaubernden Augenblick, der dem gänzlichen Verschwinden des Tages vorangeht. Eine so tiefe Ruhe lag auf dem klaren See, daß es nicht leicht war, die Linie, welche die zwei Elemente trennte, da zu unterscheiden, wo die Bläue des Landes sich mit der wohlbekannten und eigenen Farbe des Leman vermischte.

Der Winkelried lag beinahe in der Mitte zwischen den Waadtländischen und Savoyischen Ufern, obgleich jenen näher als diesen. Auf der ganzen Ausdehnung des Wassers war kein anderes Segel sichtbar, mit Ausnahme eines einzigen, das schlapp von seiner Raa hing und einem Boot angehörte, welches St. Gingoulph Man spricht diesen Ortsnamen aus, als würde er St. Gingou geschrieben. Uebers. entgegen trieb, von der andern Seite des Sees zurückkehrende Savoyarden nach Haus führend, und welches in dieser täuschenden Landschaft dem Auge kaum einen Steinwurf von dem Fuß des Berges entfernt schien, obgleich es noch mühsamen Ruderns bedurfte, bis es das Land erreichte.

Die Natur hat in dieser erhabenen Gegend ihr Gemälde auf eine so prachtvolle Weise angelegt, daß Sinnestäuschungen dieser Art sehr häufig sind, und man Zeit und Uebung braucht, ehe man über diese Messungen, die an andern Orten ganz geläufig geworden sind, urtheilen kann. In gleicher Art wie das Fahrzeug unter den Savoyischen Felsen lag ein zweites, schwergebautes Boot fast in einer Linie mit Villeneuve, welches in der Luft und nicht in seinem eigenen Elemente zu schwimmen schien und dessen Ruder man unter einem hohen Damm, welcher durch die Strahlenbrechung gestaltlos wurde, sich heben und senken sah. Dieses Fahrzeug brachte den Eigenthümern der Wiesen an der Ausmündung der Rhone das Heu in die Dörfer an dem Schweizer Ufer. Einige leichte Kähne ruderten vor der Stadt Vevay umher, und ein Wald von kleinen Masten und lateinischen Raaen, in den hundert malerischen, der Takelage eigenen Lagen sich zeigend, ward auf dem wilden Ankerplatz, welchen man seinen Hafen nannte, sichtbar.

Hätte man eine Linie in der Luft von St. Saphorin nach Meillerie gezogen, so würde sie die Spieren des Winkelried durchschnitten haben, seine Entfernung von dem Hafen betrug folglich etwas mehr als eine Seemeile. Dieser Raum hätte in einer oder zwei Stunden vermittelst der Streichen Lange, schmale Ruder. zurückgelegt werden können, wäre das Verdeck nicht so sehr belemmert Im Wege stehen. gewesen, wodurch der Gebrauch derselben erschwert werden mußte, und hätte das Schiff nicht die große Last getragen, welche eine solche Arbeit höchst mühselig machte. Baptist zog es vor, wie wir gesehen haben, die Nachtkühlte zu erwarten, statt zu einem so anstrengenden und langsamen Mittel seine Zuflucht zu nehmen.

Wir haben bereits gesagt, daß der eben beschriebene Punkt in der Gegend war, wo der Leman sein östliches Horn betritt und seine Ufer ihre kühnsten und schönsten Gestalten zeigen. Auf der Seite von Savoyen war die Küste eine erhabene Felsenmauer, da und dort mit Kastanien bekleidet oder mit Schluchten und tiefen Thalklüften eingekerbt, und nackt und wild entlang der ganzen Linie ihrer steilen Gipfel. Die so oft erwähnten Ortschaften, welche in der neuern Zeit durch den Pinsel des Genies berühmt geworden sind, Rousseau in der neuen Heloise. Uebers. klebten an den Abhängen, die untern Häuser von dem See bespült, die obern mit den wilden Formen der Berge verschmolzen. Jenseits der Ufer des Lemans schossen die Alpen in noch höhern Kuppen empor, da und dort einen jener nackten Granitrücken zeigend, welche sich wohl tausend Fuß über die übrigen der Kette erheben – eine Kleinigkeit in der erstaunenswerthen Stufenleiter dieser ungeheuern Massen – und die in der Landessprache nicht unpassend Dents genannt werden, wegen ihrer eingebildeten und scheinbaren Aehnlichkeit mit Menschen-Zähnen. Die grünen Auen von Noville, Aigle und Bex, stundenlang zwischen diesen schneebekleideten Wehren hingedehnt, verschwanden jedoch vor dem Auge so, daß der Beschauer das für eine bloße Niederung hielt, was wirklich eine breite, fruchtbare Ebene war. Jenseits dieser wieder kam der berühmte Paß von St. Maurice, wo die schäumende Rhone zwischen zwei Felsvorsprüngen dahinstürmte, als eilte sie durchzukommen, ehe die überhängenden Berge sich berührten und sie für immer von dem lockenden Becken ausschlössen, dem sie mit nimmer rastendem Brausen entgegen flog. Hinter diesem Gebirgspaß, so berühmt als der Schlüssel des Wallis und, zur Zeit des Welteroberers, selbst der Alpen, nahm der Hintergrund den Charakter heiligen Geheimnisses an. Die Schatten des Abends lagen dicht in dieser ungeheuern Schlucht, die groß genug war, um einen unabhängigen Staat zu umschließen, und die dunkeln Gebirgsmassen drüber lagen in einer nebligen, gebrochenen Reihe da. Der Westen war eine graue Felsenkette, auf welcher wollige Wolken ruhten, als wären sie ihres langen und hohen Fluges müde, und wo der scheidende Tag noch mild und glänzend zögerte. Ein Kegel von blendendem Weiß überragte Alles. Er glich einem glänzenden Schrittstein zwischen Himmel und Erde, wie die heiße Sonne wirkungslos gegen seine Seiten fiel, der kalten und reinen Brust einer Jungfrau ähnlich, die jene verrätherischen Gefühle zurückweist, welche das Verderben einer glänzenden und glorreichen Unschuld sind. Ueber dem Gipfel dieser prächtigen und wolkengleichen Kuppe, welche den entferntesten Punkt für das Auge bildete, lief die eingebildete Linie hin, welche Italien von den nördlichen Gegenden trennte. Wenn das Auge sich wieder näherte und dem entgegengesetzten Ufer zuwendete, umfaßte es die Reihe wallähnlicher Felsen, welche über Villeneuve und Chillon ragten, letzteres eine schneeweiße Masse, die theils auf dem Land und theils in dem Wasser zu ruhen schien. Auf den ausgedehnten Bergtrümmern breiteten sich die Dörfer Clarens, Montreux, Châtelard und alle jene andern Orte aus, welche den Lesern von Dichtungen durch Rousseau's lebendige Feder seitdem so bekannt geworden sind. Ueber dem letztern Dorfe trat die ganze wilde und felsige Bergkette zurück und überließ das Seegestade den rebenbekleideten Uferhöhen, welche weit nach Westen hinablaufen.

Kein Moment konnte für den Anblick dieser, zu allen Zeiten reizenden und großartigen Scenerie günstiger sein, als dieser. Der Glanz des Tages war von allem geschieden, was dem angehörte, das die niedere Welt genannt werden könnte, statt dessen die sanften Farben, die lieblichen Schatten und die mannigfaltigen Tinten des Zwielichts zurücklassend. Hundert Sennhütten tüpften die Alpen oder jene Bergweiden, welche sich tausend Klafter über dem Leman vom Fuße des Felsen an ausbreiteten, der wie eine Mauer hinter Montreux lag, und noch von dem Glanze eines milden Abends umschwommen war, während alles Tiefere sich in die dunklern Farben dieser Stunde dicht einhüllte.

Wie der Uebergang vom Tag zur Nacht fühlbarer wurde, erschienen die Dörfer Savoyens grau und neblig, die Schatten drängten sich dichter um den Fuß der Berge, so daß ihre Umrisse unbestimmter und massenhafter wurden und die milde Glorie der Scenerie sich auf ihre Gipfel übertrug. Von der Sonne umglänzt, stellen sich diese stattlichen Höhen als eine lange Kette nackten Granits dar, welche sich über Kastanien-grünen Hügeln emporthürmen und von einigen jener vorspringenden Felsen gestützt werden, welche vielleicht nothwendig sind, um ihren Abhängen Mannigfaltigkeit und angenehme Schatten zu geben. Ihre Umrisse zeichnen sich nicht in jenen Wellenlinien ab, welche Raphaels Pinsel mit Vorliebe gewählt hätte – sie sind dunkel, bestimmt und wie künstlich eingeschnitten. Die gebogenen und seltsamen Säume der Felsen hoben sich stark gegen den Hintergrund eines perlenfarbigen Himmels ab und glichen dem Ebenholz, das in jeder phantastischen Form ausgeschnitten ist, die eine wilde und lebendige Einbildungskraft nur erdenken kann. Unter allen den wundervollen und merkwürdigen Scenen, welche dieses außerordentliche Land darbietet, ist vielleicht keine, welche eine so herrliche Mischung des Edeln, Schönen und Hinreißenden zeigt, wie dieser Anblick der natürlichen Arabesken Savoyens, in der feierlichen Stunde der Dämmerung gesehen.

Der Freiherr von Willading und seine Freunde standen aus Ehrerbietung vor diesem erhabenen Gemälde, das nur aus den Händen des Schöpfers kommen konnte, unbedeckten Hauptes, sich der milden Ruhe dieser Stunde ungetrübt erfreuend. Ausrufungen der Freude waren ihnen entschlüpft, wie das große Schauspiel vorrückte, denn unter dem vorschwebenden und wechselnden Lichte war der Anblick, wie der Wechsel von Decorationen, in einem steten Uebergangszustande, und jeder hatte dem andern irgend einen besondern Reiz der Scene gezeigt. Das Schauspiel war in der That der Art, daß es jede Selbstsucht ausschließen mußte, und jeder wünschte, was er sah, mit allen zu theilen. Vevay, ihre Reise, die eilenden Augenblicke, und ihre vereitelte Hoffnung – alles ward in der Wonne vergessen, diese Abendlandschaft zu beschauen, und das Schweigen ward nur unterbrochen, um jene Gefühle des Entzückens laut werden zu lassen, welche lange in jeder Brust alle andern verdrängt hatten.

»Ich beuge mich vor deiner Schweiz, Freund Melchior,« sagte Signor Grimaldi, nachdem er Adelheid's Aufmerksamkeit auf eine der Bergkuppen Savoyens gerichtet hatte, von welcher er bemerkte, sie scheine ihm ein Fleck, wo ein Engel bei seinen irdischen Besuchen wohl gern seinen Fuß ruhen ließ, – »wenn Ihr vieles dieser Art habt, müssen wir Italiener darnach schauen, sonst verlieren wir – bei den Schatten unserer Väter! – den Ruf unserer Liebe für natürliche Schönheit. Wie ist es, junge Dame, gibt es viele solche Sonnenuntergänge zu Willading? oder ist dieser nur eine Ausnahme von dem, was du gewöhnlich siehst – auch für dich ein Gegenstand des Staunens, wie – bei San Francesko, wir müssen es eingestehen, guter Marcelli – für dich und mich!«

Adelheid lachte über des alten Herrn heitere Rhapsodie; aber so sehr sie auch ihr Heimathsland liebte, konnte sie doch nicht mit Wahrheit behaupten, daß dieses Schauspiel zu denen gehöre, welchen man oft begegne.

»Haben wir auch diesen Anblick nicht, so haben wir unsere Gletscher, unsere Seen, unsere Lusthäuschen, unsere Sennhütten, unser Oberland und Thäler, die an sich schon ein ewiges Zwielicht haben.«

»Ei, meine biedere, hübsche Schweizerin, so mußt du sprechen, die du wohl auch behaupten wirst, ein Tropfen deines Schneewassers sei tausend klare Quellen werth; sonst wärst du nicht des alten Melchior's von Willading rechtmäßige Tochter; aber an dem kältern Kopf dessen, der andere Länder gesehen hat, ist es vergeudet. Vater Xavier, Ihr seid ein Unpartheiischer, denn Eure Wohnung liegt auf der Firste, welche die zwei Länder scheidet, und ich wende mich an Euch, um zu erfahren, ob diese Helvetier viele Abende dieser Art haben?«

Der würdige Mönch nahm diese Frage in dem Sinne auf, in welchem sie gestellt war, denn die Elasticität der Luft und die himmlische und bezaubernde Lieblichkeit der Stunde hatte ihn sehr zur Heiterkeit gestimmt.

»Um meinen Charakter als unpartheiischer Richter zu behaupten,« antwortete er, –»sage ich, jedes Land habe seine Vorzüge. Wenn die Schweiz das wundervollste und großartigste ist, so ist Italien das anmuthigste. Letzteres läßt dauerndere Eindrücke und ist dem Herzen theuerer. Das eine macht einen gewaltsamen Eindruck auf die Sinne, das andere schmeichelt sich langsam in unsere Liebe ein; und wer in dem einen seine Bewunderung in Ausrufungen und Beiwörtern frei ausgegossen hat, wird am Ende keine Worte haben, um all das geheime Verlangen, die theuern Erinnerungen und die schmerzliche Sehnsucht auszudrücken, welche er dem andern weiht.«

»Trefflich gesprochen, Freund Melchior, und wie ein kluger Schiedsmann, welcher jedem seinen Theil Trost und Eitelkeit läßt. Herr Müller, stimmt Ihr der Entscheidung bei, die Eurer Schweiz einen so furchtbaren Nebenbuhler gibt?«

»Signore,« antwortete der sanfte Reisende, – »ich finde in beiden Ländern genug zu bewundern und zu lieben, wie es stets mit dem, was Gott geschaffen hat, der Fall ist. Es ist dies eine glorreiche Welt für den Glücklichen, und die meisten könnten glücklich sein, wenn sie den Muth fassen wollten, unschuldig zu sein.«

»Der wackere Augustiner wird Euch sagen, daß dies mit einigen theologischen Punkten, in welchen unsere gemeinschaftliche Natur mit ziemlich geringer Achtung behandelt wird, nicht ganz harmonirt. Wer unschuldig bleiben will, muß einen schweren Kampf mit seinen Neigungen kämpfen.«

Der Fremde war gedankenvoll, und Sigismund, dessen Auge forschend an seine Züge gefesselt waren, glaubte darin mehr Friede als gewöhnlich zu finden.

»Signore,« erwiederte Herr Müller, nachdem er eine Zeitlang nachgedacht hatte: »ich glaube, es ist gut für uns, das Unglück zu kennen. Wer zu viel eigenen Willen hat, wird leicht halsstarrig und, wie der überfütterte Stier, schwierig zu behandeln, während der, welcher unter dem Mißfallen seiner Mitgeschöpfe lebt, gezwungen ist, tief in sich selbst zu schauen und am Ende dahin kömmt, seinen Geist zu zügeln, indem er dessen Fehler entdeckt.«

»Seid Ihr ein Anhänger Calvins?« fragte rasch der Augustiner, erstaunt, aus dem Munde eines Abtrünnigen von der Kirche so gesunde Ansichten zu hören.

»Vater, ich gehöre weder Rom, noch der Genfer Kirche an. Ich verehre Gott in Demuth und glaube an die segenvolle Vermittlung seines heiligen Sohnes.«

»Wie! – Wo findet Ihr außerhalb der Schranken der Kirche solche Gefühle?«

»In meinem eigenen Herzen. Dies ist mein Tempel, frommer Augustiner, und ich betrete ihn nie, ohne seinen allmächtigen Schöpfer anzubeten. Eine Wolke schwebte bei meiner Geburt über meines Vaters Dach und es ward mir nicht vergönnt, viel mit Menschen zu verkehren; aber die Einsamkeit meines Lebens hat mich gezwungen, meine eigene Natur zu studiren, die, wie ich hoffe, durch diese Erforschung nicht verloren hat. Ich weiß, ich bin ein unwürdiger und sündiger Mensch, und ich hoffe, Andere sind um so viel besser denn ich, als ihre Meinung von sich selbst Grund gibt, solches zu glauben.«

Diese Worte des Herrn Müller, welche durch sein natürliches und ruhiges Wesen nichts an ihrem Gewicht verloren, erregten die Neugierde. Anfangs waren die meisten Anwesenden geneigt, ihn für einen jener überspannten Geister zu halten, welche sich durch eine vorgebliche Selbsterniedrigung erhöhen; aber sein einfaches, ruhiges und gedankenvolles Benehmen erzeugte bald eine günstigere Meinung. Es war eine Gewohnheit des Nachdenkens, ein in sich zurückkehrender Blick an ihm bemerkbar, welcher von dem Charakter eines Mannes zeugte, der lange und ernst gewöhnt war, mehr auf sich als auf andere zu schauen, welches ihm ungemein zu statten kam.

»Wir dürften nicht alle diese schmeichelhaften Ansichten von uns selbst haben, welche Eure Worte uns beizumessen scheinen, Signor Müller,« bemerkte der Genueser und nahm einen Ton an, der geeigneter war, die Gefühle des Angeredeten zu besänftigen, während unbemerkt ein Schatten über seine ehrwürdigen Züge flog, – »und nicht alle erfreuen sich des Friedens, die ihn zu haben scheinen. Wenn es Euch zum Troste gereicht, zu erfahren, daß andere wahrscheinlich nicht glücklicher sind als Ihr, will ich hinzufügen, daß ich manchen Schmerz empfunden habe und dies zwar unter Umständen, welche die Meisten für glücklich erachtet, und welche, wie ich fürchte, die große Mehrzahl des Menschengeschlechts zu beneiden geneigt ist.«

»Ich würde mich in der That verachten, wenn ich in einer solchen Quelle Trost suchte! Ich klage nicht, Signor, obgleich mein ganzes Leben so verstrich, daß ich schwerlich sagen kann, ich hätte mich dessen gefreut. Es ist nicht leicht zu lächeln, wenn wir wissen, daß uns alle grollen; sonst könnte ich zufrieden sein. Ich fühle sonach eher, als ich mißgönne.«

»Dies ist ein höchst sonderbarer Charakter,« flüsterte Adelheid dem jungen Sigismund zu; denn beide waren der ruhigen aber kräftigen Sprache des Herrn Müller mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Der junge Mann antwortete jedoch nicht und seine schöne Gefährtin sah erstaunt, daß er blaß war und kaum ihre Bemerkung mit einem Lächeln beachtete.

»Der Groll der Welt, mein Sohn,« bemerkte der Mönch, »wird gewöhnlich den treffen, welcher ihre Gesetze übertritt. Diese letztern mögen nicht immer gerecht sein, aber es gibt ein allgemeines Gefühl, welches es verschmäht, die Unschuld, selbst in dem engen Sinne, in welchem wir das Wort nehmen, mit unverdientem Mißfallen heimzusuchen.«

Herr Müller blickte ernst auf den Augustiner und schien im Begriff zu antworten; er unterdrückte aber die Anregung und beugte sich schweigend. Zu gleicher Zeit leuchtete ein wildes, schmerzliches Lächeln auf seinem Gesicht.

»Ich denke, wie Ihr, guter Mönch,« sagte der schlichte Freiherr: »wir sind sehr geneigt, mit der Welt zu hadern, wenn wir der Sache aber recht auf den Grund sehen, werden wir finden, daß die Ursache unserer Beschwerden gewöhnlich in uns selbst liegt.«

»Gibt es keine Vorsehung, Vater?« rief Adelheid ein wenig tadelnd für ein Mädchen von ihrem ehrerbietigen Charakter und ihrer großen kindlichen Liebe: »Können wir die Todten ins Leben zurückrufen oder die Lebendigen erhalten, welche Gott abzurufen beliebt?«

Diese Bemerkung veranlaßte eine verlegene Pause, während welcher Herr Müller heimlich um sich blickte, von dem Antlitz des einen auf das des andern schauend, als suchte er ein Gesicht, welchem er Vertrauen schenken dürfte. Aber er wandte sich ab und dem Anblick jener Hügel zu, welche der Finger des Allmächtigen so seltsam gebildet hatte und schien sich in der Betrachtung zu verlieren.

»Dies ist ein Geist, der durch frühe Unbesonnenheit zerquetscht wurde,« sagte Signor Grimaldi leise, – »und in dem sich Reue und Ergebung seltsam mischen. Ich weiß nicht, ob man einen solchen Mann mehr beneiden oder bemitleiden soll. Es ist eine furchtbare Mischung von Ergebung und von Schmerz in seinem Wesen.«

»Er hat nicht die Miene eines Meuchelmörders oder eines Bösewichts,« antwortete der Freiherr. – »Wenn er wirklich von den Müller im Emmenthal oder von denen zu Entlibuch abstammt, sollte ich etwas von seiner Geschichte wissen. Sie sind wohlhabende Leute und größtentheils von gutem Ruf. Es ist wahr, in meiner Jugend fiel einer aus der Familie bei dem Rath wegen Verheimlichung gesetzlicher Ansprüche des letztern auf gewisse Einkünfte in Ungnade; aber der Mann gab einen Ersatz, dessen Betrag hinreichend erfunden wurde, und die Sache war vergessen. Es ist nicht gewöhnlich, Herr Müller, Bewohner unsers Kantons zu finden, welche es weder mit Rom noch mit Calvin halten.«

»Es ist nicht gewöhnlich, mein Herr, Leute zu finden, deren Lage der meinigen gleicht. Weder Rom noch Calvin genügen mir; – ich habe Gott vonnöthen!«

»Ich fürchte, Ihr habt gemordet?«

Der Fremde beugte sich und sein Gesicht wurde, von der Spannung seines Geistes, wie es schien, bleifarben. Der Ausdruck mißfiel dem Freiherrn von Willading so sehr, daß er seine Augen unbehaglich wegwandte. Der Andere blickte öfter auf den vordern Theil des Fahrzeugs und schien sich anzustrengen zu sprechen, aber aus irgend einem wichtigen Grunde nicht im Stande zu sein, seinen Vorsatz auszuführen. Endlich entblößte er sein Haupt und sagte fest, als sei er über Scham erhaben, während er das Bedeutende seiner Mittheilung fühlte, aber mit seiner vorsichtig gedämpften Stimme:

»Ich bin Balthasar, aus Euerm Kanton, edler Herr, und bitte um Euern mächtigen Beistand, wenn jene ungezähmten Geister auf dem Vorkastell die Wahrheit entdecken sollten. Mein Blut gerann heute, als ich ihre herzlosen Drohungen und ihre schrecklichen Verwünschungen hörte. Ohne diese Furcht hätte ich mein Geheimniß bewahrt, denn Gott weiß es, ich bin nicht stolz auf mein Amt!«

Das plötzliche und allgemeine Staunen, allseitig von einer Bewegung des Abscheus begleitet, veranlaßte den Signor Grimaldi, nach der Ursache zu fragen.

»Eure Name steht offenbar nicht in großer Gunst, Herr Müller oder Herr Balthasar, welcher Name Euch am besten gefällt,« bemerkte der Genueser, einen raschen Blick im Kreise umher werfend. »Es ist hier ein Geheimniß im Spiele, das für mich nothwendig der Erklärung bedarf.«

»Signore, ich bin der Scharfrichter von Bern.«

Signore Grimaldi, zwar lange geübt in den seinen Sitten seines hohen Standes, welche ihn gelehrt hatten, starke Erregungen in den meisten Fällen zu unterdrücken, konnte doch die plötzliche Bewegung nicht verbergen, welche diese unerwartete Mittheilung hervorbrachte, denn er war den gewöhnlichen menschlichen Vorurtheilen nicht entgangen.

»Wahrlich, Melchior, wir haben es mit unserm Gefährten glücklich getroffen,« sagte er trocken und wendete sich ohne Umstände von dem Manne, dessen bescheidene, ruhige Miene ihn vorher so sehr angezogen hatte, dessen Wesen er aber jetzt für erkünstelt hielt, – sich nicht die Zeit nehmend, die Beweggründe derer zu erforschen, welche die öffentliche Meinung verdammt: »hier ist viele herrliche und nützliche Moral an einem sehr unwürdigen Gegenstand vergeudet worden.«

Der Freiherr nahm die Kunde von dem wirklichen Namen ihres Reisegefährten mit weniger Erregung auf. Die Sprache, welche er gehört hatte, kam ihm so seltsam vor, daß sie ihn aus der Fassung gebracht hatte, und er fand in der kurzen Lösung des Räthsels Beruhigung.

»Der vorgebliche Name war also nichts anders als eine Hülle, um die Wahrheit zu verstecken? Ich kenne die Müller im Emmenthal so gut, daß es mich große Mühe kostete, den Charakter, welchen der ehrliche Mann annahm, einem von ihnen allen einigermaßen anzupassen. Die Sache ist aber jetzt klar genug, und ohne Zweifel hat Balthasar nicht großen Grund, auf den Streich stolz zu sein, den das Schicksal seiner Familie spielte, als es sie zu Scharfrichtern machte.«

»Ist das Amt erblich?« fragte der Genueser rasch.

»Allerdings. Du weißt, wir Berner haben große Achtung vor alten Sitten und Gebräuchen Tempi passati! Die Berner haben ihre alten Meublen eingepackt und nach Modena geschickt, und der Grundsatz, wer dumm geboren sei, müsse dumm bleiben, oder gar an der Regierung Theil nehmen, gilt nicht mehr. Uebers. . Wer für den Rath geboren ist, wird in der Ausübung seiner Rechte sterben, und wer ausserhalb seiner ehrwürdigen Marken geboren ist, muß zufrieden sein, ausserhalb derselben zu leben, er müßte denn Gold oder Freunde haben. Unsere Institutionen sind der Natur abgelauscht; auch diese läßt den Menschen, wie er geschaffen ist, indem sie die Ordnung und Harmonie durch ehrwürdige und klare Gesetze bewahrt, wie dies weise und nothwendig ist. In der Natur bleibt der stark geborne stark, und der, welcher wenig Kraft hat, muß mit seiner Schwäche zufrieden sein.«

Der Signor Grimaldi fühlte sichtbar tiefe Zerknirschung.

»Ist Euer Scharfrichteramt wirklich ein erbliches?« fragte er, zu Balthasar selbst gewendet.

»Signore, ja, so ist's, sonst hätte meine Hand nimmer getödtet. Es ist ein schweres Amt, selbst unter den Verpflichtungen und Strafen des Gesetzes; – ohne diese wär' es ein verfluchtes.«

»Eure Väter hielten es für ein Vorrecht!«

»Wir dulden wegen ihres Irrthums, Signore, die Sünden unserer Väter sind in unserm Falle in der That auf die Nachkommen der spätesten Geschlechter vererbt worden.«

Die Züge des Genuesers heiterten sich auf und seine Stimme nahm wieder jenen höflichen Ton an, in welchem er gewöhnlich redete.

»Dies ist wahrhaft eine Ungerechtigkeit,« sagte er, – »sonst würde ein Mann von Euerm Aussehen nicht in dieser grausamen Lage sein. Verlaßt Euch darauf, daß unser Ansehen Euch schützt, wenn wirklich da, wo Ihr es zu fürchten scheint, Gefahr drohen sollte. Die Gesetze müssen stets geachtet werden, wären sie auch nicht immer so streng unpartheiisch, als wir es wohl wünschen. Ihr habt die Unvollkommenheit der menschlichen Natur anerkannt, und es ist nichts Auffallendes, daß ihr Werk Gebrechen hat.«

»Ich klage nicht über die Sitte, welche für mich zur Gewohnheit wurde, aber ich fürchte die ungezähmte Wuth jener unwissenden und leichtgläubigen Menschen, welche die seltsame Grille gefaßt haben, meine Anwesenheit könnte den Fluch auf dieses Fahrzeug herabziehen.«

Es gibt zufällige Lagen, welche mehr gesunde Moral enthalten, als tausend scharfsinnige und schönklingende Predigten, und in welchen die nackte Einfachheit von Thatsachen beredter ist, als das Sinnreichste, das sich durch Worte darstellen läßt. Dies war der Fall bei dieser sanften und unerwarteten Bitte Balthasar's. Alle, welche ihn hörten, sahen seine Lage in einem ganz andern Lichte, als sie ihnen erschienen wäre, hätte sich der Gegenstand ihnen unter gewöhnlichen Umständen dargestellt. Ein allgemeines und schmerzliches Gefühl zeugte stark gegen die Unterdrückung, welche seine unglückliche Lage hervorgerufen hatte, und der gute Melchior von Willading war selbst erstaunt, wie eine solche auffallende Ungerechtigkeit unter den Gesetzen von Bern habe stattfinden können.



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