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Drittes Kapitel.

Ach, Vetter Stille, wenn du das gesehen
hättest, was dieser Ritter und ich gesehen haben!

Heinrich der Vierte.

Der berechnende Schiffsherr des Winkelried's hatte geduldig den eben erzählten Hergang mit großem innern Behagen beachtet; nun aber, da die Fremden einer so mächtigen Stütze, wie die des Freiherrn von Willading, gewiß schienen, wollte er sie ohne weiteren Zeitverlust benützen. Die alten Herren standen noch, nach einer zweiten warmen und innigeren Umarmung, mit in einander geschlagenen Händen und mit Thaten, welche über die beiden gefurchten Gesichter herabflossen, als Baptist vortrat und seine wie rabenartig klingende Warnung einfließen ließ.

»Edler Herr,« sagte er, »wenn die Glückwünschungen eines niedrigen Mannes, wie ich bin, die Freuden dieses glücklichen Zusammentreffens erhöhen können, so bitte ich, sie anzunehmen; aber der Wind hat kein Herz für Freundschaft und keinen Sinn für den Gewinn oder Verlust von uns Schiffern. Ich halte es als Führer des Schiffes für meine Pflicht, die edeln Herren zu erinnern, daß viele, arme, von ihrer Heimath und ihren trauernden Familien ferne Reisende auf uns warten, von füßewunden Pilgern und andern wackern fahrenden Gesellen nicht zu sprechen, welche in ihren Herzen ungeduldig sind, obgleich die Achtung gegen die Vornehmeren sie stumm erhält, während wir den besten Theil des Windes verlieren.«

»Bei San Francesko, der Bursche hat Recht,« sagte der Genueser und tilgte schnell die Spuren der Schwäche, die ihn eben übermannt hatte, von der Wange: »Wir vergessen aller dieser wackern Leute, während die Freude über unser Wiederfinden so mächtig ist, und es ist nun Zeit, an Andere zu denken. Kannst du mir behülflich sein, der städtischen Unterschrift mich zu überheben?«

Der Freiherr von Willading schwieg; denn da er schon anfangs günstig gestimmt war, jedem Fremden, der sich in einer unangenehmen Verlegenheit befand, beizustehen, kann man sich leicht denken, daß der Fall nichts von seinem Interesse verlor, als er fand, daß sein ältester und erprobtester Freund seinen Einfluß in Anspruch nehme. Doch war es leichter, die Kraft dieser neuen und unerwarteten Aufforderung anzuerkennen, als einen glücklichen Erfolg zu ermitteln. Der Thorwächter war, um uns eines Ausdrucks zu bedienen, welcher den meisten Menschen einen Ersatz für Vernunft und Charakter zu bieten scheint, zu streng an seine Befehle gewiesen, um es wahrscheinlich zu machen, daß er sich leicht fügen werde. Es war jedoch nothwendig, einen Versuch zu machen, und der Freiherr ging daher eifriger, als er es bisher gethan hatte, den Wächter des Wasserthores zu Gunsten der Fremden an.

»Es geht über meine Befugnisse; wir haben keinen Syndikus, dem ich lieber zu Gefallen wäre, als Euch, edler Herr,« versetzte der Bedienstigte: »aber es ist die Pflicht des Wächters, sich streng an die Befehle derer zu halten, welche ihm seinen Posten anvertrauten.«

»Gaetano, wir sind die Leute nicht, die sich über dergleichen beklagen. Wir haben zu lange mit einander in derselben Schanze gestanden und zu oft in Lagern gesund geschlafen, wo ein Abweichen von dieser Lehre uns das Leben gekostet haben würde, um mit dem ehrlichen Genfer wegen seiner Wachsamkeit zu streiten. Offen zu reden: es würde wenig helfen, die Treue eines Schweizers oder die seines Bundesgenossen bestechen zu wollen.«

»Des Schweizers nämlich, der für seine Wachsamkeit gut bezahlt wird,« antwortete der Genueser, auf eine Weise lachend, welche darthat, daß er nur einen jener stechenden, aber beißenden Scherze wieder aufgefrischt hatte, wie sie die, welche sich am innigsten lieben, vielleicht am meisten gegen einander anzubringen gewöhnt sind.

Der Freiherr von Willading nahm die Scherzhaftigkeit seines Freundes von der guten Seite und gab die Heiterkeit des andern in einer Art zurück, welche zeigte, daß die Anspielung eine Zeit zurückrief, in welcher sie ihre Stunden müßig, den wilden Ausbrüchen der belebten Geister sich überlassend, hinbrachten.

»Wäre dies dein Italien, Gaetano, so würde eine Zechine Elf bis zwölf Franken, je nach der örtlichen Geltung. nicht nur die Stelle einer Dutzend Inschriften vertreten, sondern, bei dem Namen deines Lieblings, des h. Franziskus, dem ehrlichen Thorwächter die Gabe des zweiten Gesichts Das Vermögen, übernatürliche Erscheinungen zu sehen – Geisterseherei. Uebers. verleihen, dessen sich die Schottischen Seher rühmen sollen.«

»Nun, die beiden Seiten der Alpen werden ihren Charakter beibehalten, obgleich wir über ihre Vorzüge hadern – aber wir werden die Tage nicht wieder sehen, welche wir verlebt haben! – Weder die Festlichkeiten von Vevay, noch die Erneuerung alter Scherze werden uns wieder zu den Jünglingen machen, welche wir waren, theurer Willading.«

»Signore, ich bitte tausendmal um Verzeihung,« unterbrach ihn Baptist, »aber dieser Westwind ist unbeständiger, als selbst die Freuden der Jugend.«

»Der Bursche hat abermals Recht, und wir vergessen jener Ladung guter Reisenden, welche uns beide in Abrahams Schoos wünschen, weil wir Schuld sind, daß das ungeduldige Fahrzeug müßig am Kai hält. Guter Marcelli, weißt du einen Rath in dieser Noth?«

»Signore, Ihr vergeßt, daß wir ein zweites Papier haben, welches sich als genügend bewähren wird –« wurde von dem Manne, welcher eine Mittel-Stelle zwischen einem Diener und einem Freunde auszufüllen schien, eher angedeutet als bemerkt.

»Du hast Recht – und doch möchte ich es gerne vermeiden, davon Gebrauch zu machen – aber ich will Alles eher, als mich von dir trennen, Melchior.«

»Nichts weiter – wir werden uns nicht trennen, und wenn der Winkelried an seinem jetzigen Ankerplatze verfault. Es wäre leichter, unsere treuen Kantone zu trennen, als zwei solche Freunde.«

»Aber, edler Herr, Ihr vergeßt die müden Pilger und die vielen sehnlich harrenden Reisenden in dem Fahrzeuge.«

»Wenn zwanzig Kronen Eure Beistimmung erkaufen, guter Baptist, so bedarf es keiner ferneren Auseinandersetzung.«

»Es ist dem menschlichen Willen kaum möglich, Euch zu widerstehen, edler Herr! – Nun, die Pilger haben müde Füße und die Ruhe wird sie nur um so besser in den Stand setzen, ihre Reise über das Gebirge fortzusetzen; und was die andern betrifft, so mögen sie das Schiff verlassen, wenn ihnen die Bedingungen nicht recht sind. Ich bin der Mann nicht, der irgend jemand einen Platz in seinem Schiffe aufdringt.«

»Nein, nein, davon will ich nichts hören. Behalte dein Gold, Melchior, und laß den wackern Baptist seine Reisenden behalten, von seinem Gewissen gar nicht zu sprechen.«

»Ich bitte Eure Excellenz,« fiel Baptist ein, »Eure zarten Rücksichten für mich nicht zu weit zu treiben. Ich bin bereit, noch weit Verdrießlicheres zu thun, um einen so edlen Herrn zu verbinden.«

»Ich will nichts davon wissen. Herr Aufseher, wollt Ihr mir den Gefallen thun, und einen Blick auf dieses Papier werfen?«

Bei diesen Worten übergab der Genueser dem Aufseher des Thores ein Papier, das von dem ihm zuerst gezeigten verschieden war. Der Genfer durchsah die neue Urkunde mit großer Aufmerksamkeit; als er sie bis zur Hälfte durchlesen hatte, heftete sich sein Auge mit ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit auf das Antlitz des harrenden Italieners. Dann las er den Paß bis zum Ende. Der Aufseher des Thors that jetzt feierlich seine Mütze ab, machte dem Fremden eine tiefe, ehrerbietige Verbeugung und ließ den Durchgang frei.

»Hätte ich dies früher gewußt,« sagte er, »so würde keine Zögerung eingetreten sein. Ich hoffe, die Excellenz wird meine Unwissenheit erwägen –?«

»Still davon, Freund! Ihr habt recht gethan, und darum bitte ich Euch, einen kleinen Beweis meiner Achtung anzunehmen.«

Der Genueser legte eine Zechine in die Hand des Aufsehers und ging sofort dem Wasser zu. Da der Widerwille des Genfers, Gold anzunehmen, eher von seinem Pflichtgefühle, als von einem besondern Hasse gegen das Metall selbst herrührte, so wurde diese zweite Gabe mit einem günstigern Blicke angenommen, als die erste. Der Freiherr von Willading war über den raschen Erfolg seines Freundes nicht wenig erstaunt, obgleich er bei weitem zu klug und wohlerzogen war, um sein Staunen bemerken zu lassen.

Jedes Hinderniß, das sich der Abfahrt des Winkelried's entgegen gestellt hatte, war jetzt beseitigt, und Baptist und seine Leute waren bald emsig beschäftigt, die Segel loszumachen und die Festigungen fahren zu lassen. Die Bewegung des Fahrzeugs war anfangs langsam und träge, denn die Gebäude der Stadt fingen den Wind auf; wie es sich aber von dem Ufer entfernte, begann die Leinwand zu schlagen und zu schwellen, und bald spannte sie sich mit einem Knall, gleich dem einer Flinte, worauf die Bewegung der Reisenden einige Verwandtschaft mit ihrer fast erschöpften Geduld anzunehmen schien.

Bald nachdem die an dem Wasserthore so lange aufgehaltene Gesellschaft eingeschifft war, erfuhr Adelheid erst den Grund der Verzögerung. Seit langer Zeit kannte sie aus dem Munde ihres Vaters den Namen und die Geschichte des Signor Grimaldi, eines Genuesers von vornehmem Geschlecht, welcher der innigste Freund und Gefährte Melchior von Willading's war, als dieser die Kriege in Italien mitfocht. Diese Begebnisse hatten sich lange vor ihrer Geburt und selbst vor der ehelichen Verbindung ihrer Eltern zugetragen, und da sie das jüngste und von vielen Kindern das einzige war, das am Leben blieb, so begannen diese Vorgänge für Adelheid bereits die Farbe der Geschichte anzunehmen. Sie empfing den alten Mann herzlich und selbst mit Liebe, obgleich es ihr eben so schwer ward, wie ihrem Vater, in seiner sinkenden, aber noch schönen Gestalt den jungen, heitern, zierlichen, glänzenden und schönen Gaetano Grimaldi zu erkennen, von dem sich ihre Einbildungskraft nach den mündlichen Beschreibungen, welche man ihr so oft gemacht hatte, ein Bild entworfen und den ihre Phantasie noch gewohnt war sich so zu denken, wie die liebewarmen Schilderungen ihres Vaters ihn malten. Als er ihr plötzlich und mit Herzlichkeit einen Kuß anbot, überströmte heiße Röthe ihr Antlitz, denn mit Ausnahme dessen, dem sie ihr Leben zu danken hatte, hatte noch kein Mann zuvor sich diese Freiheit genommen; nach einem Augenblicke jungfräulicher Verlegenheit jedoch lachte sie und bot ihm erröthend ihre Wange zu dem Empfang des Grußes dar.

»Die letzte Nachricht, welche ich von dir erhielt, Melchior,« sagte der Italiener, »war ein Brief, welchen der schweizerische Gesandte überbrachte, als er auf seiner Reise nach dem Süden durch unsere Stadt kam, und der bei Gelegenheit der Geburt eben dieses Mädchens hier geschrieben worden war.«

»Dieser Tochter nicht, theurer Freund, sondern einer ältern, welche seit langer Zeit ein Engel im Himmel ist. Du siehst hier das neunte theure Pfand, welches der Himmel uns gab, und du siehst alles, was uns von seiner Güte geblieben ist.«

Das Antlitz des Signor Grimaldi verlor seine Heiterkeit und es folgte eine Pause tiefen Ernstes. Man lebte in einer Zeit, wo Mittheilungen unter Freunden, welche durch weite Strecken und durch die Grenzen verschiedener Staaten getrennt waren, nur selten und unsicher sein konnten. Die frischen und neuen Bande des ehelichen Glückes hatten zuerst einen Verkehr unterbrochen, welcher unter solchen ungünstigen Verhältnissen lange nachdem ihre Pflichten sie verschiedene Wege geführt hatte, bis zu der bezeichneten Periode fortgesetzt worden war; und die Zeit mit ihrem Wechsel und den Störungen des Krieges hatte endlich fast jedes Glied in der Kette ihres Briefwechsels gebrochen. Jeder hatte daher dem Andern vieles Werthe und Anziehende mitzutheilen, und jeder fürchtete zu reden, um nicht eine Wunde, welche noch nicht ganz geheilt war, wieder zum Bluten zu bringen. Der gewichtige Inhalt der wenigen Worte, welche der Freiherr von Willading vorgebracht hatte, zeigte Beiden, auf wie mannigfache Weise sie sich absichtlos gegenseitig schmerzvoll berühren konnten, und wie nothwendig es war, in den ersten Tagen ihres erneuten Verkehres in ihrem Gespräche auf der Hut zu sein.

»Dieses Mädchen mindestens ist ein Kleinod an sich, um dessen Besitz ich dich beneiden muß,« erwiederte endlich Signor Grimaldi.

Der Schweizer machte eine jener hastigen Bewegungen, welche Ueberraschung verrathen, und es war sehr augenscheinlich, daß er grade in diesem Augenblicke mehr irgend einem Interesse seines Freundes, als der Furcht sich hingab, welche ihn gewöhnlich befiel, wenn man auf sein überlebendes Kind unmittelbar anspielte.

»Gaetano, du hast einen Sohn!«

»Er ist verloren – hoffnungslos – unwiederbringlich verloren – wenigstens für mich.«

Dies waren kurze aber schmerzvolle Blicke in ihre gegenseitige Verhältnisse, und eine zweite trübe und beunruhigende Pause folgte. Als der Freiherr von Willading den Schmerz sah, welcher des Genuesers Antlitz tief umschattete, fühlte er beinahe, daß die Vorsehung, indem sie seine eignen Knaben so früh vom Leben abrief, ihm vielleicht den noch bitterern Kummer gespart hatte, die Nichtswürdigkeit eines lebenden Sohnes zu beweinen.

»Dies sind Schickungen Gottes, Melchior,« fuhr der Italiener von selbst fort, – »und wir sollten uns als Krieger, als Männer und, was mehr ist denn beides, als Christen zu unterwerfen wissen. Der Brief, von welchem ich sprach, enthielt die letzten unmittelbaren Nachrichten, welche mir von deinem Gehaben zukamen, obwohl verschiedene Reisende dich unter den Geehrten und Angesehenen des Landes nannten, ohne sich jedoch über die Einzelnheiten deines häuslichen Lebens zu äußern.«

»Die Einsamkeit unserer Berge und der unbedeutende Verkehr des Auslandes mit der Schweiz, mußten mir selbst dieses kümmerliche Vergnügen in Betreff deiner und deines Schicksals vorenthalten. Seit der Ankunft jenes eigenen Kuriers, welchen du mir, unserer alten Uebereinkunft zufolge, schicktest, um mich zu benachrichtigen –«

Der Freiherr hielt ein, denn er fühlte, daß er wieder einen verbotenen Weg einschlage.

»Dich von der Geburt meines unglücklichen Knaben zu benachrichtigen,« fuhr Signor Grimaldi fest fort.

»Um mich von diesem so heiß ersehnten Begebniß zu benachrichtigen, habe ich keine Nachrichten von dir gehabt, unbestimmte Gerüchte ausgenommen, welche mein Verlangen, mehr zu erfahren, eher reizten, als sie die Sehnsucht der Liebe befriedigten.«

»Diese Zweifel sind die Strafe, welche die Freundschaft der Trennung zahlt. Mit der Sorglosigkeit der Hoffnung nehmen wir die jugendliche Liebe auf, und erst wenn Pflicht oder Interesse uns auf verschiedene Wege führen, bemerken wir, daß die Welt der Himmel nicht ist, für den wir sie hielten, sondern daß jede Freude ihren Werth und jeder Kummer seinen Trost hat. Hast du Waffen getragen, seit wir mit einander dienten?«

»Nur als Schweizer.«

Die Antwort entlockte dem scharfen Auge des Italieners, dessen Züge so rasch wechselten, wie seine Gedanken, einen Strahl stets regen Humors.

»In welchen Diensten?«

»Nein, laß deine alten Neckereien, guter Grimaldi – und doch würde ich dich schwerlich lieben, wie ich dich liebe, wenn du anders wärst als du bist. Ich glaube, wir kommen endlich dahin, selbst die Schwächen derer hoch zu halten, welche wir wahrhaft schätzen.«

»Dies muß wohl der Fall sein, junge Dame, sonst hätte meine kindische Tollheit deinen Vater längst von mir gezogen. Ich habe ihn hinsichtlich des Schnees und des Geldes nie geschont, und doch hat er eine wundersame Geduld mit mir gehabt. Nun, wahre Liebe kann viel dulden. Hat dir der Freiherr oft von dem alten Grimaldi erzählt – von dem jungen Grimaldi, sollte ich sagen – und von den vielen tollen Streichen unserer gedankenlosen Tage?«

»So viel, Signore,« erwiederte Adelheid, welche während des abgebrochenen Gesprächs zwischen ihrem Vater und seinem Freunde abwechselnd geweint und gelacht hatte, »daß ich die meisten Eurer Jugendgeschichten nacherzählen kann. Das Schloß Willading liegt tief im Gebirg und der Fuß des Fremden betritt nur sehr selten seine Thore. Während der langen Abende unserer strengen Winter lauschte ich der Erzählung Eurer meisten gemeinschaftlichen Abenteuer, wie wohl eine Tochter lauschen muß, und so habe ich einen Mann, welcher meinem Vater mit Recht so theuer ist, nicht nur kennen, sondern auch achten gelernt.«

»Dann darf ich auch nicht zweifeln, daß du die Geschichte von dem Falle in den Kanal, als ich einer venetianischen Schönheit nachsah und einen Fehltritt that, auswendig weißt?«

»Ich erinnere mich eines solchen Actes feuchter Galanterie,« versetzte Adelheid lachend.

»Hat dir dein Vater gesagt, Kind, wie er mich bei einem wilden Angriff der kaiserlichen Reiterei edel rettete und in Sicherheit brachte?«

»Auch auf einen solchen Vorfall habe ich leicht anspielen gehört,« sagte Adelheid, augenscheinlich bemüht, sich die Geschichte des Hergangs in das Gedächtniß zurückzurufen, » – aber –«

»Leicht nennt er ihn und von geringer Bedeutung. Ich wünsche nie einen zweiten so bedeutenden zu erleben. Da haben wir die Unpartheilichkeit deiner Erzählungen, guter Melchior, in welchen ein gerettetes Leben, eine erhaltene Wunde und ein Angriff, der die Deutschen zagen machte, als Dinge angeführt werden, über welche man mit leichter Hand wegfährt!«

»Wenn ich dir einen solchen Dienst erzeigte, so hattest du dies durch die Art mehr als verdient, mit welcher du vor Mailand –«

»Nun, lassen wir all das ruhen. Wir sind alte Thoren, junge Dame, und wenn wir über unser gegenseitiges Lob zu plaudern anfangen, könntest du uns leicht für Prahler halten, ein Titel, den wahrhaftig keiner von uns ganz verdient. Melchior, hast du dem Mädchen je von unserm tollen Ausfluge in die Wälder der Apenninen erzählt, um eine spanische Dame auszulachen, welche in die Hände von Räubern gefallen war, und wie wir Wochen auf dieser thörigen, abenteuerlichen Fahrt hinbrachten, welche durch die zeitliche Verwendung einiger wenigen Zechinen von Seiten des Gatten schon ehe wir den ritterlichen, um nicht zu sagen albernen Zug antraten, unnöthig geworden war?«

»Sagt ritterlich, aber nicht albern,« antwortete Adelheid mit der Einfachheit eines jungen und edeln Gemüthes. »Ich habe von diesem Abenteuer gehört; es ist mir aber nie lächerlich vorgekommen. Ein edler Beweggrund entschuldigt wohl ein Unternehmen von minder günstigen Vorbedeutungen.«

»Es ist ein Glück,« versetzte Signor Grimaldi gedankenvoll, »daß, wenn Jugend und übertriebene Ansichten uns verleiten, tolle Streiche, welche den Namen muthiger und edler Thaten annehmen, zu begehen, andre jugendliche und großmüthige Seelen sich finden, welche unsere Gefühle zurückspiegeln und über unsere Thorheiten lachen.«

»Dies gleicht eher dem bedächtigen, grauköpfigen Prediger der Weisheit, als dem ehemaligen heißköpfigen Gaetano Grimaldi!« – rief der Freiherr, doch lachte er während dieser Worte, als fühlte er wenigstens einen Theil der Gleichgültigkeit des Freundes gegen jene übertriebene Gefühle, welche einen bedeutenden Bestandtheil von beider Charakter in ihrer Jugend ausgemacht hatten. »Ich kenne die Zeit, wo die Worte Klugheit und Berechnung einem Freunde deine Gunst gekostet hätten!«

»Man sagt, ein zwanzigjähriger Verschwender gebe einen siebzigjährigen Geizhals. Es ist gewiß, daß selbst unsere südliche Sonne das Blut eines Sechszigers nicht so rasch wärmt, als sie das eines Zwanzigers erhitzt. Aber wir wollen deiner Tochter Ansichten von der Zukunft nicht durch ein zu treu gehaltenes Gemälde verdüstern, sonst wird sie vor der Zeit weise. Ich habe oft die Frage gestellt, Melchior, welche die schätzbarere Gabe der Natur sei, eine warme Phantasie oder die kältere Kraft der Vernunft. Wenn sich aber sagen soll, welche mir am liebsten ist, so wird die Entscheidung minder schwierig. Ich würde jede zu ihrer Zeit, oder vielmehr beide vereinigt, mit einem stufenweisen Wechsel in ihrem Einlasse, vorziehen. Die Jugend mag mit der erstern als dem überlegenen Vermögen beginnen, und mit der letztern schließe man. Wer das Leben als ein zu kalter Vernünftler beginnt, beschließt es leicht als ein berechnender Egoist; und wer sich nur von seiner Phantasie leiten läßt, läuft Gefahr, daß seine geistigen Kräfte so reifen, um die Früchte eines Träumers zu erzeugen. Wenn es dem Himmel gefallen hätte, mir den lieben Sohn zu lassen, den ich einen so kurzen Zeitraum mein nannte, so hätte ich ihn lieber in seiner Beurtheilung der Menschen, ehe die Erfahrung seine Hoffnungen kühlte, auf die Seite der Ueberschätzung sich neigen, als in der Jünglingszeit seine Genossen mit einem zu philosophischen Auge prüfen gesehen. Man sagt, wir seien im besten Falle nur Lehm, aber ehe der Boden tüchtig bearbeitet ist, bringt er bereits die Pflanzen hervor, welche seiner Natur am angemessensten sind, und das wilde und kräftig ausschießende Unkraut, das von der Tiefe des Erdreichs zeugt, ist mir, obgleich es nicht von großem Werthe sein mag, bei weitem lieber, als die verkrüppelte Nachahmung dessen, was Sorgfalt und Pflege ohne Zweifel nützlicher, wenn nicht angenehmer machen kann.«

Die Anspielung auf den verlornen Sohn machte, daß eine neue Wolke über das Antlitz des Genuesers flog.

»Du siehst, Adelheid,« fuhr er nach einer Pause fort, »denn so will ich dich kraft der Rechte eines zweiten Vaters nennen – daß wir, wenigstens vor uns selbst, unsere Thorheit achtungswerth machen. – Herr Patron, Euer Fahrzeug ist gut besetzt!«

»Dank euch Beiden, edle Herren,« sagte Baptist, der am Steuer, in der Nähe der Gruppe der vornehmsten Reisenden stand. »Dieser Segen kommt den Armen selten, und man muß mitnehmen, was der Zufall bietet. Die Lustbarkeiten zu Vevay haben alle Fahrzeuge nach dem obern Ende des Sees gerufen, und etwas Mutterwitz verleitete mich, auf den letzten Umschwung des Rades einiges Vertrauen zu setzen, wobei ich auch, wie Ihr seht, Signore, nicht mit einer Niete durchgefallen bin.«

»Sind viele Fremde auf dem Weg zu diesem Feste durch Eure Stadt gekommen?«

»Viele Hundert, edler Herr, und der Ruf spricht von Tausenden, welche sich zu Vevay und in den benachbarten Dörfern gesammelt haben. Das Waadtland hatte viele Jahre her keine so reiche Ernte von seinen Lustbarkeiten.«

»Es ist ein Glück, Melchior, daß der Wunsch, Zeugen dieses Festes zu sein, in uns Beiden zu gleicher Zeit rege geworden ist. Die Hoffnung, endlich sichere Nachricht von deinem Gehaben zu erhalten, veranlaßte mich vor Allem, mich von Genua, wohin ich sofort zurückkehren muß, wegzustehlen. Die Hand der Vorsehung ist wahrhaft bei diesem Zusammentreffen sichtbar.«

»Ich theile diesen Glauben,« erwiederte der Freiherr von Willading, »obgleich die Hoffnung, dich bald zu umarmen, lebhaft rege in mir war. Du irrst, wenn du glaubst, Neugierde, oder der Wunsch, mich unter die zu Vevay versammelte Menge zu mischen, habe mich aus meinem Schlosse gelockt. Ich hatte Italien im Auge, wie ich es lange in meinem Herzen hatte.«

»Wie! – Italien?«

»Nichts weniger. Diese schwache Bergpflanze schmachtete in der letzten Zeit in ihrer heimathlichen Luft, und geschickte Rathgeber empfahlen mir die sonnige Seite der Alpen als ein Mittel, ihr wieder neues Leben zu geben. Ich habe Roger von Blonay versprochen, eine oder zwei Nächte in seinen alten Mauern hinzubringen, und dann sind wir gewillt, die Gastfreundschaft der Mönche auf dem St. Bernhard anzusprechen. Gleich dir hoffte ich, dieser ungewöhnliche Ausflug aus meiner Feste werde mir Kunde hinsichtlich des Schicksals eines Mannes bringen, welchen ich nie aufgehört habe zu lieben.«

Signor Grimaldi warf einen forschenden Blick auf das Antlitz ihrer Gefährtin. Ihre anmuthvolle und anziehende Schönheit machte ihm Freude; in stummem Kummer bemerkte er aber, durch die ihrem Vater eben entschlüpften Worte noch aufmerksamer gemacht, die Zeichen des frühen Verblühens, welches diese letzte Hoffnung seines Freundes dem gemeinschaftlichen Schicksal der Familie zuzugesellen drohte. Die Krankheit hatte jedoch auf Adelheid's liebliches Antlitz ihr Siegel noch nicht so gedrückt, daß es ein gewöhnlicher Beobachter bemerkt hätte. Das Abnehmen der Blüthe, der trauernde Ausdruck eines taubengleichen Auges, und ein gedankenvoller Zug auf einem Antlitz, welches er stets aller Sorgen baar und in jugendlicher Unbefangenheit offen wie der Tag gekannt hatte, waren die Symptome, welche zuerst den Vater beunruhigten, dessen frühere Verluste, dessen Einsamkeit und Abgeschiedenheit von den Banden der Welt ihn für Eindrücke dieser Art nur zu empfänglich machten. Die Gedanken, zu welchen dieses Nachforschen führte, brachten Allen nur peinliche Erinnerungen, und es dauerte lange, bis das Gespräch wieder aufgenommen wurde.

Mittlerweile war der Winkelried nicht müßig. Wie das Schiff aus dem Schirm der Häuser und Hügel heraustrat, ließ sich die Kraft des Windes spüren, und sein Lauf wurde verhältnißmäßig rascher, obgleich die Schiffsmannschaft auf die Art, wie es sich durch das Element fortarbeitete, mit einem Kopfschütteln achtete, welches ihre Ueberzeugung ausdrücken sollte, man habe dem Fahrzeug zuviel zugemuthet. Die Begehrlichkeit Baptists hatte in der That sein gutes Schiff auf das Aeußerste belastet. Das Wasser war mit dem niedrigen Spiegel in einer Linie, und als das Schiff einen Theil des Sees erreicht hatte, wo die Wellen mit einer Heftigkeit daher rollten, fand es sich, daß die ungemeine Wucht zu stark war, um von der geringen und gebrochenen Kraft dieser Miniatur-Wogen gehoben zu werden. Die Folgen waren jedoch eher verdrießlich als beunruhigend. Einige nasse Füße bei dem minder ruhigen Theil der Reisenden, das gelegentliche Ansprühen eines Wasserstrahls an die obern Planken und demzufolge ein Staubregen auf den Haufen menschlicher Köpfe in dem Mittelpunkt des Schiffes, waren die einzigen unmittelbaren persönlichen Unbequemlichkeiten. Immerhin hatte nicht zu rechtfertigende Gewinnsucht den Schiffsherrn verleitet, den unseemännischen Fehler zu begehen, sein Schiff zu überladen. Verminderte Schnelligkeit war eine zweite und wichtigere Folge seiner Habsucht, indem sie ihre Ankunft in dem Hafen vor dem Nachlassen des Windes hindern konnte.

Der Genfer See hat fast die Gestalt eines halben Mondes und zieht sich von Südwest nach Nordost. Sein nördliches, oder das Schweizer Ufer, ist vorzüglich, wie man es in der Sprache des Landes nennt, eine côte, oder ein Abhang, welcher sich zur Anbauung eignet und der, mit wenigen Ausnahmen, seit den frühesten Perioden der Geschichte mit edeln Reben bepflanzt war. Die Römer hatten hier viele Standorte und Posten, von welchen noch Spuren sichtbar sind. Der dem Falle des Reichs folgenden Verwirrung und der Vermischung der Interessen, verdankten dem Mittelalter vielfache adelige Schlösser, geistliche Wohnsitze und feste Thürme, welche noch an dem Rande dieses schönen Wasserbeckens stehen, oder etwas tiefer im Lande die Anhöhen schmücken, ihren Ursprung. Zur Zeit, von welcher wir reden, war die ganze Küste des Lemans, wenn ein so gewichtiger Ausdruck an die Ufer eines so kleinen Wasserstriches angewendet werden kann, im Besitze der drei gesonderten Staaten Genf, Savoyen und Bern. Der erstere bestand nur aus einem Stückchen Landes an dem westlichen oder untern Horn des halben Mondes; der zweite nahm beinahe die ganze südliche Seite des Beckens, oder die Höhlung des Halbmondes ein, während letzterer über den ganzen convexen Saum und das östliche Horn herrschte. Das Savoyische Ufer besteht mit unwesentlichen Ausnahmen aus vorgeschobenen Kuppen der Hochalpen, unter welchen der Mont Blanc wie ein Herrscher in Majestät, in der Mitte eines glänzenden Hofes sitzend, sich erhebt; jene Felsen steigen häufig in senkrechten Massen aus dem Leman empor. Keiner der Seen dieses merkwürdigen Landes hat eine größere Mannigfaltigkeit der Scenerie als der Genfer See, welcher vor dem lachenden Anblick der Fruchtbarkeit und des Anbaus an seinem untern bis zur Erhabenheit einer wilden und erhabenen Natur an dem obern Ende den reichsten Wechsel darbeut. Vevay, der Ort, wohin der Winkelried bestimmt war, liegt drei Stunden von der Spitze des Sees oder dem Punkte, wo er die Rhone aufnimmt; und Genf, der Hafen, von welchem der Leser ihn eben Abschied nehmen sah, wird von diesem Flusse durchschnitten, wie er aus dem blauen Becken des Leman wieder heraustritt, um auf seinem hastigen Wege in das Mittelmeer die fruchtbaren Gefilde Frankreichs zu durchstreifen.

Es ist wohlbekannt, daß die Windzüge über allen Wasserflächen, welche zwischen hohen und gebrochenen Bergen liegen, in Bezug auf ihre Richtung sowohl als auf ihre Stärke, unsicher sind. Dies war die Schwierigkeit, welche Baptist während der stattgefundenen Zögerung am meisten beunruhigte; denn der erfahrne Schiffer wußte wohl, daß es der ersten und freiesten Kraft des Windes bedurfte, um, wie die Seeleute es nennen, »dies Kühlte heimwärts zu treiben,« gegen die entgegengesetzten Strömungen, welche häufig von den Bergen, die seinen Hafen umgeben, niedersteigen. Ueberdies war die Gestalt des Sees ein fernerer Grund, warum die Winde selten in derselben Richtung über das Ganze seiner Oberfläche zumal wehen. Starke und anhaltende Kühlten stürzen in das tiefe Becken herab und brechen sich, allem Widerstande trotzend, ihren Weg in jede Spalte der Felsen; aber einer geringern Kraft als dieser gelingt es selten, dem Schiff von dem Eintritt bis zu dem Ausfluß der Rhone denselben günstigen Wind zu geben.

Im Gefolge dieser Eigenthümlichkeiten überzeugten sich die Reisenden auf dem Winkelried früh, daß man zu lange mit dem unbeständigen Winde gespielt hatte. Die Kühlte führte sie in guter Zeit aufwärts, Lausanne gegenüber; aber hier begann der Einfluß der Berge ihre Kraft zu lähmen, und während die Sonne sich ein wenig gegen die lange, dunkle, grade Linie des Jura senkte, wurde das brave Schiff gezwungen, von den gewöhnlichen Mitteln des Wendens und Anhohlens der Segel Gebrauch zu machen.

Baptist hatte wegen dieses Unfalls nur seine eigene Habsucht anzuklagen, und das Bewußtsein, wenn er den Vertrag, welcher am vorhergehenden Abend mit der Mehrzahl seiner Passagiere, bei Anbruch des Tages abzureisen, eingehalten hätte, er nicht in eine Lage gekommen wäre, von einem Glückswechsel, den die Menge der Fremden zu Vevay veranlassen konnte, Nutzen zu ziehen, machte ihn verdrüßlich. Wie es bei halsstarrigen und selbstischen Menschen, wenn sie die Gewalt haben, gewöhnlich ist, mußten andere für den Fehler, den er allein begangen hatte, büßen. Seine Leute wurden durch widersprechende und nutzlose Befehle gequält; die ärmeren Passagiere wurden der steten Vernachlässigung seiner Anordnungen angeklagt, ein Fehler, der, wie er keinen Anstand nahm zu behaupten, Ursache war, daß das Schiff minder schnell segelte, als gewöhnlich, und er beantwortete sogar die gelegentlichen Fragen derjenigen, für welche er eine gewohnte Ehrerbietung fühlte, nicht mehr mit seiner frühern Ehrfurcht und Bereitwilligkeit.



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