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Sechstes Kapitel.

A. Einfluß des politischen Zwecks auf das kriegerische Ziel.

Niemals wird man sehen, daß ein Staat, der in der Sache eines andern auftritt, diese so ernsthaft nimmt wie seine eigene. Eine mäßige Hilfsarmee wird abgesandt; ist sie nicht glücklich, so sieht man die Sache ziemlich als abgemacht an und sucht so wohlfeil als möglich herauszukommen.

Es ist in der europäischen Politik hergebracht, daß die Staaten sich in Schutz- und Trutzbündnissen zu gegenseitigem Beistand verpflichten, aber nicht so, als wenn der eine das Interesse und die Feindschaft des andern teilen sollte, sondern indem sie sich einander ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Krieges und die Anstrengungen des Gegners im voraus eine bestimmte, gewöhnlich sehr mäßige Kriegsmacht zusagen. Bei einem solchen Akt der Bundesgenossenschaft betrachtet sich der Bundesgenosse mit dem Gegner nicht in einem eigentlichen Kriege begriffen, der notwendig mit einer Kriegserklärung anfangen und mit einem Friedensschluß endigen müßte. Aber auch dieser Begriff besteht nirgends mit einiger Schärfe, und der Gebrauch schwankt hin und her.

Die Sache würde eine Art von innerem Zusammenhang haben, und die Theorie des Krieges dabei weniger in Verlegenheit kommen, wenn diese zugesagte Hilfe von zehn-, zwanzig- oder dreißigtausend Mann dem im Kriege begriffenen Staate völlig überlassen würde, so daß er sie nach seinem Bedürfnis brauchen könnte; alsdann wäre sie wie eine gemietete Truppe zu betrachten. Allein davon ist der Gebrauch weit entfernt. Gewöhnlich haben die Hilfstruppen ihren eigenen Feldherrn, der nur von seinem Hofe abhängt, und dem dieser ein Ziel steckt, wie es sich mit der Halbheit seiner Absichten am besten verträgt.

Aber selbst dann, wenn zwei Staaten wirklich gegen einen dritten Krieg führen, so betrachten sie diesen doch nicht immer gleichmäßig als einen Feind, welchen sie vernichten müssen, damit er sie nicht vernichte, sondern die Angelegenheit wird oft wie ein Handelsgeschäft abgemacht, ein jeder legt nach Verhältnis der Gefahr, die er zu bestehen, und der Vorteile, die er zu erwarten hat, eine Aktie von 30 000 bis 40 000 Mann ein und tut, als könne er nichts als diese dabei verlieren.

Dieser Gesichtspunkt findet nicht bloß dann statt, wenn ein Staat dem andern in einer Angelegenheit beispringt, die ihm ziemlich fremd ist, sondern selbst dann, wenn beide ein gemeinsames großes Interesse haben, kann es ohne diplomatischen Rückhalt nicht abgehen, und die Unterhandelnden pflegen sich nur zu einem geringen traktatenmäßigen Beistand zu verstehen, um ihre übrigen kriegerischen Kräfte nach den besonderen Rücksichten zu gebrauchen, zu welchen die Politik etwa führen könnte.

Diese Art, den Bündniskrieg zu betrachten, war ganz allgemein und hat nur in der neuesten Zeit, wo die äußerste Gefahr die Gemüter in die natürlichen Wege hineintrieb (wie gegen Bonaparte), und wo schrankenlose Gewalt sie hineinzwang (wie unter Bonaparte), der natürlichen weichen müssen. Sie war eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und Friede sind im Grunde Begriffe, die keiner Gradation fähig sind; aber nichtsdestoweniger war sie kein bloßes diplomatisches Herkommen, über welches sich die Vernunft hinwegsetzen konnte, sondern tief in der natürlichen Beschränktheit und Schwäche des Menschen begründet.

Endlich hat auch im allein geführten Kriege die politische Veranlassung desselben einen mächtigen Einfluß auf seine Führung.

Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, so begnügen wir uns, durch den Krieg nur ein geringes Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit mäßigen Anstrengungen gelangen zu können. Ungefähr ebenso schließt der Gegner. Findet nun der eine oder der andere, daß er sich in seiner Rechnung geirrt hat, daß er dem Feinde nicht, wie er gewollt, um etwas überlegen, sondern daß er vielmehr schwächer ist, so fehlt es doch in dem Augenblick gewöhnlich an Geld und allen andern Mitteln, es fehlt an hinreichendem moralischen Anstoß zu größerer Energie; man behilft sich also, wie man kann, hofft von der Zukunft günstige Ereignisse, wenn man auch gar kein Recht dazu hat, und der Krieg schleppt sich unterdessen wie ein siecher Körper kraftlos fort.

So geschieht es, daß die Wechselwirkung, das Überbieten, das Gewaltsame und Unaufhaltsame des Krieges sich in der Stagnation schwacher Motive verlieren, und daß beide Parteien sich in sehr verkleinerten Kreisen mit einer Art von Sicherheit bewegen.

Läßt man diesen Einfluß des politischen Zwecks auf den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulassen muß, so gibt es keine Grenze mehr, und man muß sich gefallen lassen, auch zu solchen Kriegen herunterzusteigen, die in bloßer Bedrohung des Gegners und in Unterhandeln bestehen.

Daß sich die Theorie des Krieges, wenn sie eine philosophische Überlegung sein und bleiben will, hier in Verlegenheit befindet, ist klar. Alles, was in dem Begriff des Krieges Notwendiges liegt, scheint vor ihr zu fliehen, und sie ist in Gefahr, jedes Stützpunktes zu entbehren. Aber es zeigt sich bald der natürliche Ausweg. Je mehr ein ermäßigendes Prinzip in den kriegerischen Akt kommt, oder vielmehr: je schwächer die Motive des Handelns werden, um so mehr geht das Handeln in ein Leiden über, um so weniger trägt sich zu, um so weniger bedarf es leitender Grundsätze. Die ganze Kriegskunst verwandelt sich in bloße Vorsicht, und diese wird hauptsächlich darauf gerichtet sein, daß das schwankende Gleichgewicht nicht plötzlich zu unserem Nachteil umschlage, und der halbe Krieg sich in einen ganzen verwandle.

B. Der Krieg ist ein Instrument der Politik.

Nachdem wir uns bis jetzt, bei dem Zwiespalt, in dem die Natur des Krieges mit anderen Interessen des einzelnen Menschen und des gesellschaftlichen Verbandes steht, bald nach der einen, bald nach der andern Seite haben umsehen müssen, um keines dieser entgegengesetzten Elemente zu vernachlässigen, ein Zwiespalt, der in dem Menschen selbst begründet ist, und den der philosophische Verstand also nicht lösen kann, wollen wir nun diejenige Einheit suchen, zu welcher sich im praktischen Leben diese widersprechenden Elemente verbinden, indem sie sich teilweise gegenseitig neutralisieren. Wir würden diese Einheit gleich von vornherein aufgestellt haben, wenn es nicht notwendig gewesen wäre, eben jene Widersprüche recht deutlich hervorzuheben und die verschiedenen Elemente auch getrennt zu betrachten. Diese Einheit nun ist der Begriff, daß der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, also durchaus nichts Selbständiges.

Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhöre, und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei.

Wir behaupten dagegen: Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen: mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch die Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen, und an welche sie gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es anders denkbar? Hören denn je mit den diplomatischen Noten die politischen Verhältnisse verschiedener Völker und Regierungen auf? Ist nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik.

Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen alle Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding.

Diese Vorstellungsart würde selbst dann unentbehrlich sein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindschaft wäre, denn alle die Gegenstände, auf welchen er ruht, und die seine Hauptrichtungen bestimmen: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderseitige Bundesgenossen, gegenseitiger Volks- und Regierungscharakter u. s. w., wie wir sie im ersten Kapitel des ersten Buches aufgezählt haben, sind sie nicht politischer Natur, und hängen sie nicht mit dem ganzen politischen Verkehr so genau zusammen, daß es unmöglich ist, sie davon zu trennen? – Aber diese Vorstellungsart wird doppelt unentbehrlich, wenn wir bedenken, daß der wirkliche Krieg kein so konsequentes, auf das Äußerste gerichtetes Bestreben ist, wie er seinem Begriff nach sein sollte, sondern ein Halbding, ein Widerspruch in sich; daß er als solcher nicht seinen eigenen Gesetzen folgen kann, sondern als Teil eines andern Ganzen betrachtet werden muß, – und dieses Ganze ist die Politik.

Die Politik weicht, indem sie sich des Krieges bedient, allen strengen Folgerungen aus, welche aus seiner Natur hervorgehen, bekümmert sich wenig um die endlichen Möglichkeiten und hält sich nur an die nächsten Wahrscheinlichkeiten. Kommt dadurch viel Ungewißheit in den ganzen Handel, wird er also zu einer Art von Spiel, so hegt die Politik eines jeden Kabinetts zu sich das Vertrauen, es dem Gegner in Gewandtheit und Scharfsicht bei diesem Spiel zuvorzutun.

So macht also die Politik aus dem alles überwältigenden Element des Krieges ein bloßes Instrument; aus dem furchtbaren Schlachtschwert, welches mit beiden Händen und ganzer Leibeskraft aufgehoben sein will, um damit einmal und nicht mehr zuzuschlagen, einen leichten handlichen Degen, der zuweilen selbst zum Rappier wird, und mit dem sie Stöße, Finten und Paraden abwechseln läßt.

So lösen sich die Widersprüche, in welche der Krieg den von Natur furchtsamen Menschen verwickelt, wenn man dies für eine Lösung gelten lassen will.

Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe steigen, auf welcher der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt.

Wir haben also bei dieser Vorstellungsart nicht nötig, den Krieg in dieser Gestalt aus den Augen zu verlieren; vielmehr muß fortwährend sein Bild im Hintergrunde schweben.

Nur durch diese Vorstellungsart wird der Krieg wieder zur Einheit, nur mit ihr kann man alle Kriege als Dinge einer Art betrachten, und nur durch sie wird dem Urteil der rechte und genaue Stand- und Gesichtspunkt gegeben, aus welchem die großen Entwürfe hervorgehen und beurteilt werden sollen.

Freilich dringt das politische Element nicht tief in die Einzelheiten des Krieges hinunter, man stellt keine Vedetten und führt keine Patrouille nach politischen Rücksichten, aber desto entschiedener ist der Einfluß dieses Elements bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge und oft selbst zur Schlacht.

Wir haben uns deshalb auch nicht beeilt, diesen Gesichtspunkt gleich anfangs aufzustellen. Bei den einzelnen Gegenständen würde es uns wenig genützt, dagegen unsere Aufmerksamkeit gewissermaßen zerstreut haben; bei dem Kriegs- und Feldzugsplan ist er unentbehrlich.

Es ist überhaupt nichts so wichtig im Leben, als genau den Standpunkt zu ermitteln, aus welchem die Dinge aufgefaßt und beurteilt werden müssen, und dann an diesem festzuhalten; denn nur von einem Standpunkte aus können wir die Masse der Erscheinungen in ihrer Einheit auffassen, und nur die Einheit des Standpunktes kann uns vor Widersprüchen sichern.

Wenn also auch bei Kriegsentwürfen der zwei- und mehrfache Standpunkt nicht zulässig ist, von dem aus die Dinge angesehen werden können, jetzt mit dem Auge des Soldaten, jetzt mit dem des Administrators, jetzt mit dem des Politikers u. s. w., so fragt es sich nun, ob es denn notwendig die Politik ist, der sich alles übrige unterordnen muß.

Daß die Politik alle Interessen der inneren Verwaltung, auch die der Menschlichkeit, und was sonst der philosophische Verstand zur Sprache bringen könnte, in sich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgesetzt, denn die Politik ist ja nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwalter aller dieser Interessen gegen andere Staaten. Daß sie eine falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privatinteresse, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweise dienen kann, gehört nicht hierher; denn in keinem Fall ist es die Kriegskunst, welche als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir können hier die Politik nur als Repräsentantin aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten.

Die Frage bleibt also nur, ob bei Kriegsentwürfen der politische Standpunkt dem rein militärischen (wenn ein solcher überhaupt denkbar wäre) weichen, d. h. ganz verschwinden oder sich ihm unterordnen, oder ob er der herrschende bleiben und der militärische ihm untergeordnet werden müsse.

Daß der politische Gesichtspunkt mit dem Beginne des Krieges ganz aufhören sollte, würde nur denkbar sein, wenn die Kriege Kämpfe auf Leben und Tod aus bloßer Feindschaft wären; wie sie sind, sind sie, wie wir oben gezeigt haben, nichts als Äußerungen der Politik selbst. Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt also nur das Unterordnen des militärischen Gesichtspunktes unter den politischen möglich.

Denken wir an die Natur des wirklichen Krieges, erinnern wir uns des im dritten Kapitel dieses Buches Gesagten, daß jeder Krieg vor allen Dingen nach der Wahrscheinlichkeit seines Charakters und seiner Hauptumrisse aufgefaßt werden soll, wie sie sich aus den politischen Größen und Verhältnissen ergeben, und daß oft, ja, wir können in unsern Tagen wohl behaupten, meistens der Krieg wie ein organisches Ganzes betrachtet werden muß, von dem sich die einzelnen Glieder nicht absondern lassen, wo also jede einzelne Tätigkeit mit dem Ganzen zusammenströmen und aus der Idee dieses Ganzen hervorgehen muß, so wird es uns vollkommen gewiß und klar, daß der oberste Standpunkt für die Leitung des Krieges, von dem die Hauptlinien ausgehen, kein anderer als der der Politik sein könne.

Von diesem Standpunkt aus gehen die Entwürfe wie aus einem Guß hervor, das Auffassen und Beurteilen wird leichter, natürlicher, die Überzeugung kräftiger, die Motive befriedigender und die Geschichte verständlicher.

Von diesem Standpunkt aus liegt ein Streit zwischen den politischen und kriegerischen Interessen wenigstens nicht mehr in der Natur der Sache und ist also da, wo er eintritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einsicht zu betrachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen macht, die er nicht leisten kann, wäre gegen die Voraussetzung, daß sie das Instrument kenne, welches sie gebrauchen will, also gegen eine natürliche, ganz unerläßliche Voraussetzung. Beurteilt sie aber den Verlauf der kriegerischen Ereignisse richtig, so ist es ganz ihre Sache und kann nur die ihrige sein, zu bestimmen, welche Ereignisse und welche Richtung der Begebenheiten dem Ziele des Krieges entsprechen.

Mit einem Wort, die Kriegskunst auf ihrem höchsten Standpunkte wird zur Politik, aber freilich einer Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten liefert.

Nach dieser Ansicht ist es eine unzulässige und selbst schädliche Unterscheidung, daß ein großes kriegerisches Ereignis oder der Plan zu einem solchen eine rein militärische Beurteilung zulassen soll; ja, es ist ein widersinniges Verfahren, bei Kriegsentwürfen Militärs zu Rate zu ziehen, damit sie rein militärisch darüber urteilen sollen, was die Kabinette zu tun haben; aber noch widersinniger ist das Verlangen der Theoretiker, daß die vorhandenen Kriegsmittel dem Feldherrn überwiesen werden sollen, um danach einen rein militärischen Entwurf zum Kriege oder Feldzuge zu machen. Auch lehrt die allgemeine Erfahrung, daß trotz der großen Mannigfaltigkeit und Ausbildung des heutigen Kriegswesens die Hauptlineamente des Krieges doch immer von den Kabinetten bestimmt worden sind, d. h. von einer, wenn man technisch sprechen will, nur politischen, nicht militärischen Behörde.

Dies liegt vollkommen in der Natur der Dinge. Keiner der Hauptentwürfe, welche für einen Krieg nötig sind, kann ohne Einsicht in die politischen Verhältnisse gemacht werden, und man sagt eigentlich etwas ganz anderes, als man sagen will, wenn man, was häufig geschieht, von dem schädlichen Einfluß der Politik auf die Führung des Krieges spricht. Es ist nicht dieser Einfluß, sondern die Politik selbst, welche man tadeln sollte. Ist die Politik richtig, d. h. trifft sie ihr Ziel, so kann sie auf den Krieg in ihrem Sinne auch nur vorteilhaft wirken; und wo diese Einwirkung vom Ziel entfernt, ist die Quelle nur in der verkehrten Politik zu suchen.

Nur dann, wenn die Politik sich von gewissen kriegerischen Mitteln und Maßregeln eine falsche, ihrer Natur nicht angemessene Wirkung verspricht, kann sie mit ihren Bestimmungen einen schädlichen Einfluß auf den Krieg haben. Wie jemand in einer Sprache, der er nicht ganz gewachsen ist, zuweilen Unrichtiges sagt, so wird die Politik bei richtigem Denken oft Dinge anordnen, die ihrer eigenen Absicht nicht entsprechen.

Dies ist unendlich oft vorgekommen und zeigt dann, daß eine gewisse Einsicht in das Kriegswesen der Führung des politischen Verkehrs nicht fehlen sollte.

Aber ehe wir ein Wort weiter reden, müssen wir uns vor einer falschen Deutung verwahren, die sehr nahe liegt. Wir sind weit entfernt, zu glauben, daß ein in Akten vergrabener Kriegsminister oder ein gelehrter Ingenieur oder auch selbst ein im Felde tüchtiger Soldat darum den besten Staatsminister geben würde, wo der Fürst es nicht selbst ist, oder mit andern Worten: wir meinen durchaus nicht, daß diese Einsicht in das Kriegswesen die Haupteigenschaft desselben sei; ein großartiger, ausgezeichneter Kopf, ein starker Charakter, das sind die Haupteigenschaften, die er besitzen muß; die Einsicht in das Kriegswesen läßt sich auf die eine oder die andere Art wohl ergänzen. Frankreich ist in seinen kriegerischen und politischen Händeln nie schlechter beraten gewesen als unter den Gebrüdern Belleisle und dem Herzog von Choiseul, obgleich alle drei gute Soldaten waren.

Soll ein Krieg ganz den Absichten der Politik entsprechen, und soll die Politik den Mitteln zum Kriege angemessen sein, so bleibt, wo der Staatsmann und der Soldat nicht in einer Person vereinigt sind, nur ein gutes Mittel übrig, nämlich den obersten Feldherrn zum Mitglied des Kabinetts zu machen, damit er in den wichtigsten Momenten an dessen Beratungen und Beschlüssen teilnehme. Dies ist aber wieder nur möglich, wenn das Kabinett, d. h. die Regierung selbst, sich in der Nähe des Kriegsschauplatzes befindet, damit die Dinge ohne merklichen Zeitverlust abgemacht werden können.

So hat es der Kaiser von Österreich im Jahre 1809, und so haben es die verbündeten Monarchen in den Jahren 1813, 1814 und 1815 gemacht, und diese Einrichtung hat sich vollkommen bewährt.

Höchst gefährlich ist der Einfluß eines andern Militärs als des obersten Feldherrn im Kabinett; selten wird das zum gesunden, tüchtigen Handeln führen. Frankreichs Beispiel, wo Carnot 1793, 1794 und 1795 die Kriegsangelegenheiten von Paris aus leitete, ist durchaus verwerflich, weil der Terrorismus nur revolutionären Regierungen zu Gebote steht.

Wir wollen jetzt mit einer historischen Betrachtung schließen.

Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts jene merkwürdige Umwälzung der europäischen Kriegskunst eintrat, durch welche die besten Heere einen Teil ihrer Kunst unwirksam werden sahen, und kriegerische Erfolge stattfanden, von deren Größe man bisher keinen Begriff gehabt hatte, schien es freilich, daß aller falsche Kalkül der Kriegskunst zur Last falle. Offenbar wurden sie, durch Gewohnheit auf engere Kreise der Begriffe eingeschränkt, durch die Gewalt der neuen Verhältnisse überfallen, welche zwar außerhalb dieser Kreise, aber freilich nicht außerhalb der Natur der Dinge lagen.

Diejenigen Beobachter, welche den umfassendsten Blick hatten, schrieben die Erscheinung dem allgemeinen Einfluß zu, welchen die Politik seit Jahrhunderten auf die Kriegskunst, und zwar zum größten Nachteil derselben, gehabt hatte, und durch welchen diese zu einem Halbdinge, oft zu einer wahren Spiegelfechterei herabgesunken war. Das Faktum war richtig, nur war es falsch, dasselbe als ein zufällig entstandenes, vermeidbares Verhältnis anzusehen.

Andere glaubten alles aus dem augenblicklichen Einfluß der individuellen Politik Österreichs, Preußens, Englands u. s. w. erklären zu können.

Ist es aber wahr, daß der eigentliche Überfall, von welchem sich die Intelligenz getroffen fühlte, innerhalb der Kriegführung und nicht vielmehr innerhalb der Politik selbst stattfand? D. h. nach unserer Sprache zu reden: Ist das Unglück aus dem Einfluß der Politik auf den Krieg entstanden, oder aus der falschen Politik selbst?

Die ungeheuren Wirkungen der französischen Revolution nach außen sind offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten der französischen Kriegführung als in der ganz veränderten Staats- und Verwaltungskunst, in dem Charakter der Regierung, in dem Zustande des Volkes u. s. w. zu suchen. Daß die andern Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, daß sie mit gewöhnlichen Mitteln Kräften die Wage halten wollten, die neu und überwältigend waren: das alles sind Fehler der Politik.

Hätte man nun diese Fehler von dem Standpunkte einer rein militärischen Auffassung des Krieges einsehen und verbessern können? Unmöglich. Denn hätte es auch wirklich einen philosophischen Strategen gegeben, welcher bloß aus der Natur des feindseligen Elementes alle Folgen vorausgesehen und eine Prophezeiung der entfernten Möglichkeiten verkündigt hätte, so wäre es doch rein unmöglich gewesen, solche Erkenntnis geltend zu machen.

Nur wenn die Politik sich zu einer richtigen Würdigung der in Frankreich erwachten Kräfte und der in der Politik Europas neu entstehenden Verhältnisse erhob, konnte sie das Resultat vorhersehen, welches für die großen Lineamente des Krieges daraus entstehen würde, und nur auf diese Weise auf den notwendigen Umfang der Mittel und die Wahl der besten Wege geführt werden.

Man kann also sagen: die zwanzigjährigen Siege der Revolution sind hauptsächlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenüberstehenden Regierungen gewesen.

Freilich haben sich diese Fehler erst innerhalb des Krieges offenbart, und die Erscheinungen desselben haben den Erwartungen, welche die Politik hatte, völlig widersprochen. Dies ist aber nicht deshalb geschehen, weil die Politik versäumt hatte, sich bei der Kriegskunst Rat zu holen. Diejenige Kriegskunst, an welche ein Politiker glauben konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik der Zeit zugehörige, das ihr wohlbekannte Instrument, dessen sie sich bis dahin bedient hatte, diese Kriegskunst, sage ich, war natürlich in dem Irrtum der Politik mitbefangen und konnte sie darum nicht eines Besseren belehren. Es ist wahr, auch der Krieg selbst hat in seinem Wesen und in seinen Formen bedeutende Veränderungen erlitten, die ihn seiner absoluten Gestalt näher gebracht haben; aber diese Veränderungen sind nicht dadurch entstanden, daß die französische Regierung sich gewissermaßen emanzipiert, vom Gängelbande der Politik losgerissen hätte, sondern sie sind aus der veränderten Politik entstanden, welche aus der französischen Revolution sowohl für Frankreich als für ganz Europa hervorgegangen ist. Diese Politik hatte andere Mittel, andere Kräfte aufgeboten und dadurch eine Energie der Kriegführung möglich gemacht, an welche sonst nicht zu denken gewesen wäre.

Also auch die wirklichen Veränderungen der Kriegskunst sind eine Folge der veränderten Politik, und weit entfernt, für die mögliche Trennung beider zu beweisen, sind sie vielmehr ein starker Beweis ihrer innigen Vereinigung.

Also noch einmal: der Krieg ist ein Instrument der Politik; er muß notwendig ihren Charakter tragen, er muß mit ihrem Maße messen; die Führung des Krieges in seinen Hauptumrissen ist daher die Politik selbst, welche die Feder mit dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehört hat, nach ihren eigenen Gesetzen zu denken.


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