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Drittes Kapitel.

A. Innerer Zusammenhang des Krieges.

Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirklichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellungen von dem Erfolge desselben.

Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt Erstes Kapitel des ersten Buches., wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht Zweites Kapitel des ersten Buches., wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen beginnt Viertes und fünftes Kapitel des siebenten Buches (vom Kulminationspunkt des Sieges)., wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden: nichts gewonnen, nichts verloren. Hier muß man sich beständig sagen: das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganzes, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur in Beziehung auf dies Ganze Wert haben. Die Eroberung von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte für Bonaparte nur Wert, wenn sie ihm den beabsichtigten Frieden verschaffte. Sie war aber nur ein Stück seines Feldzugsplans, und diesem fehlte noch ein Teil, nämlich die Zertrümmerung des russischen Heeres; denkt man sich diese zu den übrigen Erfolgen hinzu, so war der Friede so gewiß, wie Dinge der Art nur werden können. Diesen zweiten Teil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn früher versäumt hatte, und so wurde ihm der ganze erste Teil nicht bloß unnütz, sondern verderblich.

Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine äußerste betrachten kann, steht eine andere äußerste gegenüber, nach welcher derselbe aus einzelnen für sich bestehenden Erfolgen zusammengesetzt ist, bei denen wie im Spiel bei den Partien die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden haben, hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zurücklegen.

So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schöpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es gibt zahllose Fälle, in denen ein kleiner, mäßiger Vorteil hat gewonnen werden können, ohne daß sich daran irgend eine erschwerende Bedingung geknüpft hätte. Je mehr das Element des Krieges ermäßigt ist, um so häufiger werden diese Fälle, aber so wenig, wie je in einem Kriege die erste der Vorstellungsarten vollkommen wahr ist, ebensowenig gibt es Kriege, in denen die letztere überall zutrifft und die erstere entbehrlich wäre.

Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstellungsarten, so müssen wir die Notwendigkeit einsehen, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde, und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, zu welchem hin alle Linien laufen.

Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so können untergeordnete Vorteile um ihrer selbst willen verfolgt und das übrige den weiteren Ergebnissen überlassen werden.

Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Resultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben entbehren. Der Unterschied aber, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert, die erstere als die Grundvorstellung auch überall zugrunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu gebrauchen, die durch die Umstände gerechtfertigt wird.

Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742, 1744, 1757 und 1758 von Schlesien und Sachsen aus eine neue Offensivspitze in den österreichischen Staat hineintrieb, von der er recht gut wußte, daß sie nicht zu einer neuen, dauernden Eroberung führen konnte, wie die von Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit nicht das Niederwerfen des österreichischen Staates, sondern einen untergeordneten Zweck, nämlich Zeit- und Kraftgewinn, beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck verfolgen, ohne zu fürchten, daß er damit sein ganzes Dasein auf das Spiel setzte. Hätte Friedrich der Große die Schlacht bei Kollin gewonnen und mithin die österreichische Hauptarmee mit ihren beiden obersten Feldherrn in Prag gefangen genommen, so war das ein so furchtbarer Schlag, daß er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die österreichische Monarchie zu erschüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu gewinnen. Dieser für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg, der den Erfolgen der neuesten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender gewesen wäre, würde nach dem Gewinn dieser einen Schlacht höchst wahrscheinlich eingetreten sein, was aber der oben gemachten Behauptung nicht widerspricht; denn diese spricht nur von dem, was der König mit seiner Offensive ursprünglich beabsichtigte; die Einschließung und Gefangennahme der feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereignis, welches außer aller Berechnung lag und an das der König nicht gedacht hatte, wenigstens nicht eher, als bis die Österreicher durch ihre ungeschickte Aufstellung bei Prag dazu Veranlassung gaben. Wenn aber Preußen 1806, und Österreich 1805 und 1809 sich ein noch viel bescheideneres Ziel vorsetzten, nämlich: die Franzosen über den Rhein zu treiben, so konnten sie das vernünftigerweise nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe von Begebenheiten zu durchlaufen, die sich, sowohl im Fall des guten als des schlechten Erfolges, wahrscheinlich an den ersten Schritt anknüpfen und bis zum Frieden führen würde. Dies war ganz unerläßlich, sowohl um mit sich einig zu werden, wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als, wie und wo sie imstande wären, den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen.

Worin der Unterschied beider Verhältnisse besteht, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welcher das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wagschale. Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, waren Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; der Gegner der Österreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.

Mußten diese verschiedenen Verhältnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht in den Jahren 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das Äußerste der Unglücksfälle als auf eine nahe Möglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten und mithin zu ganz andern Anstrengungen und Plänen führen als solche, deren Gegenstand ein paar Festungen und eine mäßige Provinz sein konnten?

Sie haben es nicht in gehörigem Maße getan, wiewohl Österreich und Preußen bei ihren Rüstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphäre hinreichend fühlten. Sie haben es nicht vermocht, weil jene Verhältnisse damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzüge von 1805, 1806 und 1809 sowie die späteren haben es uns so sehr erleichtert, den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmetternden Energie von ihnen zu abstrahieren.

Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahrscheinlichkeit aufgefaßt werden, welche die politischen Größen und Verhältnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahrscheinlichkeit sein Charakter sich dem absoluten Kriege nähert, je mehr die Umrisse die Masse der kriegführenden Staaten umfassen und in den Strudel hineinziehen, um so inniger wird der Zusammenhang seiner Begebenheiten sein, um so notwendiger aber auch, nicht den ersten Schritt zu tun, ohne an den letzten zu denken.

B. Von der Größe des kriegerischen Zweckes und der Anstrengung.

Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen, wird sich nach der Größe unserer und seiner politischen Forderungen richten. Insofern diese gegenseitig bekannt sind, würden sie das Maß der beiderseitigen Anstrengungen geben; allein sie liegen nicht immer so offen da, und dies kann ein erster Grund zur Verschiedenheit in den Mitteln sein, die beide aufbieten.

Die Lage und Verhältnisse der Staaten sind einander nicht gleich; dies kann ein zweiter Grund werden.

Die Willensstärke, der Charakter, die Fähigkeiten der Regierungen sind sich ebensowenig gleich; dies ist ein dritter Grund.

Diese drei Rücksichten bringen eine Ungewißheit in die Berechnung des Widerstandes, welchen man finden wird, folglich der Mittel, die man anwenden soll, und des Ziels, welches man sich setzen darf.

Da im Kriege aus unzureichenden Anstrengungen nicht bloß ein Nichterfolg, sondern positiver Schaden entstehen kann, so treibt das beide Teile, sich einander zu überbieten, wodurch eine Wechselwirkung entsteht.

Diese könnte an das äußerste Ziel der Anstrengungen führen, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann würde aber die Rücksicht auf die Größe der politischen Forderungen verloren gehen, das Mittel alles Verhältnis zum Zweck verlieren und in den meisten Fällen diese Absicht einer äußersten Anstrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhältnisse scheitern.

Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zurückgeführt, in welchem er gewissermaßen nach dem Grundsatz handelt, nur diejenigen Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht. Um diesen Grundsatz ausführbar zu machen, muß er jeder absoluten Notwendigkeit des Erfolges entsagen, die entfernten Möglichkeiten aus der Rechnung weglassen.

Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiteren Sinne des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, durch welche die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt, und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen würde.

Um also das Maß der Mittel kennen zu lernen, welches wir für den Krieg aufzubieten haben, müssen wir den politischen Zweck desselben unsererseits und von seiten des Feindes bedenken; wir müssen die Kräfte und Verhältnisse des feindlichen Staates und des unsrigen, wir müssen den Charakter seiner Regierung, seines Volkes, die Fähigkeiten beider, und das alles wieder von unserer Seite, wir müssen die politischen Verbindungen anderer Staaten und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen kann, in Betracht ziehen. Daß das Abwägen dieser mannigfachen und mannigfach ineinandergreifenden Verhältnisse eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick des Genies ist, hier schnell das Rechte herauszufinden, während es ganz unmöglich sein würde, durch eine bloße schulgerechte Überlegung der Mannigfaltigkeit Herr zu werden, ist leicht zu begreifen.

In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, es würde eine algebraische Aufgabe sein, vor der selbst ein Newton zurückschrecken könnte.

Erschweren die Mannigfaltigkeit und Größe der Verhältnisse und die Ungewißheit in betreff des rechten Maßes das günstige Resultat in hohem Grade, so müssen wir nicht übersetzen, daß die ungeheure unvergleichbare Wichtigkeit der Sache, wenn auch nicht die Verwickelung und Schwierigkeit der Aufgabe, doch das Verdienst der Lösung steigert. Die Freiheit und Tätigkeit des Geistes wird im gewöhnlichen Menschen durch die Gefahr und Verantwortlichkeit nicht erhöht, sondern heruntergedrückt; wo aber diese Dinge das Urteil beflügeln und kräftigen, da dürfen wir nicht an seltener Seelengröße zweifeln.

Wir müssen also zuvörderst einräumen, daß das Urteil über einen bevorstehenden Krieg, über das Ziel, welches er haben darf, über die Mittel, welche nötig sind, nur aus dem Gesamtüberblick aller Verhältnisse entstehen kann, in welchen also die individuellsten Züge des Augenblicks mitverflochten sind, und daß dieses Urteil wie jedes im kriegerischen Leben niemals rein objektiv sein kann, sondern durch die Geistes- und Gemütseigenschaften der Fürsten, Staatsmänner, Feldherren bestimmt wird, sei es, daß sie in einer Person vereinigt sind oder nicht.

Allgemein und einer abstrakten Behandlung schon fähiger wird der Gegenstand dann, wenn wir auf die allgemeinen Verhältnisse der Staaten sehen, die sie von ihrer Zeit und den Umständen erhalten haben. Wir müssen uns hier einen flüchtigen Blick auf die Geschichte erlauben.

Halbgebildete Tataren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fürsten und Völker des neunzehnten Jahrhunderts, alle führen den Krieg auf ihre Weise, führen ihn anders, mit andern Mitteln und zu einem andern Ziel.

Die Tatarenschwärme suchen neue Wohnsitze. Sie ziehen mit dem ganzen Volke aus, mit Weib und Kind, sie sind also zahlreich wie verhältnismäßig kein anderes Heer, und ihr Ziel ist Unterwerfung oder Vertreibung des Gegners. Sie würden mit diesen Mitteln bald alles vor sich niederwerfen, ließe sich damit ein hoher Kulturzustand vereinigen.

Die alten Republiken, mit Ausnahme Roms, sind von geringem Umfange; noch geringer ist der Umfang ihrer Heere, denn sie schließen die große Masse, den Pöbel, aus; sie sind zu zahlreich und zu nahe beieinander, um nicht in dem natürlichen Gleichgewicht, in welches sich nach einem ganz allgemeinen Naturgesetz kleine abgesonderte Teile immer setzen, ein Hindernis für große Unternehmungen zu finden; daher beschränken sich ihre Kriege auf Verheerung des flachen Landes und Einnahme einzelner Städte, um sich in diesen für die Folge einen mäßigen Einfluß zu sichern.

Nur Rom macht davon eine Ausnahme, jedoch erst in seinen späteren Zeiten. Lange kämpfte es mit kleinen Scharen um Beute und um Bündnis mit seinen Nachbarn den gewöhnlichen Kampf. Es wird groß, mehr durch die Bündnisse, die es schließt, und in welchen sich die benachbarten Völker nach und nach mit ihm zu einem Ganzen verschmelzen, als durch wahre Unterwerfungen. Nur erst nachdem es sich auf diese Weise in ganz Unteritalien ausgebreitet hat, fängt es an, wirklich erobernd vorzuschreiten. Karthago fällt, Spanien und Gallien werden erobert, Griechenland wird unterworfen und in Asien und Ägypten seine Herrschaft ausgebreitet. In dieser Zeit sind seine Streitkräfte ungeheuer, ohne daß seine Anstrengungen es gleichfalls wären; sie werden mit seinen Reichtümern bestritten; es gleicht nicht mehr den alten Republiken und nicht mehr sich selbst, wie es gewesen. Es steht einzig da.

Ebenso einzig in ihrer Art sind die Kriege Alexanders. Mit einem kleinen, aber durch seine innere Vollkommenheit ausgezeichneten Heere wirft er die morschen Gebäude der asiatischen Staaten nieder. Ohne Rast und rücksichtslos durchzieht er das weite Asien und dringt bis Indien vor. Republiken konnten das nicht; das konnte so schnell nur ein König vollbringen, der gewissermaßen sein eigener Condottiere war.

Die großen und kleinen Monarchien des Mittelalters führten ihre Kriege mit Lehnsheeren. Da war alles auf eine kurze Zeit beschränkt; was in dieser nicht ausgerichtet werden konnte, mußte als unausführbar angesehen werden. Das Lehnsheer selbst bestand aus einer Gliederung des Vasallentums; das Band, welches dasselbe zusammenhielt, war halb gesetzliche Pflicht, halb freiwilliges Bündnis, das ganze eine wahre Konföderation. Bewaffnung und Taktik waren auf das Faustrecht, auf den Kampf des einzelnen gegründet, also für eine größere Masse wenig geschickt. Überhaupt hat es nie eine Zeit gegeben, wo der Staatsverband so locker und der einzelne Staatsbürger so selbständig war. Dies alles bedingte die Kriege dieser Zeit auf die bestimmteste Art. Sie wurden verhältnismäßig rasch geführt, müßiges Im-Felde-Liegen kam wenig vor, aber der Zweck bestand meistens nur in Züchtigung, nicht in Niederwerfung des Feindes; man trieb seine Herden weg, verbrannte seine Burgen und zog wieder nach Haus.

Die großen Handelsstädte und kleinen Republiken brachten die Condottieri auf. Das war eine kostbare, mithin dem äußeren Umfange nach sehr beschränkte Kriegsmacht. Noch geringer war sie ihrer intensiven Kraft nach zu schätzen; von höchster Energie und Anstrengung konnte da so wenig die Rede sein, daß es meist nur eine Spiegelfechterei wurde. Mit einem Worte: Haß und Feindschaft regten den Staat nicht mehr zu persönlicher Tätigkeit an, sondern wurden ein Gegenstand seines Handelns; der Krieg verlor einen großen Teil seiner Gefahr, veränderte durchaus seine Natur, und nichts, was man aus dieser Natur für ihn bestimmen kann, paßte auf denselben.

Das Lehnssystem zog sich nach und nach zu einer bestimmten Territorialherrschaft zusammen, der Staatsverband wurde enger, die persönlichen Verpflichtungen verwandelten sich in sachliche, das Geld trat nach und nach an die Stelle der meisten, und aus den Lehnsherren wurden Söldner. Die Condottieri machten den Übergang dazu und waren daher eine Zeitlang auch das Instrument der größeren Staaten; es dauerte aber nicht lange, so wurde aus dem auf kurze Zeit gemieteten Soldaten ein stehender Söldner, und die Kriegsmacht der Staaten war nun ein auf den Staatsschatz gegründetes Heer geworden.

Daß das langsame Fortschreiten zu diesem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verursachte, ist natürlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Condottieri und stehendes Heer beisammen. Die Condottieri haben sich bis in den Dreißigjährigen Krieg, ja mit einzelnen schwächeren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert, hineingezogen.

Ebenso eigentümlich wie die Kriegsmacht dieser verschiedenen Zeiten waren auch die übrigen Verhältnisse der Staaten in Europa. Im Grunde war dieser Weltteil in eine Masse von kleinen Staaten zerfallen, die teils in sich unruhige Republiken, teils kleine, in ihrer Regierungsgewalt höchst beschränkte und unsichere Monarchien waren. Ein solcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von locker verbundenen Kräften. Einen solchen Staat darf man sich also auch nicht wie eine Intelligenz denken, die nach einfachen logischen Gesetzen handelt.

Von diesem Gesichtspunkt aus muß man die äußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die beständigen Züge der deutschen Kaiser nach Italien während eines halben Jahrtausends, ohne daß je eine gründliche Eroberung dieses Landes daraus folgte oder auch nur in der Absicht lag. Es ist leicht, dies als einen sich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegründete falsche Ansicht zu betrachten, aber es ist vernünftiger, es als eine Folge von hundert großen Ursachen anzusehen, in die wir uns allenfalls hineindenken können, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. Solange die großen Staaten, welche aus diesem Chaos hervorgegangen sind, Zeit gebraucht haben, sich zusammenzufügen und auszubilden, geht ihre Kraft und Anstrengung hauptsächlich nur darauf hinaus; es gibt der Kriege gegen einen äußeren Feind weniger, und die vorkommenden tragen das Gepräge des unreifen Staatsverbandes.

Die Kriege der Engländer gegen Frankreich treten am frühesten hervor, und doch ist Frankreich damals noch nicht als eine wahre Monarchie zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von Herzogtümern und Grafschaften; England, obgleich es dabei mehr als Einheit erscheint, ficht doch mit Lehnsheeren und unter vielen inneren Unruhen.

Unter Ludwig XI. tut Frankreich den stärksten Schritt zu seiner inneren Einheit, unter Karl VIII. erscheint es als erobernde Macht in Italien, und unter Ludwig XIV. hat es seinen Staat und sein stehendes Heer bis zum höchsten Grade ausgebildet.

Spanien wird zur Einheit unter Ferdinand dem Katholischen; durch zufällige Heiratsverbindungen entsteht plötzlich unter Karl V. die große spanische Monarchie, aus Spanien, Burgund, Deutschland und Italien zusammengesetzt. Was diesem Koloß an Einheit und innerem Staatsverbande fehlt, ersetzt er durch Geld, und die stehende Kriegsmacht desselben gerät zuerst mit der stehenden Kriegsmacht Frankreichs in Berührung. Der große spanische Koloß zerfällt nach Karls V. Abdankung in zwei Teile, Spanien und Österreich. Dies letztere tritt nun, durch Böhmen und Ungarn verstärkt, als große Macht auf und schleppt die deutsche Konföderation wie eine Schaluppe hinter sich her.

Das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, die Zeit Ludwigs XIV., läßt sich als der Punkt in der Geschichte betrachten, wo die stehende Kriegsmacht, wie wir sie im achtzehnten Jahrhundert finden, ihre Höhe erreicht hatte. Diese Kriegsmacht war auf Werbung und Geld begründet. Die Staaten hatten sich zur vollkommenen Einheit ausgebildet, und die Regierungen, indem sie die Leistungen ihrer Untertanen in Geldabgaben verwandelten, ihre ganze Macht in ihren Geldkasten konzentriert. Durch die schnell vorgeschrittene Kultur und eine sich immer mehr ausbildende Verwaltung war diese Macht im Vergleich mit der früheren sehr groß geworden. Frankreich rückte mit ein paarmal hunderttausend Mann stehender Truppen ins Feld, und nach Verhältnis die übrigen Mächte.

Auch die übrigen Verhältnisse der Staaten hatten sich anders gestaltet. Europa war unter ein Dutzend Königreiche und ein paar Republiken verteilt; es war denkbar, daß zwei davon einen großen Kampf miteinander kämpften, ohne daß zehnmal so viel andere davon berührt wurden, wie es ehedem geschehen mußte. Die möglichen Kombinationen der politischen Verhältnisse waren immer noch sehr mannigfaltig, aber sie waren doch zu übersehen und von Zeit zu Zeit nach Wahrscheinlichkeiten festzustellen.

Die inneren Verhältnisse hatten sich fast überall zu einer schlichten Monarchie vereinfacht, die ständigen Rechte und Einwirkungen hatten nach und nach aufgehört, und das Kabinett war eine vollkommene Einheit, welche den Staat nach außen hin vertrat. Es war also dahin gekommen, daß ein tüchtiges Instrument und ein unabhängiger Wille dem Kriege eine seinem Begriff entsprechende Gestalt geben konnte.

Auch traten in dieser Epoche drei neue Alexander auf: Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große, die es versuchten, aus kleinen Staaten vermittelst eines mäßigen und sehr vervollkommneten Heeres große Monarchien zu stiften und alles vor sich niederzuwerfen. Hätten sie es nur mit asiatischen Reichen zu tun gehabt, so würden sie in ihrer Rolle dem Alexander ähnlicher geworden sein. In jedem Fall kann man sie in Rücksicht auf das, was man im Kriege wagen darf, als die Vorläufer Bonapartes ansehen.

Allein was der Krieg von der einen Seite an Kraft und Konsequenz gewann, ging ihm auf der andern Seite wieder verloren.

Die Heere wurden aus dem Schatz unterhalten, den der Fürst halb und halb wie seine Privatkasse ansah, oder wenigstens wie einen der Regierung und nicht dem Volke gehörigen Gegenstand. Die Verhältnisse mit den andern Staaten berührten, ein paar Handelsgegenstände ausgenommen, meistens nur das Interesse des Schatzes oder der Regierung und nicht des Volkes; wenigstens waren überall die Begriffe so gestellt. Das Kabinett sah sich also an als den Besitzer und Verwalter großer Güter, die es stets zu vermehren trachtete, ohne daß die Gutsuntertanen an dieser Vermehrung ein sonderliches Interesse haben konnten. Das Volk also, welches bei den Tatarenzügen alles im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelalter, wenn man den Begriff desselben gehörig auf die eigentlichen Staatsbürger beschränkt, sehr viel gewesen war, ward bei diesem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts unmittelbar nichts, hatte bloß durch seine allgemeinen Tugenden oder Fehler noch einen mittelbaren Einfluß auf den Krieg.

Auf diese Weise wurde der Krieg in eben dem Maße, wie sich die Regierung vom Volke trennte und sich als den Staat betrachtete, ein bloßes Geschäft der Regierungen, welches sie vermittelst der Taler in ihrem Koffer und der müßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten Provinzen betrieb. Die Folge hiervon war, daß die Mittel, welche sie aufbieten konnten, ein ziemlich bestimmtes Maß hatten, welches sie gegenseitig übersehen konnten, und zwar sowohl ihrem Umfang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die gefährlichste seiner Seiten: nämlich das Streben nach dem Äußersten und die dunkle Reihe von Möglichkeiten, die sich daran knüpft.

Man kannte ungefähr die Geldmittel, den Schatz, den Kredit seines Gegners; man kannte die Größe seines Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des Krieges waren nicht tunlich. Indem man so die Grenzen der feindlichen Kräfte übersah, wußte man sich vor einem gänzlichen Untergange ziemlich sicher, und indem man die Beschränkung der eigenen fühlte, sah man sich auf ein mäßiges Ziel zurückgewiesen. Vor dem Äußersten geschützt, brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die Notwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur der Mut und der Ehrgeiz dazu treiben. Aber diese fanden in den Staatsverhältnissen ein mächtiges Gegengewicht. Selbst die königlichen Feldherren mußten behutsam mit dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zertrümmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und außer dem Heere gab es nichts. Dies heischte große Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein entschiedener Vorteil zu ergeben schien, machte man Gebrauch von der kostbaren Sache; diesen herbeizuführen, war eine Kunst des Feldherrn; so lange aber, als er nicht herbeigeführt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln, und alle Kräfte, nämlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ursprüngliche Motiv des Angreifenden erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit.

So wurde der Krieg seinem Wesen nach ein wirkliches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas verstärkte Diplomatie, eine kräftigere Art zu unterhandeln, in welcher Schlachten und Belagerungen die Stelle der diplomatischen Noten vertraten. Sich in einen mäßigen Vorteil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten.

Diese beschränkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges rührte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, auf welche er sich stützte. Daß aber ausgezeichnete Feldherren und Könige wie Gustav Adolph, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso ausgezeichneten Heeren nicht stärker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in. dem allgemeinen Niveau des mittelmäßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was früher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natürliche Interesse, die Nähe, die Berührung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persönliche Bekanntschaft getan hatten, um den einzelnen zu verhindern, schnell groß zu werden, das tat jetzt, wo die Staaten größer und ihre Zentren weiter voneinander entfernt waren, die größere Ausbildung der Geschäfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Teil daran hatten.

Ein neuer Alexander mußte sich also neben seinem guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch brachte er es mit seinen Eroberungen selten weit.

Aber auch Ludwig XIV., obgleich er die Absicht hatte, das europäische Gleichgewicht umzustoßen, und sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts schon auf dem Punkte befand, sich wenig um die allgemeine Feindschaft zu bekümmern, führte den Krieg auf die hergebrachte Weise, denn seine Kriegsmacht war zwar die des größten und reichsten Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der andern.

Plünderungen und Verheerungen des feindlichen Gebietes, welche bei den Tataren, bei den alten Völkern und selbst im Mittelalter eine so große Rolle spielten, waren nicht mehr im Geiste der Zeit. Man sah sie mit Recht als eine unnütze Roheit an, die leicht vergolten werden konnte und die feindlichen Untertanen mehr traf als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und nur dazu diente, die Völker in ihrem Kulturzustande auf längere Zeit zurückzuhalten. Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb dessen sich das kriegerische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie für eine notwendige Folge des fortschreitenden Geistes. Obgleich hierin ein Irrtum lag, weil das Fortschreiten des Geistes niemals zu einem Widerspruch führen, niemals machen kann, daß aus zweimal zwei fünf wird, wie wir schon gesagt haben und noch in der Folge sagen müssen, so hatte allerdings diese Veränderung eine wohltätige Wirkung für die Völker; nur ist nicht zu verkennen, daß sie den Krieg noch mehr zu einem bloßen Geschäft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan des angreifenden Staates bestand in dieser Zeit meistens darin, sich einer oder der andern feindlichen Provinz zu bemächtigen; der des Verteidigers: dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Festung zu erobern oder die Eroberung einer eigenen zu verhindern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde sie gesucht und geliefert. Wer ohne diese Unvermeidlichkeit eine Schlacht aus bloßem inneren Siegesdrange suchte, galt für einen kecken Feldherrn. Gewöhnlich verstrich der Feldzug über einer Belagerung, oder, wenn es hoch kam, über zwei, und die Winterquartiere, die als eine Notwendigkeit betrachtet wurden, während welcher die schlechte Verfassung des einen niemals ein Vorteil des andern werden konnte, in welchen die gegenseitigen Beziehungen beider fast gänzlich aufhörten, bildeten eine bestimmte Abgrenzung der Tätigkeit, welche in einem Feldzuge statthaben sollte.

Waren die Kräfte zu sehr im Gleichgewicht, oder war der Unternehmende entschieden der Schwächere von beiden, so kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte sich die ganze Tätigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewisser Stellungen und Magazine und die regelmäßige Auszehrung gewisser Gegenden.

Solange der Krieg allgemein so geführt wurde, und die natürlichen Beschränkungen seiner Gewalt immer so nahe und sichtbar waren, fand niemand darin etwas Widersprechendes, sondern alles in der schönsten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing, sich dem Felde der Kriegskunst zuzuwenden, richtete sich auf das Einzelne, ohne sich viel um Anfang und Ende zu bekümmern. So gab es denn Größen und Vollkommenheiten aller Art, und selbst Feldmarschall Daun, der hauptsächlich dazu beitrug, daß Friedrich der Große seinen Zweck vollkommen erreichte, und Maria Theresia den ihrigen vollkommen verfehlte, konnte noch als ein großer Feldherr angesehen werden. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urteil hervor, nämlich der gesunde Menschenverstand erkannte, daß man mit seiner Übermacht etwas Positives erreichen müsse oder den Krieg mit alter Kunst schlecht führe.

So standen die Sachen, als die französische Revolution ausbrach. Österreich und Preußen versuchten es mit ihrer diplomatischen Kriegskunst; sie zeigte sich bald unzureichend. Während man nach der gewöhnlichen Art, die Dinge anzusehen, auf eine sehr geschwächte Kriegsmacht sich Hoffnung machte, zeigte sich im Jahre 1793 eine solche, von der man keine Vorstellung gehabt hatte. Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten. Ohne uns hier auf die näheren Umstände einzulassen, von welchen diese große Erscheinung begleitet war, wollen wir nur die Resultate festhalten, auf die es hier ankommt. Mit dieser Teilnahme des Volkes an dem Kriege trat statt eines Kabinetts und eines Heeres das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Wagschale. Nun hatten die Mittel, welche angewandt, die Anstrengungen, welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr, die Energie, mit welcher der Krieg selbst geführt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr, und folglich war die Gefahr für den Gegner die äußerste.

Wenn der ganze Revolutionskrieg darüber hingegangen, ehe sich dies in seiner Stärke fühlbar machte und zur völligen Klarheit wurde, wenn nicht schon die Revolutionsgenerale unaufhaltsam bis ans letzte Ziel vorgeschritten sind und die europäischen Monarchien zertrümmert haben, wenn die deutschen Heere noch hin und wieder Gelegenheit gehabt, mit Glück zu widerstehen und den Siegesstrom aufzuhalten, so lag dies wirklich nur in der technischen Unvollkommenheit, mit der die Franzosen zu kämpfen hatten, die sich anfangs bei den gemeinen Soldaten, dann bei den Generalen, endlich zur Zeit des Direktoriums beim Gouvernement selbst zeigte.

Nachdem sich in Bonapartes Hand das alles vervollkommnet hatte, schritt diese auf die ganze Volkskraft gestützte Kriegsmacht mit einer solchen Sicherheit und Zuverlässigkeit zertrümmernd durch Europa, daß, wo ihr nur die alte Heeresmacht entgegengestellt wurde, auch nicht einmal ein zweifelhafter Augenblick entstand. Die Reaktion erwachte noch zu rechter Zeit. In Spanien wurde der Krieg von selbst Volkssache. In Österreich machte die Regierung zuerst im Jahre 1809 ungewöhnliche Anstrengungen mit Reserven und Landwehren, die sich dem Ziele näherten und alles überstiegen, was dieser Staat früher für tunlich gehalten hatte. In Rußland nahm man 1812 das Beispiel von Spanien und Österreich zum Muster; die ungeheuren Dimensionen dieses Reiches erlaubten den verspäteten Anstalten, noch in Wirksamkeit zu treten, und vergrößerten die Wirksamkeit von der andern Seite. Der Erfolg war glänzend. In Deutschland raffte sich Preußen zuerst auf, machte den Krieg zur Volkssache und trat mit Kräften auf, die bei halb so viel Einwohnern, gar keinem Gelde und Kredit doppelt so groß waren als die von 1806. Das übrige Deutschland folgte früher oder später dem Beispiele Preußens, und Österreich, obgleich sich weniger anstrengend als im Jahre 1809, trat doch auch mit ungewöhnlicher Kraft auf. So geschah es, daß Deutschland und Rußland in den Jahren 1813 und 1814, alles mitgerechnet, was in Tätigkeit war, und was in diesen beiden Feldzügen verbraucht wurde, mit etwa einer halben Million Menschen gegen Frankreich auftraten.

Unter diesen Umständen war auch die Energie der Kriegführung eine andere, und wenn sie die französische nur teilweise erreichte und auf manchen Punkten Zaghaftigkeit vorwaltete, so war doch der Gang der Feldzüge im allgemeinen nicht im alten, sondern im neuen Stil. In acht Monaten wurde das Kriegstheater von der Oder an die Seine versetzt, das stolze Paris mußte zum erstenmal sein Haupt beugen, und der furchtbare Bonaparte lag gefesselt am Boden.

Seit Bonaparte also hat der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der andern wieder Sache des ganzen Volkes wurde, eine ganz andere Natur angenommen, oder vielmehr, er hat sich seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit, sehr genähert. Die aufgebotenen Mittel hatten keine sichtbare Grenze, sondern diese verlor sich in der Energie und dem Enthusiasmus der Regierung und ihrer Untertanen. Die Energie der Kriegführung war durch den Umfang der Mittel und das weite Feld möglichen Erfolges sowie durch die starke Anregung der Gemüter ungemein erhöht worden, das Ziel des kriegerischen Aktes war Niederwerfung des Gegners; nur dann erst, wenn er ohnmächtig zu Boden liege, glaubte man innehalten und sich über die gegenseitigen Zwecke verständigen zu können.

So war also das kriegerische Element, von allen konventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natürlichen Kraft losgebrochen. Die Ursache war die Teilnahme der Völker an dieser großen Staatsangelegenheit, und diese Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen, welche die französische Revolution in dem Innern der Länder herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, mit welcher alle Völker von dem französischen bedroht waren.

Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa mit dem ganzen Gewicht der Staaten, und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen stattfinden werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein, und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen. Aber man wird uns recht geben, wenn wir sagen, daß Schranken, die gewissermaßen nur in dem Nicht-bewußtwerden dessen, was möglich sei, lagen, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen, und daß wenigstens jedesmal, wenn es sich um große Interessen handelt, die gegenseitige Feindschaft sich auf dieselbe Art entladen wird, wie es in unsern Tagen geschehen ist.

Wir schließen hier unsern geschichtlichen Überblick, den wir nicht angestellt haben, um für jede Zeit in der Geschwindigkeit einige Grundsätze der Kriegführung anzugeben, sondern nur, um zu zeigen, wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bedingungen, ihre eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früher wie später, aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur der, welcher nicht sowohl durch ein ängstliches Studium aller kleinen Verhältnisse, als durch einen treffenden Blick auf die großen sich in jede Zeit versetzt, ist imstande, die Feldherren derselben zu verstehen und zu würdigen.

Aber diese durch die eigentümlichen Verhältnisse der Staaten und der Kriegsmacht bedingte Kriegführung muß doch etwas noch Allgemeineres oder vielmehr etwas ganz Allgemeines in sich tragen, mit welchem es vor allem die Theorie zu tun haben wird.

Die jüngstvergangene Zeit, in welcher der Krieg seine absolute Gewalt erreichte, hat des allgemein Gültigen und Notwendigen am meisten. Aber es ist ebenso unwahrscheinlich, daß die Kriege fortan alle diesen großartigen Charakter haben werden, als daß die weiten Schranken, welche ihnen geöffnet worden sind, sich je wieder ganz schließen können. Man würde also mit einer Theorie, die nur bei diesem absoluten Kriege verweilte, alle Fälle, in denen fremdartige Einflüsse seine Natur verändern, entweder ausschließen oder als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der Theorie sein, welche die Lehre des Krieges nicht unter idealen, sondern unter wirklichen Verhältnissen sein soll. Die Theorie wird also, indem sie ihren prüfenden, scheidenden und ordnenden Blick auf die Gegenstände wirft, immer die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Auge haben, von welchen der Krieg ausgehen kann, und wird also die großen Lineamente desselben so angeben, daß das Bedürfnis der Zeit und des Augenblicks darin seinen Platz findet.

Hiernach müssen wir sagen, daß das Ziel, welches sich der Kriegsunternehmer setzt, die Mittel, welche er aufbietet, sich nach den ganz individuellen Zügen seiner Lage richten, daß sie aber eben deshalb auch den Charakter der Zeit und der allgemeinen Verhältnisse an sich tragen werden, endlich, daß sie den allgemeinen Folgerungen, welche aus der Natur des Krieges gezogen werden müssen, unterworfen bleiben.


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