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Die meisten Gegenstände sind schon im sechsten Buch berührt worden und werfen auf den Angriff durch den bloßen Reflex das hinreichende Licht.
Der Begriff eines geschlossenen Kriegstheaters hat ohnehin eine nähere Beziehung zur Verteidigung als zum Angriff. Manche Hauptpunkte: Gegenstand des Angriffs, Wirkungssphäre des Sieges u. s. w., sind in diesem Buche schon abgehandelt, und das Durchgreifendste und Wesentlichste über die Natur des Angriffs wird sich erst beim Kriegsplan darstellen lassen; doch bleibt uns hier noch manches zu sagen, und wir wollen wieder mit dem Feldzug beginnen, in welchem die Absicht einer großen Entscheidung vorhanden ist.
1. Das nächste Ziel des Angriffs ist ein Sieg. Alle Vorteile, welche der Verteidiger in der Natur seiner Lage findet, kann der Angreifende nur durch Überlegenheit ersetzen, und allenfalls noch durch den mäßigen Vorzug, den das Gefühl, der Angreifende und Vorschreitende zu sein, dem Heere gibt. Meistens wird jedoch der Einfluß dieses Gefühls sehr überschätzt; denn es dauert nicht lange und hält, ernsteren Schwierigkeiten gegenüber, nicht Stich. Es versteht sich, daß wir hierbei voraussetzen, daß der Verteidiger ebenso fehlerfrei und angemessen verfahre, wie der Angreifende. Wir wollen mit dieser Bemerkung die dunklen Ideen von Überfall und Überraschung entfernen, welche man sich beim Angriff gewöhnlich als reichliche Siegesquellen denkt, und die doch ohne besondere Umstände nicht eintreten. Wie es mit dem eigentlichen strategischen Überfall steht, haben wir schon an einem andern Ort gesagt. – Fehlt also dem Angriff die physische Überlegenheit, so muß eine moralische da sein, um die Nachteile der Form aufzuwiegen; wo auch diese fehlt, ist der Angriff nicht motiviert und wird nicht glücklich sein.
2. So wie Vorsicht der eigentliche Genius des Verteidigers sein soll, so sollen Kühnheit und Zuversicht den Angreifenden beseelen, nicht daß die entgegengesetzten Eigenschaften beiden fehlen dürfen, sondern es stehen die genannten in einer größeren Affinität mit ihren Aufgaben. Diese Eigenschaften sind ja überhaupt nur nötig, weil das Handeln kein mathematisches Konstruieren ist, sondern eine Tätigkeit in dunklen oder höchstens dämmernden Regionen, in denen man sich demjenigen Führer anvertrauen muß, der sich am meisten für unser Ziel eignet. – Je moralisch schwächer sich der Verteidiger zeigt, um so dreister muß der Angreifende werden.
3. Zum Sieg gehört das Treffen der feindlichen Hauptmacht mit der eigenen. Dies ist beim Angriff weniger zweifelhaft, als bei der Verteidigung, denn der Angreifende sucht den Verteidiger in seiner Stellung auf. Allein wir haben behauptet (bei der Verteidigung), er solle ihn, wenn der Verteidiger sich falsch gestellt hat, nicht aufsuchen, weil er sicher sein könne, daß dieser ihn aufsuchen werde, und er dann den Vorteil habe, ihn unvorbereitet zu treffen. Es kommt hierbei alles auf die wichtigste Straße und Richtung an, und diesen Punkt haben wir bei der Verteidigung unerörtert gelassen und auf dieses Kapitel verwiesen. Wir wollen also hier das Nötige darüber sagen.
4. Welches die näheren Gegenstände des Angriffs und also die Zwecke des Sieges sein können, haben wir schon früher gesagt; liegen nun diese innerhalb des Kriegstheaters, welches angegriffen wird, und innerhalb der wahrscheinlichen Siegessphäre, so sind die Wege dahin die natürlichen Richtungen des Stoßes. Aber wir müssen nicht vergessen, daß der Gegenstand des Angriffs gewöhnlich erst seine Bedeutung mit dem Siege erhält, daß der Sieg also immer in Verbindung damit gedacht werden muß; es kommt daher dem Angreifenden nicht so sehr darauf an, den Gegenstand bloß zu erreichen, sondern vielmehr ihn als Sieger zu gewinnen, und so wird denn die Richtung seines Stoßes nicht sowohl auf den Gegenstand selbst, als auf den Weg treffen müssen, den das feindliche Heer dahin zu nehmen hat. Dieser Weg ist das nächste Objekt des Angriffs. Die feindliche Armee zu treffen, ehe sie jenen Gegenstand erreicht, sie davon abzuschneiden und in dieser Lage zu schlagen, gibt den potenzierten Sieg. – Wäre z. B. die feindliche Hauptstadt das Hauptobjekt des Angriffs, und der Verteidiger hätte sich nicht zwischen ihr und dem Angreifenden aufgestellt, so hätte dieser Unrecht, gerade auf die Hauptstadt loszugehen, er tut vielmehr besser, auf die Verbindung zwischen der feindlichen Armee und der Hauptstadt seine Richtung zu nehmen und dort den Sieg zu suchen, der ihm dieselbe bringen soll.
Liegt in der Siegessphäre des Angriffs kein großes Objekt, so ist die Verbindung der feindlichen Armee mit dem nächsten großen Objekt der Punkt, welcher die vorherrschende Wichtigkeit hat. Es wird sich also jeder Angreifende fragen: wenn ich in der Schlacht glücklich bin, was fange ich mit dem Siege an? Das Eroberungsobjekt, worauf ihn dieses führt, ist dann die natürliche Richtung des Stoßes. Hat der Verteidiger sich in dieser Richtung aufgestellt, so ist er im Recht, und es bleibt nichts übrig, als ihn da aufzusuchen. Wäre seine Stellung zu stark, so müßte der Angreifende das Vorbeigehen versuchen, d. h. aus der Not eine Tugend machen. Ist der Verteidiger aber nicht auf der rechten Stelle, so wählt der Angreifende diese Richtung und wendet sich, sobald er in die Höhe des Verteidigers kommt, wenn dieser sich nicht unterdes seitwärts vorgeschoben hat, in die Richtung seiner Verbindungslinie mit dem Gegenstand, um die feindliche Armee dort aufzusuchen; wäre sie ganz stehen geblieben, so würde der Angreifende gegen dieselbe umkehren müssen, um sie von hinten anzugreifen.
Von allen Wegen, unter denen der Angreifende die Wahl hat, sind die großen Handelsstraßen immer die besten und natürlichsten. Wo sie eine zu starke Biegung machen, muß man freilich für diese Stellen die geraderen, wenn auch kleineren Wege wählen, denn eine von der geraden Linie stark abweichende Rückzugsstraße hat immer große Bedenklichkeiten.
5. Zu einer Teilung der Macht hat der Angreifende, der auf eine große Entscheidung ausgeht, selten Veranlassung, und es ist meistens, wenn es dennoch geschieht, als ein Fehler der Unklarheit zu betrachten. Er soll also mit seinen Kolonnen nur in solcher Breite vorrücken, daß alle zugleich schlagen können. Hat der Feind selbst seine Macht geteilt, so wird das dem Angreifenden umsomehr zum Vorteil gereichen, nur können dabei freilich kleine Demonstrationen vorkommen, die gewissermaßen die strategischen fausses attaques sind und die Bestimmung haben, jene Vorteile festzuhalten; die hierdurch veranlaßte Teilung der Macht wäre dann gerechtfertigt.
Die ohnehin notwendige Teilung in mehrere Kolonnen muß zur Anordnung des taktischen Angriffs in der umfassenden Form benutzt werden, denn diese Form ist dem Angriff natürlich und darf nicht ohne Not versäumt werden. Aber sie muß taktischer Natur bleiben, denn ein strategisches Umfassen, während ein großer Schlag geschieht, ist vollkommene Kraftverschwendung. Es wäre also nur zu entschuldigen, wenn der Angreifende so stark wäre, daß der Erfolg gar nicht als zweifelhaft betrachtet werden könnte.
6. Aber auch der Angriff hat Vorsicht nötig, denn der. Angreifende hat auch einen Rücken, hat Verbindungen, die gesichert werden müssen. Diese Sicherung muß aber womöglich durch die Art geschehen, wie er sich vorbewegt, d. h. also eo ipso durch die Armee selbst. Wenn dazu besondere Kräfte bestimmt werden müssen, also eine Teilung der Kräfte hervorgerufen wird, so kann dies natürlich der Kraft des Stoßes selbst nur schaden. – Da eine beträchtliche Armee immer in der Breite von wenigstens einem Marsch vorzurücken pflegt, so wird, wenn die Rückzugs- Verbindungslinien nicht zu sehr von der Senkrechten abweichen, die Deckung derselben meistens schon durch die Front der Armee erreicht.
Die Gefahren dieser Art, welchen der Angreifende ausgesetzt ist, müssen hauptsächlich nach der Lage und dem Charakter des Gegners abgemessen werden. Wo alles unter dem Druck einer großen Entscheidung steht, bleibt dem Verteidiger für Unternehmungen dieser Art wenig Spielraum; der Angreifende wird also in den gewöhnlichen Fällen nicht viel zu fürchten haben. Aber wenn das Vorschreiten vorüber ist, der Angreifende nach und nach selbst in den Zustand der Verteidigung übergeht, dann wird die Deckung des Rückens immer notwendiger, immer mehr eine Hauptsache. Denn da der Rücken eines Angreifenden der Natur der Sache nach schwächer ist als der des Verteidigers, so kann dieser schon lange vorher, ehe er zum wirklichen Angriff übergeht, und sogar, indem er selbst noch immer Land einräumt, angefangen haben, auf die Verbindungslinien des Angreifenden zu wirken.