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Was ein Gebirge in den allgemeinen strategischen Beziehungen ist, sowohl bei der Verteidigung, als selbst beim Angriff, geht hinreichend aus dem fünften und den folgenden Kapiteln des sechsten Buches hervor. Auch die Rolle, welche ein Gebirge als eigentliche Verteidigungslinie spielt, haben wir dort zu entwickeln gesucht, und daraus geht schon hervor, wie dasselbe in dieser Bedeutung von seiten des Angriffs zu betrachten ist. Es bleibt uns daher über diesen wichtigen Gegenstand hier wenig zu sagen übrig. Unser Hauptresultat war dort, daß die Verteidigung den ganz verschiedenen Gesichtspunkt eines untergeordneten Gefechts oder einer Hauptschlacht annehmen muß, daß im ersten Fall der Angriff eines Gebirges nur als ein notwendiges Übel betrachtet werden kann, weil er alle Verhältnisse gegen sich hat, daß aber im zweiten Fall sich die Vorteile auf seiten des Angriffs befinden.
Ein Angriff also, der mit den Kräften und dem Entschluß zu einer Schlacht ausgerüstet ist, wird seinem Gegner im Gebirge begegnen und gewiß seine Rechnung dabei finden.
Wir müssen aber auch hier noch einmal darauf zurückkommen, daß es schwer sein wird, diesem Resultat Gehör zu verschaffen, weil es gegen den Augenschein und auf den ersten Blick auch gegen alle Kriegserfahrung läuft. In den meisten Fällen hat man nämlich bisher gesehen, daß eine zum Angriff vordringende Armee (sie mag nun eine Hauptschlacht suchen oder nicht) es für ein unerhörtes Glück gehalten hat, wenn der Feind das Zwischengebirge nicht besetzt hatte, und daß sie sich dann beeilte, ihm zuvorzukommen. Niemand wird in diesem Zuvorkommen einen Widerspruch mit dem Interesse des Angreifenden finden; auch nach unsrer Ansicht ist dies sehr zulässig, nur muß man hier die Umstände genauer unterscheiden.
Eine Armee, die dem Feinde entgegengeht, um ihm eine Hauptschlacht zu liefern, wird, wenn sie ein unbesetztes Gebirge zu überschreiten hat, die natürliche Besorgnis haben, daß der Feind eben diejenigen Pässe, welcher sie sich dazu bedienen will, im letzten Augenblick verrennt; in diesem Fall würden für den Angreifenden nicht mehr dieselben Vorteile vorhanden sein, die ihm eine gewöhnliche Gebirgsstellung des Feindes dargeboten hatte. Dieser ist nämlich dann nicht mehr übermäßig ausgedehnt, ist nicht mehr ungewiß über den Weg, welchen der Angreifende einschlägt; der Angreifende hat die Wahl seiner Straßen nicht mit Rücksicht auf die feindliche Aufstellung wählen können, und es ist also diese Schlacht im Gebirge nicht mehr mit allen den Vorteilen für ihn verbunden, von denen wir im sechsten Buche gesprochen haben; unter solchen Umständen könnte der Verteidiger in einer unangreifbaren Stellung gefunden werden. – Sonach würde ja dem Verteidiger auf diese Weise doch das Mittel zu Gebote stehen, einen vorteilhaften Gebrauch für seine Hauptschlacht aus dem Gebirge zu ziehen.– Möglich wäre dies allerdings; aber wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, die es für den Verteidiger haben würde, sich im letzten Augenblicke in einer guten Stellung im Gebirge festzusetzen, zumal wenn er es vorher ganz unbesetzt gelassen hätte, so wird man wohl dieses Verteidigungsmittel für ein ganz unzuverlässiges, und also auch den Fall, welchen der Angreifende zu fürchten hat, für einen sehr unwahrscheinlichen halten. Aber ist auch dieser Fall sehr unwahrscheinlich, so bleibt es darum doch natürlich, ihn zu fürchten, denn im Kriege ist es oft der Fall, daß eine Besorgnis sehr natürlich und doch ziemlich überflüssig ist.
Aber ein anderer Gegenstand, welchen der Angreifende hier zu fürchten hat, ist die vorläufige Gebirgsverteidigung durch eine Avantgarde oder Vorpostenkette. Auch dieses Mittel wird nur selten dem Interesse des Verteidigers zusagen, der Angreifende ist aber nicht wohl imstande zu unterscheiden, inwiefern dies der Fall sein wird oder nicht, und so fürchtet er das Schlimmste.
Ferner schließt unsere Ansicht keineswegs die Möglichkeit aus, daß eine Stellung durch den Gebirgscharakter des Terrains ganz unangreifbar werde; es gibt dergleichen Stellungen, die darum noch nicht im Gebirge liegen (Pirna, Schmotseifen, Meißen, Feldkirch), und gerade weil sie nicht im Gebirge liegen, sind sie um so geeigneter. Aber man kann sich auch sehr wohl denken, daß solche Stellungen im Gebirge selbst gefunden werden können, wo die Verteidiger die gewöhnlichen Nachteile der Gebirgsstellungen vermeiden können, z. B. auf hohen Plateaus, doch sind sie äußerst selten, und wir konnten hier nur die Mehrzahl im Auge haben.
Wie wenig sich Gebirge zu entscheidenden Verteidigungsschlachten eignen, sehen wir gerade aus der Kriegsgeschichte; denn die großen Feldherren haben sich, wenn sie es auf eine solche Schlacht ankommen lassen wollten, lieber in der Ebene aufgestellt, und es finden sich in der ganzen Kriegsgeschichte keine anderen Beispiele entscheidender Gefechte im Gebirge, als die im Revolutionskriege, in welchen offenbar eine falsche Anwendung und Analogie den Gebrauch der Gebirgsstellungen auch da herbeigeführt hat, wo man auf entscheidende Schläge rechnen mußte (1793 und 1794 in den Vogesen und 1795, 96 und 97 in Italien). Jederman hat Melas angeklagt, daß er 1800 die Alpendurchgänge nicht besetzt hatte; aber das sind Kritiken des ersten Einfalls, des bloßen – man möchte sagen – kindischen Urteils nach dem Augenschein. Bonaparte an Melas Stelle hätte sie ebensowenig besetzt.
Die Anordnung eines Gebirgsangriffs ist größtenteils taktischer Natur, nur glauben wir hier für die ersten Umrisse also für diejenigen Teile, welche der Strategie zunächst liegen und mit ihr zusammenfallen, folgendes angeben zu müssen: