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Der Kriegsplan faßt den ganzen kriegerischen Akt zusammen, durch ihn wird er zur einzelnen Handlung, die einen letzten endlichen Zweck haben muß, in welchem sich alle besonderen Zwecke ausgeglichen haben. Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit, und was man in demselben erreichen will; das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel. Durch diesen Hauptgedanken werden alle Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maß der Energie bestimmt; er äußert seinen Einfluß bis in die kleinsten Glieder der Handlung hinab.
Wir haben im ersten Kapitel gesagt, daß das Niederwerfen des Gegners das natürliche Ziel des kriegerischen Aktes sei und daß, wenn man bei der philosophischen Strenge des Begriffs stehen bleiben will, es im Grunde ein anderes nicht geben könne.
Da diese Vorstellung von beiden kriegführenden Teilen gelten muß, so würde daraus folgen, daß es im kriegerischen Akt keinen Stillstand geben und nicht eher Ruhe eintreten könne, bis einer der beiden Teile wirklich niedergeworfen sei.
In dem Kapitel von dem Stillstand im kriegerischen Akt haben wir gezeigt, wie das bloße Prinzip der Feindschaft, auf den Träger desselben, den Menschen, und alle Umstände angewendet, aus denen es den Krieg zusammensetzt, aus inneren Gründen der Maschine einen Aufenthalt und eine Ermäßigung erleidet.
Aber diese Modifikation ist bei weitem nicht hinreichend, um uns von dem ursprünglichen Begriff des Krieges zu der konkreten Gestalt desselben, wie wir sie fast überall finden, hinüberzuführen. Die meisten Kriege erscheinen nur wie eine gegenseitige Entrüstung, wobei jeder zu den Waffen greift, um sich selbst zu schützen und dem andern Furcht einzuflößen, und – gelegentlich einen Streich beizubringen. Es sind also nicht zwei sich einander zerstörende Elemente, die zusammengebracht sind, sondern es sind Spannungen noch getrennter Elemente, die sich in einzelnen kleinen Schlägen entladen.
Welches ist nun aber die nicht leitende Scheidewand, die das totale Entladen verhindert? Warum geschieht der philosophischen Vorstellungsweise nicht Genüge? Jene Scheidewand liegt in der großen Zahl von Dingen, Kräften, Verhältnissen, die der Krieg im Staatsleben berührt, und durch deren unzählbare Windungen sich die logische Konsequenz nicht wie an dem einfachen Faden von ein paar Schlüssen fortführen läßt; in diesen Windungen bleibt sie stecken, und der Mensch, der gewohnt ist, im Großen und Kleinen mehr nach einzelnen vorherrschenden Vorstellungen und Gefühlen als nach strenger logischer Folge zu handeln, wird sich hier seiner Unklarheit, Halbheit und Inkonsequenz kaum bewußt.
Hätte aber auch die Intelligenz, von welcher der Krieg ausgeht, wirklich alle diese Verhältnisse durchlaufen können, ohne ihr Ziel einen Augenblick zu verlieren, so würden alle übrigen Intelligenzen im Staate, welche dabei in Betracht kommen, nicht eben dasselbe können; es wird also ein Widerstreben entstehen und mithin eine Kraft nötig sein, die Inertie der ganzen Masse zu überwinden, eine Kraft, die meistens unzureichend sein wird.
Diese Inkonsequenz findet bei dem einen der beiden Teile statt, oder bei dem andern, oder bei beiden, und wird so die Ursache, daß der Krieg zu etwas ganz anderem wird, als er dem Begriff nach sein sollte, zu einem Halbdinge, zu einem Wesen ohne inneren Zusammenhang.
So finden wir ihn fast überall, und man könnte zweifeln, daß unsere Vorstellung von dem ihm absolut zukommenden Wesen einige Realität hat, wenn wir nicht gerade in unseren Tagen den wirklichen Krieg in dieser absoluten Vollkommenheit hätten auftreten sehen. Nach einer kurzen Einleitung, die die französische Revolution gemacht hat, hat ihn der rücksichtslose Bonaparte schnell auf diesen Punkt gebracht. Unter ihm ist er rastlos vorgeschritten, bis der Gegner daniederlag; und fast ebenso rastlos sind die Rückschläge erfolgt. Ist es nicht natürlich und notwendig, daß uns diese Erscheinung auf den ursprünglichen Begriff des Krieges mit allen strengen Folgerungen zurückführt?
Sollen wir nun dabei stehen bleiben und alle Kriege, wie sehr sie sich auch davon entfernen, danach beurteilen, alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?
Wir müssen uns jetzt darüber entscheiden, denn wir können nichts Stichhaltiges über den Kriegsplan sagen, ohne mit uns selbst darüber einig geworden zu sein, ob der Krieg nur so sein soll oder noch anders sein kann.
Wenn wir uns zu dem ersteren entschließen, wird unsere Theorie sich überall dem Notwendigen mehr nähern, mehr eine klare, abgemachte Sache sein. Aber was sollen wir dann zu allen Kriegen sagen, welche seit Alexander und einigen Feldzügen der Römer bis auf Bonaparte geführt worden sind? Wir müßten sie in Bausch und Bogen verwerfen und könnten es doch vielleicht nicht, ohne uns unserer Anmaßung zu schämen. Was aber schlimm ist, wir müßten uns sagen, daß im nächsten Jahrzehnt vielleicht wieder ein Krieg der Art da sein wird, unserer Theorie zum Trotz, und daß diese Theorie mit einer starken Logik doch sehr ohnmächtig bleibt gegen die Gewalt der Umstände. Wir werden uns also dazu verstehen müssen, den Krieg, wie er sein soll, nicht aus seinem bloßen Begriff zu konstruieren, sondern allem Fremdartigen, was sich darin einmischt und daran ansetzt, seinen Platz zu lassen, aller natürlichen Schwere und Reibung der Teile, der ganzen Inkonsequenz, Unklarheit und Verzagtheit des menschlichen Geistes; wir werden die Ansicht fassen müssen, daß der Krieg und die Gestalt, welche man ihm gibt, hervorgeht aus augenblicklich vorherrschenden Ideen, Gefühlen und Verhältnissen, ja wir müssen, wenn wir ganz wahr sein wollen, einräumen, daß dies selbst der Fall gewesen ist, wo er seine absolute Gestalt angenommen hat, nämlich unter Bonaparte.
Müssen wir das, müssen wir zugeben, daß der Krieg entspringt und seine Gestalt erhält nicht aus einer endlichen Abgleichung aller unzähligen Verhältnisse, die er berührt, sondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrschen, so folgt von selbst, daß er auf einem Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück beruht, in dem sich die strenge logische Folgerung oft ganz verliert und wobei sie überhaupt ein sehr unbehilfliches, unbequemes Instrument des Kopfes ist; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding sein kann, das bald mehr, bald weniger Krieg ist.
Dies alles muß die Theorie zugeben, aber es ist ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen, damit derjenige, der aus der Theorie etwas lernen will, sich gewöhne, sie nie aus den Augen zu verlieren, sie als das ursprüngliche Maß aller seiner Hoffnungen und Befürchtungen zu betrachten, um sich ihr zu nähern, wo er kann, oder wo er muß.
Daß eine Hauptvorstellung, welche unserm Denken und Handeln zu Grunde liegt, ihm auch da, wo die nächsten Entscheidungsgründe aus ganz andern Regionen kommen, einen gewissen Ton und Charakter gibt, ist ebenso gewiß, als daß der Maler seinem Bilde durch die Farben, mit denen er es untermalt, diesen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirksamkeit tun kann, verdankt sie den letzten Kriegen. Ohne diese warnenden Beispiele von der zerstörenden Kraft des losgelassenen Elementes würde sie sich vergeblich heiser schreien, niemand würde für möglich halten, was jetzt von allen erlebt ist.
Würde Preußen im Jahre 1798 es gewagt haben, mit 70 000 Mann in Frankreich einzudringen, wenn es geahnt hätte, daß der Rückschlag im Fall des Nichtgelingens so stark sein werde, das alte europäische Gleichgewicht über den Haufen zu werfen?
Würde Preußen im Jahre 1806 den Krieg gegen Frankreich mit 100 000 Mann angefangen haben, wenn es erwogen hätte, daß der erste Pistolenschuß ein Funken in den Minenherd sei, der es in die Luft sprengen sollte?