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Der Angriff von Festungen kann uns natürlich hier nicht von der Seite der fortifikatorischen Arbeiten beschäftigen, sondern nur in Beziehung erstens auf den damit verbundenen strategischen Zweck, zweitens auf die Wahl unter mehreren Festungen, drittens auf die Art, die Belagerung zu decken.
Daß der Verlust einer Festung die feindliche Verteidigung schwächt, besonders dann, wenn sie ein wesentliches Stück derselben ausgemacht hat; daß dem Angreifenden aus ihrem Besitz große Bequemlichkeiten entspringen, indem er sie zu Magazinen und Depots gebrauchen, Landstriche und Quartiere durch dieselbe decken kann u. s. w.; daß sie, wenn sein Angriff zuletzt in die Verteidigung übergehen sollte, die stärkste Stütze dieser Verteidigung werden kann, – alle diese Beziehungen, welche die Festungen zu den Kriegstheatern in dem Fortgang des Krieges haben, lassen sich hinreichend aus dem erkennen, was wir im Buch von der Verteidigung, über die Festungen gesagt haben, der Reflex davon wird das nötige Licht über den Angriff verbreiten.
Auch in Beziehung auf die Eroberung fester Plätze findet ein großer . Unterschied zwischen den Feldzügen mit einer großen Entscheidung und den andern statt. Dort ist diese Eroberung immer als ein notwendiges Übel anzusehen. Man belagert nur, was man schlechterdings nicht unbelagert lassen kann, so lange man nämlich noch etwas zu entscheiden hat. Nur wenn die Entscheidung bereits gegeben, die Krise, die Spannung der Kräfte auf geraume Zeit vorüber, und also ein Zustand der Ruhe eingetreten ist, dann dient die Einnahme der festen Plätze als eine Konsolidierung der gemachten Eroberung und dann kann sie meistens, zwar nicht ohne Anstrengung und Kraftaufwand, aber doch ohne Gefahr ausgeführt werden. In der Krise selbst ist die Belagerung einer Festung eine hohe Steigerung derselben zum Nachteil des Angreifenden; es ist augenscheinlich, daß nichts so sehr seine Kräfte schwächt und also nichts so geeignet ist, ihm auf eine Zeitlang sein Übergewicht zu rauben. Aber es gibt Fälle, in denen die Eroberung einer oder der andern Festung ganz unerläßlich ist, wenn der Angriff überhaupt fortschreiten soll, und in diesen ist das Belagern als ein intensives Fortschreiten des Angriffs zu betrachten; die Krise wird dann um so größer, je weniger vorher schon entschieden ist. Was über diesen Gegenstand noch in Betracht zu ziehen ist, gehört in das Buch vom Kriegsplan.
In den Feldzügen mit einem beschränkten Ziel ist die Festung gewöhnlich nicht das Mittel, sondern der Zweck selbst; sie wird als eine selbständige kleine Eroberung angesehen, und als solche hat sie folgende Vorzüge vor jeder andern:
1. daß die Festung eine kleine, sehr bestimmt begrenzte Eroberung ist, die nicht zu einer größeren Kraftanstrengung nötigt und also keinen Rückschlag befürchten läßt;
2. daß sie beim Frieden als Äquivalent geltend zu machen ist;
3. daß die Belagerung ein intensives Fortschreiten des Angriffs ist, oder wenigstens so aussieht, ohne daß die Schwächung der Kräfte dabei immer zunehme, wie das jedes andere Vorschreiten im Angriff mit sich bringt;
4. daß die Belagerung ein Unternehmen ohne Katastrophe ist.
Diese Dinge alle machen, daß die Eroberung eines oder mehrerer feindlicher Plätze sehr gewöhnlich ein Gegenstand derjenigen strategischen Angriffe ist, die sich kein größeres Ziel vorsetzen können.
Die Gründe, die die Wahl der Festung, welche belagert werden soll, bestimmen, im Fall diese überhaupt zweifelhaft sein kann, sind:
a) daß sie bequem zu behalten sei, also als Äquivalent beim Frieden recht hoch im Wert stehe;
b) die Mittel zu ihrer Eroberung vorhanden sind. Geringe Mittel gestatten nur kleine Festungen zu nehmen, aber es ist besser, daß man eine kleine einnimmt, als vor einer großen scheitert.
c) Ihre fortifikatorische Stärke, die offenbar nicht immer mit der Wichtigkeit im Verhältnis steht. Nichts wäre törichter, als vor einem sehr festen Platz von geringer Wichtigkeit seine Kräfte zu verschwenden, wenn man einen weniger starken zum Gegenstand seines Angriffs machen kann.
d) Die Stärke der Ausrüstung, also auch der Besatzung. Ist die Festung schwach besetzt und ausgerüstet, so ist ihre Eroberung natürlich leichter; aber es ist hierbei zu bemerken, daß die Stärke der Besatzung und Ausrüstung zugleich zu denjenigen Dingen gezählt werden muß, die die Wichtigkeit des Platzes mit bestimmen, weil Besatzung und Ausrüstung unmittelbar zu den Streitkräften des Feindes gehören, was nicht in demselben Maße von den Fortifikationswerken gilt. Die Eroberung einer Festung mit starker Besatzung kann also die Opfer, welche sie kostet, viel eher lohnen, als die einer mit besonders starken Werken.
e) Die Leichtigkeit der Belagerungstransporte. Die meisten Belagerungen scheitern aus Mangel an Mitteln, und diese fehlen meistens wegen der Schwierigkeit des Transports. Eugens Belagerung von Landreci 1712 und Friedrich des Großen Belagerung von Olmütz 1758 sind davon die hervorstechendsten Beispiele.
f) Endlich ist noch die Leichtigkeit der Deckung als ein hierher gehöriger Punkt zu betrachten.
Es gibt zwei wesentlich verschiedene Arten, die Belagerung zu decken: durch Verschanzung der Belagerungsarmee, also durch eine Zirkumvallationslinie, und durch eine sogenannte Observationslinie. Die ersteren sind ganz aus der Mode gekommen, obgleich offenbar eine Hauptsache für sie spricht, daß nämlich auf diese Art die Macht des Angreifenden diejenige Schwächung durch Teilung eigentlich gar nicht erfährt, die ein großer Nachteil des Belagerers überhaupt ist. Aber freilich findet die Schwächung auf eine andere Weise doch in einem sehr merklichen Grade statt, indem
1. die Stellung um die Festung herum in der Regel eine zu große Ausdehnung für die Stärke des Heeres erfordert;
2. die Besatzung, welche, ihre Stärke zur feindlichen Entsatzarmee hinzugefügt, nur die ursprünglich uns entgegenstehende Macht geben würde, unter diesen Umständen als ein feindliches Korps mitten in unserm Lager zu betrachten ist, welches aber, durch seine Wälle geschützt, unverwundbar oder wenigstens nicht zu überwältigen ist, wodurch seine Wirksamkeit sehr erhöht wird;
3. die Verteidigung einer Zirkumvallationslinie nichts als die absoluteste Defension zuläßt, weil die ungünstigste und schwächste aller möglichen Aufstellungsformen, in einem Kreise mit der Front nach außen, günstigen Ausfällen auf das Äußerste widerstrebt. Es bleibt also nichts übrig, als sich in seinen Verschanzungen aufs Äußerste zu wehren. Daß diese Umstände eine viel größere Schwächung der Verteidigung herbeiführen können, als die Verminderung des Heeres um ein Drittel seiner Streiter, welche vielleicht bei einer Observationsarmee stattfinden würde, ist leicht begreiflich. Bedenkt man nun noch die allgemeine Vorliebe, die man seit Friedrich dem Großen für die sogenannte Offensive (die eigentlich nicht immer eine solche ist), für Bewegungen und Manövrieren hat, und den Widerwillen gegen Schanzen, so wird man sich nicht wundern, wenn die Zirkumvallationslinien ganz außer Mode gekommen sind. Aber jene Schwächung des taktischen Widerstandes ist keineswegs der einzige Nachteil derselben, und wir haben nur deshalb die Vorurteile, die sich in das Urteil über die Zirkumvallationslinien hineindrängen, gleich neben jenem Nachteil aufgezählt, weil sie ihm zunächst verwandt sind. Eine Zirkumvallationslinie deckt vom ganzen Kriegstheater im Grunde nur den Raum, den sie einschließt, alles Übrige ist dem Feinde mehr oder weniger preisgegeben, wenn nicht besondere Detachements zur Deckung bestimmt werden, woraus aber eine Teilung der Kräfte entstehen würde, die man doch vermeiden will. Also wird der Belagernde schon wegen der zur Belagerung nötigen Zufuhren immer in Besorgnis und Verlegenheit sein, und es ist überhaupt eine Deckung derselben durch Zirkumvallationslinien, wenn die Armee und die Belagerungsbedürfnisse einigermaßen beträchtlich sind, und wenn der Feind mit einer namhaften Macht im Felde ist, nicht anders denkbar, als unter Verhältnissen, wie die in den Niederlanden, wo ein ganzes System nahe beieinanderliegender Festungen und dazwischen angelegter Linien die übrigen Teile des Kriegstheaters deckt und die Zufuhrlinien erheblich abkürzt. In der Zeit vor Ludwig XIV. war mit der Aufstellung einer Streitkraft noch nicht der Begriff eines Kriegstheaters verbunden. Namentlich zogen die Armeen im dreißigjährigen Kriege sporadisch hin und her, vor diese oder jene Festung, in deren Nähe sich nicht gerade ein feindliches Korps befand, und belagerten solange, als die mitgebrachten Belagerungsmittel zureichten, und bis eine feindliche Armee sich zum Entsatz näherte. Da waren die Zirkumvallationslinien in der Natur der Sache begründet.
In der Folge werden sie wohl nur in wenigen Fällen wieder gebraucht werden können: nämlich, wenn der Feind im Felde ganz schwach ist, wenn der Begriff des Kriegstheaters gegen den der Belagerung selbst gewissermaßen verschwindet. Nur dann wird es natürlich sein, seine Kräfte bei der Belagerung selbst vereinigt zu behalten, weil diese dadurch unstreitig in einem hohen Grade an Energie gewinnt.
Die Zirkumvallationslinien unter Ludwig XIV. bei Cambrai und Valenciennes haben wenig geleistet, als jene von Turenne gegen Condé, und diese von Condé gegen Turenne gestürmt wurden; aber man darf auch nicht übersehen, in wie unendlich vielen andern Fällen sie respektiert worden sind, selbst dann, wenn die dringendste Aufforderung zum Entsatz vorhanden und der Feldherr des Verteidigers ein sehr unternehmender Mann war, wie 1708, als Villars es nicht wagte, die Verbündeten in ihren Linien vor Lille anzugreifen. Auch Friedrich der Große bei Olmütz 1758 und bei Dresden 1760 hatte, obgleich keine eigentliche Zirkumvallationslinie, doch ein System, das im wesentlichen damit zusammenfiel; er belagerte und deckte mit derselben Armee. Die Entfernung der österreichischen Armee bei Olmütz verleitete ihn dazu, aber die Verluste seiner Transporte bei Domstädtel ließen es ihn bereuen; 1760 bei Dresden wurde dies Verfahren durch die Geringschätzung, welche er gegen die Reichsarmee hatte, und durch die Eile, mit welcher er Dresden einnehmen wollte, motiviert.
Endlich ist es ein Nachteil der Zirkumvallationslinien, daß das Belagerungsgeschütz im unglücklichen Fall schwerer zu retten ist. Wird die Entscheidung einen oder mehrere Tagemärsche von dem belagerten Orte gegeben, so kann die Aufhebung der Belagerung erfolgen, ehe der Feind ankommt, und man gewinnt mit dem großen Transport auch wohl einen Vorsprung von einem Marsch.
Bei Aufstellung der Observationsarmee kommt vorzüglich die Frage in Betracht, in welcher Entfernung von der belagerten Festung sie stattfinden soll. Diese Frage wird in den meisten Fällen durch das Terrain entschieden oder durch die Stellung anderer Armeen und Korps, mit welchen die Belagerungsarmee in Verbindung bleiben will. Sonst ist leicht einzusehen, daß bei größerer Entfernung die Belagerung besser gedeckt, aber bei kleinerer, die nicht über einige Meilen beträgt, eine gegenseitige Unterstützung beider Armeen erleichtert wird.