Matthias Claudius
Der Wandsbecker Bote
Matthias Claudius

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Parentation über Anselmo,
gehalten am ersten Weihnachtstage, NB. nicht in der Kirche sondern nur im Zimmer neben dem offenen Sarge, und war niemand da als Andres.

Andres, hier liegt er! Aber er hört und sieht uns nicht mehr. Anselmo ist tot, unser lieber Anselmo! Wie ist dir zumut, Andres?

Er pflegte, wie du weißt, die Welt 'n Krankenhospital zu nennen, darin die Menschen bis zu ihrer Genesung verpflegt werden. Er ist nun genesen, und hat seinen Hospitalkittel ausgezogen. Und wir stehn neben dem Kittel, und haben ihn nicht mehr, und finden so einen Anselmo nicht wieder.

Wie ist dir zumut, Andres?

Er war so fromm und geduldig, und die Engel haben seine Seele gewiß gerade in Abrahams Schoß getragen.

Sieh her! Er sieht noch aus, als da er lebte, nur hat ihn der Tod blaß gemacht. Der Tod macht blaß, Andres!

Hast du wohl eher eine Leiche in voller Verwesung gesehen?

Solange noch die Gestalt da ist, dünkt's einen, als wäre der Freund noch nicht ganz verloren. Er wohnt zwar jenseits des Wassers, daß wir nicht zu ihm können; doch wohnt er noch da, und wir können doch seinen Schornstein rauchen sehn. Aber auch das darf nicht so bleiben, eh' es wieder vorwärtsgehen kann; das hat Gott so geordnet. Anselmo muß ganz weg aus unsern Augen, muß Asche und Staub werden.

Ich bin so betrübt, Andres. Wollte dich gerne trösten, aber ich kann nicht. Lehne dich an die Wand oder in eine Ecke, und weine dich satt; ich will mich hier hinsetzen, und 'n Kopf wider den Sarg stützen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Es ist doch alles eitel und vergänglich, Sorge, Furcht. Hoffnung, und zuletzt der Tod! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Die Zeit wird kommen, Andres, wo sie uns auch in Leinen wickeln und in einen Sarg legen. Laß uns tun, lieber Junge, was wir denn gerne möchten getan haben, und unser Vertrauen auf Gott setzen!

– Und nun Abschied nehmen, Andres. Wir können ihm doch nichts mehr helfen.

Ich habe hier einen Blumenstrauß, den will ich ihm noch in den Sarg legen; schenk du ihm ein kleines Silberkreuz, und leg's ihm auf die Brust. Und denn wollen wir beide hintreten und ihn zu guter Letzt noch einmal ansehen.

Anselmo! Lieber Anselmo mit deinen blassen gefaltenen Händen, schlafe wohl! Gott sei mit dir!! O du lieber Herzens-Anselmo!!! Gott sei mit dir!!

– Wir werden uns wieder sehen. –

Und komm, Andres, und gutes Muts! Mußt nun recht gutes Muts sein. Unser Herr CHRISTUS ist auch heute geboren.


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