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XII.
Lebensunterhalt in Grossbritannien und in den Vereinigten Staaten

Zuerst veröffentlicht: September, 1894.

Wenn man gefragt würde, über welchen Gegenstand der Brite in bezug auf die Vereinigten Staaten mit am schlechtesten unterrichtet ist, dann müßte man zweifellos antworten: über die vergleichsweisen Kosten des Lebensunterhaltes in der alten und neuen Welt.

Höchstwahrscheinlich dürfte es eine lange Zeit erfordern und einige Schwierigkeiten verursachen, die allgemeine Anschauung zu beseitigen, welche unlängst durch die Worte einer hochstehenden englischen Autorität Ausdruck fand, daß nämlich die Vereinigten Staaten ein vollkommenes Eldorado für die arbeitenden Klassen sein würden, wenn der Lebensunterhalt dort nicht so teuer wäre. Man kann den Ursprung solcher Ansicht leicht nachweisen. Der Brite kommt nach New York und nimmt einen Wagen, der schon seit einigen Stunden auf die Ankunft des Dampfers gewartet hat; natürlich muß er einen außerordentlich hohen Fuhrlohn zahlen; er bestellt eine Flasche importierten Wein und findet dieselbe weit teurer, als in seiner englischen Heimat; ferner macht er die Erfahrung, daß auch Kleider, aus importierten Stoffen gefertigt, viel teurer sind; all dieses übt den allerersten, und daher auch dauernden Eindruck auf ihn aus. Wenn er nach seiner Rückkehr in seine englische Heimat gefragt wird, worin ihm der Lebensunterhalt in den Vereinigten Staaten teurer als in Großbritannien erscheine, gibt er immer wieder diese drei Erfahrungen an. Dennoch vergegenwärtigen sie nicht einmal die Hauptausgabequellen für den Fremden, geschweige denn für den Einheimischen. Nach den Hotelkosten in England befragt, erklärt er, dieselben seien geringer als in der Republik der Vereinigten Staaten, wo die Preise in den besten Hotels von 14 zu 18 Sh. täglich betragen. Nun ist der Satz von 18 Sh. der höchste in ganz New York. Dafür hat er ein sehr gutes Zimmer und alle Mahlzeiten, Frühstück, Lunch, Mittag- und Abendessen. Er erinnert sich dann vielleicht, daß er im Londoner Metropol-Hotel kaum auch nur ein gleiches Diner haben könnte für dasselbe Geld, mit dem in einem guten New Yorker Hotel volle Pension – alles inbegriffen – bezahlt wird. Über die Eisenbahnkosten befragt, muß er nach kurzem Nachrechnen eingestehen, daß sie in Amerika für erste Klasse, mit Einschluß des Schlafwagens, kaum die Hälfte der englischen Eisenbahnpreise ausmachen. Die bei Bahnfahrten und Hotelkosten gemachten Ersparnisse dürften noch nicht zur Hälfte von den Extrapreisen für Droschken und ausländische Weine verschlungen werden. Der ausländische Besucher kaufe keine aus nichtamerkanischem Tuch gemachten Kleidungsstücke, auch wird er, klug genug dem Beispiele der Amerikaner folgend, stets Hotelomnibusse oder elektrische Bahnen, sehr selten aber, wenn überhaupt, Droschken benutzen; diese sind keine amerikanische Einrichtung. Wünscht jedoch der fremde Besucher Wagen und Pferde tag-, wochen- und monatweise oder auch zum Theater und für Empfangsabende, dann kann er dergleichen zu Preisen haben, die hier nicht höher sind, als die in London dafür verlangten: 40-50 £ monatlich, je nach den Umständen und 12 Sh. für einen Brougham auf den Abend; ja für eine Nachmittagsfahrt in den Park sind Wagen und Pferde in New York sogar noch billiger zu haben. Es steht ganz außer Zweifel, daß die Reisekosten mit allen damit verbundenen Nebenausgaben pro Tag bei gleichen Entfernungen in England höher sind als in Amerika. Doch das geht nur die verhältnismäßig kleine Zahl von Reisenden an, welche doch gewöhnlich bemittelte Leute sind, und ist daher von nur geringer Bedeutung. Viel wichtiger und bedeutsamer sind die vergleichsweisen Kosten für den Lebensunterhalt der großen Volksmassen, der auf Lohn angewiesenen Klassen, in beiden Ländern.

Überlegen wir einmal ruhig folgendes: Das Einkommen der Arbeitermassen – gelernter und ungelernter Arbeiter – beträgt zwischen £ 60 und £ 120 (1200 bis 2400 M.) jährlich. Zunächst wollen wir nun die aus solchem Einkommen zu bestreitenden notwendigen Ausgaben näher untersuchen. Nach der Arbeiterstatistik von Massachusetts, der für diese Dinge zuverlässigsten Autorität, sind diese Kosten für England und Amerika, wie folgt, anzusetzen:

Tabelle

Diese Tabelle zeigt, daß sich die notwendigen Lebensbedürfnisse in Großbritannien um 10,1–2 pro Hundert teurer stellen. Allein seitdem diese Tabelle aufgestellt, sind die Preise in den Vereinigten Staaten viel mehr gefallen als in England. Charles Booth berechnet in seinem wertvollen Werke über Arbeit und Leben der Londoner die Ausgaben allein für Nahrungsmittel mit 60-50 Prozent des Familieneinkommens. Dabei wird hier das Wort »Unterhalt« im weiteren Sinne verstanden; also nicht nur für Nahrung, sondern für alles, was in den menschlichen Mund Eingang findet. In diesem Sinne ist der »Unterhalt« die bei weitem größte Ausgabe in dem Familienhaushalte der arbeitenden Klassen. Die Kosten dafür belaufen sich von 64 Prozent an in Amerika, zu 81 Prozent hinauf in England. Der Grund dafür ist klar. Vor allem sind alle Nahrungsmittel in den Vereinigten Staaten billiger als in Großbritannien. Jene führen Lebensmittel nach dem letztgenannten Lande aus. Tabak ist um sehr vieles billiger. Amerika baut Tabak und besteuert ihn nur mit 3d (30Pf.) das Pfund; dagegen beträgt die gleiche Abgabe in der englischen Monarchie 3 Sh. 6 d (3 M. 50 Pf.), also vierzehn mal so viel; die Abgabe auf Whisky in Amerika beträgt 20 d (1 M. 80 Pf.), in Großbritannien dagegen 11 Sh. (11 M.), also volle sechs mal so viel; dabei wird Whisky in Kentucky billiger produziert als in Irland oder Schottland. Auf Bier liegt in Amerika eine Abgabe von 4, in England dagegen von 7 Sh. für die Tonne. Thee und Kaffee zahlen in Amerika überhaupt keine Steuern; wohl aber in England. Roher Zucker ist in beiden Ländern frei von Abgaben; dagegen liegt in den Vereinigten Staaten auf fein raffiniertem Zucker eine leichte Steuer. Sobald die große Masse in England zu der Erkenntnis kommen wird, wie schwer sie im Vergleich zu den Arbeitern der Vereinigten Staaten besteuert ist, wird sie sicher eine Steuerverminderung für all das fordern, was zum Lebensunterhalt gehört; vor allem wird sie einen von jedweder Abgabe freien Frühstückstisch verlangen.

Die geringen Preise für jederlei Mundvorrat in allen Vereinigten Staaten dürfte jeden britischen Forscher, welcher ein Studium aus diesen Dingen macht, in Erstaunen setzen; dabei sind diese Preise für den Lebensunterhalt in den 44 Staaten der amerikanischen Republik, die einen ganzen Kontinent einnehmen, nicht etwa auf die Stadt New York, sowie auf die Städte und Plätze der atlantischen Seeküste beschränkt, zu denen die Erzeugnisse des großen und fernen Westens erst transportiert werden müssen; sondern die gleichen Preise finden auch Anwendung auf die dichteste Bevölkerung, welche jetzt in der Nähe von Indianapolis (Indiana mitten auf dem Wege zwischen Chicago und St. Louis), 800 englische Meilen landeinwärts von New York entfernt, zu suchen ist.

Nachdem wir, man kann sagen, drei Viertel der Gesamtausgaben für eine Arbeiterfamilie – nämlich den Posten »Unterhaltsmittel« – eingehender betrachtet haben, sind wir zu der Erkenntnis gelangt, daß die dabei verbrauchten Artikel notwendigerweise in Indianapolis billiger sein müßten als in Manchester – zum mindesten um die Transportkosten zu Wasser und zu Lande und um den vom Kaufmann geforderten Nutzen. Kommen wir nunmehr zu dem zweiten Hauptposten: Miete, welche 20 Prozent des Familieneinkommens in Amerika und 13 Prozent desselben Einkommens in England erfordert. Der britische Arbeiter lebt in einem kleinen Hause. Die bessere Klasse der Amerikaner hat gewöhnlich drei oder vier Zimmer; der Engländer dagegen nur zwei. Miete ist zweifellos in der neuen Welt um vieles teurer.

Der nächst wichtigste Posten sind »Kleidungsstücke«; sie machen 7 Prozent aller Ausgaben in den Vereinigten Staaten aus und ganz den gleichen Prozentsatz in England. Das wird zweifellos viele meiner Leser überraschen, bis ich die Ursache dafür angegeben; sie ist leicht aus dem Umstande ersichtlich, daß – während alle aus eingeführten, feinen Stoffen gefertigte Ware in Amerika viel teurer als in Großbritannien ist, wo solches Tuch fabriziert wird – Kleidungsstücke aus amerikanischem Tuche dagegen außerordentlich billig und sehr haltbar sind. Allerdings ist amerikanisches Tuch grob und barsch und trägt sich deshalb viel weniger angenehm; barscher sogar als schottischer Cheviot. Aber die große Masse in Amerika trägt es geradeso gut wie Unterkleider aus demselben Stoff. Daher kommt es, daß die Masse unseres Volkes von der auf feine, nur für die wenigen reichen Leute eingeführte Wollstoffe gelegten Steuer nicht betroffen wird. Ich habe, während ich dieses schreibe, eine Annonce aus amerikanischen Blättern vor mir, welche vollständige Anzüge zum Preise von £ 3 (60 M.) anbietet, geradeso wie in England.

Folgende wahre Geschichte beleuchtet die Verhältnisse am besten. Ein wohlbekanntes Mitglied des englischen Parlaments sagte seinen Wählern vor einiger Zeit, daß der Lebensunterhalt für den Arbeitsmann in Amerika viel höher sei, als in Großbritannien; er behauptete, die Kosten für Kleidung seien in den Vereinigten Staaten dreimal so groß. Er sandte ein Exemplar seiner Rede einem Freunde, einem der bestbekannten Männer in den Vereinigten Staaten, welchen das betreffende englische Parlamentsmitglied hin und wieder zu besuchen pflegte. Kurze Zeit darauf besuchte der englische Politiker, begleitet von seiner Frau, seinen Freund in den Vereinigten Staaten. Eines Morgens erschien der Gastfreund beim Frühstück in einem Anzuge, der allgemeine Bewunderung erregte; die englische Dame meinte, der Anzug sei viel nobler, als der von ihrem Mann getragene. Der Gastfreund fragte seinen Besuch, wie hoch er den Anzug taxiere; sein unbedachtsamer englischer Freund antwortete: »Nun, mein Anzug kostet mich 7 £ (140 M.), und ich möchte denken, der Ihre müßte in diesem mit so schrecklichen Schutzzöllen belegten Lande etwa 12 £ (240 M.) kosten.« Das war seine Meinung, nachdem er den Stoff geprüft. »Nun denn,« erklärte sein Gastfreund, »ich habe gerade 18 Sh. für den Anzug bezahlt und ich wünschte, Sie nähmen ihn mit sich und zeigten ihn Ihren Wählern.« Unter allgemeinem Gelächter wurde das selbstverständlich abgelehnt. Sein Gastfreund hatte im Dorfe einen fliegenden Händler aus Boston getroffen, der fertig gemachte Kleider zum Verkauf ausbot; er fragte den Verkäufer, ob er einen für ihn passenden Anzug hätte; der Händler antwortete: »Ja, und wenn Sie einen Anzug von mir kaufen, Herr, können Sie ihn sogar zum Engrospreis haben; der Detailpreis ist 24 Sh.« »Einverstanden, senden Sie ihn in mein Haus.« Das geschah und zwar mit dem mitgeteilten Resultat. Natürlich war der Anzug aus amerikanischem Stoff und nicht so fein und weich, wie der von dem verehrlichen Parlamentsmitgliede getragene; trotzdem aber war es ein guter, nobler Anzug. Dennoch möchte ich bei dem außerordentlich niedrigen Preise die Dauerhaftigkeit des Anzuges bezweifeln. Immerhin kann man für £ 3 einen durchaus dauerhaften Anzug haben. Ein Blick auf die extrafeinen, nach den Vereinigten Staaten eingeführten Wollenstoffe zeigt, wie außerordentlich gering ihre Menge, verglichen mit dem Gesamtverbrauch von Wolle, ist. 1890 betrug der Wert der einheimisch fabrizierten Wollenstoffe 338 000 000 Dollars oder 68 Millionen £ (1360 Millionen Mark); die Einfuhr von feiner ausländischer Wolle dagegen nur 35 500 000 Dollar oder 7 1/10, Millionen £ (142 Millionen Mark). Man geht nicht fehl in der Annahme, daß der Wert der ausländischen Waren per Meter doppelt so hoch war, wie der des inländischen Tuches. Daraus folgt: alle ausländische Wolle macht im Gebrauch nicht viel über 5 Prozent des gesamten Wollverbrauchs bei uns aus; das alles wird dazu von den wenigen reichen Leuten aufgenommen; sie allein kaufen die teuren, fremden Stoffe.

Dieselben Verhältnisse zeigen sich bei der Baumwollenindustrie. Der Wert der einheimischen amerikanischen Baumwolle beträgt 268 Millionen Dollars oder 54 Millionen £; dagegen repräsentiert die eingeführte Baumwolle einen Wert von nur 28 Millionen Dollars oder noch nicht ganz 6 Millionen £ (120 Millionen M.), also noch nicht ganz 5 Prozent des Gesamtverbrauches, wenn wir die ausländische Ware per Meter mit dem doppelten Preise ansetzen. Der Bedarf an Baumwolle in Arbeiterfamilien ist sehr beträchtlich.

Für Seidenstoffe lagen im Jahre 1890 folgende Zahlen vor: Erzeugnisse amerikanischer Fabriken 69 Millionen Dollars oder 13 Millionen 800 000 £ (276 Millionen Mark); die eingeführte Seide ergab 31 Millionen Dollars oder 6 200 000 £ (124 000 000 M.). Man darf ruhig annehmen, daß ausländische Seide per Meter doppelt soviel kostete, wie inländische Seide, sodaß immer auf 4 Meter amerikanischer Seide erst ein Meter ausländischer Seide konsumiert wurde.

Da ich gerade über Kleidung spreche, darf ich vielleicht zwei eigene Erfahrungen mit Rücksicht auf diesen Gegenstand mitteilen. Eine amerikanische Familie, welche viel Dienerschaft hält, wohnt einen Teil jedes Jahres in England. Die Diener reisen mit ihrer Herrschaft hin und her und haben so Gelegenheit, Kleider, Stiefel, Schuhe u. s. w. in dem einen oder anderen Lande zu kaufen. Die männliche Dienerschaft kauft ihre Kleider in der alten Welt; die Frauen dagegen finden, daß sie ihre Einkäufe mit mehr Vorteil in New York machen können. Stiefel und Schuhe werden von allen in New York gekauft.

Ein zweites Beispiel: Eine schottisch-amerikanische Familie mit fünf Kindern bringt fast jedes Jahr eine Zeit lang in Schottland zu. Die sehr geschickte und sparsame Hausfrau kaufte früher alle ihre eigenen und ihrer Kinder Kleider in Glasgow. Allein bei ihren letzten Besuchen kaufte sie nichts mehr dort, und ich hörte sie als Grund dafür angeben, daß sie Kleidung für sich selbst und besonders für ihre Kinder jetzt in New York besser und billiger einkaufen könne, als in Glasgow.

Der wohlbekannte, volkswirtschaftliche Schriftsteller, Herr Schönhof, wurde von der amerikanischen Regierung beauftragt, über die Kosten in den Vereinigten Staaten und Großbritannien einen vergleichenden Bericht auszuarbeiten; er berichtete vor einigen Jahren wie folgt:

»In Bezug auf Baumwolle und derbe Ware fand ich, daß Baumwollenstoffe in den Vereinigten Staaten gerade so billig sind wie hier in England. Shirting- und Leinwandstoffe sind mindestens, soweit ich nach den in den Verkaufsläden ausgestellten Waren zu urteilen vermag, bei gleichen Preisen bei uns (in Amerika) von besserer Qualität. Frauenkleider, aus Muslin gemacht, sind in den Vereinigten Staaten von viel feinerer Arbeit und dabei billiger. Ebenso finde ich nicht, daß Männerhemden, hauptsächlich aus Baumwolle, hier in England billiger sind. Das gleiche darf von Stiefeln und Schuhen, soweit sie Fabrikware, gesagt werden. Alles in allem genommen sah ich, daß Manufakturwaren nach Arbeit und Ausführung in den Vereinigten Staaten besser sind. Das trifft nicht nur auf Kleidungsstücke, sondern auch auf Manschetten, Kragen und ähnliche Artikel zu.«

In anderen als landwirtschaftlichen Artikeln fielen, seit dem Berichte des Herrn Schönhof, die Preise in Amerika noch viel mehr als in England. Der Preisfall war so bedeutend, daß die Preise für Bessemerstahl, Stückeisen und Stahlklötze zu Pittsburg niedriger stehen als in Middlesborough. Jetzt werden aus demselben Grunde amerikanische Teppiche in England verkauft; große amerikanische Schiffsbauer haben sich daher versucht gefühlt, Erlaubnis für die Bewerbung um den Bau einiger neuer englischer Kriegsschiffe nachzusuchen; die Clyde-Verwalter kaufen ihre neuen und mächtigen Baggermaschinen in New York. Ebenso hat der vorher erwähnte Umstand den amerikanischen Fabrikanten landwirtschaftlicher Maschinen in die Lage gebracht, die von ihm verfertigten Werkzeuge auf den englischen Markt zu bringen, und den Steinbruchbesitzer, Granit von Maine nach Aberdeen zu schicken.

Den nächst wichtigsten Posten in dem Haushalt einer Arbeiterfamilie bildet die Feuerung. Im allgemeinen ist Feuerung in den Vereinigten Staaten viel billiger als in Großbritannien. Bei einem Vergleiche New Yorks mit London zeigt es sich, daß New York gerade so billig Anthracit-Kohle kauft, wie London Erdkohle. Die erstere hat mindestens doppelten Feuerungswert, ja soll dreimal soviel wert sein wie Erdkohle. In bevölkerten Teilen der Vereinigten Staaten übersteigt der Preis einer Tonne Kohlen nicht 8 Sh. In den großen Ländern des Westens, also in den Distrikten Pennsylvanias und Ohios kostet die Kohle nicht mehr als 6 Sh. Der Amerikaner bedarf infolge der größeren Kälte im Winter mehr Kohle; auch hat er in seinem durchschnittlich größeren Hause mehr Feuer brennen als der Engländer. Dennoch haben Sachverständige sich die Überzeugung erworben, daß der Amerikaner geradeso wie der Brite nur 6 Prozent seines Einkommens für Feuerung ausgibt.

Man hat in England die vermeintlich höheren Kosten für den Lebensunterhalt in den Vereinigten Staaten den Wirkungen des Tarifes zugeschoben. Etwas Überlegung wird jedem sagen, daß diese Auffassung keineswegs begründet ist. Hauptsächlich wurden die folgenden fünf Artikel unter dem Mc. Kinley-Gesetz hart betroffen: Erstens extrafeine französische Seide; zweitens feine Wollen und Linnenstoffe aus Großbritannien; drittens extrafeines Linnen aus Deutschland und Frankreich; viertens die teuren französischen Weine und fünftens Havanna-Tabak und Havanna-Cigarren. Die auf diesen, fünf Artikeln liegenden Steuern sind allerdings sehr hoch. Wollenstoffe erfordern 60 Prozent ihres Wertes, Seidenstoffe noch mehr; Champagner 32 Sh. für jedes Dutzend Flaschen u. s. w. Das bildet unser »demokratisches« Budget. Nicht ein einziger Arbeitsmann in ganz Amerika kauft auch nur einen dieser fünf Artikel. Es wird eben als die richtige Politik angesehen, die Luxusgegenstände der Reichen hoch zu besteuern; Thee, Kaffee und Zucker dagegen, welche von all und jedem gebraucht werden,, von jeder Abgabe frei zu halten. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Steuerpolitik ganz aufgegeben oder selbst nur im hohen Grade eingeschränkt wird, wieviel die Leute auch immer über eine Tarifreform reden mögen. In der Tat, die jetzt in England durchbrechende gesunde Tendenz, die Hauptsteuerlast auf die Schultern der Reichen zu legen, welche sie ja auch am besten zu tragen vermögen, macht sich nicht weniger kraftvoll in unsrer Republik geltend. Die notwendigen, von den arbeitenden Klassen gebrauchten Lebensmittel werden wahrscheinlich in unsrer Republik abgabenfrei bleiben; sie müssen sehr bald auch in der britischen Monarchie ganz und gar frei sein; dagegen wird der Luxus der Reichen von Jahr zu Jahr in beiden Ländern immer höher besteuert werden.

Früher wurde die vermeintlich unglückliche Lage des amerikanischen Landwirts aus den Steuern, die auf den Maschinen liegen, erklärt; man behauptete, er hätte infolge dieser Steuern für seine landwirtschaftlichen Werkzeuge mehr zu zahlen, als es anderweitig notwendig wäre; allein da der Amerikaner jetzt mit seinen landwirtschaftlichen Maschinen den Weltmarkt beherrscht, so sieht er sich nicht weiter durch die auf ausländischen Maschinenwerkzeugen liegenden Steuern beeinträchtigt.

Das Auftreten der Vereinigten Staaten als Ausfuhrland von Manufakturwaren, infolge der Verringerung der Herstellungskosten, ist eines der bemerkenswertesten Ereignisse der letzten Jahre. Hier sind einige einschlägige Daten. 1893 wurden landwirtschaftliche Werkzeuge nach vielen Teilen der Welt bis für £ 1 Million (20 Mill. Mark) ausgeführt, Kupferwaren bis zu £ 900 000 (18 Mill. Mark); Baumwollenwaren für £ 2 400 000 (48 Mill. Mark); Eisen und Stahl, sowie daraus angefertigte Waren für £ 6 Millionen (120 Mill. Mark); Equipagen, Wagen u.s.w. für mehr als £ 500 000 (10 Mill. Mark); Holz und Holzwaren für über £ 5 Millionen (100 Mill. Mark). Auch amerikanische Möbel bilden jetzt einen großen Ausfuhrartikel.

Im Jahre 1892 führten die Vereinigten Staaten so viel Eisen und Stahl und daraus gemachte Waren aus, als sie einführten – je 28 Millionen Dollars (112 Mill. Mark).

Besonders bemerkenswert erscheint die Ausfuhr musikalischer Instrumente im Betrage von £ 360 000 (7 200 000 M.); Glas und Glaswaren wurden für £ 1 600 000 (32 000 000 M.), Papier und Papierwaren für über £ 300 000 (6 000 000 M.) (einzelne englische Zeitungen werden jetzt auf amerikanischem Papier gedruckt), Instrumente für wissenschaftliche Zwecke werden im Betrage von £ 260 000 (5 200 000 M.) und Wand- und Taschenuhren für über £ 200 000 (4 000 000 M.) ausgeführt.

Die Ausfuhr von Fabrikartikeln wächst zwar von Jahr zu Jahr, muß aber im Gegensatz zu Großbritannien stets unbedeutend bleiben im Vergleich zur gesamten einheimischen Fabrikation; letztere betrug 1890 nicht weniger als £ 1 750 000 000 (35 000 000 000 M., in Worten fünfunddreißig Tausend Mill. Mark!). Der Wert englischer Fabrikation war 1888 kaum halb so groß; sie betrug nämlich £ 820 000 000 (16 300 000 000 M., in Worten sechszehntausend dreihundert Millionen Mark).

Das Gedeihen eines noch jungen Reiches, wie es die Vereinigten Staaten sind, darf nicht nach seinem ausländischen, sondern nach seinem einheimischen Handel beurteilt werden. Je mehr ein neues Land seine eigenen Bedürfnisse selbst zu befriedigen vermag, desto mehr muß sein ausländischer Handel relativ abnehmen; beispielsweise wird ein größerer Teil der im Lande geernteten Baumwolle auch im Lande selbst verarbeitet, infolge dessen geht dann weniger davon ins Ausland; und so verhält es sich mit allen Natur-Erzeugnissen und auch mit einigen Artikeln, die bis jetzt importiert wurden, bald aber in Amerika selbst gemacht werden dürften.

Angesichts der hier mitgeteilten Verhältnisse und der augenscheinlichen Tatsache, daß der Lebensunterhalt in Amerika zweifellos viel billiger ist als in England, und daß damit dreiviertel der Gesamtkosten für die notwendigen, Lebensbedürfnisse einer Arbeiterfamilie gedeckt sind, muß man sich die Frage vorlegen, wie die noch heute in England weit verbreitete Anschauung, das Leben in den Vereinigten Staaten sei teurer, entstehen konnte? Der Grund dafür ist einfach folgender: Obgleich es wahr ist, daß man in den Vereinigten Staaten jetzt mit 20 M. mehr notwendige Lebensbedürfnisse als in England einzukaufen vermag, und daß daher der amerikanische Arbeiter sich großer Vorteile über den britischen Arbeiter erfreut, so folgt bei Leibe noch nicht daraus, daß der amerikanische Arbeiter ebenso billig lebt wie der britische Arbeiter – weit davon entfernt! Er erhält höhere Löhne. Der vom Ausschuß des amerikanischen Senats unlängst erstattete Bericht zeigt, wie der englische Arbeiter durchschnittlich nur 65, 1-2 Prozent – also nicht viel mehr als die Hälfte – des amerikanischen Arbeitslohnes erntet; dabei wurden die hauptsächlichsten Handwerke zur Grundlage genommen. Bei seinen höheren Einnahmen hat der amerikanische Arbeiter Bedürfnisse, die überall in der alten Welt als Luxus bezeichnet werden würden. Er nimmt mehr ein, gibt aber auch mehr aus. Deshalb bleibt es in gewissem Sinne wahr: dem amerikanischen Arbeiter kostet sein Lebensunterhalt mehr als dem englischen. Doch nicht weniger wahr bleibt es, daß der Unterschied im Lebensstil liegt. Für die unumgänglich notwendigen Bedürfnisse sind die Preise in der neuen Welt viel geringer.

In Amerika vermag der Arbeiter, wenn er dazu willens ist, mit seiner Familie in der Tat außerordentlich billig zu leben; unordentliche Leute aber können in Amerika gerade so leicht ihr Geld ausgeben, wie in jedem anderen Lande. Einen vollen Beweis dafür bieten fremde Arbeiter und unter ihnen ganz besonders Ungarn und Italiener, die während der letzten Jahre in großen Massen nach den Vereinigten Staaten ausgewandert sind. Der von diesen ausländischen Arbeitern an die Hälter von Logierhäusern gezahlte Preis für Essen beträgt 5 d (45 Pf.) täglich. Gewöhnlich schlafen sie in hölzernen Schuppen, welche für sie von ihren Arbeitgebern errichtet werden. In besonders schlechten Geschäftszeiten, wie es beispielsweise die gegenwärtigen sind, ist die den großen Massen des Volkes in Amerika offenstehende Möglichkeit, billig und doch dabei gemächlich zu leben, von allergrößter Bedeutung; hierdurch wurde das Volk vor vielem Leid geschützt, das sonst die Folge der Arbeitslosigkeit gewesen wäre; Arbeitslosigkeit aber ist eine der lebenden Generation in Amerika vollkommen neue Erfahrung; sie dürfte wahrscheinlich bald wieder vorübergehen, es sei denn, daß das Vertrauen des Kapitals in die Beständigkeit unserer Goldwährung nochmals erschüttert werde. Eine dahingehende Bemerkung des Schatzsekretärs im Mai vergangenen Jahres hatte eine zeitweise geschäftliche Paralyse zur Folge – und die Wiederherstellung davon ist nicht gerade beschleunigt worden durch die geplante neue Gesetzgebung für eine Veränderung der Einfuhrsteuer.

Ob Amerika das Eldorado des Arbeiters sein kann oder nicht, das hängt einzig und allein von dem Arbeiter selbst ab. Er kann mit seiner Familie hier billiger leben als in England, wenn er ebenso einfach leben will. Er befindet sich in der gleichen Lage, wie eine alte, mir bekannte Schottin, die gefragt, ob sie mit einem bestimmten Jahreseinkommen existieren könne, antwortete: »Ah, ich könnte halt mit der Hälfte auskommen, aber könnte auch das Doppelte ausgeben.« Alles in allem darf man wiederholen: ein Pf. Sterl. (20 M.) vom Arbeiter und dessen Familie richtig für die notwendigen Bedürfnisse in der neuen Welt ausgegeben, wird heute dort mehr kaufen, als in der alten Heimat unserer Rasse – eine Tatsache, welche vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft auf beiden Seiten des atlantischen Ozeans weitreichende Folgen nach sich ziehen dürfte.


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