Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Die Stahlfabrikation des Neunzehnten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten

Über die Stahlfabrikation der Vereinigten Staaten im letzten Jahrhundert schreiben, heißt wirklich mit dem Anfang beginnen. Aus Swanks Musterbuch: »Eisen in allen Zeitaltern« lernen wir, daß die Gesetzgebung Pennsylvanias nicht früher als 1786 einem Herrn Humphreys £ 300 (6000 M.) auf fünf Jahre lieh, um Versuche für Verwandlung von Eisenstangen in Stahl zu machen »so gut, wie in England«. Noch 1810 wurden in ganz Amerika nur 917 Tonnen Stahl produziert. Pennsylvaniens Anteil daran belief sich auf 531 Tonnen oder auf mehr als die volle Hälfte. Es erscheint bemerkenswert, daß das gute alte Keystone auch heute noch nicht über diesen Prozentsatz hinaus produziert. Noch im Jahre 1831 betrug die Stahlproduktion nur 1600 Tonnen, eine Masse, welche der gesamten Stahleinfuhr gleich geschätzt wurde, so daß der Stahlmarkt vor etwa 70 Jahren zwischen Ausländischen und Einheimischen gleich verteilt war. Doch dieser Stahl wurde hauptsächlich vermittelst Cementation gemacht; Schmelztiegel-Stahl kam erst später auf. Von 1831-1860 waren die Fortschritte der amerikanischen Stahlproduktion außerordentlich gering; die Gesamtproduktion Pennsylvanias im Jahre 1550 betrug nur 6000 Tonnen, und davon war noch der größte Teil Blasenstahl. 1840 begannen Isaac Jones und William Coleman ihre Stahlfabrikation in Pittsburg, und zwar mit Erfolg. 1853 stellten Singer, Nimick & Co. gleichfalls mit Erfolg die gewöhnliche Art von Gußstahl für Sägen, Maschinen u. s. w. her; ebenso machten zu ähnlichen Zwecken Hussey, Wells & Co. 1860 aus amerikanischem Eisen laufend erstklassigen Gußstahl; 1862 traten Park Brother & Co. mit den größten Bruchstahlwerken auf, für deren erfolgreichen Betrieb hundert englische Arbeiter nach Amerika herüberkamen.

Von jetzt ab wurde der Kampf mit fremdem Stahl recht hartnäckig, bis endlich der fremde Eindringling ganz aus dem Felde geschlagen war. Zuerst vermochten die europäischen Fabrikanten ihre Überproduktion auf den amerikanischen Markt zu werfen und die amerikanischen Fabrikanten zu zwingen, für ihre gesamten Erzeugnisse die außerordentlich niedrigen Raten zu nehmen, welche der fremde Eindringling nur für einen Teil seiner Produkte sich gefallen ließ; denn wer den einheimischen Markt beherrscht, vermag mit vollkommenem Erfolge in fremde Märkte einzudringen. Während der letzten Jahre war es der Amerikaner, welcher seine Überproduktion in fremde Länder hineinwarf. Erobere Dir zuerst den einheimischen Markt und Du wirst Dich höchstwahrscheinlich sehr bald auch im Besitz des ausländischen Marktes sehen – so lautet die Regel für die Fabrikation im internationalen Handel.

Indem ich Coleman, Jones, Nimick, Singer, Hussey und Park erwähne, werde ich an meine Knabenzeit erinnert; ich war damals ein Telegraphenbote in Pittsburg, überbrachte ihnen viele Telegramme und erhielt manche willkommene Anerkennung von diesen großen Vorbildern meiner Jugendzeit. Jeder von ihnen steht, während ich seinen Namen schreibe, noch so lebhaft vor meinen Augen, als stünde ich noch heute in persönlicher Beziehung zu ihm. Wären sie im nächsten Zimmer und sprächen, ich würde jeden an seiner Stimme erkennen, ehe er seine Rede noch ganz vollendet. Alle, mit Ausnahme des jungen Herrn Singer, der noch heute mein Partner und Freund, sind tot. Sie waren die Väter der Stahlfabrikation in den Vereinigten Staaten und haben »dem Gemeinwesen treffliche Dienste geleistet.« Friede ihrer Asche!

Nicht vor 1864, also erst nachdem zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts vorüber waren, trat bei uns die Umwälzung in der Stahlfabrikation ein. Das eiserne Zeitalter übertrug seine Herrschaft an den neuen König Stahl denn unser erster Bessemer Stahl wurde in dem genannten Jahre gemacht. Gewöhnlicher Stahl, welcher bis dahin sechs bis sieben Cent kostete, wurde von da an für weniger als ein Cent das Pfund verkauft, während Stahlklötze in Hunderttausenden von Tonnen mit einer Rate »von zwei Cent für drei Pfund Stahl« abgegeben wurden. In jedem Pfund Stahl sind zwei Pfund Eisenerz enthalten, zu dessen Abgrabung und Transport zu Land oder Wasser auf jede 100 Meilen ein Pfund Koks gebraucht wird; letzteres erfordert ein und ein Drittel Pfund Kohle, die gleichfalls gegraben, gekoxt und 50 Meilen weit transportiert werden muß; ebenso ein Drittel Pfund Kalkstein, der geschlagen und 140 Meilen weit befördert werden muß, sodaß drei und ein Drittel Pfund Rohmaterial in einem Pfund Stahl stecken, welches der Konsument für zwei Drittel eines Pence kauft, da drei Pfund Stahl 2 Cent und die Bruttotonne im Gewicht von 2240 Pfund 15 Dollars oder 63 M. kostet.

Würde man den Verfasser fragen, wie solch ein Wunder möglich ist, er müßte die Antwort schuldig bleiben, denn er kann niemals, so oft er darüber nachdenkt, über die Mutmaßung hinwegkommen, daß irgend ein Irrtum dabei obwalten, und daß das Unternehmen, welches ein so kostbares Metall an eine undankbare Menge geradezu halb für nichts fortgiebt, bald zugrunde gehen müsse. Dieses würde auch unbedingt eintreten, wenn der vorher genannte außerordentlich geringe Preis für alle Folgezeit und für jede Art von Stahl dieselbe bleiben sollte. Bei dem Preise von zwei Cent für drei Pfund Stahl ist der Nutzen so außerordentlich gering, daß nicht einmal das durchschnittliche geschäftliche Risiko damit gedeckt werden kann. Immerhin mag eine Reihe der allergrößten Betriebe in den Vereinigten Staaten, welche ihr eigenes Rohmaterial, ihre eigenen Schiffe und Eisenbahnen – alles gut und in genügender Ausrüstung – besitzen, das Risiko in ihrem Selbstkostenpreise miteinbeziehen; dann bliebe jedoch nichts für Dividenden oder für Verzinsung des eingeschossenen Kapitals übrig. Die Zinsen belaufen sich nahezu auf 8 Shilling per Tonne; ja, in den meisten Fällen machen sie sogar noch mehr aus. Daneben muß das Risiko des Fabrikbetriebes – wie Unfälle und Erneuerungen – und das Verkaufsrisiko auf mindestens acht Mark für die Tonne angesetzt werden.

Die niedrigen Herstellungkosten wurden erst durch die Erfindung Sir Henry Bessemers möglich gemacht. Bessemer-Stahl wurde als Stahl-König inthronisiert; kein Monarch scheint eines langen und unbestrittenen Reiches so sicher, nachdem der Bessemer-Prozeß durch die Erfindung eines jungen Genies, meines Freundes Sidney Gilchrist Thomas, vervollkommnet wurde. Er brachte den basischen Prozeß zur Anwendung, vermittelst dessen unreine Erze für die Fabrikation von Bessemer Stahl verwendet werden können.

Verschiedene besondere Ursachen haben Stahlklötze zu 60 M. die Tonne ermöglicht. Unter ihnen müssen die automatischen Maschinen obenan genannt werden. Die Amerikaner zeichnen sich ganz besonders in ihnen aus; dann kommt die ununterbrochene Fortdauer des Verfahrens in Betracht. Werkstätten, 1-2000 Fuß lang, in welche das Rohmaterial an einem Ende hinein und am anderen Ende wieder fertig herauskommt – und das ohne jede Handhabung und oft ohne jeden anderen Aufenthalt, als den für eine Wiedererhitzung notwendigen – werden mehr und mehr ganz allgemein gebräuchlich. Der Schreiber dieser Zeilen hörte ganz unlängst von Plänen für neue Werke in solchem Maßstabe, daß 5/4 Meilen Land dazu notwendig sein würden; eine einzige Werkstatt ist 3000 Fuß lang geplant. Eine der Hauptbedingungen für billige Produktion ist Größe. Betriebe, die tausend Tonnen Stahl täglich liefern, haben wenig Chancen gegenüber solchen, die 10 000 Tonnen täglich liefern. Dieses Gesetz gilt für jedwede Art von Industrie. Es bringt das Dampfschiff mit 20 000 Tonnen und den Eisenbahnwagen mit fünfzig Tonnen hervor. Verbesserte Dampfmaschinen und der Gebrauch der Elektrizität als bewegende Kraft, und endlich die neuen Einlade- und Ablademaschinen: Alles das hat zur Verbilligung des Stahles beigetragen.

Nur in einem Kostenpunkte – und das zu hören, wird den soziologischen Forscher erfreuen – ist keine Verbilligung eingetreten: in der menschlichen Arbeit! Sie ist sogar im Preise gestiegen und hat die Tendenz, noch weiter zu steigen. In einem der größten Stahlwerke überstieg der tägliche Arbeitslohn – bei Mitberechnung der für den Tag angestellten Arbeiter, Jungen und Mechaniker für 311 Tage – acht Mark. Je weniger Leute beschäftigt werden, desto weniger kostet die Arbeit pro Tonne, und im Gegensatz zu der oft gehörten Ansicht, sind gerade diese Leute als Arbeiter brauchbarer denn je. Die Annahme, daß die Arbeiter selbst jetzt immer mehr zur bloßen Maschine herabsinken, ist durchaus falsch; der Arbeiter vergangener Tage wäre durchaus unfähig gewesen, mit den komplizierten Maschinen unserer Zeit zu arbeiten; auch hätte er die an Verstand und Behändigkeit gemachten Ansprüche unserer jetzigen Arbeitersmethoden nicht zu erfüllen vermocht.

Wären vor fünf Jahren die Stahlfabrikanten Amerika's gefragt worden, ob es möglich sei, dem Bessemer – Verfahren einen Nebenbuhler zu schaffen, dann würde nicht einer unter Tausenden anders, als mit einem emphatischen »Niemals!« geantwortet haben. Dennoch hätte selbst dieser Eine, bekannt gemacht mit den neuesten Versuchen, sich nicht nur weniger emphatisch ausgesprochen, sondern sogar zugestanden, daß selbst das Bessemer Verfahren nicht ohne Nebenbuhler bleiben dürfte.

Die Vorzüge des offenen Herd – Schmelzofens von Siemens-Martin wurden sofort wenigstens von einer Firma anerkannt, deren Vertreter diesen Ofen im Auslande in Tätigkeit gesehen hatte. Cooper, Hewitt & Co. gebührt das Verdienst, den Siemens-Martin-Ofen zuerst in den Vereinigten Staaten versucht zu haben. Das war im Jahre 1868. Die Kosten des offenen Herd-Stahles waren selbstverständlich größer, als die des Bessemerstahls; jener wurde deshalb zunächst nur für begrenzte Zwecke verwendet; es war daher eine Anlage im großen Maßstabe nötig, um dem neuen Prozeß die Nebenbuhlerschaft mit dem Bessemer-Verfahren und den Nutzen aus den zahlreichen Verbesserungen zu ermöglichen, welche gescheute Leute in der Folge zu seiner Entwickelung machen könnten. Den ersten basischen offenen Herd-Stahl verfertigte in Amerika die Firma Carnegie, Philipps & Co. im Jahre. 1888 zu Homestead. Nun wurden zweierlei Stahlarten mit dem offenen Herd hergestellt, die säurische und die basische; die basische stellt sich um vieles billiger als die säurische, obgleich sie viel reiner ist, da der basische Prozeß jede Unreinheit beseitigt. Basisch offener Herd-Stahl wird jetzt in vielen Fällen anstatt schwedisches Eisen benutzt; sogar für Hufeisen. Auch Waffenstücke werden daraus gemacht. Die Ost-Fluß-Brücke soll aus saurem Eisen gebaut werden, obgleich dieses teurer ist. Doch das geschieht nur deshalb, weil der betreffende Ingenieur jeder Belehrung unzugänglich ist. Der große Vorteil des Siemens-Martin-Verfahrens für die Vereinigten Staaten besteht darin, daß mit dem basisch offenen Herd-Prozeß unsere ungeheuren Lagen von hoch phosphorhaltigem Eisenerz für die Stahlfabrikation benutzt werden können, während das nach amerikanischer Art angewandte Bessemer-Verfahren Erze erfordert, die verhältnismäßig schwefelfrei sind; solche Erze finden sich jedoch nur in mäßiger Anzahl. Alles in allem ist die Produktion des offenen Herd-Stahls in rapidem Steigen begriffen.

So folgte dem Eisernen Zeitalter, welches während des letzten Jahrhunderts für immer dahinging, das Zeitalter des Bessemer-Stahls, doch nur um seiner Herrschaft sich nicht länger als sechsunddreißig Jahre zu erfreuen; das Bessemer Zeitalter begann im Jahre 1864; es entschwindet nun gleichfalls, um dem Zeitalter des offenen Herd-Stahls von Siemens und Martin Platz zu machen. Schon nimmt das Produkt des offenen Herd-Verfahrens eine höhere Stellung in England ein, als das Bessemer; das gleiche – so möchte ich voraussagen – wird bald in den Vereinigten Staaten der Fall sein.

Der Ablauf des Bessemer Zeitalters hat den amerikanischen Süden als Stahlverfertiger möglich gemacht, während er vorher dafür nicht in Betracht kam, da seine Erze für das Bessemer-Verfahren nicht verwendbar sind; dagegen werden sie wahrscheinlich bald genug dem offenen Herd – Verfahren angepaßt werden können. Solange die neuen Stahlwerke der Tennessee Gesellschaft sich nicht im vollen Betriebe befinden und erst eine Zeit lang gearbeitet haben, fehlt der Beweis noch, ob Stahl dort billig genug hergestellt werden kann, um den Süden zu einem großen Zentrum der Stahlfabrikation zu machen. Das experimentelle Stadium dafür ist noch nicht voll durchlaufen, da sich bis jetzt nur ein Teil der Anlagen im Betriebe befindet; dennoch scheint wenig Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß etwa noch auftauchende Schwierigkeiten zuguterletzt beseitigt und daß der amerikanische Süden sehr bald ein gewichtiger Faktor in der Stahlfabrikation werden wird.

Das gegenwärtige Stahlzentrum liegt in dem Viereck, das begrenzt wird durch Linien, welche von Pittsburg nach Wheeling, von Wheeling nordwärts nach Lorain und von Lorain ostwärts nach Cleveland und südwärts wieder nach Pittsburg gezogen werden können. In diesem Landstriche wird der meiste Stahl gemacht. Die Alleghany-Landschaft allein, Pittsburg mit inbegriffen, produzierte 1899 fast ein volles Viertel von allem in den Vereinigten Staaten gemachten Brucheisen, darunter ungefähr die volle Hälfte alles offenen Herd-Eisens und ungefähr 39 Prozent der Gesamtproduktion aller verschiedenen Arten von Stahl. Soweit der Verfasser zu urteilen vermag, dürfte dieses Stahlland kaum durch ein anderes zu ersetzen sein. Zweifellos wird Colorado bei einer weiteren Entwickelung der Westküste als Stahlland weiteren Einfluß gewinnen. Chicagos Stellung als Stahlfabrikant ist bereits gesichert. Dagegen weist nichts darauf hin, daß jemals der Südwesten Amerikas Stahl in irgend einem beträchtlichen Maße machen wird. Erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bildeten die östlichen, am Atlantischen Ozean gelegenen Staaten die Heimat der Stahlfabrikation. Sogar ungefähr die Hälfte alles pennsylvanischen Stahls wurde östlich von den Alleghany-Gebirgen hergestellt. Seitdem ging der Zug ebenso beständig wie schnell nach dem als Zentralwesten bekannten Landstriche, dessen Hauptplatz Pittsburg ist. Die Übersiedelung der großen Lackawanna Eisen- und Stahlwerke von Scranton in Pennsylvania nach Buffalo und die glänzenden Triumphe der Betlehem-Stahlgesellschaft in Pennsylvania durch Waffenrüstungen, Gewehre und Schmiedearbeiten als Spezialitäten, welche der genannten Firma eine einzige, alles beherrschende Stellung gaben, bilden den besten Beweis, daß für die Fabrikation gewöhnlichen Stahls der amerikanische Osten kein günstiger Platz ist. Die Geschichte der Stahlwerke zu Troy liefert einen ferneren Beweis dafür. Nur eine Ausnahme gibt es von dem Zug nach dem Westen: Harrisburg im östlichen Pennsylvania, welches bis jetzt ein blühender und wichtiger Mittelpunkt der Stahlfabrikation blieb. Die Maryland-Stahlgesellschaft hat bei Flutwasser Vorteile für die Ausfuhr; viel wichtiger jedoch für die Zukunft dieser Gesellschaft ist ihre Entwickelung im Schiffsbau, für den ihre Anlagen besonders günstig liegen. Soweit der Verfasser sehen kann, sind keine Anzeichen bemerkbar für eine Verlegung des Mittelpunktes der Stahlindustrie aus ihrem bisher innegehabten Landstriche nach einem anderen, neuen Landstrich; dieser Mittelpunkt liegt, wie bereits früher ausgeführt, im zentralen Westen und dürfte auch dort verbleiben. Gewisse Ursachen mögen in diesem Zentrum zu einigen wichtigen Veränderungen führen. Das wunderbare Wachstum der Seestädte an der nördlichen Grenze der zentralen Westregion erhellt aus dem letzten Zensus. Diese Städte besitzen den Vorteil eines ausnehmend niedrigen Transports, zumal durch den Welland-Kanal Schiffe von beträchtlichem Tonnengehalt in Conneaut und anderen Seehäfen direkt nach Europa verladen werden können – und zwar zu den niedrigen Frachtsätzen, welche den Fabrikaten für mehr als die Hälfte des Jahres der Erie-Kanal als Transportstraße sichert. Alles das verdient die größte Aufmerksamkeit, besonders seit der Versuch gemacht ist, die Hauptbahnlinien unter ein und dieselbe Verwaltung zu bringen, um höhere Frachtsätze zu erzielen, während doch niedrige Preise für Verkehr und Artikel das vorherrschende Gesetz zu bilden scheinen. Die Wahl Buffalos von seiten der Lackawanna Eisen- und Stahl-Gesellschaft für ihre neuen Werke zeugt für die Bewegung nach den Seen zu. Die Politik einer kombinierten Bahn muß ganz unvermeidlich zu gunsten der südlichen Häfen und zum Vorteil New Yorks ausfallen. Der Unterschied von 3 Cent per Hundert zu gunsten Baltimores und von 2 Cent zu gunsten Philadelphias gegenüber New York sagt am besten, daß der Verkehr auch fernerhin die Seehäfen aufsuchen, und daß New Yorks Prozentsatz am Schiffsverkehr weiter dauernd fallen wird, gerade wie bisher. Deshalb darf man jedoch keineswegs annehmen, daß Stadt und Staat New York den Schutz ihrer Stellung vernachlässigen werden; sie werden die Waffe, welche unter allen amerikanischen Freistaaten nur der Staat New York in seinem Wasserwege von den Seen nach dem Hafen von New York hat, jedenfalls zu gebrauchen wissen. Der Verfasser hält das für vollkommen sicher und sagt infolgedessen der Stahlfabrikation in jenem Teile des Zentralen Westens, welcher längs des südlichen Ufers des Erie-Sees liegt, eine große Entwickelung voraus; dieser wird zu gunsten New-Yorks in Aufnahme kommen, da er den Hafen bildet, welcher vom Zentral-Westen am billigsten zu Wasser erreicht werden kann.

Ein besonderes Charakteristikum des neuen Jahrhunderts wird die Wiederaufnahme der Wassertransporte für schweres Material sein. Schon jetzt gibt es Binnenseeschiffe von 7000 Tonnengehalt. Flott gemachte Barken werden bald auf dem Ohioflusse und in dem erweiterten Erie-Kanal schwimmen; ebenso in dem Kanal von Chicago nach dem Mississippi; noch viele andere Wasserwege werden sich öffnen, auf denen die Rohmaterialien für Stahl und der fertige Stahl selbst für Fabriken zu gleichen Sätzen, wie die bereits für die Seen bestehenden, befördert werden können: das heißt, für ein Drittel und oft für ein Viertel der Eisenbahnfrachten.

Es liegt kaum in den Grenzen der Möglichkeit, daß ein noch besseres oder gar billigeres Verfahren für die Fabrikation von Stahl in Zukunft entdeckt werden könnte, oder daß eine Verbesserung der Methoden möglicherweise die Kosten noch viel weiter herabzusetzen und uns dahin zu bringen vermöchte, Stahl ohne Verlust zu noch geringerem Preise, als drei Pfund für zwei Cent zu liefern. Das zwanzigste Jahrhundert wird mit allen Wundern, die es noch zu unserer Überraschung bergen mag, wahrscheinlich im wesentlichen mit der Stahlfabrikation, wie sie jetzt besteht, endigen; jedoch mit dem offenen Herd (Siemens-Martin-Verfahren). Scheint doch kaum noch viel Raum für Verbesserungen.

Schon die letzten Jahre sahen die Ausfuhr von Stahl aus Amerika nach anderen Ländern. Die Republik der Vereinigten Staaten hat nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse gedeckt, sondern trägt jetzt auch zur Deckung der Bedürfnisse der ganzen Welt bei, nicht allein in Stahl, sondern auch in tausend anderen Artikeln, deren Hauptbestandteil der Stahl ist. Die Billigkeit in der Verfertigung des Stahls verallgemeinerte dessen Benützung so außerordentlich, daß die für seinen zukünftigen Gebrauch unternommenen Schätzungen kaum mehr als bloße Mutmaßungen vorstellen können. Hier ein Beispiel für viele: Es ist erst wenige Jahre her, daß nicht eine einzige Tonne Stahl für Eisenbahnfrachten in Amerika benutzt wurde; heute verbraucht man allein zu diesem Zweck täglich tausend Tonnen. In der Tat, so reißend greift die Verwendung des Stahls um sich, daß kaum abzusehen ist, wie die Bedürfnisse des Weltmarktes in Zukunft zu befriedigen sein werden. Gegenwärtig arbeiten die Eisenstein- und Kokskohlenwerke in England mit angespanntester Kraft, und doch zeigt sich die Ausbeute nicht wesentlich erhöht. Dasselbe ist in Deutschland der Fall, abgesehen davon, daß hier noch minder wertvolle Kohlenfelder der Ausnützung warten – sollten, was wahrscheinlich ist, die Kohlenpreise steigen. Rußland war bis jetzt für die Stahlfabrikation von nur geringer Bedeutung: wenn es bis gegen die Mitte des laufenden Jahrhunderts seine eigenen Bedürfnisse an Stahl zu decken vermag, darf es zufrieden sein. Abgesehen von den Vereinigten Staaten, sowie von Großbritannien und Deutschland, wird wenig Stahl in der Welt gemacht; auch ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß künftig noch ein anderes Land viel davon produzieren wird. Die Erwartung von Japan und China, einst Stahl zu fabrizieren, hält der Verfasser für irrig. Großbritannien und Deutschland dürften später nicht viel mehr Stahl machen, als jetzt, sodaß dann die Vereinigten Staaten allein den täglich sich mehrende Weltbedarf decken können. Der heute bekannte Vorrat an für die Stahlfabrikation geeignetem Eisenstein genügt, um alle nur möglichen Bedürfnisse der ganzen Welt für die erste Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts zu befriedigen; und soweit der Koks in Betracht kommt, sogar für das ganze Jahrhundert. Dabei ist die Entdeckung weiterer Naturvorräte, ehe noch die bekannten Vorräte erschöpft sind, keineswegs ausgeschlossen.

In wenigen Jahren dürfte die Ausfuhr von Eisen und Stahl, sowie die von Eisen- und Stahlfabrikaten von den Vereinigten Staaten nach verschiedenen Teilen der Welt groß genug sein, um ein anderes Kapitel beispielloser Entwicklung in der Geschichte des Stahls zu bilden; sie beträgt jetzt schon 129 Millionen Dollars (516 Millionen Mark).

Desgleichen muß die Ausgiebigkeit unserer amerikanischen Stahlfabrikation auf die einheimische Entwickelung von wunderbarer Wirkung sein. Die Nation, welche den billigsten Stahl zu machen imstande ist, wird, soweit die Fabrikation in den meisten einschlägigen Gebieten in Betracht kommt, notwendigerweise die anderen Nationen beherrschen. Der billigste Stahl vermittelt die billigsten Schiffe, die billigsten Maschinen und mehr als tausend andere Artikel, welche teilweise oder ganz aus Stahl gemacht werden, am billigsten. Wir stehen an dem Vorabend einer Entwickelung der Industriemächte unserer amerikanischen Republik, dergleichen die Welt vorher niemals gesehen hat.

Der Fortschritt und die beherrschende Stellung der Vereinigten Staaten als Stahlerzeuger lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Im Jahre 1873, also nur siebenundzwanzig Jahre früher, produzieren die Vereinigten Staaten 198 796 Tonnen Stahl; Großbritannien, ihr hauptsächlichster Konkurrent, dagegen 653 500 Tonnen, also mehr als dreimal soviel. Sechsundzwanzig Jahre später, also 1899, machte die amerikanische Republik mehr als doppelt soviel wie die britische Monarchie, nämlich 10 639 857 im Vergleich zu 5 000 000 Tonnen (England), was eine achtmalige Steigerung für Großbritannien und eine dreiundfünfzigmalige Steigerung für die Vereinigten Staaten bedeutet; letztere fabrizierten bereits ein volles Viertel alles in der ganzen Welt gemachten Stahls: 27 000 000 Tonnen. Die Geschichte der Industrie kennt nichts, was dieser Entwickelung vergleichbar wäre.

Soviel über die Vergangenheit; in Zukunft dürften, bevor das gegenwärtige Jahrhundert auch nur den dritten, ja selbst nur den vierten Teil seines Laufes vollendet hat, die Vereinigten Staaten mehr Stahl produzieren als die ganze übrige Welt zusammengenommen und daher auch die meisten Bedürfnisse vieler anderer Länder, neben denen des eigenen Landes, decken.

Fahr wohl denn, du Zeitalter des Eisens! Heil dir, König Stahl, und heil der amerikanischen Republik, dem zukünftigen Sitz und Mittelpunkte deines Reiches, wo du, auf den Thron gesetzt, deine wundervollen Werke auf Erden vollbringen wirst!


 << zurück weiter >>