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IX.
Englisch-amerikanische Handelsbeziehungen

An der Schwelle dieser großen Frage begegnen wir dem immer noch nicht veralteten Diskussionsstoff: Freihandel wider Schutzzoll. Zunächst: Es gibt nur eine Art von Freihandel, doch zwei Arten von Schutzzoll: der britische Schutzzoll und seine amerikanische Spielart; beide von einander außerordentlich verschieden in der Theorie sowohl, wie in der Praxis. In Britannien versteht man unter Schutzzoll einfach eine Verteuerung der Volksnahrung und als Folge davon eine dauernde und künstliche Steigerung im Werte von Grund und Boden. Dagegen ist die amerikanische Idee des Schutzzolls die von Stuart Mill vorausgesehene. Sie hält sich an Adam Smith's großer Lehre, deren Kernpunkt darin besteht, jeden Artikel bei vollkommen freiem Güteraustausch zu dem möglichst niedrigen Preise zu verkaufen. Haben wir Grund, daran zu glauben, daß die natürlichen Quellen eines Landes zu besserer und billigerer Herstellung eines Artikels, als es in irgend einem anderen Lande möglich ist, nur der Entwickelung bedürfen, dann müssen wir Adam Smith zustimmen, welcher es für ersprießlich hält, eine Zeit lang den betreffenden Artikel teurer zu bezahlen, wenn zuguterletzt dadurch ein größerer Markt für das einheimische Produkt gewonnen wird. Adam Smith war also keineswegs ein wilder Dogmatiker in Verteidigung des Freihandels; er faßte vielmehr seine Meinung dahin zusammen, daß man ebensogut in dieser Welt auf ein Utopien, wie auf Durchsetzung vollkommenen Freihandels, selbst in Großbritannien, hoffen dürfe; wo es sich um Änderung der fiskalischen Gesetze handelt, spricht er sich über diesen Punkt ganz klar dahin aus, daß solche Änderungen nur allmählich und ohne jeden ernsten Schaden für den bestehenden Handel unternommen werden sollten. Die folgenden beiden Beispiele werden den Unterschied zwischen dem Schutzzoll in England und Amerika am besten veranschaulichen. Während des Unionskrieges wurde das amerikanische Volk aufgeregt und verletzt durch die Feindschaft, nicht des englischen Volkes, wohl aber der englischen Regierung. Wir Amerikaner waren entschlossen, den Gebrauch britischer Erzeugnisse so viel wie möglich einzuschränken und ganz besonders, uns von der britischen Stahl- und Eiseneinfuhr, diesem vorzüglichsten Material für Kriegszwecke, unabhängig zu machen; zumal bei Englands kriegerischer Haltung in der Alabamaangelegenheit Krieg zwischen den beiden Ländern seiner Zeit keineswegs so unmöglich war, wie es heute – den Göttern sei Dank – ist.

Solches sind die Folgen von allem den Völkern angetanen Unrecht; dieses bringt Wiedervergeltung; und jeder auf solche Art erworbene Feind bildet eine dauernde Explosionsgefahr. Die Alabama-Frage gab uns einen dreißig Jahre lang ununterbrochenen Schutz; sie setzte uns in stand, nunmehr Großbritannien erfolgreich mit unserem Stahl innerhalb seiner eigenen Grenzen zu bekämpfen. Bis dahin war unsere Stahlfabrikation erfolglos. 30 Prozent Abgaben wurden dafür gefordert und gezahlt. Alle kennen das Resultat: wir Amerikaner können jetzt nicht nur billigeren Stahl machen als irgend ein anderes Volk der Welt, Großbritannien mit eingeschlossen; es ist auch gewiß, daß heutzutage ein großer Teil der ganzen Welt von Amerika aus mit Stahl versorgt wird. In Amerika wird gegenwärtig zweifellos der beste Stahl auf der ganzen Erde erzeugt. Nun, wir denken, daß in diesem Falle der gewährte Schutzzoll, welcher übrigens bereits auf ein Viertel des ursprünglichen Zolles reduziert ist, durchaus gerechtfertigt war. Nehmen wir einen anderen Fall: Immer werden die Fähigsten ihre Anstrengungen darauf richten, den materiellen Fortschritt ihres Volkes durch Einführung neuer Industriezweige zu fördern. Beispielsweise lebte man bei uns in der Hoffnung, daß bei zeitweisem, ausreichendem Schutzzoll eine einheimische Zuckerindustrie billigere Erzeugnisse liefern würde als die ausländische. Der damit gemachte Versuch ergab jedoch ein schlechtes Resultat. Wir waren im Irrtum. Der auf Zucker gelegte Zoll wurde deshalb wieder aufgehoben, und der Zucker durfte wieder frei eingeführt werden. In dem einen Falle bedeutete der Schutzzoll einen Sieg, im anderen Falle eine Niederlage. Ich möchte glauben, auch bei anderen Völkern würden sich im Laufe der Entwickelung die in den Vereinigten Staaten gemachten Erfahrungen wiederholen. Jede Nation wird den Versuch machen, innerhalb ihrer eigenen Grenzen Waren zu erzeugen, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, diese Waren besser und billiger selbst zu produzieren, als sie vom Auslande her bezogen werden können; in solchen Fällen muß man das Ergebnis dieser Versuche geduldig abwarten. Geradeso wie die Vereinigten Staaten den Schutzzoll für Zucker aufgaben, werden, wie ich glaube, andere Nationen von der Thorheit eines ewigen Schutzzolls zurückkommen und die amerikanische Art eines nur zeitweiligen Schutzzolls sich zu eigen machen; denn der Versuch eines Volkes, aus dem dauernden, einem bestimmten Artikel auferlegten Zoll für sich selbst Nutzen zu ziehen, ist dem Versuche eines Mannes zu vergleichen, der durch ein Hinaufschieben seiner Hosenträger seine ganze Person zu heben versucht. Obgleich ich ganz und gar der Theorie zustimme, daß es zeitweise einer jungen Nation gar wohl ansteht, Kapital und Hirnkraft für Versuche in einem neuen Industriezweige einzusetzen, selbst wenn damit ein gewisses Risiko verbunden ist, so bin ich doch andrerseits ein durchaus gläubiger Anhänger der Lehre Adam Smith's, daß das letzte Ziel vollkommen freier Austausch aller Artikel unter allen Völkern der Welt sein müsse, wenn man von der Notwendigkeit der daraus zu erzielenden, im übrigen aber unwichtigen fiskalischen Einnahme einmal absieht.

Sie werden sich erinnern, daß der Minister Chamberlain eine Zeit lang für einen Großbritischen Zollverein schwärmte; innerhalb dieses Vereins sollte vollkommener Freihandel herrschen, gerade so wie innerhalb der 45 Staaten der amerikanischen Union. Auf den ersten Blick erscheint das eine wahrhaft brillante Idee! Allein nach Konferenzen mit den Kolonialministern zur Zeit des 60jährigen Regierungsjubiläums der Königin Viktoria erklärte Chamberlain, niemand würde ihn dazu bringen, den Gegenstand selbst auch nur mit Zangen wieder anzurühren. Carnegie erlaube mir die Bemerkung, daß er die Chamberlain'sche Äußerung nur halbrichtig wiedergibt. Chamberlain sagte: wenn er sich die Überzeugung erwerben müßte, daß die britischen Kolonien nur gezwungen einem großbritischen Verein beitreten würden, dann würde er die Sache nicht einmal mit Zangen anfassen. Tatsächlich hat Chamberlain die Idee eines großbritischen Zollvereins in der einen oder anderen Form keineswegs aufgegeben, wie die während des vergangenen Jahres (1902) stattgehabten Konferenzen mit den Ministern der verschiedenen Kolonien am besten beweisen. Es steht einem Staatsmann wohl an, seine Ansichten zu ändern, wenn er findet, daß er im Irrtum war. Die britischen Kolonien wissen, daß sie einen großen Teil ihres öffentlichen Einkommens aus den Eingangsteuern ziehen; ein britischer Zollverein ist deshalb nicht durchführbar, ganz abgesehen von anderweitigen Bedenken. Beispielsweise zahlten die Vereinigten Staaten neben den Abgaben auf Zucker eine ebenso große Summe wie die von anderen Völkern gezahlte Prämie für Zuckerbau, und das ist nur ein Akt der Gerechtigkeit gegenüber unsern eigenen Zuckererzeugern.

Es ist deshalb durchaus wahrscheinlich, daß vorläufig und zwar sehr bald die britischen Kolonien durch die Notwendigkeit von Einnahmen, verbunden mit der Unbequemlichkeit bei der Einsammlung von anderen Steuern, dahin geführt werden, hohe Abgaben auf jede Art von Einfuhr zu legen; besonders auf die Einfuhr von Luxusgegenständen, d. h. auf die feinsten Erzeugnisse jeder Art; also auf all solche Dinge, welche nicht von den Massen der Armen des Volkes, sondern von den wenigen Reichen gebraucht werden. Eine solche Politik wäre volkstümlich, und es ist hinlänglich bekannt, wie wichtig die Unterstützung der Massen für den Politiker ist. Dieselben Einflüsse werden, wie ich glaube, in den Vereinigten Staaten sich geltend machen. Ich kenne keine andere Art der Steuererhebung, die gleich leicht und für die Wähler gleich angenehm wäre. Es erscheint vielleicht überraschend und ist dennoch wahr, daß bei der gegenwärtigen Steuerpolitik die grosse Masse des amerikanischen Volkes tatsächlich jeder Besteuerung entgeht. Sie gebrauchen hauptsächlich – ja, ich möchte sagen ganz und gar – nur einheimische Erzeugnisse: einheimischen Tabak, einheimischen Wein, einheimische Spirituosen und einheimisches Bier, einheimische Baumwollen- und Wollenstoffe und einheimische Seidenstoffe, alles vollkommen seinen Zweck erfüllend, wenn auch nicht so fein wie ausländische Ware, und dabei alles überraschend billig. Ich hatte unlängst einen Beweis dafür. Eine, wenn auch nicht reiche, doch immerhin wohlhabende Familie ging jedes Jahr zum Besuche ihrer Eltern mit ihren fünf Kindern nach England hinüber. Die Kosten der Überfahrt wurden im Voraus gedeckt durch den Einkauf von Kleidern und anderen Artikeln hier in Amerika. Die betreffende Dame erklärte uns, daß sie jetzt nichts mehr in Europa kaufe, da sie ihre Kinder in New York billiger kleiden könne. Viele andere Tatsachen beweisen dasselbe. Unsere Dienerschaft, die mit uns über den Ozean hin- und zurückgeht, kauft viele Artikel in New York; allerdings keine feinen Luxusartikel, an denen sich reiche Leute erfreuen.

Auf solche Artikel, die einen großen Teil unseres Staatseinkommens decken, dürfen wir immerhin eine beträchtliche Steuer legen, ohne zu fürchten, daß die reichen Leute sich von ihrem Gebrauch abhalten lassen oder selbst auch nur ihren Bedarf darin bedeutend einschränken werden. Die reichen Klassen unserer Republik kehren sich nicht viel an die Höhe des Preises beim Einkauf von Luxusartikeln. Feine Seidenstoffe, feine Linnen, feine Spitzen, feine Wollenfabrikate, feine Weine oder schottischer Whisky und englisches Bier gehören zu diesen Luxusartikeln. Merken Sie wohl: diese Politik wird aufrecht erhalten nicht des Schutzzolls, sondern nur rein fiskalischer Zwecke wegen. Selbst wenn der Schutzzoll offen verworfen würde, müßten solche Artikel dennoch weiter besteuert werden – die Klasse des Volkes würde das einfach fordern. Die Annahme, daß die Wenigen und nicht die Vielen die Besteuerung der von den Reichen gebrauchten Luxusartikel begünstigen, ist durchaus irrig. Meiner Überzeugung nach können diese Art Steuern auf absehbare Zeit nicht abgeschafft werden. Bilden sie doch die populärste Art der Steuererhebung! Neuerdings gibt sich eine neue, nicht zu übersehende Beziehung in dem Handelsverkehr der verschiedenen Völker unter einander kund. Man darf es jetzt für ausgemacht halten, daß Rohmaterial in begünstigter physikalisch-geographischer Lage nunmehr Macht genug besitzt, um Kapital und Geschicklichkeit anzuziehen, sodaß es gemeiniglich in allernächster Nähe verarbeitet werden kann. Die einzelnen Völker zeigen dabei eine früher ungeahnte Fähigkeit für Fabrikation: die armen Männer und Frauen Indiens, die Peonen Mexikos, die Neger Amerikas, alle beweisen sie, daß sie gute Fabrikarbeiter sind. Auch die Chinesen und Japaner zeigen ähnliche Fähigkeiten. Großbritannien und die Vereinigten Staaten stellen nur die wenigen Abteilungsdirigenten; denn die automatischen Maschinen bedürfen kaum noch gelernter Arbeiter. Große Veränderungen werden sehr bald die Folge dieses letzten Umstandes sein. Es geziemt Großbritannien, welches lange Zeit hindurch das erste und vor Zeiten beinahe sogar das einzige Industrieland von Bedeutung war, und ebenso den Vereinigten Staaten, ihre Leistungsfähigkeit in jedem einzelnen Felde auf voller Höhe zu erhalten. Vollkommene Umwälzungen werden sich vielleicht infolge dieses einen Umstandes einstellen. Sir Sutherland, der bei einer der großen amerikanischen Dampferlinien beteiligt ist, sprach unlängst den Aktieninhabern von der Wahrscheinlichkeit des Bezuges von Dampfschiffen aus dem fernen Osten. Immerhin hoffe ich, er wird diese Schiffe besser von England und Amerika herbeziehen – der Ruf nach dem fernen Osten braucht denn doch einen allzu langen Weg.

Obgleich, wie ich glaube, irgend ein größerer Zuwachs an auswärtigem Handel nicht zu erwarten ist, jedenfalls kein solcher, der irgendwie mit der Ausdehnung des inländischen Handels zu vergleichen sein dürfte, da die wirtschaftliche Bewegung auf Selbstversorgung mit den vornehmsten Bedürfnissen ausgeht, so glaube ich doch, daß der Bevölkerungszuwachs und die Vermehrung des Reichtums neue Bedürfnisse schaffen, das Feld der bisherigen Bedürfnisse erweitern und so den gegenseitigen Güteraustausch, wenn auch vielleicht nur in geringem Maße, noch immer weiter vermehren wird. Wie gering ist nicht der ausländische Handel selbst in seiner höchsten Blüte, verglichen mit dem inländischen! Obgleich beispielsweise die Vereinigten Staaten während des letzten Jahres (1899) für 80 Millionen Pf. Sterl. (1600 Millionen Mark) eigene Erzeugnisse ausführten, so macht das doch nur ärmliche fünf Prozent ihrer Gesamtproduktion aus, welche sich auf über 1,800 Millionen Pf. Sterl. (36,000 Millionen Mark) belief. Die Bedürfnisse der Außenwelt bekümmern uns Amerikaner nicht gar zu sehr; es ist Großbritanniens hauptsächlichster Beruf, das Land zu bleiben und zu werden, welches diese Bedürfnisse am besten zu befriedigen vermag.

So viel über englisch-amerikanische Handelsbeziehungen. In dieser Zeit bitterer Parteiungen und Sektierertums ist in jedwedem Mittelpunkte die Bildung einer Vereinigung von einsichtigen Männern, welche als Glieder dieser Körperschaft weder auf Rang, noch Reichtum, noch Partei, noch Glauben in ihren Entscheidungen Rücksicht nehmen und dem Frieden und Gedeihen ihres Landes alles andere unterordnen, von ganz besonderer Wichtigkeit; von Männern, welche ihre Blicke überallhin zu allen Völkern und nach allen Ländern wenden, in der richtigen Erkenntnis, daß alle Menschen Brüder sind, und deshalb mehr oder weniger in ihrem Gedeihen von einander abhängen; von Männern, welche im Gedeihen anderer Nationen nicht allein einen Gegensatz, sondern auch eine glückliche Ergänzung des Gedeihens ihres eigenen Volkes finden. Solche Männer verachten die kleinlichen Anschauungen des Durchschnitts-Politikers, welcher im Kriege gegen andere eine Wohltat für sein eigenes Volk und, wie ich fürchte, mehr noch eine Quelle für seine eigene Volkstümlichkeit sieht. Es liegt eine tiefe Wahrheit – besonders für große Handelsvölker, wie Großbritannien und unsere eigene Republik, die bereits den geschäftlichen Thron der Welt mit dem Mutterlande teilt – in dem Ausspruch, daß wir an all und jedem Gedeihen in jedwedem Teile der ganzen Welt unseren Anteil haben. Die gesamte Welt zahlt ihren Tribut den Nationen, welche in der einen oder anderen Weise einen hervorragenden Anteil an der Befriedigung ihrer Bedürfnisse besitzen. Daher haben Großbritannien sowohl wie Amerika das größte Interesse an Erhaltung des Friedens, und deshalb ist Friedenspolitik die beste Politik; Friedensstörung dagegen ein schwerer, politischer Fehler, denn wir können das Gedeihen keiner einzigen Nation zerstören, ohne uns selbst zu schädigen. Alles, was zeitweiliger Gewinn für uns selbst scheint, muß, sobald er auf Kosten anderer erreicht wird, zuguterletzt uns selbst Schaden bringen. Man wird diese Anschauungen vielleicht »Zukunftsmusik« nennen; dennoch sind schon jetzt vorbereitende Schritte für deren Verwirklichung getan. Der erste Schritt dahin spricht sich in der Anschauung aus, daß der Handel der Flagge folgt; in der Tat wittert echter Kaufmannsgeist immer den besten Vorteil. Der Handel bindet sich an keinerlei Flagge. Das loyale Kanada kauft seine Flaggen in New York. Sein Handel mit der Republik der Vereinigten Staaten ist dreimal so groß wie sein Handel mit Großbritannien und mit allen anderen Völkern zusammengenommen. Keine Nation vermag staatliche oder auch nur nominelle Kontrolle über ein fremdes Territorium mit Aussicht auf dauernden geschäftlichen Vorteil unter dem Freihandelsystem und bei gleichem Recht für alle zu erlangen. Sie sichert und erhält sich einzig und allein die Märkte, die sie selbst am besten zu versorgen vermag. Millionen an Gold und Tausende von Menschenleben für die politische Oberherrschaft über neue Landstrecken zu wagen, mag manchesmal aus politischen Gründen notwendig sein; niemals jedoch für die Bedürfnisse des Handels. Wir würden einen großen Schritt vorwärts tun mit der Erkenntnis, daß politische Besitznahme nicht notwendig ist zur Ausdehnung des Handels über neue Landstrecken. Sogar Amerika sollte diese Wahrheit sich wieder vergegenwärtigen; es ist doch bestrebt, die politische Herrschaft über die Philippinen zu gewinnen! Britische und amerikanische Interessen werden voll gewahrt durch gleiches Recht für alle. Beispielsweise sind jetzt die ausländischen Handelsinteressen beider Länder identisch und sollten deshalb zu einer gemeinschaftlichen Politik führen – zu einer Politik der offenen Türe und des Friedens, die allen Völkern das Recht gibt, sich ihrem eigenen Wesen gemäß mit voller Freiheit zu entwickeln. Wir haben neuerdings vielfache Beweise für das bekannte Sprichwort gesehen, daß Blut dicker ist als Wasser; viel dicker, meine ich, zwischen den Abkommen derselben Rasse. In dem augenscheinlichen Zusammenschluß aller englisch sprechenden Völker sehen wir das erste Dämmern eines neuen Gefühls – des Patriotismus der Rasse; eine Empfindung des Stolzes und der Hingebung kündigt sich in der Rasse an, deren eine Hälfte unter britischer Flagge und deren andere Hälfte unter dem Sternenbanner lebt – eine dritte Flagge schwebt über beide, die Flagge der englischen Sprache, denn auf der ganzen weiten Erde gibt es keine englisch sprechende Gemeinschaft, die nicht dem einen oder dem anderen der beiden Fahnensymbole Treue bewahrte. Das leichte Kriegsgewölk, das über den beiden Zweigen unserer Rasse eine Zeit lang schwebte, hat nur dazu beigetragen, beide Teile noch enger zu verbinden, als sie jemals seit der Zeit ihrer politischen Trennung verbunden gewesen sind. Wir mögen sehr wohl, ja mit vollster Sicherheit annehmen, daß in Zukunft zwischen den beiden Nationen, welche ja doch im Grunde genommen ein Volk sind, jedwede Frage auf freundschaftlichem Wege erledigt werden wird, und daß keine Regierung, weder in dem einen noch in dem anderen Lande, jemals wieder imstande sein wird – kraftvoll oder verderblich genug – der Forderung der Besten unter beiden Völkern zu widerstehen; diese Forderung aber geht dahin, daß die Begleichung von Zwistigkeiten zwischen ihnen niemals wieder des Schwertes blutiger Entscheidung anheim gestellt werden soll. Die Zeiten sind ein für allemal vorüber, in denen englisch sprechende Männer zum Kampfe auf Leben und Tod gegen einander aufgerufen werden können. Niemals mehr wird die Sonne ein solches Schauspiel sehen. Wir sind darüber hinaus und haben die Seiten dieser Geschichte des Schreckens für immer geschlossen.

Was also dürfte uns die Zukunft bei diesem neuen machtvollen Gefühl des Rassenpatriotismus, welches für uns heraufzudämmern scheint, in den Schoß tragen? Unsere eigene Rasse neigt sehr zu der Krankheit des Landhungers. Großbritannien hat die roten Punkte seiner Oberherrschaft über alle Ecken und Enden der Welt ausgestreut; wir selbst haben uns von den Küsten des atlantischen Ozeans dreitausend Meilen weit bis zu denen des stillen Ozeans ausgedehnt, von der St. Lawrence-Bai zum Golfe von Mexiko; ja noch nicht damit zufrieden, gehen wir, so fürchte ich, darauf aus, fremde Länder uns anzueignen. Es ist wahr, wir haben uns die heilige Schrift gar zu sehr zu Herzen genommen, die sagt, daß die Sanftmütigen diese Erde besitzen sollen; hieraus jedoch, so meint wenigstens unser Humorist Mark Twain, erklärt sich alles: unsere Rasse ist gar so sanftmütig; unter allen Umständen scheinen wir recht bald entdeckt zu haben, daß das entscheidende und einzig zuverlässige Merkmal für die wahren Erben der Gebrauch des Englischen als ihrer Muttersprache ist.

Diese Epoche nie rastender Ausdehnung muß bald zuende gehen. Nach dem Gesetze der Entwickelung sollte jedes Land sich selbst regieren. Kanada tut es;. Australien steht eben im Begriff, seine eigene Souveränität zu erlangen; beide haben ihre eigenen fiskalischen Tarife sogar gegen die Einfuhr von England her. Die siebzehn Republiken Süd-Amerikas, welche bis vor ganz kurzem von Spanien regiert wurden, sind nun alle unabhängig und regieren sich selbst. Nur während der Entwickelungsperiode vermögen machtvolle Nationen entlegenere Völker zu regieren und über dieselben zu herrschen; doch selbst während dieser Periode kann solch eine entfernte Regierung so günstigen Einfluß ausüben, daß selbst nach Übernahme der tatsächlichen Leitung durch die neue Gemeinschaft die Beziehungen zwischen Mutter und Kind ununterbrochen bleiben, ja sogar noch inniger werden als vorher. Kanada und Australien bieten die besten Beispiele dafür. Infolge der weisen, gütigen, friedlichen und versöhnlichen Politik ist innerhalb des großen britischen Reiches ein Rassenpatriotismus entstanden, der auf sittlichen und deshalb auf den dauerndsten aller Kräfte beruht: nicht auf Gesetz, sondern auf Liebe. Der Erfolg von Großbritanniens Kolonialgebiet in neueren Zeiten gehört zu den größten Triumphen, welche je eine Nation errungen; ja, er bildet vielleicht geradezu den absolut größten Triumph. Er wurde nur durch Mittel des Friedens, nicht des Krieges möglich; solch ein Sieg ist viel ruhmbringender als jede Eroberung durch Waffengewalt und dazu viel dauerhafter, wie die Zukunft zeigen dürfte.

Die Fahne Großbritanniens flattert über Kanada und Australien, auf Wunsch ihres Volkes bilden sie Teile desselben großen, geeinten Ganzen. Die Frage ist nun, ob sich die Rasse innerhalb des großbritischen Reiches bescheiden oder zuguterletzt zu einem großen Ratbündnis für die gesamte Rasse entwickeln wird: dazu berufen, die internationalen Beziehungen, von denen der Weltfrieden abhängt, zu ordnen und zwar bei voller Aufrechterhaltung der Selbstregierung für die besonderen Interessen eines jeden einzelnen Landes; eine gekrönte oder ungekrönte Republik. Ich darf für mich den Anspruch erheben, daß ich schon vor Jahr und Tag als erster die Wiedervereinigung aller englisch sprechenden Nationen vorausgesagt habe. Hier bietet sich unseren Handelskammern ein dankbares Feld, dessen Kultivierung nur des Friedens und guten Willens bedarf. Schon jetzt können sie ihren guten Einfluß dadurch betätigen, daß sie freundschaftliches Empfinden stärken und die beiden Zweige unserer Rasse noch inniger einander zu nähern suchen. Ich habe beinahe vergessen, eine der besten, ja vielleicht überhaupt die beste Folge unseres Schutzzollsystems zu erwähnen. Dieses hat die Etablierung vieler britischer Industrieller in unserer Mitte nach sich gezogen und trägt so zur Entwickelung unserer Hilfsquellen bei; die Clarks und die Coats von Paisley, die Dolans von Yorkshire, die Sandersons von Sheffield und zuletzt – wenn auch gewiß keineswegs an letzter Stelle – ein großer Preis aus Halifax: denn wie sollten wir unser Schutzzollsystem nicht preisen, da es die Firths zu uns herüberzog? Nicht einmal für ein königliches Lösegeld dürfen wir sie wieder hergeben; wir bedürfen so vieler von dieser Halifax-Qualität, als wir nur irgend bekommen können. Wem immer unser Tarif zusagt, der möge seine ausbündigste Rache dadurch nehmen, daß er zu uns herüberkommt, sich des vollsten Freihandels durch alle fünfundvierzig Staaten unserer amerikanischen Union erfreut und dabei glücklich wird. Unsere Republik ruft sie: sie mögen kommen, mögen alle, alle kommen! Sie besteuert am höchsten Edelsteine und andere kostbare Einfuhrartikel; doch diese Juwelen, welche über jeden Preis erhaben sind, läßt sie abgabenfrei ein. Nicht nur für den Wert, welchen sie unserer Industrie zuführen, sollten sie geschätzt werden, sondern als Bindeglieder zwischen den alten und neuen Ländern; zwischen Mutter und Kind. Einige jüngere Mitglieder dieser Firmen lassen sich unter uns dauernd nieder; ihre Kinder heiraten Amerikaner oder schließen, wenn sie die alte Heimat besuchen, dort Verbindungen fürs Leben, und der echte und rechte Anglo-Amerikaner ist dann das Ergebnis; er ist höchst wahrscheinlich der kommende Mann, ausgestattet mit den Tugenden und der Kraft beider Rassen, ohne ihre Laster und Schwächen zu teilen; der kommende Mann, welcher, wir mögen dessen sicher sein, der fortschreitende Vertreter jenes Rassenpatriotismus und jener Arbeit sein wird, die den Tag gemeinschaftlichen Bürgertums innerhalb der weiten und sich stetig mehr ausbreitenden Grenzen unserer Rasse heraufführen wird.


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