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Der Diamantenpalast

Als Tarzan den toten Bolgani aus dem Dorfe der Gomangani forttrug, lenkte er seine Schritte nach dem Bau, den er am Talrand erblickt hatte. Da er gegen den Wind ging, meldete ihm der Geruch bald, daß er sich dem Wohnort der Bolgani näherte. Mit der Witterung der Gorillamenschen mengte sich der Geruch von Gomangani und gekochtem Essen, ferner der Anflug eines schweren, süßlichen Duftes, der sich nur mit Weihrauch vergleichen ließ. Vielleicht kam er aus dem großen Bau, der von Menschenhand errichtet schien und in seinem Inneren Menschen bergen mußte.

Als Tarzan am Stärkerwerden der Witterung merkte, daß er den Bolgani sehr nahe war, begab er sich mit seiner Bürde auf die Bäume, um vor Entdeckung besser geschützt zu sein. Bald sah er von oben durch das dichte Laub einen hohen Wall, hinter dem sich die Umrisse einer so fremdartigen und geheimnisvollen Baukunst zeigten, daß man versucht war, sie für Gebäude aus einer anderen Welt zu halten. Über den Wall kam der Geruch der Bolgani und der Duft des Weihrauchs, jetzt noch vermengt mit der Witterung Numas, des Löwen. Außen, vor dem Wall, war die Dschungel in etwa fünfzehn Meter Breite niedergelegt, so daß kein Baum über die Mauer ragte. Tarzan ging so nahe heran wie er konnte, hielt sich aber gut im Laub verborgen. An einer Stelle fand er sich endlich hoch genug über dem Boden, um über die Zinnen des Walles hinwegsehen zu können. Das Gebäude im Inneren der Umfriedigung hatte bedeutende Abmessungen. Seine einzelnen Teile schienen zu verschiedenen Zeiten und ohne Rücksicht auf das bereits Bestehende erbaut. Daraus ergab sich ein Durcheinander von miteinander verbundenen Gebäuden und Türmen, von denen sich auch nicht zwei glichen, obgleich das Ganze einen gefälligen, aber verschrobenen Eindruck machte. Das Gebäude stand auf einem drei Meter hohen Hügel, war durch eine granitene Umfassungsmauer abgeschlossen und besaß eine breite Steintreppe, die auf den ebenen Boden hinabführte. Um den Hauptbau herum standen Sträucher und Bäume, während ein ungeheurer Turm fast völlig von Efeu überwachsen war.

Die Fläche innerhalb des Walles betrug etwa fünfzehn bis zwanzig Morgen Land und war zum größten Teil von den Gebäuden bedeckt. Die Hügelterrasse war mit Spazierwegen, Blumen, Sträuchern und Zierbäumen versehen, während der untere Teil der Fläche als Gemüsegarten verwendet schien. Im Garten und auf der Terrasse befanden sich nackte Schwarze, die denen im Dorfe glichen, in dem er La zurückgelassen hatte. Ihnen schien die Pflege der Gewächse im Inneren der Einfriedigung anvertraut. Unter ihnen standen einige der gorillaartigen Geschöpfe, deren eines Tarzan im Dorfe getötet hatte, aber sie leiteten nur die Arbeit der Schwarzen, gegen die sie hochfahrend und roh waren. Diese Gorillamenschen waren, ähnlich dem, dessen Leiche hinter dem Affenmenschen in einer Baumgabel ruhte, mit reichem Schmuck angetan.

Während Tarzan mit Interesse alles besah, traten aus dem Hauptportal, einem ungeheuren Tor von etwa zehn Metern Breite und acht Metern Höhe, zwei Bolgani heraus. Diese beiden trugen Stirnbänder, an denen große, weiße Federn saßen. Sie traten vor, nahmen an den zwei Seiten des Eingangs Stellung, legten die Hände an den Mund und stießen eine Anzahl schriller Schreie wie Trompetenstöße aus. Alsbald verließen die Schwarzen ihre Arbeit und hasteten zu den Stufen, die von der Terrasse in den Garten hinabführten. Dort stellten sie sich zu beiden Seiten der Freitreppe auf, während die Bolgani zwei Reihen oben auf der Terrasse vom Hauptportal bis zur Treppe bildeten. Jetzt erscholl aus dem Inneren des Gebäudes ein anderer Trompetenruf und Tarzan sah die Spitze einer Prozession auftauchen. Zuerst erschienen vier Bolgani mit riesigen Keulen, dann kamen die beiden Trompetenrufer und zwanzig Schritt nach diesen schritt ein ungeheurer schwarzmähniger Löwe, den vier stämmige Schwarze, zwei auf jeder Seite, an goldenen Ketten führten, die an seinem von Diamanten funkelnden Halsband festgemacht waren. Hinter dem Löwen marschierten wieder zu vieren zwanzig speerbewaffnete Bolgani.

Die Haltung der Bolgani zu beiden Seiten des Tores bis zur Treppe drückte höchste Ehrfurcht aus, denn sie machten mit dem Körper bis zur Hüfte eine tiefe Verbeugung, als Numa zwischen ihren Reihen durchschritt. Als das Tier die Stufen der Freitreppe erreicht hatte, hielt die Prozession einen Augenblick an; die Schwarzen warfen sich zu Boden und berührten mit der Stirne die Erde. Numa, ein anscheinend bejahrter Löwe, besah mit boshaften Augen die niedergestreckten Menschen. Er bleckte seine Reißzähne, und rollend drang aus seinen tiefen Lungen ein unheilverkündendes Brüllen, bei dessen Ertönen die Gomangani vor unverhehltem Entsetzen zitterten. Die Prozession setzte ihren Weg die Treppe herab fort und zog nach rechts durch den Garten. Sobald sie vorbei war, nahmen Gomangani und Bolgani ihre unterbrochene Tätigkeit wieder auf.

Tarzan blieb in seinem Versteck, beobachtete weiter, und suchte nach einer Erklärung für die merkwürdigen Dinge, die er zu sehen bekam. Der Löwe war mit seinem Gefolge um die Palastecke gezogen und verschwunden. Was bedeutete er wohl diesen fremdartigen Geschöpfen? Wozu diese auf den Kopf gestellte Rangordnung der Arten? Hier galt der Mensch weniger als das Halbtier und ein echtes Tier – ein wildes Raubtier – schien über beiden zu stehen!

Eine Viertelstunde nach dem Verschwinden Numas um die Ostecke des Palastes herum erschollen erneut schrille Trompetentöne vom anderen Ende des Baues. Die Prozession kam wieder in Sicht und nahm ihren Weg nach der Freitreppe. Alsbald nahmen die Gomangani und Bolgani wieder ihre Stellen vom Fuße der Freitreppe an bis zu den Türflügeln des Palastes ein, und wieder wurde Numa Ehrfurcht erwiesen, als er das Gebäude betrat.

Tarzan fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes krauses Haar, aber er konnte keine Deutung für das Gesehene finden. Doch war seine Neugierde nunmehr so stark erregt, daß er den Palast und seine Umgebung zu untersuchen beschloß.

Er ließ den Körper des Bolgani in seinem Versteck und begann eine Erforschung des Gebäudes von allen Seiten aus. Die Architektur war von allen Seiten die gleiche und der Garten ging auf allen vier Seiten um das Gebäude herum, obgleich ein Teil davon auf der Südseite mit Koppeln und Käfigen besetzt war, in denen zahlreiche Ziegen und ein beträchtliches Volk Hühner gehalten wurden. Auf dieser Seite befanden sich auch mehrere hundert jener schwebenden, bienenkorbförmigen Hütten, wie er sie im Dorfe der Gomangani gesehen hatte. Hier hausten wohl die schwarzen Sklaven, die alle harte und unangenehme Arbeit für Instandhaltung des Palastes verrichten mußten.

Die hohe Granitmauer der Umwallung war nur von einem einzigen Tor durchbrochen, das sich gegenüber der Ostseite des Palastes befand. Dies Tor war so groß und fest gebaut, als ob es dem Angriff zahlreicher und wohlbewaffneter Angreifer widerstehen sollte. In der Tat konnte es auch gegen mit schweren Rammböcken versehene Angreifer schützen. Daß aber je in absehbaren Zeiten Angriffe erfolgt waren, schien unwahrscheinlich. Mauer und Tor stammten wohl aus fast undenklich alten Zeiten, vielleicht aus den lange vergessenen Tagen der Atlantis, und sollten damals die Insassen des Diamantenpalastes vor den wohlbewaffneten Streitkräften beschützen, die von der Atlantis gekommen waren, um die Goldminen von Opar auszubeuten und Zentralafrika zu kolonisieren.

Mauer, Tor und Palast ließen zwar ein fast unvorstellbares Alter vermuten, waren aber in so gutem Zustand, daß sie von vernunftbegabten Wesen bewohnt sein mußten. Dazu sah Tarzan auf der Südseite einen neuen Turm im Bau, während eine Anzahl Schwarze unter Leitung einiger Bolgani Granitblöcke sägten, zurichteten und einbauten.

Tarzan machte nahe dem Osttor auf einem Baume halt und beobachtete, das Leben und Treiben auf dem Palasthofe vor dem alten Portal, als ein langer Zug kräftiger Gomangani aus dem Walde auftauchte und in die Umfriedigung einzog. In an je zwei Stangen aufgehängten Häuten trug dieser Trupp, zu je vier Mann an einem Block, rohbehauene Granitblöcke. Haltung und Benehmen der schwarzen Träger wie der Bolgani erinnerte auffällig an eine Eselkarawane, die nach dem Belieben ihrer Treiber stumpfsinnig ihres Weges trottet. Wenn einer träge war, wurde er mit der Spitze eines Speers angetrieben oder mit dem Speerschaft geschlagen. Dabei wurde nicht gröber als in der ganzen Welt bei Behandlung der Lasttiere vorgegangen, und die Schwarzen zeigten nicht mehr Lust zu Einwand oder Empörung als dummes getriebenes Vieh. Langsam zogen sie durch den Torweg und verschwanden aus der Sicht.

Bald darauf kam eine andere Abteilung aus dem Walde. Diese bestand aus fünfzig bewaffneten Bolgani und zweimal so viel schwarzen, mit Speer und Axt bewaffneten Kriegern. Die bewaffneten Geschöpfe umgaben eng vier muskulöse Träger, die auf einer kleinen Tragbahre eine verzierte, wohl zwei Fuß breite und hohe und etwa vier Fuß lange Kiste beförderten. Diese Kiste bestand aus dunklem, verwittertem Holz und war anscheinend mit Bändern und Ecken aus reinem, diamantbesetztem Gold verstärkt. Tarzan konnte nicht erraten, was diese Kiste enthielt, aber die Bewachung zeigte, daß es etwas Wertvolles sein mußte. Die Kiste wurde geradewegs in den großen, mit Efeu bewachsenen Turm am Nordosteck des Palastes getragen.

Tarzan schwang sich jetzt über den Dschungelpfad zu der Stelle, an der er den Körper des Bolgani gelassen hatte, warf sich diesen über die Schulter und kehrte zur Fährte nahe dem Osttor zurück. Als der Verkehr dort für einen Augenblick aussetzte, schleuderte er den Körper so nahe wie möglich an das Portal.

Dann machte sich Tarzan auf den Weg nach den Bergen auf der Rückseite des Tales mit dem Diamantenpalast. Er mußte oft Umwege machen, um Dörfer zu vermeiden und den zahlreichen Bolgani aus dem Wege zu gehen, die in jeder Richtung den Wald durchstreiften. Am Spätnachmittag kam er aus den Hügeln heraus zu voller Sicht des hinter ihnen liegenden Gebirges – rauhe Granitfelsmassive, deren jähe Gipfel hoch über den Pflanzenwuchs hinaufragten. Gerade vor ihm führte ein deutlich sich abzeichnender Pfad in eine Schlucht, die sich nach dem Gipfel hinaufschlängelte. Da die Luft rein war, stieg er vom Baum und nahm, unter Ausnützung des Unterholzes neben der Fährte, lautlos, aber rasch seinen Weg nach den Bergen. Auf dem größten Teil des Weges mußte er seinen Weg durch die Dickichte bahnen, denn der Pfad wurde dauernd von Gomangani und Bolgani begangen, die mit leeren Händen hinzogen und mit schweren Granitblöcken zurückkamen.

Als er tiefer in die Berge eindrang, machte das dichte Unterholz einem leichteren Gestrüpp Platz, durch das er mit weit größerer Leichtigkeit, wenn auch mit mehr Gefahr, entdeckt zu werden, durchkam. Indessen fand Tarzan mit seiner Weidmannskunst Deckung, wo andere sich in vollster Sicht befunden hätten. In halber Höhe des Berges führte der Pfad durch eine nur sieben Meter breite Kluft, die aus dem Granitmassiv herausgewaschen schien. Hier ließ sich allerdings keine Deckung finden. Betreten der Kluft und Entdecktwerden wäre eins gewesen. Da bemerkte Tarzan, daß er auf einem kleinen Umweg den Gipfel der Schlucht erreichen konnte, wo er bestimmt zwischen zerklüfteten Granitklötzen und krummgewachsenen Bäumen und Gestrüpp Deckung finden und besseren Überblick über den Pfad unten haben konnte.

Als er eine günstige Stelle hoch über dem Pfad erreicht hatte, sah er im Gebirge einen offenen Kessel, der von einem Felsgrat umschlossen war. Überall ausmündende Löcher gaben ihm ein Ansehen wie ein Sieb und konnten nur Stolleneingänge sein. Zu einigen führten roh zurechtgezimmerte Leitern hinauf, während von anderen Stricke mit Knoten herunterbaumelten. Aus diesen Stollen kamen Leute heraus, die kleine Säcke mit Erde trugen, die sie neben einem durch die Schlucht fließenden Bach auf einen Haufen packten. Hier waren unter Aufsicht der Bolgani andere Schwarze damit beschäftigt, die geschürfte Erde auszuwaschen, aber was sie dabei zu finden erwarteten, konnte Tarzan nicht erraten.

An einer Seite des Felskessels brachen wieder andere Schwarze den Granit von den Felswänden, die dadurch allmählich zu einer vom Boden des Kessels bis zum Gipfel reichenden Terrasse geworden waren. Nackte Schwarze plagten sich mit rohen Werkzeugen unter der Aufsicht grimmiger Bolgani. Die Beschäftigung der Steinbrecher war klar genug, aber was mochten die anderen aus den Stollen herausholen? Ob es nicht Gold war? Aber woher bekamen sie nur ihre Diamanten? Sicherlich nicht aus diesen massiven Granitfelsen. Einige Minuten belehrten Tarzan, daß der Pfad vom Walde her in dieser kleinen Sackgasse endete. Deshalb suchte er noch weiter nach oben und im Bogen herumzukommen, um einen Paß durch den Grat der Berge zu finden.

Den Rest dieses Tages und den ganzen folgenden Tag verwendete er dazu; doch auf dieser Seite des Tales fand sich kein Ausgang. Er stieg bis hoch über die Baumgrenze hinauf, kam aber immer wieder vor jäh, fast senkrecht abfallende Granitwände. Hinaus über die Seiten südlich und östlich des Kessels erstreckte er seine Untersuchung, aber mit dem gleichen enttäuschenden Erfolg, bis er wieder seine Schritte nach dem Walde lenkte, um nach Einbruch der Dunkelheit mit La den Weg durch das Tal von Opar zu versuchen.

Die Sonne ging eben auf, als Tarzan am Negerdorf ankam, in dem er La zurückgelassen hatte, aber seine Augen hatten es kaum erspäht, als er schon fürchtete, es möge etwas verkehrt gegangen sein. Das Tor stand weit offen und kein Bewohner war zu sehen. Stets vor einem Hinterhalt auf der Hut, spähte Tarzan erst sorgfältig herum, ehe er in das Dorf hinabstieg. Für seine geschulten Sinne war es klar, daß das Dorf seit wenigstens vierundzwanzig Stunden verlassen war. Er eilte zu der Hütte, in welcher La verborgen gewesen war, kletterte hastig am Strick in die Höhe und fand sie leer; von der Hohepriesterin zeigte sich keine Spur. Er hatte bereits noch weitere Hütten untersucht, als er die schwache Bewegung einer der schwebenden Wohnstätten bemerkte. Beim Näherkommen sah er, daß kein Strick zur Bodenöffnung heraushing. Tarzan blieb unter der Hütte stehen, hob sein Gesicht nach der Öffnung im Boden, konnte aber nichts als das Dach der Hütte erkennen.

Gomangani, rief er, ich bin es, Affentarzan. Komm an die Öffnung und sage mir, was aus deinen Genossen und meinem Weibe geworden ist, die ich hier unter eurem Schutze zurückließ.

Da keine Antwort kam, rief Tarzan nochmals, denn er war vollkommen davon überzeugt, daß sich jemand in der Hütte verborgen hielt.

Komm herunter, rief er wieder, sonst komme ich hinauf und hole dich.

Wieder erhielt er keine Antwort. Da zog er sein Jagdmesser aus der Scheide, nahm es zwischen die Zähne, sprang mit einem katzenartigen Satz nach der Öffnung, erfaßte deren Rand und zog sich ins Innere der Hütte hinauf.

Widerstand fand er keinen. Er konnte überhaupt im dämmerigen Licht der Hütte zunächst niemand finden. Erst als sich seine Augen daran gewöhnt hatten, entdeckte er ein Bündel Blätter und Gras, das an der anderen Seite des Flechtwerks lag. Er zog das Bündel auseinander und legte die zusammengekauerte Gestalt eines erschreckten Weibes frei.

Was ist vorgefallen? fragte er. Wo sind die Dörfler? Wo ist mein Weib?

Töte mich nicht! Töte mich nicht! kreischte sie. Ich war es nicht, es war nicht meine Schuld.

Sage mir die Wahrheit, erwiderte Tarzan, und dir soll nichts geschehen.

Die Bolgani haben sie mitgenommen, schrie das Weib. Sie erschienen, als die Sonne tief stand, und waren sehr zornig, denn sie hatten den Körper ihres Genossen vor dem Diamantenpalast gefunden. Sie wußten, daß er hier zu unserem Dorfe gegangen war, und seit dem Verlassen des Palastes hatte ihn keiner mehr lebend gesehen. Daher kamen sie hierher und bedrohten und folterten unsere Leute, bis ihnen die Krieger endlich alles sagten. Ich verbarg mich. Ich weiß nicht, warum sie mich nicht fanden. Aber endlich zogen sie ab und nahmen alle die anderen mit, auch dein Weib nahmen sie. Sie alle werden nie wiederkommen.

Du denkst, die Bolgani werden sie töten? fragte Tarzan.

Ja, entgegnete sie, sie töten alle, die ihr Mißfallen erregen.

Tarzan mußte nunmehr erst feststellen, wo sich La befand, und wenn sie noch lebte, mußte er alles aufbieten, sie zu befreien und ihr aus diesem Tale der Gefahren herauszuhelfen.

Er verbrachte den ganzen Tag damit, die Umgebung außerhalb des Palastes zu erkunden, fand aber keine Gelegenheit, unentdeckt hineinzukommen, weil sich stets und ständig Gomangani oder Bolgani im Garten befanden. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde das große Osttor geschlossen und die Bewohner von Palast und Hütten zogen sich hinter die Mauern zurück, ohne auch nur eine einzige Wache aufzustellen – ein Umstand, der klar bewies, daß die Bolgani keinen Angriff befürchteten. Demnach war die Unterjochung der Gomangani eine vollständige und die turmhohe Mauer rund um den Palast mithin nur eine Erinnerung an alte Zeiten, in denen ein einst mächtiger, aber nun verschwundener Gegner Frieden und Sicherheit der Bolgani bedroht hatte.

Als völlige Dunkelheit eingetreten war, nahte sich Tarzan dem Tore und warf die Schlinge seines Grasseils über einen der in Stein gemeißelten Löwen, die die Zinne der Torpfosten krönten. Er erstieg flink die Mauer und ließ sich wie eine Feder drüben in den Garten hinab. Um sich für den Fall, daß er La fand, eine rasche Rückzugslinie zu sichern, entriegelte er die schweren Türflügel und schwang sie auf. Dann kroch er zu dem mit Efeu bewachsenen Turm, den er sich nach den Erkundigungen eines ganzen Tages herausgesucht hatte, weil er den leichtesten Zutritt zum Palast zu bieten schien. Der ganze Erfolg seines Planes hing von der Stärke des Efeus ab, der bis zur Zinne des Turmes hinaufgewachsen war, und zu seiner erheblichen Erleichterung fand er, daß dieser mit Leichtigkeit sein Körpergewicht trug.

Hoch über dem Boden, ganz nahe der Zinne des Turmes, hatte er ein offenes Fenster gesehen, das, ungleich den anderen in diesem Teil des Palastes, nicht vergittert war. Schwaches Licht schien aus verschiedenen Fenstern des Turmes wie aus anderen Stellen des Gebäudes. Unter Vermeidung dieser erhellten Fenster kletterte Tarzan rasch, aber mit Vorsicht zu der unvergitterten Öffnung hinauf. Als er sie erreicht hatte und seine Augen vorsichtig über den Sims hob, sah er mit Entzücken, daß es in eine unbeleuchtete Kammer hineinführte, deren Inneres aber so finster war, daß er nichts darin erkennen konnte. Vorsichtig zog er sich am Sims hoch und stieg lautlos in das Gemach hinein. Im Dunkel herumtastend, fand er eine Lagerstatt eigentümlicher Bauart, einen Tisch und ein Paar Bänke. Auf der Bettstelle lagen gewebte Stoffe, die über weiche gegerbte Antilopen- und Leopardenfelle geworfen waren.

Dem Fenster gegenüber befand sich eine geschlossene Tür. Diese öffnete er langsam und lautlos, bis er durch einen schmalen Schlitz auf einen schwach erleuchteten Flur oder vielmehr auf eine kreisrunde Wandelhalle hinaussehen konnte, in deren Mitte sich eine etwa vier Fuß weite Öffnung befand. Ein gerader Balken, in den alle Fuß lang Sprossen eingelassen waren, stand mitten in der Öffnung und verschwand nach oben durch eine ähnliche Öffnung in der Decke – ganz augenscheinlich war dies der Treppenschacht, der die verschiedenen Stockwerke des Turmes miteinander verband. Drei senkrechte Säulen in gleichmäßigem Abstand um den Umfang der kreisrunden Öffnung in der Mitte stützten die Decke nach oben. Rundherum an der Außenseite dieses runden Flurs waren weitere Türen. Da Tarzan kein Geräusch hörte und niemand sah, öffnete er die Tür ganz und trat in den Rundgang hinaus. Seine Nasenflügel fingen jetzt ganz deutlich den gleichen schweren Duft nach Weihrauch auf, der ihn schon vor einigen Tagen gelegentlich seiner ersten Annäherung an den Palast begrüßt hatte. Im Inneren des Turmes war indessen der Geruch so stark, daß er jede andere Witterung betäubte und für die Suche des Affenmenschen nach La ein fast unüberwindliches Hindernis bildete. In der Tat, als er sah, wie viele Türen sich auf diesem einzigen Stockwerk des Turmes befanden, fühlte er mit Bestürzung, wie wenig Aussicht auf Erfolg er hatte. Es schien undurchführbar, diesen riesigen Turm allein, ohne Unterstützung durch seine scharfen Geruchssinne zu untersuchen, selbst wenn er nur die allergewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln gegen Entdeckung traf.

Das Selbstvertrauen des Affenmenschen verstieg sich in keiner Weise etwa zu tölpelhafter Eitelkeit. Er kannte die Grenzen, die ihm gezogen waren und wußte, daß ihm wenig oder gar keine Aussicht gegenüber auch nur einigen Bolgani blieb, wenn sie ihn in ihrem Palaste entdeckten, wo ihnen alles vertraut und ihm alles fremd war. Hinter ihm befand sich das offene Fenster, die stille Nacht und die Freiheit. Vor ihm lauerten Gefahr, sicherer Fehlschlag und wahrscheinlicher Tod. Was sollte er wählen? Einen Augenblick stand er in schweigendem Nachdenken, dann hob er den Kopf, reckte seine breiten Schultern, schüttelte trotzig die schwarzen Locken und trat kühn auf die nächste Tür zu. Raum auf Raum untersuchte er, bis er im Kreise um den ganzen Flur herum war, aber seine Untersuchung verlief völlig ergebnislos. Er fand sinnreiche Möbel, Teppiche und Vorhänge, Ornamente von Gold und Diamanten und in einem matt erleuchteten Raum fand er sogar einen schlafenden Bolgani.

Als Tarzan mit der Runde auf diesem Flur zu Ende war, entschloß er sich, erst die oberen und dann die unteren Stockwerke durchzusehen. Diesem Plan zufolge stieg er die merkwürdige Treppe hinauf. An drei Fluren kam er vorbei, bis er den obersten Stock des Turmes erreicht hatte. Um jeden Flur zog sich ein Kranz von geschlossenen Türen, während jeder Flur von Dreifüßen – flachen goldenen Schalen, anscheinend voll Talg, in dem ein strickartiger Docht saß – matt erhellt wurde.

Auf dem obersten Flur fanden sich nur drei Türen. Die Decke dieses Stockwerkes wurde von dem kuppelartigen Dach des Turmes gebildet. Durch eine weitere in dessen Mitte befindliche Öffnung ragte der Steigbaum ins Dunkle der Nacht hinaus.

Als Tarzan die nächste Tür öffnete, krächzten die Angeln und gaben damit den ersten hörbaren Ton seit Tarzans Nachforschung bisher. Das Innere der vor ihm liegenden Kammer war unbeleuchtet. Tarzan stand ein paar Sekunden lang starr wie eine Bildsäule. Da wurde er plötzlich einer Bewegung, eines ganz schwachen Hauches von Geräusch, in seinem Rücken gewahr. Flink sich herumwerfend, sah er einen Menschen auf der entgegengesetzten Seite des Flurs in einer offenen Tür stehen.


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