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Dschadbaljas Erziehung

So kamen Dschadbalja, der goldene Löwe, und Za, die Hündin, mit Tarzan, Jane und Korak heim.

Groß war die Freude über die Heimkehr der drei in den Hütten der Waziri. Nicht nur eine Nacht, nein, viele Nächte lang hielten Tanz und Freudenfest an, bis Tarzan gezwungen war, Einhalt zu gebieten, um sich und seiner Familie wenigstens ein paar Stunden ungestörten Schlummers zu sichern. Die treuen Waziri hatten unter der Anleitung seines nicht minder ergebenen englischen Aufsehers Jervis sowohl Ställe, Koppel und Außenhäuser, wie auch das Innere des Bungalows in peinlichster Ordnung gehalten.

Jervis war zwar in Geschäften der Farm nach Nairobi geritten und kam erst einige Tage nach ihrer Ankunft wieder nach der Besitzung zurück. Seine Freude war aber nicht weniger echt als die der Waziri. Stundenlang saß er mit dem Häuptling und den Kriegern zu Füßen des großen Bwana und lauschte den Erzählungen von dem merkwürdigen Lande Pal-ul-don und den Abenteuern, die den dreien während Lady Greystokes Gefangenschaft dort begegnet waren. Er staunte ebenso wie die Waziri über die merkwürdigen Schoßtiere, die sich der Affenmensch mit nach Hause gebracht hatte. Daß Tarzan eine Vorliebe für einen rasselosen einheimischen Köter hatte, war schon merkwürdig genug, aber daß er gar ein Junges seiner Erbfeinde Numa und Sabor als Pflegling annahm, schien fast unglaublich. Fast noch erstaunter waren sie bald über die Art und Weise, wie Tarzan den kleinen Löwen erzog.

Der goldene Löwe und seine Nährmutter hatten zusammen eine Ecke in des Affenmenschen Schlafzimmer, der täglich manche Stunde mit der Erziehung und dem Abrichten des scheckigen kleinen gelben Balles verbrachte – vorläufig war der Kleine voller Spielerei und Anhänglichkeit, aber eines Tages mußte ein riesiges wildes Raubtier daraus werden.

Die Zeit verging, der goldene Löwe wurde groß, und Tarzan brachte ihm viele Listen und Künste bei – etwas zu ergreifen und herbeizubringen, bis auf ein fast unhörbares Kommandowort regungslos im Verborgenen liegen zu bleiben, sich nach seines Herrn Angabe von Punkt zu Punkt zu schleichen, versteckte Sachen mit dem Geruch zu suchen und herauszuholen. Als dann später Fleischnahrung seiner Ernährungsweise zugefügt wurde, bekam er sein Futter stets in einer Weise, die ein grimmiges Lächeln auf den wilden Lippen der Wazirikrieger hervorrief. Tarzan hatte nämlich eine menschenähnliche Puppe angefertigt, und das dem Löwen als Nahrung bestimmte Fleisch war immer an den Hals der Puppe gebunden. Niemals änderte der Affenmensch etwas an dieser Art der Fütterung. Auf ein Wort des Affenmenschen kauerte sich dann der goldene Löwe mit dem Bauch bis auf die Erde, Tarzan deutete auf die Puppe und flüsterte nur das eine Wort: Faß!

Der Löwe lernte bald, nicht eher an das Fleisch heranzugehen, so hungrig er auch sein mochte, ehe sein Herr nicht dies Wort gesagt hatte. Aber dann schoß er mit einem wilden Knurren pfeilgerade auf das Fleischstück los. Solange er noch kleiner war, war es für ihn nicht so einfach, an der Figur bis zu dem am Hals festgemachten Stück Fleisch hinaufzuklettern, aber je älter und größer er wurde, desto leichter fiel es ihm, den Gegenstand zu erreichen, und zuletzt genügte ein einziger Satz, um ihn ans Ziel zu bringen, die Puppe fiel auf den Rücken und auf ihr saß der junge Löwe, der an der Kehle herumriß.

Ein Dressurstück war dabei, das von allen anderen am schwierigsten beizubringen gewesen war, und es ist zweifelhaft, ob irgendein anderer als Tarzan, der von Tieren unter Tieren aufgezogen war, imstande gewesen wäre, die wilde Blutgier des Raubtiers zu dämpfen und dessen angeborene Instinkte dem Willen seines Herrn und Meisters dienstbar zu machen. Wochen und Monate geduldiger Bemühungen waren nötig, um diese einzelne Anforderung an die Dressur des Löwen zu erreichen. Auf das Wort »such« mußte er einen angegebenen Gegenstand ausfindig machen und zu seinem Herrn bringen. Selbst wenn es die Puppe mit dem an die Kehle gebundenen Stück Fleisch war, durfte er dabei weder das Fleisch anrühren, noch die Puppe oder den anderen Gegenstand beschädigen, den er zu holen hatte; er mußte alles vorsichtig zu Tarzans Füßen legen. Mit der Zeit lernte er es einsehen, daß er seiner Belohnung dafür, meist einer doppelten Portion Fleisch, stets sicher war.

Lady Greystoke und Korak waren oft gespannte Zuschauer dieser Erziehung des goldenen Löwen, obgleich die erstere ihrer Verwunderung darüber Ausdruck gab, wozu diese mühselige Abrichtung des kleinen Löwen gut sein sollte; sie äußerte sogar Bedenken, ob diese Art Erziehung auch klug war.

Was kannst du denn nur um alles in der Welt mit solch einer Bestie anfangen, wenn sie ausgewachsen ist? fragte sie. Er verspricht wohl, einmal ein mächtiger Numa zu werden. Da er an die Menschen gewöhnt ist, wird er nicht die geringste Scheu vor ihnen haben, und nachdem er bisher sein Fressen stets an der Kehle einer Puppe gefunden hat, wird er später an der Kehle lebender Menschen danach suchen.

Er wird nur das fressen, was ich ihn zu fressen heiße, erwiderte der Affenmensch.

Du willst ihm doch hoffentlich nicht lauter Menschen zu fressen geben? fragte sie lachend.

Er wird niemals Menschen fressen.

Aber wie kannst du das denn verhindern, wenn du ihn von klein auf lehrst, immer Menschen zu fressen?

Jane, ich fürchte, daß entweder du die Intelligenz eines Löwen stark unterschätzest, oder daß ich sie viel zu hoch einschätze. Wenn deine Annahme richtig ist, dann steht mir der schwerste Teil der Aufgabe noch bevor, aber wenn ich recht habe, dann ist er in Wirklichkeit bereits getan. Doch wir können einen kleinen Versuch anstellen und wollen sehen, wer recht hat. Wir wollen einmal Dschadbalja heute nachmittag mit uns auf die Ebene hinausnehmen. Wild gibt es genug, da wird es für uns nicht schwierig sein, festzustellen, wieviel Gewalt ich eigentlich nach alledem über meinen jungen Numa habe.

Hundert Pfund wette ich, sagte Korak lachend, daß er tun wird, was ihm gerade am besten gefällt, sobald er erst warmes Blut geschmeckt hat.

Diese Wette halte ich, mein Junge, sagte sein Vater. Ich denke, ich werde dir und deiner Mutter heute etwas zeigen, was weder ihr noch andere im Traume für möglich halten.

Lord Greystoke, erster Dresseur der Welt! rief Jane, und Tarzan stimmte in ihr Gelächter mit ein.

Es handelt sich hier nicht um Dressur, sagte er dann. Mein Arbeitsplan wäre für jeden anderen als mich unmöglich. Ich will euch einmal an einem Beispiel deutlich machen, was ich meine. Zu euch kommt irgendein Wesen, das ihr haßt, das ihr instinktiv und angeborenermaßen als euren Todfeind anseht. Ihr fürchtet euch vor ihm. Ihr könntet kein Wort von dem, was er spricht, verstehen. Endlich paukt er durch manchmal sogar rohe Mittel eurem Gehirn seine Wünsche ein. Ihr mögt wohl tun, was er von euch verlangt, aber tut ihr es im Geiste selbstloser Ergebenheit? Nein, ihr tut es unter Zwang, und ihr haßt das Wesen, das euch seinen Willen aufzwingt. Im selben Augenblick, in dem ihr glaubt, dazu imstande zu sein, würdet ihr ihm den Gehorsam verweigern, ja, ihr würdet euch gegen ihn kehren und ihn vernichten. Nun zum andern Falle: einer kommt zu euch, den ihr gut kennt; er ist euer Freund, euer Beschützer. Er versteht und spricht eure Sprache. Er hat euch ernährt, hat durch Güte und Schutz euer Vertrauen gewonnen, und endlich verlangt er, ihr sollt etwas für ihn tun. Weigert ihr euch? Nein, ihr gehorcht mit Freuden. So wird mir mein goldener Löwe gehorchen.

Solange es ihm in seinen Kram paßt, setzte Korak hinzu.

Laßt mich noch einen Schritt weiter gehen, sagte der Affenmensch. Wie nun, wenn dies Wesen, das ihr liebt und dem ihr gehorcht, die Macht hat, euch zu strafen, ja unter Umständen zu töten, falls das nötig wird, um seine Befehle zu erzwingen? Wie steht es dann um euren Gehorsam?

Wir werden ja sehen, sagte Korak, wie leicht mir der goldene Löwe hundert Pfund einbringt.

Am gleichen Nachmittag ritten sie auf die Ebene hinaus, während sich Dschadbalja dicht hinter Tarzans Pferd hielt. In einiger Entfernung vom Bungalow stiegen sie bei einer kleinen Baumhecke vom Pferde und schritten vorsichtig auf eine Senke zu, in der sich gewöhnlich Antilopen fanden. Jetzt kamen sie verstohlen an das dichte Gestrüpp, das den Rand der Senke auf einer Seite einfaßte. So kamen sie an, Tarzan, Jane und Korak, und dicht neben Tarzan der goldene Löwe – vier Dschungeljäger – aber Dschadbalja, der Löwe, war von den vieren der am wenigsten erfahrene. Leise krochen sie durch das Gestrüpp, kaum daß ein Blatt dabei raschelte, bis sie endlich unten in der Senke eine kleine, friedlich grasende Antilopenherde erblickten. Ein alter Bock stand ihnen am nächsten, und diesen machte Tarzan auf irgendeine geheimnisvolle Art Dschadbalja kenntlich.

»Faß«, flüsterte er, und der goldene Löwe brummte kaum hörbar, als Antwort, daß er den Befehl verstanden hatte.

Verstohlen bahnte er sich durch das Buschwerk seinen Weg. Die Antilope äste ahnungslos weiter. Der Abstand, der den Löwen von seiner Beute trennte, war für einen erfolgreichen Ansprung noch zu groß, deshalb wartete Dschadbalja im Busch verborgen, bis die Antilope beim Grasen näherkam oder ihm den Rücken zukehrte. Von den vieren, die den grasenden Pflanzenfresser beobachteten, ließ keiner einen Laut hören, und kein Anzeichen verriet, daß das Tier eine Ahnung von der ihm drohenden, nahen Gefahr hatte. Langsam kam der alte Bock näher auf Dschadbalja zu. Fast unmerklich bereitete sich der Löwe zum Sprunge vor. Die einzige sichtbare Bewegung war das Zucken seiner Schwanzspitze. Dann, wie ein Pfeil von der Sehne, schnellte er im Zeitraum eines Augenblicks vom Zustand voller Unbeweglichkeit in schreckenerregende Schnelligkeit. Er war beinahe auf dem Bock, ehe dieser überhaupt nur die Nähe der Gefahr merkte, und dann war es längst zu spät, denn die Antilope hatte sich kaum herumgeworfen, als der Löwe auch schon auf der Hinterhand hochstieg und sie packte, während die übrige Herde in kopfloser Flucht davonstürzte.

Jetzt werden wir ja sehen, sagte Korak.

Er wird mir die Antilope bringen, sagte Tarzan zuversichtlich.

Der goldene Löwe zögerte einen Augenblick und stand knurrend über dem Körper seiner Beute. Dann packte er sie am Rücken und schleppte sie in dem auf eine Seite gedrehten Rachen nebenher über den Boden, während er sich langsam auf den Rückweg zu Tarzan machte. Er zerrte die erbeutete Antilope durch das Gestrüpp, bis er sie seinem Herrn vor die Füße gelegt hatte. Dann stand er vor ihm und sah dem Affenmenschen mit einem Ausdruck ins Gesicht, der sich nicht anders denn als Stolz auf seine Leistung und Bitte um Anerkennung deuten ließ.

Tarzan streichelte ihm den Kopf, sprach ihm mit leiser Stimme zu und lobte ihn. Dann zog er sein Jagdmesser, schnitt der Antilope die Halsschlagader durch und ließ den Körper ausbluten. Jane und Korak standen dicht dabei und paßten auf Dschadbalja auf; was würde der Löwe tun, wenn ihm der Geruch des frischen, warmen Blutes in die Nüstern kam? Dieser schnüffelte und knurrte erst, dann fletschte er die Zähne und sah die drei böse an. Der Affenmensch schob ihn mit der flachen Hand zurück, da knurrte der Löwe wieder bösartig und schnappte nach ihm.

Wohl ist Numa rasch, rasch ist auch Bara, der Hirsch, aber Affentarzan war wie der Blitz. So rasch und kräftig schlug er zu, daß Dschadbalja auch schon im selben Augenblick auf den Rücken fiel, als er seinen Herrn anknurrte. Er kam schnell wieder auf die Beine und nun standen die beiden und sahen einander an.

Leg dich, befahl der Affenmensch. Leg dich, Dschadbalja. Seine Stimme war leise, aber fest. Der Löwe zögerte noch einen Augenblick, dann legte er sich auf dies Befehlswort nieder, wie es ihm Affentarzan beigebracht hatte. Tarzan drehte sich um und hob den Körper der Antilope auf seine Schulter.

Komm, sagte er zu Dschadbalja. Bei Fuß! und ohne noch einen Blick auf das Raubtier zu tun, ging er nach den Pferden.

Das hätte ich eigentlich wissen können, sagte Korak, dann hätte ich meine hundert Pfund erspart.

Natürlich hättest du es wissen können! lachte seine Mutter.


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