Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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5. Neuer Tag

Ich erwachte durch Flügelschläge über meinem Kopfe.

Große Vögel kreisten hoch oben in langen, erwartungsvollen Zügen, während die Sterne verlöschten.

Bei einer sanften Brise wogten weiße Morgennebel über die Wiesen den Höhen zu.

Kaum war die Sonne am Horizont aufgegangen, als die Vögel in brausenden Scharen auf den Herrn des Lebens zuflogen, mit Morgengold auf ihren Federn.

Das Licht entfaltete seinen Fächer und grüßte Meer und Insel und alle Dinge, die sind. Es lüftete den Schleier von den Wiesen, vergoldete die Höhen und weckte die Lichtgeborenen aus ihrem Schlaf.

Sie erhoben sich mit blanken Augen, und das Licht nahm sie in seine Arme und führte sie einem neuen Tage entgegen, – dasselbe Licht, das brennt und schmerzt, wenn die Dunkelheit davon betroffen wird.

Ertönt Gesang, während das Leben von neuem rinnt, oder ist es das Sausen der großen Vögel über der Insel?

Auch ich erhob mich im Lichte.

Was ging mit mir vor in dem wunderbaren Bade?

War ich eine Pflanze, die welke Blätter abstieß und einen neuen Frühling erlebte?

War ich ein mauserndes Tier, wechselte ich das Gefieder, oder wurde ich nur von alten Gewohnheiten befreit, wie man alte Kleider von sich abstreift?

Mein Gemüt erbebte jung und empfindsam, als ob ich, in einer einzigen Nacht, alle Schwere aus Körper und Seele herausgeschlafen hätte.

Toko kam über die Wiese auf mich zugelaufen. Plötzlich stieß er einen Ruf des Erstaunens aus und blieb stehen.

Ich war es und war es dennoch nicht!

Ich jubelte ihm zu, und zusammen liefen wir die Anhöhe hinab auf den lichten Menschenhaufen zu, der mit aufwärts gewandten Gesichtern der Sonne ihren Morgengruß darbrachte.

Als wir den Fuß der Anhöhe erreicht hatten, trat er, der sich ›Zünder‹ nannte, auf uns zu.

Er will uns hindern, der heiligen Schar zu folgen, dachte ich betrübt.

Sein Angesicht aber ruhte voller Freude auf uns. Er näherte sich uns, und bevor ich mich versah, fühlte ich seine Hände; er legte die seine auf meinen Kopf und strich mir mit der anderen über den ausgestreckten Arm, wie ich es gestern gesehen hatte.

Es war ein Gefühl, als ob ein riesiger Magnet auf meinen Kopf gelegt würde, und als ob dieser Magnet mit einem Schlage mein Wesen aufrichtete, meinen Willen, meine Lust, meine Hoffnung wie Stahlspäne zum Licht hob, während alle wilden Schößlinge des Gemütes, Schuld und Übel wie flüchtende Dunkelheit durch meine Füße in die Erde sanken, wo sie hingehörten.

Übrig blieb ein inneres Licht in einer gereinigten Seele und die herrliche Freude einer ewigen Jugend.

Auch in Toko wurde die Wandlung vollbracht.

Und sieh, die Schar nahm uns auf: Hände wurden uns entgegengestreckt, Schleier umwogten uns –

Wir waren in ihnen eine neue Freude, und sie in uns ein jubelnder Sieg.

Zusammen zogen wir zum Strande, um dem Herrn des Lebens zu huldigen, der sich über dem Meere erhob.

Eine Kraft berührte mich, ein ferner Ruf; im Lichte aber war die Ferne nah und die Nähe fern.

Ich drehte den Kopf, und meine Augen trafen das Boot, dessen Steven hoch über den Sand ragte.

Und wie meine Augen noch dahin gerichtet waren, sieh, da saß eine Frau dort auf der Reling und hielt ein Kind im Schoß. Sie blickte sich suchend um, bis ihr Auge das meine traf –

Da hob sie ihr Kind hoch über ihren Kopf und streckte es mir entgegen –


Ich erwachte und sah, daß ich auf einem Strande lag; mein Kopf ruhte gegen den Stamm einer Kokospalme.

Ich hörte ein Rauschen und sah, daß ein Strom ganz in der Nähe über Korallblöcke schäumte –

Das alles kam mir bekannt vor –

Ja, es war wirklich Waniwanus Basaltklippe dort draußen mitten in der Brandung – und das rauschende Wasser war Tulas Tochter, die sich lachend und hüpfend in die offenen Arme der Lagune stürzte.

Dort am Strande lag mein Boot, es leuchtete im Sande mit hocherhobenem Steven.

Und sieh – saß dort nicht die Frau auf dem Bootsrand und hob das Kind zu mir empor?

»Oasu!« – rief ich und richtete mich auf.

Sie stieß einen Schrei aus, sprang herab, und indem ihr Tränen die mageren Wangen herabstürzten, kam sie auf mich zugelaufen. Das Kind lachte, reckte die Arme, wollte zu mir – ein Herzensjunge war es – eine wahre ›kleine Sonne‹ –

Sie legte es mir zu Füßen und wich dann wieder ein Stück zurück; sie wagte nicht, ungerufen näher zu kommen.

Sie warf sich auf die Knie. Zwischen Lachen und Weinen, der Wahnsinn leuchtete ihr aus den großen blanken Augen, rief sie:

»Sieh, Herr, dein Kind! Hab' ich es nicht gut gehütet?«

Dann begriff ich und erkannte Tarusa, wie Talao und ich sie im Walde gesehen hatten – als sie darauf wartete, daß Nadi-Nado in seinem strahlenden Kanu kommen sollte.

Ein Jubelschrei erklang, er schien aus der Höhe zu kommen – Toko war es. Er saß in der Krone einer Kokospalme, um Nüsse zu pflücken, hatte jemanden sprechen gehört, blickte herab und sah, daß ich mich aufrichtete –

Im nächsten Augenblick stand er neben dem Baum und warf sich mir zu Füßen.

»Ich fürchtete, du würdest nie mehr erwachen,« schluchzte er, »seit der Segelbaum dich auf den Kopf getroffen hat, hast du geschlafen! – Oh, Herr meines Lebens, drei furchtbare Tage hat es gedauert! Zuerst kam ein Nebel, hinter dem böse Geister herschlichen; sie faßten um die Reling des Bootes und wollten sich dessen bemächtigen, so daß ich es mit den Rudern verteidigen mußte. Als der Nebel sich endlich teilte, war unsere eigene Insel verschwunden, und ich mußte nach dem großen Licht im Süden steuern. Plötzlich aber verschwand auch das, – eine ungeheure Dunkelheit verschloß den ganzen Himmelskreis, ein furchtbares Unwetter raste über uns, daß uns hin und her schleuderte, ich mußte dich festbinden, damit du nicht herausgeworfen wurdest. Ein entsetzliches Donnergetöse erklang, und gleich darauf wurde ich von einem furchtbaren Licht auf den Boden des Schiffes geschleudert. Die Wellen hoben sich um uns her, – es war, als ob das Meer sich öffnete, um uns zu verschlingen. Als die Nacht kam, wurde das Meer ruhig –, aber vom Himmel regnete es jetzt Licht herunter; die Geister schossen herab, aber sie konnten uns nicht finden, ich hatte dich mit der Segelmatte zugedeckt, und ich selbst war unter das Regentuch gekrochen. Der Morgen, der dem Unwetter folgte, war strahlend, und sieh, aus dem leuchtenden Wasser tauchte gerade vor uns eine Insel auf. Ich glaubte, es sei die ›Insel auf der Sonnenseite‹, die wir erreicht hatten, so wunderschön war sie. Ich entdeckte einen Mund zwischen den Riffen, und als ich das Boot glücklich hindurchgesteuert hatte – sieh, da war es unsere eigene teure Insel von der Wattiwua-Seite. Ich steuerte um die Lagune herum und landete an unserer bekannten Küste.

Sieh, dort fließt Tulas Tochter in die Lagune – und dort ist Waniwanus Klippe.«

Er hielt inne, um Atem zu holen. Da erst fiel ihm ein, sich nach dem umzusehen, der vorhin gesprochen hatte.

Die Frau hatte sich erhoben und war zu dem Boot zurückgeflüchtet.

Starr vor Staunen, mit runden Augen, blickte Toko auf das Kind, das zu meinen Füßen plauderte und lachte.

»Oasu!« rief er, und sein Blick wanderte von mir zu dem Kinde und wieder zurück. Er atmete tief auf und sagte mit bebender Stimme:

»Drei Tage und drei Nächte sind wir im Blinden herumgeirrt, um ihn zu suchen – und siehe: nun ist er auf unserer eigenen Insel vom Himmel gefallen!«

»Ali hat deine Klage gehört,« fuhr er flüsternd fort und legte den Kopf in den Nacken, um zu sehen, ob er ihren Geist nicht irgendwo dort oben zwischen den fächelnden Palmenblättern erspähen könnte.

Ich erhob mich, nahm das Kind in meine Arme und drückte es an mein Herz, als ob es mir wirklich von Ali aus ihrem Himmel gesandt worden sei.

Vom Steven des Bootes her blickte Tarusa auf den Knaben und mich mit strahlenden Augen – so glücklich, wie nur einer sein kann, den eine gnädige Vorsehung seines Verstandes beraubte.


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