Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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11. Wirf Berg und Insel ins Meer!

Ich erwachte dadurch, daß das Geräusch vieler ferner Stimmen durch das offene Fenster drang.

Ich erhob mich und trat auf die weiße Terrasse, wo die Sonne bereits wärmte.

Da sah ich, wie eine Schar bewaffneter Männer mit anschließenden, grauen Helmen auf den großen Köpfen sich die steilen Stufen heraufarbeitete.

Ich kannte sie nicht, als ich zu meinem größten Erstaunen den runden Kopf der Königin mit dem elfenbeinweißen Gesicht unter der blauen Mütze sah. Sie wurde heraufgetragen.

Ich hörte einen bekannten Ausruf. Zwei Arme winkten mir, – Toko war es, der zwischen den letzten Kriegern ging. Seine weißen Zähne leuchteten mir vor Wiedersehensfreude entgegen.

Inzwischen war der Tragstuhl mit der Königin oben angelangt. Sie stieg aus und stand auf der Terrasse. Und indem ihr Gefolge die Treppe besetzte, die im Schatten lag, trat sie auf mich zu, indem sie die Hände vor die Augen hielt.

Ich sah, wie das Licht sie schmerzte, wie sie sich gedemütigt fühlte –

»Ich dachte, du seist umgekommen,« sagte sie.

»Warum?«

»Kaum eine Stunde, nachdem du den Abstieg begonnen hattest, zeigte der Sprengungskontakt, daß die Leitung im Felsengang gestört sei.«

»Ich habe sie durchschnitten.«

»Warum?«

»Ich fürchtete, der Strom könnte geschlossen werden.«

Der Lichtwärter, der sich ›Zünder‹ nannte, kam jetzt von der anderen Seite der Terrasse.

Als er auf die Königin zuging, trat sie, wie in Angst, einen Schritt zurück.

Ich sah, wie sie mit sich kämpfte. Die Voraussetzungen ihrer Natur hatten ihre Grenze erreicht: sie, die unbegrenzte Herrscherin des Nebels, dem lebendigen Licht gegenüber! Sie empörte sich selbst über den Schritt der Angst, den sie in Gegenwart ihrer Untergebenen gemacht hatte.

Wahrscheinlich war es der Gedanke an ihr Kind und dessen Verzauberung, der ihr schließlich die Herrschaft über sich selbst zurückgab. Ihre Stimme aber zitterte noch, als sie zu reden anhub:

»Armselig ist der Berg, wie ich es vorausgesehen habe. Nur elende Hütten habe ich auf dem Pfade gesehen, nur den harten Klang der Hacke auf Stein habe ich gehört. Kein Nebelbewohner würde so leben. Und dennoch habe ich Zufriedenheit in den Augen deines Volkes gesehen.«

Sie hielt inne, stellte sich mit dem Rücken gegen das Licht und ließ ihre Augen über die Bergwand schweifen, wo das Bergvolk sich auf dem Pfade hinter den Bewaffneten angesammelt hatte.

Sie blickte lange in die nach aufwärts gewandten Gesichter. Vielleicht suchte sie nach bekannten Zügen, – Menschen, die sie im Laufe der Jahre nach dem Berge verbannt hatte; vielleicht fand sie sie auch.

Als sie ihre Stimme wieder erhob, sprach sie mit tiefer Überlegung, mehr zu sich selbst als zu dem, der sich ›Zünder‹ nannte:

»Die Menschen, die wir verbannten, waren Aufrührer; sie empörten sich gegen den Nebel und seine heiligen Gesetze. Wir verbannten sie nach dem öden und barschen Berge. Zur Strafe bekamen sie harte Arbeit, damit sie das, was sie verspielt hatten, schätzen lernten; sie essen ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts, und dennoch leuchten ihre Augen von innen heraus mit einem Glanz, den ich nicht bezeichnen kann.«

»Das ist Glück.«

»Gut, – du nennst es Glück.«

Sie war wieder ganz Königin, Herr ihrer Stimme und Worte, als sie fortfuhr:

»Die Strafe, die ich ihnen zuerteilte, hast du zu einer Belohnung umgewandelt. Ich bin den mühsamen Weg heraufgekommen, weil ich glaubte, du habest meinem Boten Gewalt angetan. Ich kam, um ihn zu rächen. Jetzt sehe ich, daß ich mir den Weg erspart haben könnte. Trotzdem bereue ich ihn nicht, denn ich habe bei dieser Gelegenheit gesehen, daß du eine Macht besitzest, die nicht geringer ist, als die meine.

Höre: Ich kann deinen Leuten dieselbe Kost und Unterkunft gewähren wie meinen Nebelbewohnern, bei leichteren Arbeitsbedingungen, ohne Hacke und Arbeitsschweiß, durch Benutzung von Maschinen, die leicht zu hantieren sind, – und du sollst dafür meinen Leuten das geben, was du Glück nennst, ein Wort, das wir nicht kennen. Laß uns einen Pakt schließen: Du gibst mir und den Meinen das Licht, das du von dem Kreuze dort oben über der Kuppel entleihst –«

Sie senkte die Stimme, damit ihr Gefolge die Fortsetzung nicht hören sollte – »und das du in einer Stunde der Verblendung bereits einem der Unsrigen gegeben hast. Du weißt, was ich meine –«

Darauf hob sie ihre Stimme wieder:

»Und ich werde dir und den Deinen die Annehmlichkeit der leichten Arbeit geben, werde dich als meinesgleichen anerkennen und zum Könige an meiner Seite machen. Ich werde die Mauer zwischen deinem Berge und meiner Insel schleifen lassen, werde meine Nebellichter, die große Turmsonne und alle kleinen Lichter auslöschen. Statt dessen sollst du Ableger deines Lichtes überall in meinem Nebel pflanzen. Die Kuppel hier aber sollen meine Leute so groß machen, daß sie ganz bis an jene Fackeln reicht, damit sie von der mächtigen Wölbung statt von jenem alten morschen Kreuz dort oben getragen werden. Und deine kleine weiße Hütte hier auf der Terrasse werde ich so herrlich ausbauen lassen, wie es sich für eine Wohnung von uns beiden geziemt, und von wo wir gemeinsam unsere Völker regieren wollen.«

Das bewaffnete Gefolge mit den Helmen, die gegen alle Waffen gefeit waren, und das arme Bergvolk, das sich auf dem Abhang drängte und keine anderen Waffen besaß, als den Lichtschimmer im Auge und die Flamme über der Stirn, die jedoch in dem starken Tagesschein schwer zu sehen war – sie alle richteten ihre Augen in höchster Erwartung auf ihn, der sich ›Zünder‹ nannte –

Sie sahen ihn auf die Königin zugehen, sie sahen den seltsamen Glanz in seinen Augen, als er begann:

»Königin über Nebel, und was dessen ist, was weißt du von dem ewigen Licht? Du sahst nur einen Funken davon in dem Auge deines Kindes –«

»Du siehst es über deinem Haupte und zu deinen Füßen leuchten, das Wesen des Lichtes aber erfaßt du nicht. Du meinst, es sei käuflich, und kommst mit bewaffneter Gewalt, um es zu erkämpfen, falls es nicht feil sein sollte. Das Licht aber kann nur der erobern, in dem es Wohnung haben kann. Suche es, wie diejenigen, die du verbanntest, weil sie es hinter dem Nebel ahnten und davon kündeten, – und du wirst es finden.

»Königin, kehre mit deiner Leibwache zu deinem Nebel zurück. Nimm dein Kind in die Arme –«

Ich sah das Erstaunen in den Augen der Bewaffneten: Das Kind der Königin? – Wer kennt sein Kind?

»– trage es aus dem Nebel, trage es ohne Gefolge, auf deinen Füßen, über den mühsamen Pfad, den du jetzt kennst, der von den Verbannten in den Fels gehauen ist, damit sie das Licht finden konnten. Trage es bis zur Zinne hinauf, läutere dein Herz und wirf dich betend auf dein Angesicht, wie die Geringsten deines Volkes, und das Licht wird sich auch deiner erbarmen und den Nebel in deinem Gemüt zerteilen.«

Der Kopf der Königin schwankte, die Augenbrauen bebten, ich sah, wie ihre Lippen zitterten. Das Grau des Auges wurde ein tiefes Schwarz.

Ich verstand, was in ihrem Gemüt vorging. Sie litt unter der Demütigung, die ihr in Gegenwart aller erteilt worden war, und lauschte auf die Unruhe, die ihr aus der Schar der Bewaffneten entgegenschlug. Hatte die eigene Königin sich einer Gesetzesübertretung schuldig gemacht?

Sie richtete ihren Blick auf die Treppe und begegnete dem Zorn in den nach aufwärts gerichteten Augen, sie sah, wie der Zorn bereits zur Drohung schwoll –

Aus den Augen der knienden Bergbewohner aber begegnete ihr das Licht, und ihr war, als ob alle diese lebendigen Feuer zu einer einzigen Flamme wurden, die nach ihr leckte.

Da verlor sie den Kopf, da griff sie nach dem ›Todbringer,‹ den sie als Königin in ihrem Gürtel trug, und schleuderte ihn gegen die züngelnde Flamme.

Ein Knall, ein Jammerschrei. Als die Giftnebel sich verteilt hatten, lagen mehrere der Knienden tot auf dem Boden, und das Licht in ihren Augen war erloschen.

»Sieh selbst, was aus deinem lebendigen Licht geworden ist!« rief sie hohnlachend.

Er aber, der sich ›Zünder‹ nannte, warf sich auf die Knie, streckte die Arme zum Holzkreuz über der Kuppel empor und rief in großer Bewegung:

»Sieh, dies ist der Mensch, den du aus Licht und Dunkelheit schufest, das Wesen, das dir zum Bilde sein sollte und deinem Sohn, den die Menschen am Holz kreuzigten, als du ihn zur Rettung aus ihrer Not sandtest. Als er aber am Kreuz hing, da wandtest du dein Antlitz von ihnen und verdammtest sie zu ewigem Nebel. Sieh, hier kommen diese Nebelmänner und ihre Königin, die dich noch immer verleugnen und nichts gelernt haben. Wie sie deinen Sohn töteten, so wollen sie auch dein Licht aus seiner Wohnung verdrängen!

»Vernichte diese Wesen,« rief er in äußerster Empörung, »die zum Bilde dessen erschaffen wurden, den sie beständig verraten!

Schone sie nicht der wenigen wegen, die dich durch den Nebel suchten und fanden!

Ich rufe dir zu: Wirf den Berg und die Insel ins Meer! Laß eine neue Insel erstehen und ein neues Wesen, das dein Reich empfangen und dein Licht bewahren kann!

Dein Reich komme – dein Reich komme!«

Und er warf sich auf sein Angesicht.

Der Berg erbebte in seinen Grundfesten. Die Terrasse, worauf ich stand, bekam vor meinen Augen einen Riß. Die hohe Kuppel schwankte.

Die Königin griff durch die Luft, ich sah, wie Entsetzen von ihrer elfenbeinweißen Stirn leuchtete. Aber nur einen Augenblick. Dann wandte sie sich an ihre Bewaffneten, die in Angst und Ratlosigkeit ihres Befehls harrten.

Ich sah, wie sie ihrem Gürtel die Giftnadel entriß, die jeder Inselbewohner bei sich trägt, um sich den Tod zu geben, wenn das Leben keinen Wert mehr für ihn hat, und die ihm sofort einen schmerzlosen Tod bereitet.

Ihre Leibwache begriff und folgte ihrem Beispiel.

Wieder erbebte der Berg in seinen Grundfesten.

Der ehrwürdige Nebel, der über der Insel lag und den Berg bis zur Hälfte einhüllte, hob sich in mächtigen, losgerissenen Fetzen und näherte sich dem Gipfel.

Die Bewaffneten warfen sich auf die Stufen und klammerten sich an den Stein, während das Bergvolk die Köpfe im Gebet zu dem harten Fels hinabsenkte, dem sie ihre ganze Kraft gegeben und als Gegengabe das Licht erhalten hatten.

An den Armen des bescheidenen Holzkreuzes aber flackerten die Flammen, als würden sie zum klaren Himmel hinaufgezogen, und konnten sich nicht losreißen.

Die Königin sah es. Voll wilden Trotzes höhnte sie das lebendige Licht, das in Angst oder Schwäche zu erbeben schien.

Und indem sie sich mit der Linken die Giftnadel in die Brust stieß, riß sie mit der Rechten den ›Todbringer‹ aus ihrem Gürtel und schleuderte ihn gegen das Kreuz.

Es schwankte und fiel.

Im Fall aber verließen die Flammen die glimmenden Dochte und verlöschten am Himmel mit einem Seufzer.

Als ob das Licht aber die Fessel gewesen wäre, womit die Kräfte des Berges gebunden waren, ging ein unterirdischer Lärm, wie ein jubelnder Befreiungsschrei, durch den dunklen Berg –

Das Innere des Felsens wurde unter Donnergetöse gesprengt, der Berg barst von oben bis unten, der Nebel schoß in wilden, zerrissenen Wolken nach oben –

Dann wurde alles dunkel.

In wirbelnder Geschwindigkeit wurde ich nach unten gesogen – und fühlte nichts mehr.


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