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Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Inhalt

Inhalt

  • Laurids Bruun
  • Die weite Reise
  • 2. Tokos Trost
  • 3. Nadi-Nados Lehre von den höchsten Dingen
  • 4. Die Hand und das Licht
  • 5. Aussteuer und Abreise
  • Die Insel der Dämmerung
  • 2. Der Wald der Wahnschöpfung und die Dahingegangenen
  • 3. Still – der Herrscher kommt!
  • 4. Die Wespe mit der menschlichen Stimme
  • 5. Das Fohlen in der Felsenhöhle
  • 6. Der Giftstich und die Flucht
  • 7. Die Höhle mit den lebenden Wänden
  • 8. Im Zeichen der Entstellung
  • Die Zinneninsel im Nebelmeer
  • 2. Der unterirdische Strom
  • 3. Die Wache, der Turm und die wandernde Straße
  • 4. Im Gemach der Königin
  • 5. Nichts anderes in der Welt –
  • 6. Die Gefängniszelle im Nebel
  • 7. Das Kind und der Tod
  • 8. Er, der sich ›Zünder‹ nannte
  • 9. Durch den Berg, den unfruchtbaren und öden
  • 10. Unter dem lebendigen Licht
  • 11. Wirf Berg und Insel ins Meer!
  • Die Insel der schimmernden Höhen
  • 2. Die Insel, die aus dem Meer emporstieg
  • 3. Die Schar der Lichtgeister, ihr Wesen und ihr Schutz
  • 4. Verirrte Schatten
  • 5. Neuer Tag
Laurids Bruun

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3. Still – der Herrscher kommt!

Wir schlichen durch den Wald. Jedesmal, wenn ein Tier von einem Stamm zum anderen sprang, wichen wir schnell aus, damit es uns nicht berühren konnte.

Als ich aber einmal beiseite sprang, damit ein Wesen, das an mir vorbei wollte, mich nicht berührte, stieß ich mit dem Kopfe gegen einen Ast, und sofort regnete von der Krone Wutgeheul aus weit aufgerissenen Affenrachen auf mich herab. Denn der Ast, den ich berührt hatte, war eine schlafende Tigerschlange von der Sorte, wie wir sie schon am Strande gesehen hatten.

Sie öffnete ihre Augenspalten, die Geierkrallen schossen aus den Knoten: schon spielte die Zungenspitze zwischen den Giftzähnen, als Toko ihren Kopf mit seinem Arm beiseite stieß. Im selben Augenblick aber war auch er sichtbar geworden. Und jetzt klangen von Krone zu Krone drohende Warnungsrufe.

Während ich mich gegen die jungen Affenmännchen wehrte, die sich herabreckten, um meinen Kopf zu fassen, war die Tigerschlange hinter meinem Rücken zur Erde gesprungen. Als ich mich umdrehte, sah ich ihre gelben, stechenden Augen geradeswegs auf die meinen gerichtet. Sie stand auf ihrer Schwanzspitze und hatte die Geierkrallen zum Ausfall gespreizt.

Ich sprang zurück und hob den Büchsenkolben, um ihren Kopf zu zerschmettern, bevor aber der Schlag sie noch getroffen hatte, sank das Tier zu Boden: vor mir, wo es auf seinem Schwanz gestanden hatte, lag ein zusammengerollter Klumpen wie ein Stachelschwein.

Mein Erstaunen wurde von einem einstimmigen Lachgebrüll begrüßt. Über mir saßen die Wesen so dicht, wie die Äste sie nur tragen konnten. Es war, als ob ein einziges Ungeheuer aus vielen gierigen Mäulern seine Zähne zeigte und mit vielen wutzitternden Gliedern nach mir griff.

Während ich auf den Feind über meinem Kopfe achtgab, schoß die Tigerschlange wieder in die Höhe; sie war mir so nah, daß die Geierkrallen mich fast erreichten. Ich sah, wie die Muskeln an ihrem Halse sich zum Sprung spannten, und wenn nicht Toko Zeit gehabt hätte, einen Pfeil auf seinen Bogen zu legen, wäre es sicher um mich geschehen gewesen.

Toko traf mit voller Kraft die Stelle, wo er das Herz des Tieres vermutete, wenn es überhaupt so etwas unter seiner Zauberhaut barg.

Die Geierfüße aber griffen blitzschnell um den Pfeil und verhinderten die Spitze, einzudringen; der Stoß aber war so stark gewesen, daß das Tier sich ein paarmal um sich selbst drehte, bis es das Gleichgewicht wiedergewonnen hatte und tanzend auf seiner Schwanzspitze stand.

Ich war zurückgesprungen und hielt mein Gewehr schußbereit. Zwei Schüsse drangen in die Stelle, wo Tokos Pfeil getroffen hatte. Der Schuß verhinderte den Sprung, worauf der Schwanz eingestellt war, der Körper wand sich in der Luft und fiel in Todeskämpfen zur Erde.

Einen Augenblick herrschte Totenstille. Da klang ein ferner Posaunenton durch den Wald.

Die Affen rotteten sich zusammen und gaben keinen Laut von sich. Es war, als ob alle großen und kleinen Tiere in der Luft und auf der Erde den Atem anhielten. Aber nur einen Augenblick; dann raschelte es unterm Laub, grunzte von den Ästen, knirschte und knisterte im Waldboden. Sogar der Strom der Dahingegangenen, der wie eine graue Mauer zwischen den Stämmen stehengeblieben war, um voller Schadenfreude die Verfolgung der beiden zu genießen, die weder zu den Mißgestalteten noch zu ihrem eigenen Zuge gehörten, sogar sie fingen an zu zetern und zu schimpfen.

Wieder ein Posaunenstoß.

Diesmal hatte ich die Empfindung, daß die Laute ringsumher eher Neugierde als Zorn ausdruckten. Hatte ich die Worte der Mißgestalteten, die überall getuschelt und geflüstert wurden, deuten sollen, ich glaube, sie besagten: »Still, der Herrscher kommt!«

Nicht lange, und man hörte Schritte im Walde. Affen lösten sich aus dem Haufen und reckten die Hälse von den Ästen. Ringsum aus Löchern in Baumstümpfen und im Waldboden sah ich neugierige Schnauzen. Die grauen Dahingegangenen drängten und stießen sich zwischen den Stämmen, um besser zu sehen.

Toko und ich drückten uns gegen den Baum, vor dem wir standen, in der Hoffnung, daß man uns in der allgemeinen Erwartung vergessen würde –

Und der Herrscher kam!


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