Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Der Giftstich und die Flucht

Ich erwachte dadurch, daß etwas mich im Ohr kitzelte.

Im Halbschlaf fuhr ich in die Höhe, um es zu greifen. Da hörte ich ein heftiges Summen und im selben Augenblick erinnerte ich mich der Wespe mit Wahujas Stimme.

»Wahrend du geschlafen hast, habe ich große Dinge verrichtet. Ich habe den Herrscher hinters Ohr und sein Weib unter den Arm gestochen. Ehemals stach ich mit Gedanken und Zunge – du erinnerst dich wohl – jetzt steche ich mit einem Stachel; die Wirkung des Giftes aber ist dieselbe; jetzt wie ehemals tötet es. Höre nur!«

Der Zentaur schlug mit den Hufen gegen die Felswand, um sich aufzurichten, fiel aber immer wieder schwer zurück. Er versuchte zu rufen, der Posaunenlaut aber wurde zu einem tiefen, hohlen Röcheln.

Entsetzt sprang ich auf und drückte mich gegen die Wand, damit der schwere Körper sich nicht auf mich wälzte und gegen die Felswand drückte.

Jetzt erwachte auch die Stute; ich hörte, wie sie sich reckte und mit den Hufen schlug. Als sie merkte, daß sie nicht die Kraft hatte, sich zu erheben, stieß sie ein erschrecktes und zorniges Gewieher aus, das der Hengst mit schwacher Stimme beantwortete.

Die Stute schob sich über den Boden, um zu ihm zu gelangen. Da begann auch sie zu röcheln. Ich verstand, daß sie einander ihr Leid klagten über das Unbegreifliche, das ihnen im Schlaf zugestoßen war, ohne daß sie einen Feind gesehen oder gehört hatten.

Eine Drohung, die trotz der Machtlosigkeit durch die Stimme des Hengstes klang, ließ mich ahnen, daß sein Verdacht auf mich gefallen sei. In meiner Angst bildete ich mir ein, daß ich seinen Atem über mir hören konnte.

Die Stute stieß jetzt einen Schmerzensschrei aus, den Todesschrei. Er endete mit einem röchelnden Jammern, wurde zu einem Seufzer, dann Schweigen.

Der Schrei hatte das Fohlen geweckt. Ich hörte, wie seine Hufe gegen den Steinboden klapperten. Ich hörte das angstvolle Rufen, aber nur der Vater antwortete mit einer tiefen, verhallenden Klage, bis auch sie verstummte.

Wieder war die Wespe in meinem Ohr.

»Paß auf,« sagte sie vergnügt, »jetzt verschwinde ich durch das Loch über dem Steinblock dort hinten. Du siehst, daß der Tag bereits dämmert. Das Fohlen habe ich deinetwegen geschont. Unterhalte dich gut mit ihm, bis die Hunde kommen, um guten Morgen zu sagen, und die Höhle offen und den Herrscher stumm finden.«

»Vergiß dein Versprechen nicht!« rief ich ihr flüsternd nach. Sie aber war bereits durch die Ritze über dem Steinblock verschwunden.

Ich hörte, wie das Fohlen bei den Alten herumstöberte. Es begriff nichts. Woher sollte es auch wissen, was Tod war? Es merkte nur, daß die Eltern dalagen und sich nicht rührten, wie sehr es auch rief und bat. Dann sprang es auf, warf sich mit aller Gewalt gegen den Steinblock einmal, noch einmal; mit einem Krach fiel er um, während das Fohlen in der Öffnung verweilte.

Noch war es Nacht. Das Licht, das durch die Ritze fiel, war nicht das Dämmern eines neuen Tages, sondern nur der flackernde Widerschein des größten Kraters, welcher Rot spie, mit einem leisen Husten, der aus der tiefsten Tiefe kam.

Im Handumdrehen war ich an ihrer Seite. Ich wollte fliehen. Indem ich sie aber streifte, um vorbeizukommen, hielt ihre stumme Ratlosigkeit mich zurück.

Sie stand im flackernden Lichtschein, den Kopf auf die Dunkelheit der Höhle gerichtet, wo ihre Eltern auf dem Steinboden lagen und weder hörten noch sich bewegten.

Sie hielt ihre Hand auf das Muttermal gepreßt. Als ich an ihr vorbeiging, wandte sie langsam den Kopf, als überlege sie, ob sie mir folgen sollte, nachdem die Alten sie im Stich gelassen hatten. Meine seltsame Halbheit, worüber sie gestern gelacht hatte, beachtete sie heute gar nicht, – vielleicht weil ich ihr zugewandt stand und sie nicht sehen konnte, was mir fehlte.

Zögernd stand ich am Kraterrande. Da kam sie auf mich zu, wie ein junges Mädchen, das nicht weiß, was es will, noch welchen Schritt es machen soll.

Sie kam auf mich zu, Kopf, Haar und die hohe Brust eingehüllt in den roten Flammenschein des Kraterfeuers aus dem Grunde des Tales, Beine und Hinterkörper waren von dem Dunkel der Nacht verdeckt, so daß ich vergaß, wer sie war.

Ich hielt sie für ein Menschenweib, und eine Erinnerung griff mir ans Herz: So war Ali mir eines Nachts auf dem Strande entgegengekommen, eingehüllt in den roten Flammenschein der wogenden Fackeln, die die Fischer über der Lagune schwangen.

»Ali,« flüsterte ich und streckte meine Hand nach ihr aus.

Beim Flammenschein glitt Alis Lächeln über ihre Lippen, Alis weiße Zähne leuchteten. –

Am Kraterrande stand ein Mädchen, schlank und dunkel, Alis blendendes Bild. Ich trat ihr näher und im nächsten Augenblick lagen ihre Arme um meinen Hals, und meine um ihren Rücken.

Ein Schrei in der Luft trennte uns. Über uns schwebte ein Nachtvogel mit großen dunklen Schwingen.

Ich begegnete dem Feuer in seinem Blick; mein Instinkt sagte mir, daß er bei Nacht ebensogut sehen könne wie bei Tage. Er öffnete seinen Schnabel und schrie mit erhobenem Kopf seine Wut heraus, weil der Fremde die Tochter des Herrschers in seinen Armen hielt.

Seine Augen suchten die Höhle, und als er die leere Dunkelheit sah, schrie er, als wollte er allem Lebenden auf der Insel verkünden, welche Untat dort in der Nacht verübt worden sei.

Unten im Kraterbecken erwachten die Hunde in ihren Höhlen. Ein unheilverkündendes Gebell klang durch die Talsenkung, das von überallher Antwort bekam. Kurz darauf wurde aus allen Himmelsrichtungen gekläfft, man konnte hören, daß die Tiere Fährte suchten.

Sie riß mich mit sich, bald springend und taumelnd, bald laufend und stolpernd, bis wir die Hunde nicht mehr hören konnten.

Schließlich gelangten wir zu einer Ebene, wo verstreute Büsche standen. Die Luft war lau und schwer.

Sie lief wie ein sausender Wind, ohne Müdigkeit und Schwere. An mir aber lief der Schweiß in Strömen herab, und bald zwang mich Atemnot, langsamer zu laufen.

Schließlich machten wir halt und lauschten. Die Nacht war still; kaum aber hatten wir uns niedergelegt, um zu ruhen, als ein ferner Lärm aus dem Walde erklang.

Beim ersten Morgengrauen sahen wir ein fliegendes Meerpferd von der Lagune kommen.

Auf der offenen Ebene gab es kein Versteck, und es wurde mit jeder Minute heller. Wir mußten uns in den Wald der Affen retten; bevor wir ihn aber noch erreicht hatten, hörten wir die klappernden Flügelschläge.

Nur wenige Sekunden später sahen wir den Riesenleib am Waldrande. Kaum war das Tier unser ansichtig geworden, als es sein Schwanzruder umlegte und in einem langsamen Bogen auf uns zukam.

Wie der Nachtvogel hatte es wahrscheinlich auch die Tochter des Herrschers erkannt und ahnte Unheil, denn es reckte seinen Walroßkopf und wieherte wütend über unseren Köpfen.

Wir hielten uns an die Stellen, wo mehrere Büsche zusammenstanden, so daß das Meerpferd nicht landen konnte.

Durch eine Senkung eilten wir, zwischen zwei langgestreckten Hügeln, auf ein dichtes Gebüsch zu, wo wir uns verstecken konnten.

Von dem Gebüsch strich ein kühler Windzug über den Boden, und gleich darauf strich ein lauer Wind von der Talfurche auf das Gebüsch zu. So wechselte es beständig.

Wir hatten das Gebüsch fast erreicht, als das Meerpferd unser wieder gewahr wurde; es flog jetzt so niedrig, daß es uns fast streifte.

Unter dem Gebüsch mußte eine Öffnung sein, woher sollte der Luftzug sonst kommen? Vielleicht verdeckten die Büsche ein Kraterloch.

Eine andere Rettung als das Gebüsch gab es jedenfalls nicht, denn der Flieger war uns bereits so nah, daß ich seinen fauchenden Atem und das Schwirren der Finnen hören konnte.

Ich beugte mich vor und sah eine dunkle Öffnung, aus der der warme Hauch kam. Dort hinunter konnte der Riese uns unmöglich folgen.

Ich zog sie bei der Hand mit mir; im selben Augenblick aber war es nicht mehr Ali. Es war das Zentaurfüllen mit Hinterkörper und Schwanz; in der Öffnung drehte es sich um, um sich gegen den Flieger, der uns auf den Fersen folgte, zu wehren.

Da saß es fest, konnte weder vorwärts noch rückwärts.

Das Prusten des Riesen klang an mein Ohr. Gleich neben dem Eingang stürzte er auf sie herab und packte sie im Nacken. Mit seinen Mähnenhaaren saugte er sich an ihrer Brust fest und zog sie mit Hilfe der Finne aus der Öffnung. Sie stieß einen Schrei aus und ließ meine Hand los. Wieder schrie sie, diesmal schon ein Stück entfernt, und noch einmal.

Dann hörte ich nichts mehr; denn in dem dunklen Gang, wo ich mich befand, wurde ich vorwärts gewirbelt, obgleich ich mich mit Händen und Füßen gegen die Wände stemmte. Diese aber gaben elastisch nach, und mein Widerstand war umsonst.

So glitt ich beständig weiter durch die enge Dunkelheit, die ohne Ende zu sein schien.


 << zurück weiter >>