Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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4. Die Wespe mit der menschlichen Stimme

Zwischen den Stämmen kam ein graulockiger Riese gegangen. Die Haarfülle hing über die Ohren, und über den großen Augen, deren starkes Blau durch die Dämmerung leuchtete, saßen zottige Augenbrauen. Die vollen Menschenlippen in dem hochgetragenen Kopf waren von einem krausen Zeusbart geschmückt.

Wie er dort gemächlich zwischen den Bäumen angeschlendert kam, während der Atem ihm sichtbar aus den feurigen Nüstern blies, zeigte sein fehlerloser Oberkörper eine grauschimmernde Haut, die von der Hüfte bis über den Unterleib und die starken Schenkel dunkler wurde –

Plötzlich stutzte ich, und Toko griff nach meinem Arm. Denn im selben Augenblick hatten wir beide gesehen, daß er die Beine eines Pferdes hatte! Und nicht nur die Vorderbeine, sondern auch der Hinterkörper mit der grau-blanken Haut und dem Schwanz, der bei dem gemächlichen Gang wie eine Fahne wehte, waren Teile eines feurigen Hengstes, wie man ihn sich nicht schöner vorstellen konnte.

Hinter dem Menschenhengst tauchte jetzt auch die Stute auf, noch jung, goldschimmernd an Haut, die Haare wie Feuer über der niedrigen flachen Stirn, mit glühendroten Apfelbacken und einem vollen Hals; auf der hellen Haut lagen rote Streifen, als ob die Flammen des Haares sie gesengt hätten.

Wahrhaftig, kam dort nicht der Zentaur, der furchtlose, aus einer dunklen Wolke geborene, – das Menschentier, von dem ich als Knabe las – leibhaftig gegangen?

In Wahrheit ein Herrscherpaar, den Mißgestalteten das Licht verheißend, das die Dunkelheit in Gestalt von Schatten stets mit sich führt. Wie dieses Paar Licht vor sich verbreitete, so lag Dunkelheit hinter ihm; denn diese beiden waren die einzigen aus der ganzen Schar der Mißgestalteten, die einen Schatten hatten.

Jetzt begriff ich den Respekt, der sich allgemein kundgab, als die Posaune durch den Wald ertönte, und mit Besorgnis dachte ich, was sich nun wohl ereignen würde.

Als das Paar so nah herangekommen war, daß ich die prustenden Atemzüge hören konnte, fiel der Blick des Hengstes auf mich, und er blieb stehen. Der blaue Metallglanz war so stark, daß er mich blendete. Und während die Tiere ringsum den Atem anhielten, nahm er mich gründlich in Augenschein.

Als er sich schließlich satt gesehen hatte, warf er den Kopf in den Nacken, breitete seine mächtigen Arme aus und ließ eine Lachwelle von kurzen Posaunenstößen durch den Wald rollen.

Auch die Affen breiteten ihre Arme aus, warfen den Kopf zurück und versuchten, die Lachsalve nachzuahmen. Aus Luft und Baumwipfeln gaben alle mißgestalteten Wesen, jedes auf seine Art, dem Herrscher Bescheid.

Sogar die Schar der Dahingegangenen, die sich zwischen den Stämmen drängte, gab eine merkwürdige Mischung von menschenähnlichen Lauten zu Ehren des Herrschers zum besten.

Der Zentaur streckte mir auf Menschenart die Hand entgegen.

Ich schauderte, wagte die Hand aber nicht zurückzuweisen; und indem seine Hand sich mit eisernem Griff um die meine schloß, war es, als ob mir die Sinne vergingen. Einen Augenblick schien ich in der Luft zu schweben, und als ich wieder zu mir kam, saß ich rittlings auf dem Rücken des Hengstes, die Augen auf seinen Nacken geheftet; seine dicke Mähne kitzelte mir das Gesicht, und ein ranziger, schwefliger Geruch von Bockschweiß brachte mich zum Niesen, – ein Laut, den der Affenchor nicht kannte und sofort nachzuahmen versuchte.

Der Zentaur glaubte offenbar, daß es ein Angstschrei sei, denn ich fühlte, wie seine Riesenhand mir beruhigend über das Bein strich.

Mit einem Ruck setzte der Herrscher sich in Bewegung, ich mußte nach seinem Arm greifen, um nicht herunterzufallen.

Im selben Augenblick sah ich, wie die Stute sich nach Toko bückte, der Nase, Mund und Ohren aufsperrte, und im Handumdrehen hatte sie ihn auf ihren Rücken gehoben; so schnell war es gegangen, daß ihm keine Zeit zum Widerstand geblieben war.

In behaglichem Trab ging es durch den Wald, während die kleinen Tiere zur Seite wimmelten, um nicht unter die Hufe zu geraten. Ein armes, tränentriefendes Beuteltier, den Leib voll von neugierigen, nacktblanken Jungen, wich nicht schnell genug zur Seite und endete in den Armen eines Affen, der sich von einem niedrigen Ast herabreckte.

Der Herrscher war offenbar guter Laune. Jedesmal, wenn sein Auge auf einen grauen Dahingegangenen zwischen den Stämmen fiel, hielt er seine Nase auf ihn gerichtet und blies ihn mit dem Dampf an, daß er hinfiel.

Hin und wieder wechselte das Herrscherpaar Bemerkungen, in einer Sprache, die wie kurze Stoßlaute klang, als wenn die großen Blasinstrumente in einem Orchester gestimmt werden. Ab und zu kam ein voller Posaunenton, den ich durch den Pferderücken ganz bis in meinen Nacken spürte.

Die Affen folgten uns von Baum zu Baum. In jedem neuen Baum saßen neue Paare, die auch sehen und hören wollten, schließlich kam es zu einem so wilden Gedränge, daß die Äste brachen. Der Herrscher aber machte nur einen Schritt zur Seite, und gleich teilte sich die Schar, und die Ruhe war wieder hergestellt.

Eine Tigerschlange aber, die in einem brechenden Ast wohnte, benutzte die Gelegenheit, um mit ihren Geierfüßen nach Toko auf dem Rücken der Stute zu greifen.

Der Hengst aber hatte es bemerkt und griff um den kahlen Kopf der Tigerschlange, die sich vergebens mit der gespaltenen Zunge zu wehren versuchte. Der Herrscher riß den Schlangenkörper vom Baum herunter, so daß er sich in der Luft krümmte; im Handumdrehen hatte er einen Knoten in den Schlangenkörper gemacht und ihn einem Affenhaufen zugeworfen; schreiend stob der Haufen in alle Richtungen auseinander.

Da lachte das Herrscherpaar, und alle Wesen des Waldes, auch die gefoppten Affen, lachten mit.

Während das Zentaurpaar sich noch amüsierte, benutzten zwei junge Affenmännchen die Gelegenheit, von einem niedrigen Ast herab sich Tokos zu bemächtigen. Wahrscheinlich waren es dieselben, denen Toko einen Schlag über die Arme gegeben hatte, und die uns von Baum zu Baum gefolgt waren, auf Rache sinnend. Im Handumdrehen hatten sie Toko vom Pferde gehoben. Zu spät sah ich, wie sie ihn mit Siegesgeschrei zu den hohen Ästen eines riesigen Baumes entführten.

Ich schrie und packte den Zentauren am Arm; er drehte sich um. Runzeln spielten auf seiner Stirn, er maß die Höhe des Baumes und die Entfernung der Äste. Da es aber unmöglich war, sie zu erreichen, begnügte er sich damit, seinen Zorn hinaufzublasen, worauf er weitertrabte. Ich fühlte seine Hand um meinen rechten Arm, gleich unterm Ellbogen, er hielt mich mit eisernem Griff, damit ich ihm nicht auch geraubt würde.

In meinem rechten Ohr krabbelte ein Tier, ich konnte es aber nicht verscheuchen, weil meine Hand gefesselt war. Ich schüttelte heftig den Kopf, da begann es zu summen, und durch das Summen klang kaum hörbar Wahujas sanfte Greisenstimme:

»Pst! Verrate mich nicht! Der Herrscher will dich mit in seine Höhle nehmen, damit du als Spielzeug für sein Junges dienen sollst. Laß mich still und verborgen hier in deinem Ohr sitzen, trage mich so in die Höhle, und wenn die Alten eingeschlafen sind, will ich dich aus der Höhle führen und dir helfen, Toko aus der Gewalt der Affen zu befreien. Darauf will ich euch ungesehen zum Boot geleiten, damit ihr von der Insel der Dämmerung entkommen könnt.«

»Weiser Wahuja,« antwortete ich flüsternd, denn ich kannte meine Pappenheimer, »was willst du in der Höhle des Herrschers?«

Er summte eine Weile, bevor er antwortete:

»Ich habe eine Abrechnung mit dem Alten und führe Gift in meinem Stachel. Wenn ich dich zum Beispiel jetzt ins Ohr steche, woran du mich nicht hindern kannst, weil deine Hand gefesselt ist, dann bist du tot, bevor ihr die Höhle erreicht habt.«

»Was bietest du mir als Sicherheit dafür, daß du mich nicht in der Höhle vergißt, wenn du abgerechnet hast?«

»Ihr sollt mir einen Dienst erweisen, wenn ihr wieder auf der glücklichen Insel seid. Dazu gebrauche ich euch.«


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