Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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8. Er, der sich ›Zünder‹ nannte

Da spürte sie jemanden in ihrer Nähe; sie blickte auf und sieh, hinter ihrem Stuhl stand ein Mann und betrachtete sie mit einer lodernden Flamme in den Augen.

»Wer bist du?« fragte sie und erhob sich von ihren Knien.

»Ich bin der ›Zünder‹ – ich zünde und ich diene.«

»Kommst du vom Tode?«

»Ich komme vom Lichte, das über dem Nebel brennt und nicht sterben kann. Wer es empfängt, lebt ewig.«

Jetzt war sie wieder Königin. Sie schämte sich ihrer Tränen und sagte stolzerhobenen Hauptes:

»Das sind Worte eines Aufrührers. Es gibt nichts außer Klippe, Meer und Nebel.«

»Es gibt nichts, außer Leben und Tod.«

»Das Leben gehört uns. Wir ordnen es, wie es uns dienlich ist. Und den Tod rufen wir zu unserer Befreiung, wenn wir des Lebens müde sind.«

»Und das Leben deines Kindes?«

Er hatte ihre Schwäche gesehen, darum fragte er. Das Kind aber lag ganz still und lauschte, atmete ruhig, als ob die Krise überstanden sei.

»Ich will diesen Turm so hoch heben, daß er über den Nebel hinausragt,« sagte sie, »und ich werde dir zeigen, was es mit deinem Licht für eine Bewandtnis hat.«

»So hebe den Turm,« sagte er lächelnd.

Sie sah ihn verblüfft an und antwortete:

»Dazu gehört Zeit, wie du weißt, Arbeiter und Werkzeug.«

»Ich kann ihn ohne alles das heben.«

Im selben Augenblick fühlte sie, wie der Boden sich unter ihr hob. Sie griff nach dem Stuhl. In einem Wirbel, einem Brausen, das ihr die Besinnung raubte, wurde sie aufwärtsgeführt, bis ein blendendes Licht, um vieles stärker als die Turmsonne, auf sie herabflutete, so daß sie ihre Augen bedecken mußte.

Kaum kehrte ihr die Besinnung zurück, als der Boden ihr unter den Füßen entwich und sie wieder nach unten sauste.

Sie schlug die Augen auf. Von dem Feuerrad geblendet, das noch vor ihrem Blick wirbelte, dauerte es eine Weile, bis sie wußte, wo sie sich befand. In dem Augenblick aber, als sie sich in ihrem eigenen Zimmer wiedergefunden hatte, wußte sie auch, daß es nur eine Augenverblendung gewesen war, die ein stärkeres Gemüt ihrem Gehirn aufgezwungen hatte.

Das Blut brauste in ihr vor Zorn über die Demütigung. Sie griff nach dem ›Todbringer‹, der immer auf ihrem Tisch bereit lag, um zu vergelten –

Da stieß das Kind einen Angstschrei aus, oder war es Schmerz? Die Königin ließ die Waffe sinken und warf sich über das Kind –

Das Kind hielt die Hände gegen die Augen gepreßt. Es weinte nicht, es klagte nicht. Die Mutter faßte die Händchen mit klopfendem Herzen, als sie sie aber von den Augen zurückgezogen hatte, sah sie ein Lächeln um den Kindermund. Als sie aber den Blick in den großen Augen sah, fuhr sie zurück; in jedem brannte ein Schimmer von dem Licht, das sie soeben geblendet hatte –

Das Licht, das kam und schwand, – in dem Auge des Kindes war es festgehalten worden.

Zornig wollte sie sich an den Fremden wenden, aber er war ebenso plötzlich verschwunden, wie er gekommen war.

Sie beugte sich über das Kind in ihrem Schoß und schwieg.

»Wie sah er aus?« fragte ich, »er, der sich ›Zünder‹ nannte?«

Sie hob den Kopf, als suche sie sein Bild im Raum.

»Ich weiß nicht,« antwortete sie, »ich sah nur seine Augen.«

Von jenem Tage an aber gesundete das Kind. Der Kopf richtete sich auf, die Lider schwollen ab; das Gemüt des Kindes aber war verändert, als ob es an einer Sehnsucht trüge.

Der Nebel, worin und zu dem es geboren, verursachte ihm Qual. Blickte es durch die Glaswand, klagte es über Dunkelheit.

Die Mutter sah ein, daß der Fremde ihr Kind vom Tode gerettet, es ihr aber gleichzeitig genommen hatte. Das Lächeln der Kleinen hatte sich von ihr und dem Nebel abgewandt.

Und die Königin hatte diesen Raum unter der Erde bauen lassen, ohne Fenster, so daß kein Nebel hindurchdringen konnte; sogar die Luft wurde filtriert, bevor sie hereingelangte.

Sie ließ den Raum mit einem blendenden Licht füllen, das alle dunklen Winkel durchdrang. Nur wenn das Kind schlief, wurde das Licht gedämpft.

Sie schmückte den Raum mit all der Augen- und Sinnenlust, die sie sich nur ausdenken konnte. Daher die rieselnden Quellen, die blitzenden Edelsteine, die phantastisch bekleideten Grotten, die läutenden Schellen. Aber es war alles umsonst. Nichts konnte die Sehnsucht im Gemüt des Kindes und den Funken in seinen Augen löschen.

Wieder und wieder erinnerte die Mutter sich der Worte des Fremden: wer das Licht empfängt, wird ewig leben. Und sie begriff schließlich, daß das Kind das ewige Leben bereits begonnen hatte, während sie, die Mutter, die Königin der Insel, dem Tode geweiht war.

Und gleichzeitig begriff sie, daß der Funke entweder in den Augen des Kindes gelöscht oder auch in den ihren entzündet werden müßte, sollten sie nicht auf ewig voneinander getrennt sein. Wie dies aber geschehen konnte, das ahnte sie nicht.

Niemandem wagte sie sich anzuvertrauen, nicht einmal der alten Pflegerin. Keinem auf der Insel wagte sie, die Königin, von dem Fremden zu erzählen, von dem Wunder, das er verrichtet, von dem Lichte, das er dem Kinde als Mittel gegen den Tod gegeben hatte. Denn vielleicht würden die Nebelbewohner an das Wunder glauben und nach dem Licht, das vor dem Tode schützt, greifen und verlangen, daß sie, die Königin, die sich gegen das Gesetz vergangen hatte, sie aus dem Nebel herausführen sollte. Und wenn sie es nicht konnte oder wollte, würde man sie vielleicht entthronen und töten. Denn wer würde nicht gern das tote Licht hergeben, wenn er dafür das lebendige erlangen konnte, das vorm Tode schützte?

»Dir allein,« so schloß die Königin, »wage ich es zu erzählen. Du gehörst nicht zu uns und bist in Gewahrsam. Und wenn du mich trotzdem verrätst, werde ich dich töten lassen und dem Volke verkünden, daß du, Frucht unserer Versuche, solch verwirrtes Gehirn offenbart hattest, daß wir gezwungen waren, es zu vernichten. Ich habe aber einen bestimmten Grund, weshalb ich dich einweihe: ich will dich gebrauchen. Ich sah gleich beim ersten Blick, daß dein Auge anders war als das der Nebelbewohner. In deinem Auge sah ich einen Schimmer desselben Lichtes wie in dem meines Kindes. Darum nehme ich an, daß du irgendeine Verbindung mit dem ›Zünder‹ hast. Und als wir in diesen Raum traten, sah ich, was ich erwartete und was ich feststellen wollte: mein Kind kam dir entgegen, als ob es dich kenne oder als ob du ihm Botschaft brächtest von einem teuren Ort, wohin es sich sehnt.

Bevor ich dich aber in mein Vorhaben einweihe, sollst du mir alles sagen, was du vom Lichte weißt, das nicht sterben kann und ein Mittel gegen den Tod ist. Ich will wissen, wie es in jenen Gegenden aussieht, wo es brennt, und wie man dort lebt.«

Sie wies mir einen Platz auf einer Bank in der Steingrotte an. Ich überlegte. Und in der tiefen Stille tauchten meine Kindheit und mein Vaterhaus vor mir auf. Ich erinnerte mich all der jungen frohen Wünsche, ich erinnerte mich der Märchen und Sommerfreuden aus Feld und Wald. Alles was unter dem Licht der Sonne glücklich und lebendig war, rief ich mir ins Gedächtnis zurück und versuchte es ihr, die nie etwas anderes als Klippe, Meer und Nebel gekannt hatte, klarzumachen.

Das Kind, das kein Auge von mir verwandte, glitt still von dem Schoß der Mutter, trat zu mir und legte die Hand auf mein Knie.

Ich nahm das Händchen. Und Worte von dem Licht, wie ich es gekannt hatte, strömten mir von selbst aus dem Herzen.

»Unter diesem Lichte blühen unsere Frauen und Kinder, reifen unsere Früchte. Aus dem lebendigen Licht entstehen Bäume, so hoch wie deine Häuser, und sie tragen Früchte, süß und frisch, die wir so essen, wie sie uns gespendet werden. Auch wir besitzen Büsche und Pflanzen, wie eure Klippendecker, das Licht aber entlockt ihnen Blumen –«

»Was sind Blumen?«

»Wie soll ich es dir erklären? – Es sind Edelsteine, die in allen Farben schillern wie die, die deine Grotte schmücken, mit denen dein Kind nicht spielen mag. Die Blumen aber sind lebendige Edelsteine, weich und kühl und glatt wie die Hand und Wange deines Kindes. Und jede Blume hat ihren Duft, der ist so etwas Wunderbares, daß ich nichts finden kann, womit ich ihn unter deinem ehrwürdigen Nebel vergleichen soll.

Nur eines weiß ich: mit ihnen würde dein Kind gern spielen, denn sie erfreuen das Auge und machen das Gemüt leicht. Im Nebel aber können sie nicht gedeihen, nur im lebendigen Lichte und in dem Schatten, der dem Lichte wie ein Sklave folgt.

Und dies lebendige Licht ist wie eine Kugel aus glühendem Gold, ein leuchtendes Auge, das über den Himmel rollt und über Dinge wacht, die es erreichen kann, wenn euer Nebel nicht dazwischen ist. Wo etwas von diesem Licht auf Erden hinträufelt, da keimen mannigfache, wundersame Pflanzen, die jeden Tag ein Stückchen wachsen, um in Schönheit, Wärme und Duft den Glanz zurückzugeben. Weil alles, was es berührt, lebt, darum glaube ich, wird es das lebendige Licht genannt.

Wem dies Licht durch das Auge dringt und im Herzen Wurzel schlägt, wie bei deinem Kinde, dessen Gemüt wird über den ehrwürdigen Nebel emporgehoben – das nennen die Menschen des Lichtes Glauben! Das Licht entfaltet sich im Gemüt und umspannt eine Gewißheit, größer als alle Weisheit der Nebelbewohner – das nennen sie Hoffnung! Und es füllt das Gemüt mit einer Kraft, größer als die, mit der ihr eure Insel umgeben habt, um euren ehrwürdigen Nebel zu erhalten, größer als die Willenskraft, mit dem du deinen Turm im Nebel erbaut, stärker als der schöne Trotz, mit dem du den Zinnenberg von deiner Nebelinsel getrennt hast, obgleich sie zusammengewachsen sind – und diese Kraft nennen sie Liebe! Durch sie wird Weisheit und Macht in einem Wesen vervollkommnet, und durch sie allein – so denke ich mir – hat der ›Zünder‹ es vermocht, ohne Zeit, Werkzeug und Arbeit, deinen Turm über den Nebel emporzuheben.«

Sie gebot mir zu schweigen. Das Dunkel ihrer Augen drohte mir, und sie sagte:

»Du kränkst die Majestät der Insel mit deiner törichten Rede. Ich müßte dich strafen und dich zu dem öden unfruchtbaren Berg verbannen, von wo du gekommen bist und den du dich erdreistest auf Kosten der Nebelinsel zu preisen.

Gut, du sollst dorthin zurückkehren. Doch nicht zur Strafe. Du sagst ja selbst, daß das Land herrlich ist. In Gnaden will ich dich dorthin entsenden, du sollst Botschaft bringen an den Fremden, der sich ›Zünder‹ nannte. Über den Pfad der Verbannten, durch den Felsenweg sollst du dich zum Berge hindurcharbeiten und nicht rasten, bevor du ihn gefunden hast. Du sollst erfahren, ob das Wunder nur Blendwerk und Verzauberung war. Wenn das der Fall ist, sollst du mit ihm handeln, damit er die Verzauberung von den Augen meines Kindes nimmt. Wenn es aber wirklich eine Kraft über dem Nebel gibt, ein Licht, von dem auch du berichtest, dann sollst du mir heimliche Botschaft bringen. Dann will ich zu ihm gehen und meine Gewalt mit der seinen vereinen, damit er auch mir von dem ewigen Licht gebe und ich ewig leben kann, mit meinem Kinde.«

»Der Felsenweg?« fragte ich beunruhigt.

»Ist eine natürliche Spalte, die sich durch den harten Fels gefressen hat, wie eine Krankheit. Der Weg ist schwierig und gefährlich. Von den vielen, die dazu verdammt wurden, ihn zu gehen, ist mal einer kriechend, wie ein vierbeiniges Wesen, zurückgekehrt. Vor kurzem aber habe ich den Pfad glätten und mit einer Leitung versehen lassen, die zu einem Sprengkontakt im Königinzimmer führt, damit ich den Berg und alle Verbannten in meiner Hand halte.«

»Und wenn der Fremde, der sich ›Zünder‹ nennt, sich weigert?«

»Dann drücke ich auf den Kontakt, vernichte ihn und den Berg und lösche das Licht.«

Es gab nichts zu überlegen. Sie hatte mich ja nicht um meine Einwilligung gebeten.

»Wann soll ich mich auf die Wanderung begeben?«

»Wenn du Bescheid bekommst.«

»Und Toko, mein Kamerad?« fragte ich besorgt.

»Ihn behalte ich als Geisel, bis du zurückkommst.«

Seit jenem Tage bewies sie mir immer größeres Vertrauen.

Jeden Morgen öffnete mein Gefängniswärter die Tür zum Königinzimmer. Wir sprachen unter vier Augen zusammen, vielleicht eine halbe, vielleicht eine ganze Stunde.

Alles, was ich von der Nebelinsel weiß, habe ich in diesen Morgenstunden erfahren. Das Kind aber bekam ich nicht wieder zu Gesicht.


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