Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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3. Die Schar der Lichtgeister, ihr Wesen und ihr Schutz

Es war ein merkwürdiges Gefühl, so im recht eigentlichen Sinne neue Erde zu betreten.

Wir streiften über Hügel und durch Täler. Wir spiegelten uns in den kleinen Seen. Wir sammelten Steine, wir fanden Korallen. Am wundersamsten aber waren die schimmernden Höhen und duftenden Wiesen, wo Blumen hastig sprießten. Die Sonne schien auf den feuchten Boden, so daß die Nässe in dünnen Dämpfen aufstieg und wie ein duftender Sommernebel über der Insel hing.

Als wir auf einem sanften Abhang ruhten und über die wogenden Wiesen blickten, begann dieser Nebel sich plötzlich zu bewegen. Er senkte und teilte sich, wurde zu Nebelgestalten, die hierhin und dorthin schwebten; und auf einmal nahm eine von ihnen vor meinen Augen Gestalt an, wurde zu einer tanzenden Frau mit flatternden Schleiern.

Ich konnte Kopf, Schultern, Arme unterscheiden, sie war nicht Fleisch und Blut, sondern wie eine wunderbare Zeichnung, lebendig der Hand eines großen Künstlers entsprungen.

Andere kamen hinzu, alles schöne, leuchtende Gestalten mit sanften Gesichtern. Plötzlich waren sie da, wie aus der Luft geformt, und wurden von dem Kreis der Schwebenden aufgenommen, als gehörten sie zusammen.

Bald kamen sie uns nah, als würden sie von Neugier getrieben, bald wichen sie vor uns zurück.

Ich blickte verstohlen zu Toko hinüber. Er war eingeschlafen.

Je länger ich diese luftigen Wesen betrachtete, desto schärfer wurden ihre Umrisse, desto deutlicher ihre Züge. Mich dünkte, es waren bekannte Gesichter darunter.

Besonders war da eines, das sich mir wieder und wieder näherte. Ein junges Weib, unsagbar milde. Und plötzlich faltete sie ihre Hände vor der Brust und beugte den Kopf darauf hinab. Da erkannte ich die Frau, der ich auf dem Abhang begegnet war, und deren Gesicht von der Flamme beleuchtet wurde, die sie behutsam zwischen den Händen trug. Es war dieselbe ruhige Freude, dasselbe glückliche Lächeln.

Und jetzt geschah es, daß er, der sich ›Zünder‹ nannte, sich aus der Schar löste und auf mich zukam.

Ich sprang auf, um seine Hand zu ergreifen. Er aber wich zurück und gab mir zu verstehen, daß ich ihn nicht berühren dürfe.

Jetzt wandten sich alle dem Meere zu, als ob jemand sie gerufen habe.

Und am Ufer zeigte sich ein merkwürdiges Bild –

Männer und Frauen tauchten aus dem Wasser auf, lebendige Geschöpfe, der Hand des Meisters entsprungen. Sie wateten ans Ufer, in der Sonne wie Kristall blitzend, während Wassertropfen blitzend an ihnen herabrannen.

Die schwebende Schar vom Lande begrüßte sie, wie man alte Bekannte begrüßt, die von einer langen Reise zurückkehren. Sie nahmen sie in ihren Reihen auf und schwebten mit ihnen über Wiesen, wortlos, ohne Laut.

Der Mann, der sich ›Zünder‹ nannte, war der Mittelpunkt des Kreises; was er tat, taten die anderen auch.

Ich sann darüber, was sie wohl vereinte, warum, obgleich jedes ein Wesen für sich, dennoch alle von einem und demselben Geist getragen zu werden schienen – nicht einzeln, sondern vereint, nicht Menschen sondern Menschheit.

Obgleich alle mich und Toko sahen, Bemerkungen über uns austauschten und von Neugierde zu uns getrieben wurden, bemerkte ich doch, daß sie sofort scheu zurückwichen, wenn ich Miene machte, mich ihnen zu nähern.

Da sah ich in einem Augenblick, als der ›Zünder‹ mitten im Schwarm stand, daß nicht nur sein Kopf, sondern auch seine ganze Gestalt von einem lichten, durchsichtigen Hauch umgeben war.

Ich war aufs äußerste gespannt, ob diese Lichthaut einen Körper oder wenigstens einen Stoff bedeckte. Wie aber sollte ich es erfahren, ohne eine von den Gestalten zu berühren?

Ich versuchte, meinem Gesicht denselben Ausdruck von Milde und Freude zu geben, und näherte mich von neuem, diesmal nicht dem ›Zünder‹, sondern der Frau, die das Licht zwischen den Händen gehalten hatte. Ich nickte ihr zu, und ohne zu zögern, erwiderte sie meinen Gruß.

Durch ihr Benehmen schienen die anderen unsicher zu werden. Noch zögerten sie, ließen mich jedoch näher kommen. Plötzlich aber wurde ein Wesen scheu, und sofort zog sich der ganze Schwarm zurück wie eine Herde aufgescheuchtes Wild im Walde.

In ihren Gesichtern, die unverwandt auf mich gerichtet waren, war dennoch keine Angst, sondern immer dieselbe milde Freude, – ja, fast las ich darin den Wunsch, mich aufzunehmen.

Wenn sie trotzdem flüchteten, kam es wahrscheinlich daher, daß eine körperliche Berührung, ein Händedruck, irgendeinen Schmerz, eine Ansteckung oder sonst eine Gefahr bedeutete für die leuchtende Hülle, worin ihre Seele sich abzeichnete.

Vielleicht war die Lichthülle empfindsamer als die zarteste Schleimhaut, vielleicht verursachte die Berührung mit einem Stoff ihnen einen ähnlichen Schauder in der Seele wie unserem Ohr das Kratzen eines Griffels auf einer Tafel.

Von einer Ungeduld bebend, die ich selbst nicht verstand, benutzte ich das Zögern der Frau, um so schnell mit ausgestreckter Hand auf sie zuzuspringen, daß sie keine Zeit fand, der Berührung auszuweichen.

Kaum hatte ich den Sprung gemacht, als ich solch heftigen Schlag auf meiner Hand spürte, daß ich zurücktaumelte und vor Schmerz aufschrie.

Während die Schar flüchtete, sah ich zu meinem Erstaunen, daß das, was mich geschlagen hatte, ein Felsblock war, der mir den Weg versperrte, und der sicher vorher nicht dagewesen war. Ich wollte meinen Augen nicht trauen und befühlte ihn, bevor ich mich davon überzeugen ließ, daß er wirklich da war.

Ich sah, wie die Flüchtenden sich in einiger Entfernung vor lautlosem Lachen krümmten. Wie ausgelassene Spielkameraden lachten sie über mich und nickten mir zu. Schließlich mußte ich selbst mitlachen, obgleich ich die schmerzhafte Erfahrung gemacht hatte – meine Hand tat mir noch weh –, daß diese seltsamen Wesen die Macht besaßen, eine Mauer vor sich aufzurichten, wenn man ihnen zu nahe kam. Die Lichtgeister schienen über die Stoffe und Kräfte der Natur zu gebieten; anders konnte ich mir den Vorgang nicht erklären.

Die Schar teilte sich jetzt in Gruppen. Drei Gestalten schwebten munter vorbei, vertraulich umschlungen, und um sie herum rührte sich in der Luft ein seltsames Leben.

Menschengestalten, noch blasser an Umriß und Zeichnung als sie selbst, bewegten sich um sie herum, sprachen, gestikulierten, pflückten Äpfel von schwerbeladenen Bäumen, die plötzlich dastanden und ebenso schnell wieder verschwunden waren, streckten die Arme nach ihnen aus, um Küsse zu empfangen oder zu geben. Die drei aber schwebten unangefochten dahin, offenbar, ohne ihr blasses Gefolge zu hören oder zu sehen, Arm in Arm in vertraulichem Gespräch.

Zwei lagen Seite an Seite auf dem Abhang, nicht weit von Toko und mir entfernt. Ihre Gesichter waren tiefernst, ja, bekümmert, aber dennoch war das Gepräge von stiller Freude nicht daraus verschwunden.

Vor ihren Augen schwebten Wesen ihnen zum Bilde, nur blasser, – richtige Menschenwesen, deren Gesichter alles andere als froh und glücklich waren. Leidenschaftlich erregt waren sie, von Zorn und Schmerz verzerrt.

Ich sah, wie diese einander schalten, drohten, sie unternahmen Dinge, die mir unverständlich waren, – aber als ob eine unsichtbare Hand eingegriffen habe, wurde ihr Zorn besänftigt, die Wogen ihres Gemütes geglättet.

Und auf den Gesichtern der beiden, die am Hange lagen, wurde im selben Augenblick der Kummer ausgelöscht, so daß wieder stille Freude allein herrschte. Dennoch war es, als ob auch sie die Blassen, die sie umschwebten, weder bemerkten noch überhaupt sahen.


Die Frau, die den Stein vor mir aufgerichtet hatte, ging allein am Ufer eines kleinen Sees, der ihre Gestalt spiegelte.

Sie hielt die Hände vor der Brust gefaltet und ging wie träumend. Plötzlich sah ich, wie eine Gestalt auf sie zukam, ein Mann war es. Er streckte die Hand nach ihr aus. Sie nahm sie nicht, doch richtete sie auch keinen Stein vor ihm auf.

Sie zögerte, als erwarte sie, daß etwas geschehen würde.

Plötzlich stand noch ein Mann neben ihr – es war der, der sich ›Zünder‹ nannte.

Er legte seine Hände wie segnend auf den Kopf des Mannes und strich ihm über die ausgestreckte Hand. Und sieh – jetzt hatte auch dieser seine Lichthülle bekommen.

Und als er mit ausgestreckter Hand auf sie zutrat, nahm sie sie in ihre beiden, beugte den Kopf darüber mit einem glücklichen Lächeln wie damals, als sie die Flamme auf dem Bergpfade trug.

Der Mann hob sein Gesicht in stiller Freude zu ihr auf – und dies Gesicht war mein eigenes.

Da begriff ich, daß die Wesen auf der Insel der Morgenröte die Gabe besaßen, ihren Frohsinn zu wahren, daß sie den Mächten der Dunkelheit befehlen konnten, sich zu ihrer Verteidigung zu erheben, wie der ›Zünder‹ auf der Nebelinsel dem Turm geboten hatte, sich zu erheben, und dem Berg, sich ins Meer zu werfen; und daß sie noch eine andere seltsame Eigentümlichkeit besaßen: daß ihre Gedanken, Sorgen und Wünsche sichtbare Lebensform bekamen, wenn auch blasser als die Wirklichkeit, die sie selbst besaßen –

Kaum gedacht, erschienen die Personen, an die sie gedacht hatten, leibhaftig vor ihnen und unternahmen gerade das, was der Lichtgeist von ihnen erwartet hatte.

Kaum gewünscht, so war auch schon in einem lebenden Bilde vollbracht, was der Wunsch äußerte.

Ich hatte mich selbst gesehen, und kaum war die Vorstellung der Frau, wie sie ihren Wunsch erfüllt zu sehen hoffte, in mein Bewußtsein eingedrungen, als ich den heftigen Wunsch empfand, der ›Zünder‹ möchte mir das Licht geben, um das ich ihn bereits auf dem Berge gebeten hatte, und daß sie meine Hand in ihre beiden nehmen möchte.

Ich wunderte mich in der Tiefe meiner Seele über diese Schöpferkraft und dachte: Ist es vielleicht das tiefste Geheimnis aller, die wir gut nennen, daß ihre Wünsche schöpferisch wirken können?

Von neuem betrachtete ich die Frau – und sieh, es war Ali! Und das, was sie zwischen den Händen trug und was ich für eine Flamme gehalten hatte, war Oasu, unser kleines lebendiges Kind. »Ali!« rief ich, sprang auf und stürzte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu –

Aber sie war verschwunden.


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