Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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2. Die Insel, die aus dem Meer emporstieg

Die Nacht brach herein.

Das Boot wurde von Strom und sanften Winden getrieben.

Das Sternschnuppenzentrum näherte sich immer mehr und erhellte jeden Augenblick den westlichen Himmel.

Toko fühlte sich von Entsetzen gepackt, sein Kinderglauben saß tief in ihm. Ich erzählte ihm, daß diese Lichter, die wie Strahlen von einem himmlischen Springbrunnen sprühten, wirklich einer ewigen Quelle hoch oben entstammten, die statt Wasser Licht spendete.

Umsonst. Zu oft schon hatte er Grund gehabt, sich darüber zu wundern, daß der Herr seines Lebens, der so viele nützliche und wunderbare Dinge in seinem Kopf hatte, von den wichtigsten und höchsten nicht einmal so viel wußte wie er selbst, als er noch ein kehlloser Knabe war.

Das Boot stieß auf Grund. Toko fuhr in die Höhe. Wieder. Ohne ein Wort zu sagen, griffen wir zu den Rudern, standen auf und warteten.

Toko konnte auf dem Meeresspiegel vor uns, eine dunkle Stelle unterscheiden. »Riff!« warnte er. Wohin aber sollten wir uns wenden, wenn vielleicht hinten oder seitwärts noch gefährlichere Riffe waren, die wir nicht gesehen hatten?

Ich hielt den Atem an, um auf den Wellenschlag zu lauschen, und gleichzeitig suchte ich hastig mit den Augen die Dunkelheit zu beiden Seiten ab, während Toko am Steven stand und nach vorn spähte.

Unsere Lage war verzweifelt. Plötzlich fiel solch mächtiger Sternschnuppenregen, daß das Meer im weiten Umkreis erleuchtet wurde.

Toko rief und zeigte mit der Hand –

Das Licht hatte ihm gewiesen, daß nicht weit vor uns ein Streifen im Meeresspiegel von kleinen flinken Wellen gekreppt wurde, die über etwas tummelten, das sie von unten zu necken schien – rings herum aber war das Meer ruhig und tief.

Wir ruderten aus allen Kräften rückwärts, und als bald darauf wieder ein Sternschnuppenregen fiel, der eine Helligkeit mit sich führte, wie eine Juninacht in nordischen Ländern, sahen wir, daß das Meer nach allen Seiten wieder glatt war.

»Wer hat uns vor dem Riff gerettet?« fragte ich, bekam aber keine Antwort.

»Vielleicht deine Geister, die auf Seelenfang ausgehen?« fuhr ich neckend fort.

Er murmelte, daß auch Böses sich manchmal in Gutes verkehren könne, oder so etwas Ähnliches.

Noch eine halbe Stunde ruderten wir. Dann legten wir uns nieder, um abwechselnd zu schlafen und zu wachen.


Ich hatte die Morgenwache.

Kaum ergoß sich das Sonnengold über die blanke, stille Wasserfläche, als ich weit, weit hinten am Horizont, in graugoldenem Nebel, eine Wolkenmasse liegen sah, die sich zum Himmel erhob.

Je mehr ich sie betrachtete, desto überzeugter wurde ich, daß es das märchenhafte Bergland sei, das wir schon früher einmal gesehen und das Toko, wegen der ungeheuren Entfernung und Höhe, für den Berg der Schöpfung gehalten hatte. Ich erinnerte mich, daß das Gebilde damals am östlichen Horizont gelegen hatte, während es jetzt im Westen lag. Solch großen Kreis hatten wir also befahren.

So unheimlich und dunkel wie es damals gedroht hatte, so freundlich und lächelnd lag es jetzt da, und unwillkürlich mußte ich an das denken, was Toko mir von Nadi-Nados Lehre und dem Berg erzählt hatte, dessen eine Seite beständig im Schatten lag, während die andere dem Lichte zugekehrt war.

So mild, so befreiend für das Gemüt grüßte diese schöne luftige Bergmasse mich am frühen Morgen, daß ich es für ein glückliches Wahrzeichen hielt.

Als Toko erwachte und seine Augen zu diesem schönen Gebilde aufschlug, stieß er einen Huldigungsruf aus, streckte ihm die Arme entgegen und neigte sich tief zur Reling, bis er sie mit der Stirn berührte. Sein Gemüt war so festlich gestimmt wie das eines Christen nach der Ostermesse.

Der zeitige Morgen auf dem weiten Meere hatte etwas wunderbar Frisches – eine Frische wie eine neugeborene Welt.

Der Wind schlief; das Boot trieb auf dem blanken Meere, das den kristallklaren Himmel an seiner Brust wiegte und aus der Tiefe seines Geträumes das Licht zurückgab.

Dort drüben, wo meiner Meinung nach der gefährliche Sternschnuppengürtel mit den Riffen lag, schwamm eine weiße Wolke tief unterm Himmel, leicht, locker, als ob flüchtende Nebel ein Schleierstück verloren hätten.

Der Schleier zog sich zusammen, als ob er von sanften Morgenwinden angehaucht würde. Darauf entleerte er sich mit einem blitzenden Staubregen, der den Meeresspiegel einen Augenblick verdunkelte, wie ein blankes Auge von einem hastig auftauchenden Gedanken verdunkelt werden kann.

Und sieh, aufwärts zum Lichte wölbte sich etwas leuchtend Grünes, das das Wasser nach allen Seiten von sich schob, bis es wie ein ungeschliffener Smaragd in der Sonne lag.

Noch ein grüner Hügel hob sich aus dem Meere – und noch einer. Das Wasser strömte glitzernd zwischen ihnen hindurch – und schließlich lag in der Morgenröte eine Insel, weiß, strahlend – ein Gebilde des Meeres.

Als wir nah genug herangekommen waren, um die blanken Seen zu erkennen, die das strömende Wasser zurückgelassen hatte, und die wie Saphire zwischen den Hügeln schimmerten, da öffnete Toko seinen Mund zu Lobpreisungen und warf sich auf den Boden des Bootes, auf sein Angesicht.

Nachdem er sich beruhigt hatte, überraschte er mich dadurch, daß er seinem Geisterglauben abtrünnig geworden war. Er erklärte, die Insel müsse aus den Sternschnuppen entstanden sein, die wir heute nacht gesehen hatten. Vom Himmel müsse dieses funkelnde Grün und Blau herabgefallen sein, denn er habe es ja so oft im südlichen Kreuz gesehen und sich gewünscht. Seine Augen aber hatten es nur bei ganz klarem Wetter erspähen können, und jetzt lag es in seinem Glanz vor ihm.

Toko kletterte auf den Mast, und ich setzte mich auf den Drachenkopf des Stevens. Und während wir zur Insel hinüberblickten, sahen wir, wie Schößlinge aus dem Grün keimten.

Blumen sprießten aus den tauigen Wiesen, Maiglöckchen, mit Perlen aus dem Meeresgründe geschmückt, Hyazinthen mit morgenroten Glocken, Blumen mit Schellen aus Granat, oder Augen aus Rubin, andere aus Zirkon, die so stark blitzten, als hielten sie Sonnentropfen in ihren Bechern gefangen. Tropfen, die das abfließende Wasser zurückgelassen hatte, funkelten wie Diamanten in der Morgensonne.

Die grünen Hügel stiegen immer höher. Wir wurden mit dem weichenden Wasser zurückgetrieben, und während wir anfangs die Absicht gehabt hatten, um die Insel herumzurudern, war es uns um Mittag kaum mehr möglich, die Rundung der Küste zu überblicken, so groß war die Insel geworden.

Wir folgten der Strandlinie, bis wir schließlich eine Senkung fanden, wo wir das Boot mit Leichtigkeit auf den Korallensand ziehen und vertäuen konnten. Darauf begaben wir uns auf Entdeckungsreisen.


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