Laurids Bruun
Van Zantens wundersame Reise
Laurids Bruun

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Die Zinneninsel im Nebelmeer

1. In der Gewalt der flackernden Winde

Kaum hatten wir den Dämmerungsgürtel hinter uns gelassen, als wir die ferne Wolkenbank wieder auftauchen sahen, die Toko für den Berg der Schöpfung hielt; sie breitete sich am Horizont, von Nordosten bis Süden.

Der Wind schlug um. Der Nordwestmonsum bemächtigt sich unser wieder; gleichzeitig aber wurde die Luft wunderbar milde; und als Toko seine Hand ins Wasser hielt, zog er sie schnell wieder heraus, so warm war es.

Wir waren in einen Wärmestrom geraten, der uns schneller vorwärtstrieb, als der schwache Wind es vermocht hatte.

Das Wasser des Stromes hatte eine reine, dunkelblaue Farbe, vom Steven aus konnte ich sehen, wie scharf der Strom gegen das übrige Wasser abgegrenzt war, als sei er ein bläulicher Fluß im Meere.

Einige Stunden fuhren wir jetzt scharf nach Osten. Plötzlich aber hielt der Wind inne, das heißt, er drehte sich um sich selbst, als ob er sich für keine Richtung entscheiden könne. Er versuchte es nach Norden, schlug dann nach Süden um, und das Boot folgte ihm mit flackernden Segeln um den ganzen Kompaß herum.

Während wir noch in der Gewalt der flackernden Winde hin und her taumelten, trat plötzlich ein Schleier vor die Sonne; das Meer wechselte die Farbe, das tiefe Blau wich einem kalten, ungleichmäßigen Grau, als ob wir aus Hochsommer, ohne Übergang, in den Winter hineingeraten wären.

Toko stieg auf den Mast, und als er die Grenzlinie des blauen Wärmestromes ein gutes Stück rechts von uns sah, begriffen wir den plötzlichen Wetterumschwung.

Wir kreuzten unter den flackernden Winden, bis die Sonne niedrig stand.

Vom Horizont stieg eine Dunkelheit zum Himmel hinauf. Als sie den Sonnenrand erreichte, war es, als ob die glühende Kugel ein Loch bekäme und einen Strom von geschmolzenem Gold nach rechts und links ausströmte.

Wir hielten gerade darauf zu. Nach einer Weile sahen wir, wie ein spitzer Bergkegel aus dem goldenen Strom hervorschoß, und nachdem wir noch ein Stück gesegelt waren, entdeckten wir, daß der Bergkegel ein Vorgebirge zu einem niedrigen und langgestreckten Inselrücken war, der sich in nördlicher Richtung hinzog.

Als die Sonne untergegangen war, lag die Insel mit der Bergzinne und dem Höhenrücken wie eine tiefe Dunkelheit da, die sich von einer weniger tiefen Dunkelheit abhob.

Da, bevor wir noch wußten, wie uns geschah, befanden wir uns in einem dicken Nebel, der uns nach allen Seiten absonderte wie ein Schattenmeer.

Es war nicht das klebrige Halbdunkel, dem wir soeben entronnen waren und das dadurch entstanden war, daß etwas Dunkles, eine undurchsichtige Masse, das Licht verdrängte, sondern es war, als ob alles Licht plötzlich fortgesaugt worden sei, wie Luft aus einem Raum, bis nur ein stark verdünnter Rest übrigbleibt.

Wir glitten jetzt über das Meer in einen grauen Lichtrest hinein, eine Nebeldämmerung, obgleich gar keine Nebelpartikel zu spüren waren. Im Gegenteil, die Luft atmete sich so leicht wie im Gebirge. Gegenstände in der Nähe, zum Beispiel der Mast und der Drachenschnabel am Vordersteven, hatten einen flimmernden Lichtkreis wie in hellen Nächten im Norden; draußen auf dem Meere aber sah man in eine Tiefe von Lichtverneinung.

Toko hatte lange am Mast Ausguck gehalten, als er plötzlich meldete, er sähe etwas Massives geradevor.

Auch ich meinte jetzt, den Druck von etwas zu spüren, das dem Meere Trotz bot; gleich darauf war ich mir darüber klar, daß Wind und Wellen sich an einer Felswand brachen.

Ich drehte das Steuer so schnell, daß Toko beinah über Nord gegangen wäre. Und kaum hatten wir die Segelmatte geborgen, als Toko ›Riff‹ rief und nach dem Bootshaken griff.

Im selben Augenblick leuchtete uns der weiße Schaum einer Woge entgegen, die an der Klippenwand zerschellte.

So hoch wir sehen konnten, glänzte uns durch den Nebel eine nasse Felsenwand entgegen.

Toko bat flehentlich, wir sollten uns mit Hilfe der Ruder von der unheimlichen Insel entfernen; die Dunkelheit, die seine Augen nicht zu durchdringen vermochte, ängstigte ihn, und er verlangte, wir sollten nicht ruhen, bevor wir aus dem Nebelmeer herausgekommen seien.

Ich gebrauchte meine ganze Überredungskunst, um ihn davon zu überzeugen, daß es unmöglich sein würde, Wind und Wellen mit den Kräften unserer Arme zu trotzen.

Uns blieb nur eines übrig: längs der Küste zu suchen, bis wir einen Einschnitt fanden, wo wir während der Nacht liegen konnten.

Vorsichtig ruderten wir längs der wilden Felsenformation, die sich launenhaft ein und aus schob, bis wir eine Stelle fanden, wo das Wasser ruhig war.

Die weißen Schaumköpfe der Wellen sagten uns, daß wir uns auf seichtem Grund in einer Bucht befanden. Plötzlich bemerkten wir eine Reihe Lichter, die wie Kerne in einem hellen Nebelgewebe leuchteten, gleichmäßige, ruhige Lichter, die, soweit wir es beurteilen konnten, sich nach Norden hinzogen. Parallel mit der eisten Reihe, nur etwas höher, lief eine zweite von geringerer Leuchtkraft; und dahinter noch eine und noch eine.

Die Lichter waren in Gruppen eingeteilt, mit gleichmäßigen Zwischenräumen, so daß kein Zweifel darüber bestehen konnte, daß sie das Werk eines technisch fortgeschrittenen Menschenstaates sein mußten.

An dem Höhenzug am Horizont sahen wir, daß wir es hier mit dem verhältnismäßig niedrigen Kamm einer Insel zu tun hatten; das steile Vorgebirge, das wir gesehen, war offenbar öde und unfruchtbar, weil dort keine Lichter brannten.

Wir ruderten so nah an die Küste heran, wie es möglich war, und sahen, daß sie aus lauter Schären bestand, ohne Strand.

Daß alle Lichter verschwanden, als wir ganz nah herangekommen waren, erklärten wir uns dadurch, daß sie von der Küstenlinie verdeckt wurden; sie schienen also recht weit von den Schären entfernt zu sein, ein gutes Stück landeinwärts, denn man sah nirgends ihren Widerschein im Wasser.

Wir ruderten von Schäre zu Schäre, über ruhiges Wasser. Weder von Menschen noch von anderen Wesen sahen wir in der Dunkelheit eine Spur, weder Bäume noch Büsche waren auf den Schären zu erspähen.

Wir zehrten an unseren letzten Kräften, als Toko in dem schwachen Widerschein des Wellenschaumes hinter einem Felsvorsprung etwas Dunkles, Abgegrenztes im Meeresspiegel entdeckte, das der Eingang einer Höhle zu sein schien.

Wir ruderten darauf zu und fanden wirklich eine enge, gewölbte Öffnung, durch die das Wasser unter die Insel glitt.

Mit Mühe gelang es uns, den Achtersteven unseres Bootes dorthin zu bugsieren und das Tau um einen Vorsprung des Felsens zu schlingen.

Wir entschlossen uns, dort die Nacht über zu bleiben und abwechselnd zu wachen. Ich übernahm die erste Wache.

Aus der Höhle, die sich niedrig über dem Boot wölbte, kam eine laue Wärme, so daß ich meinen Rock auszog. Gleichzeitig tropfte es unablässig auf mich herab wie von verdichtetem Regennebel, der sich auf die Brust legte und das Atmen erschwerte.

Toko streckte sich am Vordersteven und schlief gleich ein. Ich setzte mich auf meinen Rudersitz, die Augen auf die Öffnung der Höhle gerichtet; die Wölbung war so dicht über mir, daß ich kaum aufrecht sitzen konnte.

Ob es das einförmige Aufplätschern der Wellen gegen den Fels, die Wärme, die erschlaffend über mich hinstrich, oder nur die Müdigkeit in Kopf und Gliedern nach dem anstrengenden Tage war, genug, ich glitt vom Rudersitz in meine Koje und schlief ein.


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