Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mondschein.

Stille, o stille,
Schlafe vor Sturm und Schnee,
Einsam verlaßne Maid,
Jetzt ists zu sterben Zeit!
Kalt ist rings Thal und See;
Stille, o stille!

Schweige denn, schweige,
Hauche die Seele aus,
Freudig und sehnsuchtsvoll
Sag der Welt Lebewohl,
Arme! und geh nach Haus,
Schweige denn, schweige.
        Svanhvits Gesang.
            Atterbam.

Die Liebe macht Alles möglich.
                        Lamennais.

Es gibt auch einen Mondschein im menschlichen Leben, einen Mondschein im Herzen des Menschen. Er kommt gerne nach einem unruhigen und stürmischen Tag. Es ist eine Versöhnung zwischen Licht und Schatten, eine klare Dämmerung, eine stille Wehmuth, ein Schlummer der Gefühle, ein Weh, aber auch ein Wohl, – dann fallen stille Thränen mild wie der Thau auf verbrannte Wiesen . . . .

Aber oft dauert es lange, bis diese Ruhe, dieser Himmelsschein ins Herz herniedersteigt; – oft stürmt es so lange darin!«

Ein entsetzlicher Tag war vorüber. Nina hatte zum erstenmal recht erfahren, was ein Seelensturm ist. Sie lag jetzt auf ihrem Sopha. Die Thüren zum Saal standen offen und von dem Sopha aus sah sie in das große düstere Zimmer, wo eben noch Edlas Leiche gelegen. Der Mond schien durch die Fenster. Die Freunde waren an Edlas Grab, und Nina war allein. Sie hatte es 508 sich als eine Gunst ausgebeten. Alles war jetzt still um sie her, und nur das Brausen des Meeres ließ sich eintönig und dumpf vernehmen. Nina hatte die Fenster geöffnet, aber die Abendluft brachte ihrer Brust jetzt keine Kühlung. Der Gedanke an Hervey stand mit unendlicher Qual vor ihrer Seele; sie fühlte sich so schuldig gegen ihn: sie klagte sich an, ihn unglücklich gemacht zu haben. »Wird er mir verzeihen können?« fragte sie sich.

Wenn sie bedachte, daß sein geliebtes Auge mit Schmerz und stillem Vorwurf auf sie blicken müsse – o wie sehnte sie sich da zu seinen Füssen zu sinken! – aber dann sah sie Edlas verbietende, blutende Gestalt – und jetzt wollte sie derjenigen zu Liebe, die für sie gestorben, wieder Allem entsagen; – aber Hervey! Warum sollte er durch sie leiden? So wurde ihre Seele zwischen streitenden Gefühlen, Zweifeln und Fragen hin und her geworfen. Sie wußte nicht mehr, was sie thun sollte, was recht und was unrecht sei. Sie klagte sich als Ursache alles Unglücks an; sie haßte ihr eigenes Leben. Und dann . . . . o theurer Leser! Hast du je einen Freund verloren, der dir lieb war, wie das Leben, und hat ein Unrecht von dir eure Trennung trübe gemacht; – hast du brennende Reue empfunden und gewußt, daß du sie niemals dem Verlornen sagen darfst? Hast du Augenblicke gehabt, wo dein Herz nach ihm oder ihr verlangte, so . . . . so, daß deine Seele zerrissen war – daß du gerne das Leben – ach! deine ewige Seligkeit gegeben hättest, um den Verlornen einen Augenblick wiederzusehen, um die treue Hand zu drücken, um dich an die geliebte Brust zu lehnen und zu weinen . . . . zu weinen . . . .

Hast du je so gefühlt? . . . . o dann wirst du Nina verstehen, verstehen, wie sie fühlte, als sie unwillkürlich mit gewaltsam klopfendem Herzen, mit ausgestreckten Armen ausrief: »Eduard! Eduard!« 509

Die Thüre im Hintergrunde des Saales ging langsam auf. Ein schwarzgekleideter Mann stand darin. Bei seinem Anblick durchzuckte Nina ein Schauer des Schreckens und der Freude. Mit einem schwachen Ruf richtete sie sich auf.

Der schwarzgekleidete Mann trat bis an die Thüre ihres Zimmers. Hier blieb er stehen, lehnte sich an den Thürpfosten und betrachtete Nina unverwandt mit einem unaussprechlichen Blicke; aber sein Gesicht war bleich und voll Gram. Ach, es war der Blick, den Nina im Traume gesehen hatte, es waren die geliebten Züge; – die Hand lag auf dem Herzen – geschah dieß, um die blutige Wunde zu verbergen? Nina hörte sein schweres Athmen.

Zuerst war es ihr, als müßte sie in seine Arme stürzen, ihren Kopf an seiner Brust zu verbergen; dann meinte sie, sie sollte in den finstersten Theil des Zimmers fliehen und gleichsam sich selbst verbergen. »Eduard, Eduard!« rief sie, »warum kommst du? Ach weißt du wohl, daß wir getrennt sind . . . . daß ich dir entsagt habe?«

»Ich weiß Alles,« sagte Hervey.

»Verzeih mir!« bat Nina verzweifelnd und fiel auf ihre Kniee nieder.

»Ich komme nicht um Vorwürfe zu machen – ich komme, um dich zu segnen,« sagte Hervey mit göttlicher Milde in Stimme und Blick. Sofort trat er zu ihr, richtete sie auf, führte sie an den Sopha und setzte sich neben sie darauf. Er hielt ihre gefalteten Hände zwischen den seinigen und sah sie mit einem ernsten, aber durchdringenden Blicke an.

»Du hast nicht an mir gezweifelt?« sagte er.

»O nein, nein!« war Alles, was sie zu antworten vermochte.

»Ich auch nicht an dir!« sagte er, und sein Gesicht verklärte sich zu einem himmlischen Lächeln. »Nun wohlan, Geliebte, wir sind nicht getrennt – nicht für 510 die Ewigkeit getrennt. Nur auf Erden auf eine kurze Zeit von einander entfernt, werden wir uns jenseits in der Liebe desselben Himmels, in demselben festen Glauben wieder vereinigen. Unsere Seelen trennen sich nicht. – Innig Geliebte! Gottesgabe an meine Seele! Habe Frieden – Frieden mit dir selbst, Frieden mit der ewigen Macht, die unsere Schicksale regiert! Du hast . . . . recht gethan. Du konntest nicht anders handeln. Ein höherer Wille hat gesprochen. Wir müssen gehorchen!«

»Wir müssen gehorchen!« wiederholte Nina matt. Sie hatte ihr Haupt gebeugt und neigte ihre Stirne gegen ihre vereinigten Hände.

»Werde ruhig – werde glücklich, auch auf Erden! Ich werde dann – nicht unglücklich sein.«

»Nicht unglücklich;« sagte Nina nach.

»Glaube an den ewig Guten! Er ist mit dir!«

»Mit dir!« wiederholte Nina und ihre Thränen floßen.

Hervey stand auf. Seine Stimme zitterte, »Ich wollte dich sehen,« sagte er – »ich mußte dich noch einmal hören – ich wollte dir danken! Deine Liebe hat mich unaussprechlich glücklich gemacht; . . . . die Erinnerung daran wird mein ganzes Leben erhellen, wird mich freudig dem Land entgegen eilen lassen, wo wir uns wieder vereinigen. Friede über dich, du Engel! du Geliebte! . . . . Erfülle deine Pflichten; . . . . lebe, wie es Gott gefällig ist.«

Auch Nina stand auf. Sie wußte nicht, was in ihr vorging. Und er segnete sie mit so mächtigen, so lieblichen Worten und Tönen, daß eine wunderbare Freude ihre Brust erfüllte. Sie lauschte ihm, wie der Stimme der Gottheit. Und als er sie an sein Herz schloß, als er zum ersten und letzten Mal seinen Mund auf den ihrigen drückte, da bin ich gewiß, daß Engel unsichtbar um sie her standen und ihre unsichtbaren Scheitel senkten in Bewunderung zweier liebenden und leidenden Sterblichen. 511

Nina erwachte wie aus einem Traume. Er war fort. Sie fuhr mit der Hand über ihre Stirne, und fühlte Thränen im Haare, das sich über ihr theilte. Sie küßte sie von ihrer Hand weg. »Er hat mich gesegnet!« sagte sie und es ward hell in ihr. Und wie sie dastand – eine auferstandene Leiche! – bebend, ahnend, anbetend, das Gesicht nach dem klaren Himmel gewandt, da sah sie wie früher einmal das Bild des Kreuzes über ihrer Brust liegen, und sie war mit Himmelsglanz übergossen. Jetzt war das Räthsel ihres Lebens erklärt. Keine wollustvollen Töne lockten mehr draußen, sondern ein kraftvoller Gesang ertönte in ihrer eigenen Brust und weckte darin einen immer höheren und höheren Himmel.

Aber Er?

Nachdem er ihr Frieden gegeben, da schwankte die Kraft in seiner Brust. In der Thüre seines stillen Hauses stand er einsam, sah in die wilde Gegend hinaus und betrachtete sein zerstörtes Glück, sein Leben ohne Nina. Eine noch nie gefühlte Verdüsterung kam über seine Seele, und mit dem göttlichen Dulder am Kreuze klagte er: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«

 


 


 << zurück weiter >>