Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

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Bilder aus dem Leben des Herzens.

»Es war einmal eine Kranke, deren ganze Krankheit darin bestand, keine Freude zu besitzen. –
Sie konnte durch eine große Freude gesund werden.
                      Azouras von Almqvist.«

»Ich lernte lieben und zu gleicher Zeit lern ich auch leben.«
                                                Atterbom.

Warum war Klara so blaß? Woher die Wehmuth in ihrem milden Auge? Nina fühlte das Bedürfniß, sie darum zu fragen. Sie wünschte ihr durch rückhaltlose Anvertrauung dessen, was sie selbst betraf, ihren Dank für ihre zärtliche Theilnahme zu bezeugen und sich dadurch zugleich den Weg zu ihrem Herzen zu bahnen.

Ueberdieß war Ninas Seele jetzt so übervoll. Sie verlangte nach einer Freundin, einer Schwester, der sie sich mittheilen, bei der sie sich Raths erholen, an deren treuer Brust sie ruhen und eine Stütze für kommende Kämpfe gewinnen konnte.

Am Tag nach ihrer Rückkehr aus Umenäs suchte sie Klara auf, so bald die Gesellschaft Abends sich getrennt hatte. Die Baronin H. hatte sich vorgenommen, die Gräfin ernstlich vor den Salven aus dem Augengeschütz des Obersten, so wie vor ihrer eigenen Koketterie zu warnen. Klara war allein auf ihrem Zimmer, als Nina leise herein schlich.

Nina fand sie auf ihrem Bette sitzend, den Kopf auf die Hand gestützt und das Gesicht ein wenig abgewandt. Sie ging auf sie zu, setzte sich neben sie aufs Bett und küßte sie auf die Wangen, indem sie flüsterte: »Klara!« Die Wange war naß von Thränen und 425 Thränen standen in den Augen, welche Klara mild auf Nina richtete.

»Klara!« wiederholte Nina mit Schmerz, »du bist nicht glücklich? du leidest?«

»Und was liegt daran, ob ein Mensch leidet?« sagte Klara ruhig, indem sie sorgfältig ihr Linonhalstuch, das sie eben abgenommen hatte, zusammenfaltete.

»Klara!« sagte Nina, »sage mir, warum du leidest. Kann ich helfen, kann ich lindern?«

»Glaube mir,« versetzte Klara, indem sie mit den Ecken ihres Halstuches ihre Thränen trocknete – »glaube mir, es thut nicht so wehe. Man wird besser davon. Man leidet zwar – aber man liebt dann nur um so mehr. Man lernt sich selbst vergessen – – Es ist Alles meine Schuld,« fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »und darf Niemand anders zugerechnet werden; doch es ist eigentlich gar keine Schuld. Muß man nicht das Vortreffliche, das Göttliche lieben? Wenn das Herz zu warm davon wird . . . . wenn es so heftig schlägt, daß es Schmerzen davon empfindet – so schadet dieß Nichts, es ist im Gegentheil recht gut,« fügte sie mit einem verklärten Lächeln hinzu.

Ein schmerzliches Licht brach durch Ninas Seele. Sie verhüllte ihr Gesicht in ihre Hände. »Klara!« flüsterte sie – »um wie viel besser bist du als ich!«

»Sage das nicht,« bat Klara; »es ist nicht so; denn du kannst ihn glücklich machen. Ich kann es nicht. Ich habe nie Ansprüche . . . . nie die Vermessenheit gehabt zu glauben . . . . ich fühle meine Geringfügigkeit nur zu gut. Ich habe bloß gewünscht, ihm und dir dienen zu können – euch Beiden! Aber laß uns nicht mehr von mir sprechen! Laß uns von dir, von ihm sprechen – ich weiß, daß ihr Beide jetzt nur noch ein gemeinsames Interesse habt.«

Das Gespräch der Freundinnen wurde hier schnell unterbrochen, Die Baronin trat herein und ihr 426 mißvergnügtes Gesicht, ihre heftigen Bewegungen zeugten von dem minder glücklichen Erfolg ihrer Bemühungen. Nina blieb noch einen Augenblick, allein die Baronin war kalt gegen sie und die Unterhaltung wurde so gezwungen, daß Nina, obwohl ungern und mit bedrücktem Gemüthe sich entfernen mußte. Klara ging jetzt ans Fenster, um ihre Aufregung zu verbergen, allein die Baronin folgte ihr leise, nahm ihren Kopf in beide Hände, drehte das Gesicht gegen sich und fragte, indem sie sie treuherzig und forschend ansah:

»Was fehlt dir, Klara? Seit dem ewigen Schnee bist du dir nicht mehr ähnlich. Und du verbirgst dich vor mir! . . ., das ist nicht recht, das ist nicht brav, Klara.«

Klara konnte diesem Blick und diesem Ton nicht widerstehen. Sie öffnete der Freundin ihre ganze Seele.

Die stille Nacht sah die schönste und ergebenste Seele mit der Schwachheit der physischen Kraft kämpfend, ein frommes, entsagendes Herz und einen von Convulsionen erschütterten Körper. Sie sah auch das Schönste und Stärkendste, was die Freundschaft hat, und endlich den Sieg der guten Geister.

Am folgenden Tag standen die Baronin H. und ihr Mann reisefertig da. Sie erklärten, wichtige Geschäfte erheischten ihre Anwesenheit auf Paradis und reisten noch Vormittags mit Klara ab. Kurz vorher setzte sich die Baronin nieder, um einen Brief an Hervey zu schreiben. Aber nach den ersten Zeilen hielt sie ein und sagte: »Soll ich diesen Mann die zehn Gebote lehren? Ich müßte mich sehr irren, wenn er sie nicht besser kennt, als ich selbst.« Sie zerriß den Brief. Jetzt besann sie sich aufs Neue und begann ein Billet an die Gräfin, unterbrach sich aber mit den Worten: »Spionin und Angeberin. Ich mag jetzt nicht mit dieser Rolle anfangen.« Das Billet wurde ebenfalls zerrissen. Jetzt nahm sie eine Epistel an Nina vor. Auch hier unterbrach sie sich, zerriß, was sie angefangen und sagte zu Klara: »Klara, ich 427 hatte heute Lust, auf alle Menschen zu schelten, allein es taugt jetzt Nichts, weder für mich, noch für die Sache. Schreib du an Nina, was dir dein Engelsgemüth eingibt, und mach, daß wir bald wegkommen. Dieß wird das Beste sein.« Sie küßte Klara und ging hinaus.

Klara, die sich nach den Erschütterungen der Nacht zu einer mündlichen Mittheilung gegen Nina zu schwach fühlte, schrieb folgende Worte an sie:

»Ich möchte ihm, ich möchte dir dienen; dieß ist mein innigster Wunsch. Ihr seid für einander geschaffen; ihr werdet einander unendlich glücklich machen. Kann ich Etwas thun – mit Etwas dienen, o so sprich, sprich! Schreibe mir, gute Nina, sage mir Alles, sage mir recht viel von ihr. Sage mir eure Pläne für die Zukunft. Fräulein Edla! . . . Graf Ludwig! . . . Soll ich zu dir kommen, um die Zeit, da du sie zurück erwartest? Du darfst bloß ein Wort sagen.«

»Sei wegen meiner nicht unruhig, liebenswürdige Nina. Ich habe Frieden und ich habe eine Freundin, die Gottes bestes Geschenk an mich, sein schwaches Kind, ist. O wie gut ist er nicht! Vollkommen glücklich werde ich erst dann sein, wenn ich wegen deiner und Herveys Glückseligkeit vollkommen sicher bin. Wenn du an mich schreibst, so rede mit mir nicht von mir; – gewähre mir diese Bitte. Es ist mir jetzt mehr, als je Bedürfniß mich selbst zu vergessen. Ach es thut so gut! Dagegen sprich von dir, von deinem ganzen Leben, von Allem, was ihn und dich betrifft. Ich sehne mich darnach. Ich trenne euch nicht mehr in meinen Gedanken. Ich bete für euch Beide:

»Stille Seligkeiten breiten
Ihre Schwingen über euch!« 428

 


 


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