Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

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Gespräch in der Dämmerung.

»Eines nur, o Erdenbürger, merke:
Thue Gutes, wenn auch deine Werke,
Statt zu beben, niederziehn dein Glück;
Kannst du steigen nicht, so lerne fallen,
Enkel, die auf deinem Grabe wallen,
Denken dankbar einst an dich zurück.«
                                                Geyer.

Der Tag für Edlas Abreise war festgesetzt und nahte heran. Nina allein wußte es nicht; sie glaubte den Augenblick der Trennung noch ferne. Edla wollte ihrem weichen Gemüth den Abschiedsschmerz ersparen, und es war ihr angenehm, daß die Gräfin bei dem schönen, milden Winterwetter eine Einladung auf einen nahegelegenen Landsitz angenommen hatte, wo man das neue Jahr, die neue Frau Präsidentin und die schöne Tochter Sr. Excellenz mit großer Pracht feiern wollte. Edla durchschaute deutlich die Absicht der Gräfin; Nina immer mehr von ihr zu trennen und besonders in den letzten Tagen vor der Abreise jede herzliche Annäherung zu verhindern, jene unwillkürlichen Ergießungen der Zärtlichkeit und des Vertrauens, welche besonders in der Abschiedsstunde ein noch innigeres Band um Freunde schlingen. Sie sah wohl, daß es darauf angelegt war, allein sie wollte keine Maßregeln dagegen ergreifen. Edla hätte es als einen Egoismus angesehen, Nina jetzt in ihrer Nähe behalten zu wollen, wo sie ihr keine Vergnügungen bereiten, sondern nur Thränen entlocken konnte. Nicht ohne ein gewisses, angenehm wehmüthiges Gefühl dachte sie: »Nina wird vergnügt sein, sie wird spielen und genießen, während ich das Vaterhaus verlasse. Sie wird nicht sehen, daß ich leide. Um so leichter wird diese Wolke an ihrem Himmel vorüberziehen.«

Beim Abschied war die Gräfin eiskalt gegen Edla. »Glückliche Reise,« sagte sie trocken. »Ich habe Befehl 139 gegeben, daß Alles in Bereitschaft gehalten wird, was dir zu deiner Reise nöthig sein kann.«

»Ich danke. Ich werde selbst dafür sorgen,« antwortete Edla, ebenfalls kalt. »Lebe wohl, Vater! Vater! . . .« Edlas Stimme zitterte.

»Ich werde dich vor deiner Abreise noch einmal sehen,« sagte der Präsident, indem er mit Eifer und großem Geräusch seine Reiseschuhe anzog und sein Gesicht abwandte, um aufsteigende Thränen zu verbergen.

Jetzt kam auch Nina. Sie war herrlich anzusehen – in dem prachtvollen Winteranzug, in dem fürstlichen Hermelin. Edla bekämpfte die heftige Bewegung, die sie bei ihrem Anblick empfand, und als sie ihre nassen Augen, ihre fragenden, unruhigen Blicke sah, als sie Nina in ihren Armen zittern fühlte, während sie sanft und beinahe angstvoll zu ihr sagte: »Ich sehe dich doch bald, recht bald wieder?« da wünschte sich Edla Glück zu ihrem Vorsatz, das weiche Gefühl der Schwester zu schonen und ihr die Trennung so leicht als möglich zu machen. Und sie beruhigte Nina und sich, und sah mit wolkenloser Stirne ihre Familie abreisen.

In den folgenden Tagen beschäftigte sich Edla eifrig mit ihren eigenen Angelegenheiten. Sie schrieb an Nina einen Brief voll Güte und Weisheit. Der letzte Abend kam. Edla hatte Abschied genommen von Fräulein Margarethe, welche sich über das, was im Hause und in Edlas Seele vorging, nicht täuschte, und ihr mit Herzlichkeit und großer Hochachtung begegnete; sie umarmte Fräulein Margarethens getreue Wärterin, ging dann ins Gesellschaftszimmer hinab, ließ ein Feuer anmachen, und sah bei demselben ruhig dem Besuche entgegen, den sie von Graf Ludwig erwartete.

Dämmerung und Schneegestöber außen, Kaminfeuer und Stille innen, das sind die dienstbaren Geister der Vertraulichkeit. In der Stunde der Dämmerung springt das Geheimniß, dieses lichtscheue Kind, ganz unerwartet aus seinem Verstecke hervor. Schaaren von kleinen 140 Fledermäusen, jede mit ihrer Mücke im Schnabel, fliegen hin und her, die Eule heult ihr unheimliches Wittehu, der gespenstische Uhu schreit sein ächzendes Hu. Aber auch die edleren Kinder des Schattens und des Lichtes in der Seele des Menschen kommen jetzt hervor; – wie gerne läßt nicht die Versöhnung am Abendhimmel ihre milden Sterne leuchten! Wie lieblich träufelt nicht der Thau des Trostes! – ich will Nichts von den Liebeserklärungen sprechen! – zwischen der Dämmerung und den Flammen des Ofenfeuers hüpfen sie unwillkürlich hervor, und um so munterer, je irrlichtähnlicher sie sind; doch auch der Sohn des Himmels wählt gerne diese Stunde, um sich zu offenbaren. Summa: es ist merkwürdig, wie viel im Plauderstündchen der Abenddämmerung ans Licht kommt.

Es ist aber auch merkwürdig, wie ungeschickt dieses kleine Impromptu hier angebracht ist, und wie wenig es zur vorliegenden Scene in der Dämmerung beim Ofenfeuer paßt. Hier sitzen in Lehnstühlen Edla und Graf Ludwig, still wie Bildsäulen, und sehen mit gedankenvollen Augen auf die glühenden Brände, die nach einander in Asche zerfallen. Verzeih, freundlicher Leser, und erinnere dich gefälligst, daß du schon manchmal ein Vorwort gehört hast, das nicht zum Nachwort paßt.

Aber endlich unterbricht Graf Ludwig die Stille, indem er mit einem Ausdruck tiefen Mißvergnügens zu Edla sagt:

»Sie reisen ab! Sie entfernen sich auf längere Zeit und lassen mich in einer Ungewißheit, die mir mit jedem Tage qualvoller wird. Sie verhindern mich, gegen Nina und ihren Vater einen Wunsch zu erklären, den Sie gleichwohl billigen. Wie lange soll dieser Zwang noch währen? Wie lange soll ich noch vor Ninas Eltern, vor der Welt, vor Nina selbst in einem zweideutigen Lichte erscheinen?«

»Vor Nina nicht,« unterbrach ihn Edla. »Sie 141 weiß um Ihre Liebe; sie weiß auch, warum Sie jetzt noch mit Ihrer Erklärung zögern.«

»Nun gut!«

»Sie ist dankbar für Ihre Güte. Dankbar dafür, daß Sie nicht in sie dringen, noch so jung und so schwach einen Beschluß für ihr ganzes Leben und Lebensglück zu fassen. Sie fürchtet gegenwärtig jede Veränderung in ihrer Lage, sie ist nicht vorbereitet darauf. Sie kennen meine Besorgnisse wegen Ninas Gesundheit, wegen dieser Zartheit ihres ganzen Wesens. Ich glaube nicht, daß sie heirathen sollte, bevor sie stärker geworden ist, bevor sie durch Etwas mehr Erfahrung in der Welt und im Leben besser in den Stand gesetzt ist, ihren Platz als Ihre Gattin auszufüllen. Sie macht jetzt ihre erste Bekanntschaft mit dem Gesellschaftsleben; erlauben Sie ihr sich ungestört darin umzusehen; – sie ist noch so jung; . . . Sie können ja immer in ihrer Nähe sein, gewinnen Sie mit der Zeit . . .«

»Was gewinnen?« fragte Graf Ludwig scharf.

»Gewinnen Sie, was ich Ihnen so aufrichtig wünsche – ihr Herz! Ich will es Ihnen nicht verhehlen . . . Nina verehrt Sie im höchsten Grade, allein sie liebt Sie nicht.«

»Das weiß ich,« antwortete Graf Ludwig kalt.

Edla sah ihn Etwas verwundert und fragend an.

Mit einiger Bewegung fuhr Graf Ludwig fort: »Wundern Sie sich nicht, wenn derjenige, der von der Wiege an gelehrt worden ist, Zärtlichkeit zu missen, der das einzigemal, da er an Liebe glaubte, sich betrogen fand, wundern Sie sich nicht, wenn er einen scharfen Blick bekommen hat, und sich über die Gefühle, die man gegen ihn hegt, nicht leicht täuscht. Ich weiß es – ich bin nicht liebenswürdig – ich werde nicht leicht geliebt werden – auch frage ich nicht viel darnach. Wer kann nicht geliebt werden? Wer kann nicht große Leidenschaften erwecken, besonders bei den Weibern? Verzeihen Sie, Edla, allein Sie können weniger, als jede Andere, für die Schwachheiten Ihres Geschlechts blind sein. Ein 142 unbedeutender Sänger, dessen ganzer Werth in einer Romanze liegt, ein gewandter Tänzer, ein Bißchen Bravour oder Bravade, ein Bißchen Gutherzigkeit, ein Bißchen Talent, ein schönes Aeußere, ein angenehmes Wesen, Alles das kann liebenswürdig scheinen, kann Liebe erwecken. Ich kann es nicht. Darüber bin ich mit mir einig. Auch von Nina verlange ich keine Ausnahme. Ja ich bin darauf vorbereitet, daß sie für einen Andern, als mich, Liebe empfinden kann, für eines jener geringen Wesen, die ich verachte . . .«

»Graf!« unterbrach ihn Edla verwundert und aufgeregt, »höre ich recht?«

»Ja, aber hören Sie mich zu Ende. Jenen Zauber, jene holden Gefühle, die von dem Anmuthsvollen erweckt werden, kann ich nicht erwecken, nicht erwarten. Nina kann sie nicht für mich empfinden, sie wird sie auf Augenblicke vielleicht für Andere empfinden. Das ist natürlich, es macht mir Nichts, und ich werde Nichts dabei verlieren. Ich will mir Etwas verdienen, was besser, ich will Etwas gewinnen, was wichtiger ist – Ninas vollkommene Hochachtung, ihr vollständiges Vertrauen und ihre Freundschaft. Nina soll in der besten und eigentlichsten Bedeutung des Wortes die Meinige werden. Was ich an ihr liebe, ist nicht ihre Schönheit, nicht ihre Anmuth, nicht bloß die reichbegabte Schülerin Edlas, sondern vor Allem das Weib, das Weib par excellence, das gute, holdselige, demüthige Weib. Ich weiß, ich bin rauh und hart; nur durch einen Charakter, durch ein Gemüth wie das ihrige, kann ich milder, kann ich glücklicher werden und auch glücklich machen. Nina ist Edlas Schülerin; sie wird das Gute an mir schätzen, sie wird mich durch ihre Engelsseele zur Menschheit hinziehen. Sie wird in mir ihren besten Freund, ihren Führer sehen, sie wird ihre Kinder, ihr Haus, ihren Einfluß auf mich lieben. Glauben Sie mir, sie wird glücklich sein.«

»Ich fürchte nur,« sagte Edla mit einem tiefen 143 Seufzer, »daß Sie das wahre Wesen der Liebe verkennen. Vielleicht geben Sie auch derselben Sache nur einen andern Namen. Freundschaft und Vertrauen sind allerdings der wirklichste Kern aller Liebe. Aber wenn Sie glauben, daß Ninas innigste Hochachtung und ihr Vertrauen allein schon im Stande sei, Ihr eigenes und Ninas Glück zu sichern, so verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, daß Sie sich nicht bloß auf Ihre strengeren Tugenden verlassen sollten, um dieß zu gewinnen. Das Vertrauen besonders ist ein schüchternes Kind; es muß mit Güte, mit Wohlwollen gewonnen werden; – die Blume läßt sich nicht herauflocken, wenn die Sonne sie nicht wärmt. Sie müssen von Nina geliebt sein wollen. Sie müssen gütig, müssen zärtlich gegen Sie sein. O Sie wissen nicht, wie weich sie ist, wie sehr sie einer Stütze und zugleich der Zärtlichkeit bedarf. Seien Sie gütig gegen sie, Graf, sonst gewinnen Sie sie nicht. Seien Sie mild, seien Sie zärtlich gegen sie . . .«

»Edla,« unterbrach sie Graf Ludwig, »verlangen Sie von der Eiche nicht, daß sie sich zur Blume herabbücken soll; erheben Sie lieber die Blume zu dem festeren Stamme.«

»Nicht so, Graf,« sagte Edla. »Ihr Gleichniß hinkt, und das Verhältniß zwischen Mann und Frau ist und darf nicht so einseitig sein. Meine Blume muß zärtlich behandelt werden, sonst ist sie nicht für Sie. Seien Sie gütig gegen sie, Graf, ich sage es Ihnen noch einmal, seien Sie gütig, dann werden Sie Alles über sie vermögen. Pflegen Sie das, was so schön an ihr ist, ihr engelgleiches Gemüth, ihre Güte, verehren Sie dieselben, mißbrauchen Sie sie nicht, fordern Sie nicht zu viel! Wie leicht ist Nina nicht zu Boden gedrückt, wie leicht würde es nicht einer harten Hand, ihr ganzes Glück zu zermalmen! Wie manchmal habe ich mir nicht meine eigene Strenge gegen sie vorgeworfen, eine Strenge, die doch nur durch Zärtlichkeit für ihr Wohl hervorgerufen war, wie manchmal hat nicht der 144 Engel in ihrer Seele mich gegen meinen Willen weich gemacht! Erinnern Sie sich noch, Graf, wie sie noch als Kind bedeutend an Zahnweh litt, und der Arzt den gesunden Zahn statt des kranken herausriß; erinnern Sie sich, wie sie die fortwährenden Schmerzen ausstand und den Mißgriff des Arztes geheim hielt, so lange er daran war, und dann auch mich bat, es zu verschweigen, weil es ihm unangenehm sein könnte! Dieß ist eine Kleinigkeit; aber welcher Himmel von Verträglichkeit und Milde läßt nicht hierin seine ersten Sterne leuchten! So war Nina als Kind, so ist sie noch heute. Sagen Sie mir, Graf, verdient ein solches Herz nicht sorgsam und zärtlich geschont, gesucht, gewonnen zu werden?« Thränen standen in Edlas Augen. Auch Graf Ludwig war gerührt.

»Geben Sie mir,« sagte er, »diesen Engel zur Gattin, und lassen Sie mich täglich, stündlich unter ihrem Einflusse leben, so kann ich vielleicht werden, was Sie wollen, und was Nina bedarf. Ja vielleicht werde auch ich liebenswürdig werden können – wenigstens für sie –« fügte er mit einem Lächeln hinzu, das ihn unendlich verschönte. »Und dieß,« fuhr er fort, wird mich um so viel leichter das Urtheil der Menge verachten lassen. Sie wird mich wahrscheinlich jederzeit für einen unbarmherzigen Egoisten, für einen harten, hochmüthigen, herzlosen Menschen erklären. Ich tröste mich leicht darüber, ja diese Auszeichnung schmeichelt beinahe meiner Eitelkeit. Ich will es als eine große Ehre ansehen, wenn nur in einer Zukunft, die ich nicht mehr erleben werde, mein Vaterland durch die besseren Einrichtungen und den zweckmäßigeren Stand der Dinge, wozu ich mitgewirkt habe, fröhlich emporblühen wird, und mein Werk Denjenigen Segen bringt, die auch dann noch gedankenlos meinen Namen verdammen. Sehen Sie, Edla, dieß ist die Ehre, dieß die Belohnung, nach der ich strebe, und die gewinnen zu können ich mir bewußt bin. Wenn ich in meinem Eifer für das Wirkliche, für das Dauernde eine und die andere Oberflächlichkeit zerbreche, irgend eine 145 Taubennatur verletzte, oder dann und wann ein halbmorsches Gebäude vollends niederreißen, ja wenn ich wirklich mitunter über strengere, wichtigere Forderungen die Schonung vergessen sollte, so wird mich Edla deßhalb nicht verdammen, Nina nicht fürchten.«

»Graf,« sagte Edla, »ich verehre von ganzem Herzen die Reinheit Ihres Willens, die Festigkeit Ihres Charakters und fürchte bloß das Uebertriebene in Ihrer Denkungsweise. Mehr Milde, mehr Menschenliebe, mehr Menschenachtung, wenn ich so sagen darf, würde Ihre Wirksamkeit um ein Gutes segensreicher machen.«

»Geben Sie mir Nina zur Frau,« sagte Graf Ludwig mit Wärme; »lassen Sie sie meinen guten Engel werden, so werde ich durch sie mild werden. Wenn sie an meiner Seite geht, werde ich weniger hart auftreten. Sie hat einen Talisman in ihren Händen, der viel über meine Seele vermag: lassen Sie sie denselben gebrauchen; lassen Sie mich alle Tage, alle Stunden ihre Stimme hören, ihr Angesicht sehen. Dann! . . . . Aber vorher, Edla, erwarten Sie nicht viel von mir, nicht einmal für sie. Ich will jeden Tag mein Leben für sie wagen, aber daß ich artig, zärtlich und süßlich sein, daß ich den schmachtenden Seladon machen soll unter der Menge, welche sie stets umringt, daß ich ihr zierlich die Cour schneide, das erwarten und verlangen Sie nicht von mir, Edla. Ich würde mich dadurch nur lächerlich machen. Und ich muß es wiederholen, daß ich keinen Werth setze in das Angenehme, in das sogenannte Liebenswürdige, ja nicht einmal in das, was man Güte zu nennen pflegt. Es ist dieß eine zweideutige Eigenschaft, welche sich auch die armseligste Schwäche zum Schilde nimmt. Ich habe es zu schmerzlich erfahren, wie all diese Liebenswürdigkeit sich mit der tiefsten Verderbniß des Herzens vereinigen und dieselbe verbergen kann. Sie haben, glaube ich, Eduard D. einmal bei mir gesehen; – sagen Sie, welchen Eindruck machte er auf Sie?«

»Ich will es nur bekennen,« sagte Edla, »er schien 146 mir ein ausnehmend liebenswürdiger junger Mann zu sein, und sein Herz schien weit entfernt von dem verabscheuungswürdigen Verbrechen, das er beging.«

»Sie sahen ihn bloß,« fuhr Graf Ludwig mit einem bittern Lächeln fort, »aber was will das sagen gegen einen alltäglichen Umgang, wie ich ihn lange Zeit mit ihm gehabt habe? Er hätte seinen schlimmsten Feind gewinnen müssen. Ich liebte ihn,« setzte Graf Ludwig mit einer ungewöhnlichen Weichheit in Stimme und Ausdruck hinzu; »so habe ich nie geliebt, nie vertraut! Und er betrog mich und führte Schande und Tod bis an mein Herz. Wahrhaftig, dazumalen wäre ich ein Menschenhasser geworden, ich hätte meine Brust auf immer allen freundlichen Gefühlen verschlossen, wenn Sie nicht gewesen wären, Edla. Mit männlicher Kraft, mit weiblicher Milde gaben Sie meiner Seele wieder Fassung und heilten die Wunde in meinem Herzen . . . .«

Edla wandte ihr Gesicht ab, auf welchem die tiefste Rührung arbeitete. »Habe ich das wirklich vermocht, Graf?« fragte sie mit einer Stimme, deren Zittern sie zu unterdrücken sich bemühte.

»Heilen? . . . .« fuhr Graf Ludwig mehr mit sich selbst als zu ihr sprechend fort; »heilen, das ist doch zu viel gesagt. Diese Wunde heilt nie. Es hat Augenblicke gegeben, wo es mir war, als ob nur sein Blut allein der wohlthuende Balsam sein könnte . . . . Die Wunde heilt nicht, doch haben Sie gemacht, daß sie weniger brennt. Sie, Edla und Nina haben mich wieder für die Menschheit gewonnen.«

Nach einer kurzen Pause fuhr er in bittersüße Erinnerungen versunken fort:

»Wir kamen als junge Knaben mit einander auf die Akademie. Er war mir in Allem voraus. Dieß verdroß mich. Ich hätte es gerne allen Andern zuvorgethan. Ich fing an ihn zu hassen. Da schlug er sich und blutete für mich in einem ungleichen Streit, den ich mir zugezogen hatte. Jetzt wandte ich um und fing an, ihn zu lieben. 147 Er erwiederte meine Liebe, wenigstens glaubte ich so. Er hatte Geduld mit mir und meiner finstern Gemüthsart. Er machte mich besser. Er war so liebenswürdig! Auch stolz war er bei all seiner Güte; er duldete keine Protection; nahm meine dargebotenen Gaben nie an. Dieß verdroß mich, gefiel mir aber zugleich. Er schien der beste, der edelste aller Menschen zu sein. Ich vertraute auf ihn mehr, als auf die ganze Welt, mehr, als auf mich selbst. Er hatte eine Gewalt über mich, wie seitdem Niemand mehr!«

Graf Ludwig pausirte einen Augenblick, dann fuhr er, indem sich eine schauerliche Blässe über sein ganzes Gesicht verbreitete, also fort:

»Auch die Schlange hatte eine verlockende Zunge, wie die Schrift erzählt. Wie ich das Anmuthige verachte, das so leicht alle Laster, alle Niedrigkeit verbergen kann! Der Betrüger! Der Verführer! Wie hasse ich ihn! Ich weiß nicht, wohin er seinen Weg genommen, aber es reut mich, daß ich ihn nicht vor der Welt gebrandmarkt habe, damit er nicht mehr betrügen, nicht mehr verführen kann. Edla, wenn Sie ihn je einmal treffen sollten, so vertrauen Sie Ihrer Klugheit nicht, vertrauen Sie dem Abscheu nicht, den Sie vor seinem Verbrechen empfinden; fliehen Sie ihn, fliehen Sie ihn. Seine Liebenswürdigkeit, seine scheinbare Vortrefflichkeit, sein sanftstrahlendes Auge würde Sie verleiten! Sehen Sie ihn nicht, hören Sie ihn nicht! Seine Zunge ist verführerisch, aber falsch. Er könnte das reinste Wesen verlocken. Fliehen Sie ihn. Hat er nicht die Schwester seines Freundes entehrt, gemordet, seinen Frieden gemordet? Und er geht ungestraft in der Welt umher! Vielleicht geliebt, vielleicht gefeiert – – um sich noch mehr Opfer zu suchen, noch mehr Unglückliche zu machen. Warum habe ich ihn geschont? Aber strafe du ihn, o Himmel! Gerechter Rächer, verdamme . . . .«

»Halten Sie ein, Ludwig!« sagte Edla mit Ernst und Würde. 148

Graf Ludwig schwieg plötzlich. Er war außer sich: Raserei machte seine bleichen Lippen zittern und seine Augen sprühten Funken des Hasses. Es dauerte lang, bis er sich wieder erholte: dann seufzte er schwer auf und sagte:

»Verzeihen Sie.«

»Solche Ausdrücke sind Ihrer nicht würdig, Graf« sagte Edla: »sie würden Ninas Frieden zerstören.«

»Sie wird sie nie sehen. Ich werde mich bemühen, Ninas und Ihrer würdig zu werden.« Er drückte Edlas Hand an seine Lippen und entfernte sich hastig.

Mit aufgeregten Gefühlen blieb Edla zurück. Ihr Wunsch, ihr Gedanke paarte Ludwig und Nina zusammen, aber immer und immer kam wieder ein Zweifel, ein Schmerz über ihre Seele und flüsterte ihr zu: »Wird er sie auch glücklich machen?« Doch Edla verbannte diese Frage als ein Spuckbild ihrer Phantasie.

Vielleicht scheint es meinen Leserinnen ungereimt, daß Edla so eifrig Graf Ludwigs Partei nahm und daß sie nicht einsah, wie wenig ein Charakter, wie der seinige, für die weiche, liebebedürftige Nina paßte. Ich möchte nicht gerne diesen Tadel verdienen, und deßwegen laßt uns die Sache näher betrachten.

Es bestand zwischen Edla und Graf Ludwig eine Aehnlichkeit, welche sie unwillkürlich zu einander hinzog. Sie waren beide in ihrer Kindheit und Jugend verstoßen gewesen; beiden waren von der Natur die anmuthigen Gaben versagt, welche das Herz der Menschen leicht gewinnen und machen, daß man an sich selbst Freude findet; beide hatten einen starken, reinen und strengrechtlichen Charakter, wiewohl der des Grafen in Folge seines Stolzes und bitterer Erfahrungen immer näher zu rauher Härte überging, während Edlas Stimmung immer milder und verzeihender wurde. Graf Ludwigs strenge Tugend hatte Edlas Bewunderung, sein hartes Schicksal ihre herzliche Theilnahme erweckt; Bewunderung und Theilnahme erzeugten eine tiefe und starke 149 Liebe, und dieses Gefühl warf einen Schleier über alle Fehler Ludwigs. Edla hätte gern ihr Leben für Ludwigs Glück gegeben, allein so demüthig dachte sie von sich selbst, daß der Gedanke, sie selbst könnte Graf Ludwig glücklich machen, niemals in ihrer Seele aufstieg. Aber Nina! . . . Graf Ludwig liebte sie und die innige Mutterzärtlichkeit, welche sich in Edlas Herzen immer mehr für Nina entwickelte, und sogar stärker wurde, als ihr Gefühl für Graf Ludwig, diese Zärtlichkeit ließ sie etwas unendlich Wonniges in dem Gedanken finden, dem Mann, den sie am Meisten auf Erden achtete und liebte, ihre Nina zu überlassen. Wenn sie zuweilen eine Furcht überfiel, als ob Graf Ludwig Nina nicht vollkommen glücklich machen könnte, so hegte sie auf der andern Seite auch manchmal einen Zweifel, ob Nina seiner würdig sei. Dieser Zweifel fand jedoch seine Versöhnung in der innigen Ueberzeugung, daß die beiden Geliebten sich gegenseitig veredeln und vervollkommnen werden, und Edla hatte dabei nicht bloß das Glück ihrer Lieblinge im Auge, ihr Herz schlug warm bei der Hoffnung, daß diese Vereinigung recht vielen Menschen eine Quelle der Wohlfahrt sein werde. So fühlte, so dachte Edla.

»Verstehen Sie jetzt, oder wie?«

Wir wollen Edla nun wieder da aufsuchen, wo wir sie so eben verlassen haben, nämlich im Gesellschaftszimmer vor dem Ofen und seinem Feuer.

Die letzte Kohle war erloschen und Edla kehrte nunmehr auf ihr Zimmer zurück. Als sie da Alles zur Abreise vorbereitet fand, kam eine unbeschreibliche Schwere über ihr Herz. Sie fühlte sich einen Fremdling in ihres Vaters Haus, sie wußte, daß sie beinahe gezwungen war, das Haus zu verlassen, wo sie der stille ordnende Geist gewesen, wo sie von Allen geehrt und geliebt worden war. Jetzt sah sie sich einsam, verlassen, gemieden, und dieß Alles ohne ihre Schuld. Die Luft in ihrem Zimmer, der Anblick der Möbel, und besonders Alles, was Nina gehörte, ein kleiner Shawl, den diese nachlässig 150 über eine Stuhllehne geworfen, Alles dieß erweckte in ihr ein Gefühl unbeschreiblicher Wehmuth. Eine heftige Bewegung von Bitterkeit stieg in ihrer sonst so leidenschaftslosen Seele gegen diejenige auf, die an dieser schmerzlichen Veränderung in ihrem Leben allein Schuld war. Doch ein solches Gefühl war ihr ganz unleidlich und sie bekämpfte es und kämpfte es nieder: mit welchen Waffen? Wer Edla so bleich, so unbeweglich und so stumm auf ihrem Reisekoffer hätte sitzen sehen, der hätte wohl nicht daran gedacht, daß sie einen Kampf ausfocht und einen Sieg errang, schwerer als alle Siege Napoleons: – mit welchen Waffen? Nenne sie himmlische, mein Leser, du kennst sie so gut als ich.

Edla hatte sich kalt, sogar unfreundlich von ihrer Stiefmutter getrennt. Sie beschloß jetzt einige Worte an sie zu schreiben, um einen freundlicheren Eindruck zu hinterlassen und ihr die Sorge für Ninas Gesundheit und Wohl recht dringend ans Herz zu legen. Als sie an ihren Schreibpult trat, fielen ihre Augen auf ein kleines Kistchen von rothem Saffian, das, mit einer gewissen Prätension bemerkt zu werden, mitten auf demselben stand. Sie öffnete es und fand darin ein kostbares Halsband von ächten Perlen, nebst folgenden Worten von ihres Vaters Hand: »Der besten Tochter von ihrem liebenden Vater! Morgen in aller Frühe bin ich bei dir!«

Jetzt erst rannen Thränen, aber es waren Thränen der Wonne, über Edlas Wange. Sie fühlte, daß ihr Vater sie verstand, daß er ihr dankte, und Alles wurde leicht und licht in ihrer Seele. Die Prüfung des Scheidens hatte ihre Bitterkeit verloren, und wie gerne folgte sie jetzt nicht der Vorschrift des Göttlichen, auch unsere Feinde zu segnen!


Edla reiste ab, das Herz warm von der letzten väterlichen Umarmung. Es fiel Niemand ein, über die 151 Veranlassung zu ihrer Reise neugierige Fragen oder Vermuthungen aufzustellen, so still und klug hatte sie Alles vorbereitet. Tiefe und starke Seelen bewegen sich leise und machen keinen unnöthigen Lärm mit ihrem Leben und mit ihrem Ich. Sie folgen dem Gang der Werke Gottes. Stille steigt die Sonne ans Himmelszelt hinauf, schweigend senkt sich die Nacht über die Erde; was ist stiller als ein Frühlingsnahen und was herrlicher?

 


 


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