Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nina.

Früher war das Unglück grober, jetzt ist es gefühlvoller Art.
                                        Ehrenspärd.

Das Leben ist die Entwicklung eines herrlichen Drama's.
                                        B.

 

Alte Bekannte.

»Seid ihr jetzt Alle versammelt hier?«
                                        Bellmann.

Wir treten in ein Zimmer, wo weiche Sophas, schöne Teppiche, helle Spiegel, reich drapirte Fenster u. s. w. das Gemälde von »Comfort« bilden, welches der große Künstler der Jetztzeit, genannt Nutzen, vorzugsweise auszuarbeiten strebt. Den etwas erhitzten Kopf über ein Schachbrett geneigt, sitzt auf dem Sopha der wohlconservirte Präsident, nunmehr Excellenz G. Vor ihm erblicken wir seine Tochter Edla, beschäftigt, sich von ihrem Vater matt machen zu lassen, theils weil sie ihm bereits ein Spiel abgewonnen hat, theils weil Se. Excellenz sich im Augenblick nicht in der allerbesten Laune befindet. Doch auf einmal nehmen sowohl Spiel als Laune des Präsidenten eine erfreuliche Wendung.

»Die Königin, meine Edla,« bemerkte er, »ist eine kostbare Figur. Ohne sie kein Leben im Spiel. Du wirst indeß entschuldigen, wenn ich dir die deinige nehme, um Schach und matt zu sagen.«

»Matt? Ja, ohne Rettung verloren,« rief Edla. »Das war wirklich ein vortreffliches Manöver. Wie einfältig meine Läufer dastehen!«

Se. Excellenz rümpfte die Nase, schnaubte und konnte ums Leben ein herzliches Lachen über die bestürzte Miene seiner Tochter nicht unterdrücken, worauf er sehr freundlich sagte:

»Mein gutes Kind, wenn du nicht gar zu schachmatt bist, so gib mir jetzt eine Tasse Thee.«

»Sogleich,« sagte Edla mit froher Bereitwilligkeit.

Der Präsident streckte sich wohlbehaglich auf dem Sopha. 10

In einiger Entfernung von ihnen erblicken wir am Fenster eine andere Gruppe. Eine sehr schöne junge Dame ist beschäftigt, einige frische Blumen abzuzeichnen, die vor ihr in einem Glase stehen. Eine andere nicht junge und noch weniger schöne Dame, aber mit äußerst gewählter Toilette, sitzt neben ihr und stickt eine Hirtin in Tapisserie. Vor ihnen, das große scharfe Auge unablässig auf das Madonnengesicht der Jüngeren geheftet, steht ein stattlicher, vornehm aussehender Mann.

Der Präsident – ich kann es mir nicht abgewöhnen, ihn so zu nennen – war nach dem Schach und Thee in eine heitere Stimmung gerathen; mit einiger Bewegung betrachtete er die Gruppe am Fenster, und sagte zu Edla:

»Man muß gestehen, ein schöneres Paar als Nina und Graf Ludwig läßt sich kaum denken. Es thut Einem in der Seele wohl, sie nur anzusehen. Wenn ich daran denke, daß Nina mich gewiß in Bälde verlassen wird, und daß auch du, meine beste Edla, bald einen Gatten glücklich machen dürftest, so fühle ich . . . .«

»Was mich betrifft, so ist davon gar keine Rede, mein guter Vater. Ich wünsche meine Stellung im Leben nicht zu verändern. Ich befinde mich glücklich und werde Sie nie verlassen.«

»Nein,« sagte der Präsident, »das kann ich unmöglich zugeben. Ich kann es nicht dulden, daß du dich so ganz für mich aufopferst. Nein, mein Kind, so glücklich deine Zärtlichkeit mich gemacht hat, so glücklich sie mich noch jetzt macht und zu jeder Zeit machen würde – so darf ich dich doch nicht verhindern, deinem Berufe zu folgen. Auch ich . . . . auch ich werde . . . .«

»Mein guter, mein bester Vater,« unterbrach ihn Edla zärtlich gerührt, »sprechen Sie nicht davon. Ich versichere Sie, daß ich nur dem Rufe meines Herzens folge, wenn ich in meiner gegenwärtigen glücklichen Stellung zu bleiben wünsche. Ich suche weder, noch könnte ich irgendwo ein für meine Gemüthsart passenderes 11 Glück finden, als mir im Hause meines Vaters zu Theil wird.«

»Du bist die beste Tochter – allein in diesem Hause können Veränderungen vorgehen . . . hm . . . . Nina wird vermuthlich bald heirathen – und ich . . . . und ich . . . und mein bestes Kind, eine solche Partie, wie der Professor A., ein so reicher, so gelehrter, so angesehener Mann . . . und so verliebt in dich, kommt nicht alle Tage. Wahrhaftig, ich glaube, du thust unrecht, seine Hand auszuschlagen.«

»Ich schätze A. von ganzem Herzen,« sagte Edla, »er wird jederzeit mein Freund, mein bester Freund bleiben; allein eine nähere Verbindung mit ihm würde mich nicht glücklich machen. A. thut mir oft recht weh. Seine Zweifelkrankheit – denn so kann man sein beinahe eigensinniges Zweifeln über die wichtigsten und höchsten Interessen der Menschheit wohl nennen – hat etwas unendlich Peinliches. Ich habe ihm so manche Aufklärung, so manche nützliche Lehre zu verdanken; allein er hat auch manche Unruhe, manche Qual in meiner Seele hervorgerufen. Sein grübelnder, unruhiger, widerspruchsvoller Geist stört die Ruhe meiner Seele und ich habe oft ganze Tage lang schwere Mühe gehabt, den Eindruck zu überwinden, den ein Gespräch von einer Stunde mit ihm auf mein Gemüth hervorbrachte.«

»Aber, mein bestes Kind, dieß wird vergehen, sobald du ihn alle Tage und alle Stunden sehen kannst. Du mit deinen Kenntnissen und deiner festen Ueberzeugung wirst ihn leicht von seinen irrthümlichen Ideen abbringen. Du wirst ihn bekehren, wirst ihn zum Proselyten machen.«

»Ach Vater,« sagte Edla seufzend und zugleich lächelnd, »diese Arbeit geht weit über meine Kräfte. Ueberdieß fürchte ich, daß man einen Zweifler an Gott und Unsterblichkeit schwerlich durch Vernunftgründe zum Glauben führen wird. A. bedarf einer Frau, die durch ihre schöne Seele, ihre Frömmigkeit und ihre Liebe ihm ein lebendiges Gefühl der Wahrheit einflößt, die zu erfassen 12 sein Verstand sich weigert. Sie darf nicht mit ihm disputiren, aber ihr inniger Glaube wird sich ihm unwillkürlich mittheilen. Er wird den Himmel durch ihren Blick sehen. Ich weiß, daß ich nicht bin und nicht habe, was A. bedarf. Ich würde ihn nicht glücklich machen können.«

»Nun gut, wenn also von A. keine Rede sein kann, so haben wir noch den Staatsrath P. in Betracht zu ziehen, der sich gewiß nächster Tage erklären wird. Er hat bereits mit mir in den höchsten Lobeserhebungen von dir gesprochen. Erst kürzlich hat er sich ein Haus in der Königinstraße gekauft und er versteht dich zu schätzen.«

»Ich bin ihm sehr verbunden für seine gute Meinung, glaube aber nicht, daß er dabei Heirathsgedanken hat; überdieß könnte ich ihm noch weniger meine Hand geben, als dem Professor A.«

»Höre, meine beste Edla, mein gutes Kind, ich sehe wohl, wie das Alles kommt. Du kannst nicht an sie denken, weil du zu viel an mich denkst. Aber ich versichere dich, daß ich Kraft zu entbehren habe – überdieß habe ich gedacht . . . . Ja mein Kind, um deinetwillen, um dir vollkommene Freiheit zu geben, habe ich selbst . . . . ich bin zwar nicht mehr jung und das Grab . . . .«

»Ach Vater, liebster Vater, sprechen Sie nicht davon!« bat Edla mit Wärme, indem sie seine Hand zwischen die ihrigen nahm. »Sie sind noch in Ihren besten Jahren und werden noch lange für das Glück Ihrer Kinder leben. Was mich betrifft, so kann ich bloß wiederholen, daß ich mich in meiner gegenwärtigen Lage viel zu glücklich befinde, um irgend eine andere wünschen zu können. In meinen Jahren trennt man sich nicht so leicht von alten lieben Gewohnheiten. Sie, mein Vater, und die stillen Beschäftigungen, an die ich mich schon lange gewöhnt, erfüllen Alles, was meine Seele bedarf. Lassen Sie mich hoffen, mein bester Vater . . . . sagen Sie mir, daß es nicht Unzufriedenheit mit mir ist, was Sie veranlaßt, mir heute das Heirathen anzuempfehlen.«

»Nein, mein Gott, nein! Wie du auch so sprechen 13 magst! Wie könnte ich mit dir unzufrieden sein, Edla? Nun gut,« fuhr er mit einem Ausdruck fort, in welchem sich Zufriedenheit und Mißmuth stritt, »es mag also dabei sein Bewenden haben. Ich denke bloß, es sei Schade um die vortrefflichen Männer, und auch um dich, denn man mag sagen, was man will, der Mensch ist nun einmal dazu geschaffen, in der Ehe zu leben. Inzwischen fürchte ich, du möchtest in Zukunft Langeweile bekommen, wenn Nina verheirathet ist. Ich habe gedacht, du würdest vielleicht gerne eine angenehme Gesellschaft deines Geschlechts haben, und um deinetwillen . . . . wäre ich wohl geneigt . . . .«

Der Präsident hielt inne. Edla wurde aufmerksam, allein jede weitere Mittheilung unterbrach die Anmeldung des Staatsraths P., dem der Präsident mit großer Artigkeit entgegenging und ihn aufs allerfreundlichste willkommen hieß. Der Staatsrath war ein heiterer und redseliger Mann. Er sprach mit dem Präsidenten, aber mit deutlicher Absicht auf Edla, deren Miene und Blicke er sehr oft beobachtete. Ueberhaupt gab er durch sein ganzes Benehmen gegen sie starken Anlaß zu glauben, daß er die Absicht hegte, ihr sein Haus und sich selbst anzubieten.

Wir wollen jetzt einen Besuch am Fenster abstatten und hören, was dort vor sich geht.

Die Baronin Alexandrine, ein Bischen beschränkt, ein Bischen eingebildet und ein Bischen naseweis, mit einem Wort, eine Etwas mittelmäßige Person, stellt einige mittelmäßige Betrachtungen an über Zeichen der Zeit und über die Richtung, Alles aufrühren und Nichts in Ruhe lassen zu wollen.

Ihr Vetter, Graf Ludwig, ein Bischen stolz und ein Bischen kurz angebunden gegen sie, antwortet darauf entweder vornehm und abweisend, oder auch gar nicht.

»Die Herren,« sagte Alexandrine mit einer zuckersüßen Stimme, »wollen immer zerstören und herrschen, und kehren dabei oft das Oberste zu unterst. Sie entzünden blutige Kriege, bloß um ihren Ehrgeiz zu 14 befriedigen, und denken wenig an all das Elend, das sie verursachen, oder an uns arme Frauenzimmer, die vor Jammer und Angst vergehen möchten.«

»Wenn ein mächtiger Wille sich einen Weg bahnt,« antwortete Graf Ludwig, »so müssen kleinliche Rücksichten weichen, und es steht einem Helden, der für das Wohl von Millionen streitet, nicht an, nach dem Miauen einiger Katzen oder dem Geschrei einiger Weiber zu fragen.«

»Mein Gott, Vetter Ludwig, wie mögen Sie so sprechen! Nina, was sagst du dazu?«

»Ich glaube, er hat Recht, erwiederte Nina mit schüchterner, melodischer Stimme, »aber . . . .«

»Nun, aber . . . .«

»Aber – es hätte besser gesagt werden können!« fuhr Nina tief erröthend fort.

Auch Graf Ludwig erröthete flüchtig, indem er sagte: »Sie, Fräulein Nina, gehören nicht zu den Weibern, für welche dieser Ausdruck gilt. Sie wissen ohne Zweifel, daß man sich dem Nothwendigen mit Ruhe unterwerfen muß.«

»Ich weiß nicht . . . . ich fürchte, ich bin so schwach, wie jede andere, – und die Nothwendigkeit des Kriegs erscheint mir bitter. Warum soll er überhaupt eine Nothwendigkeit sein? Warum soll es Unterdrücker und Unterdrückte geben?«

»Weil es der Welt Lauf so ist, erwiederte Graf Ludwig kalt, »und wir ihn nicht ändern können.«

»Wenn man doch wenigstens mit den Türken Krieg führte!« sagte Alexandrine. »Diese sind ein garstiges Volk, das man aus Europa vertreiben sollte. Ihre heillose Religion erlaubt ihnen, ein Frauenzimmer, das einen Fehltritt begeht, zu ersäufen. Hu! Nina, hast du die Anekdote im letzten Modejournal gelesen? – Sie hat mir meine ganze Nachtruhe geraubt.«

»Gefällt Ihnen vielleicht die Humanität und Freiheit in den Sitten besser, wie sie unter Orleans und zu Ludwigs XIV. Zeiten im allerchristlichsten Frankreich 15 herrschte?« sagte Graf Ludwig mit bitterem, ironischem Lächeln. »Ich gestehe, daß ich es hierin lieber mit den Türken halten möchte.«

Nina, an welche Alexandrine aufs Neue appellirte, äußerte sich nicht weiter darüber. Sie fragte sich in der Stille, ob es wohl keinen Mittelweg gebe zwischen Schlaffheit und Grausamkeit, und Graf Ludwigs Ausdrücke und Worte verursachten ihr, wie häufig, ein Gefühl der Niedergeschlagenheit.

Es kamen noch mehr Gäste. Man bat Nina zu singen. Sie that es sogleich und ihre schwache, aber unbeschreiblich liebliche Stimme erweckte eine unwillkürliche Rührung bei den Zuhörern, so daß einer von ihnen sagte: »Fräulein Nina hat eine Thräne in ihrer Stimme.«

Und wirklich paßte dieser Ausdruck auf ihre ganze Erscheinung, welche lieblich, aber wehmüthig war und an ein überirdisches, aber aus seiner himmlischen Heimath verbanntes Wesen denken ließ; d. h. diejenigen, die einen Duft von Poesie in sich hatten, dachten so, und wir bekennen, daß einer von den Herrn in der Gesellschaft, bei welchem das Körperliche vorschlug, sie bloß zart oder zärtlich fand, womit er wohlmeinend seine Ansicht über ihre Gesundheit aussprach. Als jedoch Nina einige Worte mit ihm sprach, sah er unwillkürlich ganz glücklich und entzückt aus. Im Uebrigen schien sich Nina gerne und leicht nach den Wünschen Aller zu fügen: man hätte fragen mögen, ob sie denn auch einen eigenen Willen besitze und um ihrer selbst willen da sei.

Als der Eindruck des Gesangs verklungen war und die Gesellschaft ihre gewöhnliche Stimmung wieder gefunden hatte, entspannen sich Gespräche und bald auch lebhafte Erörterungen über Staatsangelegenheiten. Edla schwieg, wie gewöhnlich, allein während sie ihr Ohr mit Interesse den Disputirenden lieh, folgten ihre Blicke mit mütterlicher Unruhe Nina. Als die Stimmen lauter und der Lärm im Zimmer größer wurde, sah sie dieselbe auf einmal erbleichen, und ihren Kopf gegen die Wand 16 lehnen. Edla war sogleich an ihrer Seite und flüsterte: »Bist du müde?«

»Ja,« war Ninas matte Antwort; Edla nahm schweigend ihren Arm und entfernte sich mit ihr. Sie kam bald zur Gesellschaft zurück, allein nur mit der halben Seele, die andere Hälfte weilte bei Nina. Graf Ludwig näherte sich ihr und fragte mißmuthig:

»Was war das wieder?«

»Eine Schwäche; – sie ist nicht gewohnt, unter so vielen Leuten zu sein, sie kann das Geräusch so vieler Stimmen noch nicht ertragen.«

»Aber glauben Sie nicht, daß Einbildung einen großen Theil an diesen nervösen Zuständen hat und daß einiger Zwang heilsam wäre? Daß man sie daran gewöhnen sollte, sich zu überwinden?«

»Nein – Nina bedarf keines Zwanges. Sie ist zu wahr, zu einfach, um sich Etwas über sich und ihre Gefühle einzubilden; zu gut, um sie nicht überwinden zu wollen, wenn sie könnte, zumal, da sie Andern damit Freude machte. Die Zeit, Geduld, eine zärtliche und kluge Behandlung werden sicher, wenn auch langsam wirken.«

»Sie verstehen es am Besten,« sagte Graf Ludwig, »allein ich fürchte . . . .«

»Was, was?«

»Daß Sie durch gar zu große Nachgiebigkeit Nina ihr Leben verträumen lassen. Ohne Anstrengung gewinnt man keine Kraft, sich selbst zu überwinden. Ich fürchte, Sie verweichlichen Nina.«

Graf Ludwigs Worte gingen Edla zu Herzen; kein Vorwurf hätte ihr schmerzlicher sein können, und der Eindruck davon machte vielleicht, daß sich einige Strenge der Unruhe beimischte, womit sie, nachdem die Gäste alle sich entfernt hatten, Nina wieder aufsuchte.

Nina hatte ihr reiches, lichtes Haar aufgelöst, schien aber zu vergessen, es für die Nacht zu ordnen. Sie hatte das Gesicht in ihre Hände gelehnt und die Ellenbogen 17 auf den Tisch gestützt. Ihr Haar floß in reichen Wogen über die feingerundeten, schneeweißen Arme. So saß sie lange, mehr träumend als nachdenkend, und halberstickte Seufzer hoben ihre Brust. Ihr Anblick rührte Edla. Die Strenge schmolz in ihrem Herzen. Nina merkte ihr Hereinkommen nicht, aber eine Hand, welche leicht und schmeichelnd über ihren Kopf hinstrich, veranlaßte sie aufzuschauen und ihre Augen begegneten Edlas freundlich forschendem Blicke. Es lag etwas ungewöhnlich Zärtliches in ihrem Ausdruck, und in Ninas Brust war eine Saite. die bei der geringsten freundlichen Berührung erklang. Sie ließ ihren Kopf auf Edlas Arm ruhen, und blickte zu ihr auf mit ihrem engelschönen, aber blassen Gesichte, worin sich Vertrauen und eine Art wehmüthiger Freude spiegelte.

»So in Gedanken und warum?« fragte Edla und ihre ruhige Stimme, ihr klares bestimmtes Wesen bildete einen merkwürdigen Contrast zu dem in Lieblichkeit und Wehmuth beinahe aufgelösten Wesen Ninas.

»Ich weiß selbst nicht,« antwortete Nina – »ich wollte, du erklärtest mir das. Es ist mir, als zögen Wolken über meine Seele herauf. Sie beunruhigen mich.«

»Und diese Wolken – haben sie eine bestimmte Gestalt, eine Bedeutung?«

»Nein – wenigstens keine klare, aber sie kommen oft; ich möchte sie durchdringen können – sie verhüllen eine Klarheit, die ich ahne. Ach, Edla, sage mir, was ist das Leben? was heißt Leben?«

Edla zog ihren Arm sanft unter Ninas Kopf hinweg und setzte sich stille zu ihr.

»Das Leben, mein gutes Kind, ist ein Kampf. Leben heißt, seine Kraft, seine Güte entwickeln.«

»Aber das Glück, Edla, was ist Glück?«

»Sich selbst besitzen – Frieden und Freiheit der Seele.«

»Aber Edla, was ist Genuß, was ist Freude? Wie empfindet man sie, woher kommt sie? Ich verspüre mitunter 18 eine Art Durst darnach und weiß doch nicht, was es ist. Ich möchte das Leben leicht fühlen, ich möchte gern glücklich sein.«

»Werde gut, werde klar,« sagte Edla mit Innigkeit.

»Glücklich, glücklich! Wenn ich die Vögelein singen höre, so fühle ich, daß sie voll Freude sind. Ich habe das Gesicht der Menschen leuchten gesehen, wie einen seligen Tag, ich habe junge Mädchen voll Lachen und Scherz gesehen; sie sind glücklich, sie fühlen das Leben leicht. Ich möchte auch so fühlen wie sie.«

»Das ist nicht schwer, Nina – aber es gibt noch etwas Höheres als dieses Glück, Etwas, wodurch es leicht entbehrlich wird. Willst du diesem da gleichen?« Edla zeigte hiebei auf ein Bild des versuchten Erlösers, in dem Augenblick, wo er mit stiller und erhabener Fassung die Freuden der Erde von sich weist.

Nina betrachtete lange das herrliche Bild. »Das ist groß,« sagte sie – »ja das ist mehr als Freude und Glück, oder vielleicht ist dieß gerade das Glück des Starken. Aber Edla, die Kraft ist ungleich, der Genuß auch; gibt es nicht auch noch manches weniger erhabene und doch gute, doch unschuldige Glück?«

»Ich weiß keines, Nina, das des besseren Menschen würdig wäre, außer dasjenige, welches in der Tugend, in der thätigen Liebe gegen den Nächsten, im Streben nach Erkenntniß und Güte liegt.«

Nina legte den Kopf in ihre Hand und eine Wolke der Wehmuth lagerte sich über ihr schönes Gesicht. »Ich muß sehr schwach sein, Edla,« sagte sie. »Ich fühle die Kraft, von der du sprichst und die du besitzest, nicht in mir. Ich bewundere und liebe sie – aber warum sehne ich mich heimlich mehr nach frohem Lebensgenuß, als nach Tugend und Vollkommenheit? Edla, meine zweite Mutter! verstehst du mich?«

»Ja – und es gab eine Zeit, wo ich ebenso fühlte wie du, – aber dieß ist eine traurige Schwachheit. Ich habe sie üherwunden.« 19

»Edla! Du hast so fühlen können und so überwunden! Du bist so ruhig und stark! Wie überwindet man seine Schwachheit, Edla?«

»Dadurch, daß man sich recht innig an ein stärkeres, ein höheres Leben anschließt – an Gott oder an einen kraftvollen und klaren Menschen.«

»Edla, behalte mich lieb! Laß mich immer bei dir bleiben. Ich werde mich dann nie unglücklich fühlen; ich werde dann stärker werden, ich werde werden, wie du mich haben willst.«

Edla verbarg die Rührung, womit sie diese Worte hörte, und sagte: »Ich glaube, Nina, daß du bald eine bessere Stütze, als mich bekommen wirst, eine, an deren Seite du nützlicher für deine Mitmenschen wirken kannst. Graf Ludwig liebt dich . . .«

Ein leichter Schauder durchzuckte Nina. Edla bemerkte es und sagte mit Unruhe: »Du hast doch wohl keinen Widerwillen gegen ihn, Nina?«

»Nein, aber er ist so streng, so kalt, ich empfinde etwas wie Angst vor ihm.«

»Streng, kalt!« wiederholte Edla. »Meine beste Nina, in unserer weichlichen Zeit scheint Jeder leicht so, der einen entschiedenen und kraftvollen Willen hat und sich nicht nach den Launen Anderer fügt. Was ich fürchte, was mir von ganzem Herzen zuwider ist, ist eben die Schwachheit und Schlaffheit, die in so vielen Gemüthern herrscht; jene Dämmerung in den Seelen, welche macht, daß man nicht weiß, was man will, daß man nur für Augenblicke wirkt, daß man Alles nur halb, nur schwach, nur unvollkommen thut . . . daß das ganze Leben zum Schattenspiel herabsinkt . . . Wie ganz anders ist nicht Graf Ludwig – wie fest, wie klar, wie geordnet sein Wirken! Ich kenne Ludwig seit seiner Kindheit und ich weiß keinen bessern, keinen edlern Menschen. Allein das Leben war rauh für ihn; die schmerzlichsten Erfahrungen haben sein Herz verwundet und Etwas, wie Bitterkeit, in sein Gemüth geworfen. Er verdient es wohl, daß 20 eine sanfte, liebenswürdige Frau ihn mit dem Leben versöhnt und ihn die Menschen lieben lehrt, für deren Wohl er indeß beständig arbeitet. Will meine Nina nicht sein guter Engel werden?

»Ich will, was du willst, Edla,« sagte Nina, indem sie mit ihren Lippen der Schwester Arm berührte. »Erzähle mir von ihm, daß ich ihn lieben muß. O wenn er unglücklich, wenn er einsam gewesen ist, wenn er von Niemand geliebt wurde und Niemand hatte, den er lieben konnte, so will ich ihm meine Zärtlichkeit schenken und Alles, was in meinen Kräften steht, thun, um ihn glücklich zu machen.«

Edla schlang gerührt ihre Arme um die zarte Schwester; als sie aber das Zittern spürte, das bei Nina so leicht auf zärtliche Anstrengungen des Gefühls folgte, so zog sie sich zurück und sagte, indem sie sich ruhig neben sie setzte: »Ich will dir sagen, was ich von Graf Ludwigs Leben weiß. Er kann es nicht übel nehmen und er bedarf und verdient eine Freundin, die besser, als er selbst könnte, bei dir für ihn spricht. Du weißt, daß er der älteste Sohn einer der reichsten und vornehmsten Familien unseres Landes ist. Pracht, aber keine Freude, keine Zärtlichkeit umgab seine Wiege. Beinahe von der Stunde seiner Geburt an war er von seiner Mutter nicht gut gelitten. Sein älterliches Haus war für ihn freudlos und unglücklich. Eitelkeit, Sittenlosigkeit und ein launischer Despotismus herrschten darin nebst all den Widerwärtigkeiten, die ihr Gefolge bilden. Seine Eltern waren einander zur Plage und rächten sich dafür an dem Kinde Ludwig. Gewalt und Ungerechtigkeit waren seine ersten Erfahrungen im Leben. Aber mitten unter diesen Beispielen erbärmlicher Schlaffheit, mitten unter diesem grausamen Drucke stählte sich Herz und Gemüth des herrlichen Knaben. Er fing frühzeitig an, Wahrheit und Ordnung zu lieben. Er befestigte sich in einer Richtung, die Allem, was er um sich sah, geradezu entgegengesetzt war, und wurde er dadurch zu verschlossen und streng, so 21 geschah es, weil er ganz einsam mitten unter Verführungen stand. Aber bald stand er nicht mehr einsam da; er gewann einen Freund, arm und von niedrigem Stande, gegen den aber die Natur freigebig gewesen war und der milder, als Ludwig, doch stark und warm, wie er, die Tugend zu lieben schien. Ludwig erblickte in ihm ein überlegenes Wesen und gab sich ihm mit ganzer Seele und ganzem Herzen hin.«

»Graf Ludwig hatte einen jüngern Bruder. Dieser wurde durch die Härte des Vaters sowohl in seiner geistigen, als körperlichen Entwicklung beeinträchtigt. Er hatte auch eine kleine Schwester und der mannhafte Knabe ward bald der Beschützer des zarten, schönen Kindes. Er saß neben der Wiege der Schwester, küßte ihre kleinen Füße und jagte die Fliegen weg, die ihren Schlaf störten. Es war seinem Herzen Bedürfniß, zu lieben. Als sie heranwuchs, suchte er sie gegen die Aeltern zu beschützen, deren Zärtlichkeit und Härte gleich tyrannisch und launenhaft war. Die Mutter starb und Graf Ludwig mußte auf Befehl seines Vaters zur Vollendung seiner Erziehung eine Reise durch Europa machen. Er war in Verzweiflung, seine Schwester in einem Augenblick verlassen zu müssen, da sie eines stützenden Freundes am meisten bedurfte, und um sowohl ihr, als seinem unglücklichen Bruder einen Beschützer und eine Stütze zu geben, führte er den obenerwähnten Freund in der Eigenschaft eines Lehrers für den Bruder in seines Vaters Haus ein. Seine Characterfestigkeit, seine glücklichen, geselligen Gaben und seine ungewöhnlichen Liebenswürdigkeiten sollten, hoffte Ludwig, eben so günstig auf seinen Vater, als auf seine Geschwister einwirken, und er überließ das Theuerste, was er auf Erden besaß, der Obhut seines Freundes.«

»Nach einem Jahr kam er zurück – und seine geliebte Schwester war verführt, aus dem Vaterhause geraubt und das Opfer eines schauerlichen Todes geworden. Sein Vater lag von Verräthershand gefährlich 22 verwundet auf dem Krankenbett, und der, der dieß Alles gethan, der Verführer, der Mörder und noch obendrein der niedrige Räuber einer ansehnlichen Geldsumme war – sein Freund; der Freund, den er so zärtlich geliebt, an den er mehr geglaubt hatte, als an sich selbst! Ach Nina! Es gehört keine geringe Kraft, keine geringe Tugend dazu, nach solchen Erfahrungen noch fest im Guten zu bleiben, noch für das Wohl der Menschheit zu arbeiten.«

»Graf Ludwigs verbrecherischer Freund war gefangen, und konnte sich gegen die Anklagen, die gegen ihn erhoben wurden, nicht rechtfertigen. Das Todesurtheil schwebte über seinem Haupte – da verschwand er plötzlich aus dem Kerker. Graf Ludwig verfolgte ihn nicht – er suchte ihn zu vergessen – das war seine Rache.«

»Der Tod seiner Schwester hinterließ tiefe Spuren in seiner Seele. Ich habe ihn viel gesehen zu einer Zeit, wo in Folge dieses Unglücks eine düstre Hypochondrie sich seiner bemächtigt hatte. Ich sah damals auch, wie dein Anblick auf ihn wirkte, wie er in deiner Nähe ruhiger und freundlicher wurde. Du warst noch sehr jung, als Ludwig seine Schwester verlor, und ich glaube nicht, daß die schauderhafte Begebenheit dir zu Ohren gekommen ist. Ludwig hat mir mehr, als einmal gesagt, du seiest schon damals sein schützender Engel gewesen, und nur durch dich allein könne er das Leben und die Menschen wieder lieben lernen. Er hat oft den herzlichen Wunsch gegen mich geäußert, dich seine Gattin nennen zu dürfen, und nur deine noch so schwache Gesundheit und meine Bitten haben ihn abgehalten, sich gegen dich und den Vater zu erklären. Aber sage mir Nina – verdient dieser Mann nicht die höchste Achtung? Verdient er nicht glücklich zu werden?«

»O gewiß verdient er es. Edla, ich will würdig werden, ihn glücklich zu machen. Ich will es werden. Ich will ihn lieben lernen; aber, Edla, laß ihn meine Hand jetzt noch nicht begehren. Ich bin noch so jung. Trenne mich noch lange, lange nicht von dir. Leite mich, 23 verlaß mich nicht. Es liegt wie ein Nebel über mir; ich sehe noch nicht deutlich, ich verstehe das Leben, verstehe mich selbst noch nicht.«

»Du wirst thätigen Antheil am Leben nehmen, Nina. Dann wird es dir klar werden.«

»Und werde ich glücklich seyn? werde ich ein fröhliches, heiteres Leben führen?«

»Nina, ich wünschte, daß du nicht soviel darnach fragtest. Haben jene ausgezeichneten Menschen auch so gefragt, die wir aus der alten und neuen Zeit bewundern, die nur für das Gute allein, für die bessern Tage der Erde, für den Himmel leben?«

»O ich bin schwach,« sagte Nina, indem sie mit dem Finger eine hervorquellende Thräne zerdrückte.

»Ja, das bist du,« erwiederte Edla mit einem Ernst, der wie Strenge klang. »Aber Nina, wir sollten uns unsrer Schwachheit schämen und alle unsere Kraft aufbieten, um sie zu bekämpfen. Nur die Erbärmlichkeit jammert über sich selbst, ohne sich zu erheben. Es ist schauderhaft, seine eigene Verachtung zu verdienen, und doch ist dieß das Loos des schwachen Menschen. Er weiß nicht, was Selbstbeherrschung heißt; er kennt die Seligkeit nicht, zu den Bedrängnissen des Lebens sagen zu können: ›Ihr vermögt mich nicht irre zu machen!‹ zu dem Schmerze: ›Du kannst mich nicht zermalmen!‹ Er bereut heute den Fehler, den er gestern begangen hat, und begeht ihn morgen aufs Neue. Er will sich erheben und stark werden, allein die Zeit vergeht in Trägheit, in kraftlosen Wünschen. Er weiß nicht, was kämpfen heißt, und weiß nicht, was siegen heißt; er sieht den Abgrund, hat aber nicht die Kraft, sich zu entfernen. Wie beklagenswerth . . . wie verächtlich . . . Nina! . . . du wirst blaß. . . .«

»Es ist Nichts! Es geht vorüber. . . . Edla! deine Worte . . . Edla, verachte mich nicht!« Und sie blickte angstvoll und mit gefalteten Händen zu ihr empor. 24

»Sei still, sei ruhig, mein gutes Kind,« sagte Edla mit zärtlichem Ernst, indem sie aufstand. »Du bist der schwache Mensch nicht, den ich schilderte, und wirst es auch nie werden. Ich will den Tag nicht erleben, wo du diesem Bilde gleichen würdest. Sammle Kraft es zu verabscheuen, es weit, weit von dir zu entfernen.«

»Ja ich will, ich werde es!« sagte Nina, indem sie die Arme gegen ihre Schwester ausstreckte; allein in demselben Augenblick sanken die ausgestreckten Arme nieder, ihr Kopf fiel zurück, ihre Augen schlossen sich, sie schlief. Ihre Stirne war klar. Kein Schmerz entstellte die reinen Züge, aber Todesblässe bedeckte das Gesicht und die Glieder waren regungslos und erstarrt. Es war der Tod in seiner schönsten Gestalt. Edla kannte diesen Schlaf, welcher der Krankheit angehörte, an der Nina schon als Kind oft gelitten hatte. Seit vielen Jahren war sie indeß frei davon gewesen, und um so erschreckender war dieser Augenblick für Edla. Mit der ihr eignen Geistesgegenwart wandte sie sogleich alle Mittel an, die sie besaß um diesen schauerlichen Schlaf aufzuheben, und nach Verfluß einer Stunde hatte sie die unbeschreibliche Freude, Nina erwachen zu sehen.

»Was war das?« fragte Nina unruhig. »War ich wieder krank, wie früher? Es kam eine Mattigkeit über mich. Edla, wie viele Unruhe, wie vielen Kummer mache ich dir nicht!«

»Es war Nichts,« antwortete Edla ruhig. »Deine physische Schwäche ist nicht gefährlich. Sie wird mit der Zeit bei einem thätigern Leben, wenn du auch für Andere zu sorgen hast, vergehen und dann wird auch deine Seele stärker werden. Glaube nur mir.«

»Ich glaube dir. Warum sollte ich auch nicht? Warst nicht du es, die mir zum zweitenmale das Leben gab? Habe ich nicht seither durch deine Fürsorge gelebt, durch deine Gedanken gedacht? O, als ich bereits in meinem Sarge lag und Alles still und finster um mich her, und mein kurzes Leben auf Erden beschlossen war, – als 25 du da kamst, und mich mit deinen Thränen erwärmtest und mit deinen Worten erwecktest und ich wieder warm wurde und die Augen öffnete und das Licht und dich sah, da, Edla, wurde ich dein, mein Leben war deine Gabe und ich fühlte, daß meine Zukunft in deiner Hand lag. Und so ist es auch, Edla; ich kann nicht daran denken, deinem Willen nicht zu folgen, dir nicht in Allem zu gehorchen.«

»Du bist mein gutes Kind!« sagte Edla freundlich, »aber wir haben einander heute Abend aufgeregt und das ist nicht brav. Gehe jetzt zur Ruhe. Ich bin nicht schläfrig und will mich an dein Bett setzen und laut lesen, bis du einschläfst.« Nina gehorchte, erfreut über dieses Versprechen.

Und was las Edla ihrer Nina wohl vor? Ohne Zweifel eine Predigt, um sie moralisch einzuschläfern, oder nahm sie die Asen vom Bücherschranke herab, um die schwache Schwester recht kräftig zu stärken? spricht vielleicht hier Fräulein Witzig.

Du mußt noch witziger werden, du Witzige! Edla las lebhaft aus Frau Lenngrens lebensvollen Schriften, und Nina schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

Da schwieg Edla und neigte sich zu der Schwester, mit Entzücken das engelgleiche Gesicht betrachtend, worauf sich in diesem Augenblick Unschuld und Ruhe vereinigt hatten, um den lieblichsten Ausdruck hervorzurufen. Unwillkürlich falteten sich ihre Hände und sie betete aus inbrünstigem Herzen:

»O mein Gott! wache über sie! Stärke ihre Schwachheit! Behüte sie! Gib mir Kraft, sie zum Guten zu leiten, zu dem Leben, welches das Deinige ist. Sie ist das Kind meines Herzens, meiner Sorgen. – Laß mich die Schwachheit niederkämpfen, die ich für sie fühle. – Laß mich sie zu dir führen, wenn auch durch Leiden.«

Hier bewegte Nina ihre Arme, die auf der Decke lagen und flüsterte bittend: »Mina, komm Mina!« Es 26 lag Etwas in diesen Worten, das Edla schmerzte; sie fuhr fort zu beten:

»Gib, daß sie mich liebt! Wenn es möglich ist, so laß sie für mich etwas von der Zärtlichkeit empfinden, die ich für sie hege.«

»Mina komm!« bat Nina abermals ängstlich.

Edla fuhr fort: »Laß mich, wenn es möglich ist, allzeit ihr nahe sein, allzeit über sie wachen, wie jetzt. Lege, o Gott, auf meine Schultern das Kreuz, das sie tragen soll; theile mir, wenn es möglich ist, ihr Leiden zu – ich bin stärker, als sie. Behüte sie! Segne sie!«

»Edla!« sagte jetzt Nina mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit.

»Laß ihre Tage klar, ihren Weg eben werden, o Allgütiger! schenke ihr Glückseligkeit, wenn es möglich ist, schon auf Erden. Aber wenn du siehst, daß es nicht gut für sie ist, o so stärke sie durch Prüfung, durch Leiden, mache sie zu deinem Kinde, o Vater, in Lust und in Noth, im Leben und im Tod! Mache sie nur zu deinem Kinde.«

Ninas Schlaf war unruhig. Edla ging ebenfalls zu Bette, schlief aber nicht, sondern dachte die ganze Nacht an Nina, bekümmerte sich um sie, und lauschte ihrem Athemzuge. Ein Paarmal meinte sie, er sei schwächer geworden; leise stand sie auf, ging ans Bett der Schwester, und als sie beim Schein der Nachtlampe die Farbe auf Ninas Lippen erblickte und ihr frisches, leichtes Athmen, wie einen Segen auf ihrer Wange fühlte, da kehrte sie wieder um und dankte Gott.

Laßt uns jetzt mit ihr den Morgen begrüßen und etwas Neues vorführen. 27

 


 


 << zurück weiter >>