Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

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Weltleben.

»Trink! Sie verfliegen die schäumenden Perlen, o trink!«
                                                            Franzen.

Mit was soll ich das Weltleben vergleichen, dieses brausende Leben der Feste und Vergnügungen, der Scherze und des Lachens, woraus Ernst, Seufzer und Thränen verbannt sind; dieses Leben, das in allen großen Städten herrscht, und Alle in seinen Wirbel zieht, womit soll ich es vergleichen? – Mit dem Schaum des Lebenstrankes. Er strömt unaufhörlich herab aus ewigen Quellen. Sein Schaum braust oben auf; die sausenden Perlen kreisen, blinken und verschwinden; neue wirbeln empor; es sprudelt unaufhörlich in der Tiefe des Bechers. Gut, wenn das Getränke Champagner ist und nicht bloß Dünnbier! Doch es muß wohl beide Sorten in diesem großen Wirthshaus geben. Manches edle Leben, manche Freude vergeht in diesem Element, aber auch mancher Seufzer, mancher Starrsinn, mancher krampfhafte Schmerz löst sich darin auf und verfliegt. Es hat sein Gutes, wenigstens für den Augenblick.

»Trink! sie verfliegen die schäumenden Perlen, o trink!« Viele Menschen können ohne dieses Element nicht recht leben, obgleich sie hin und wieder auch außerhalb desselben einen Athemzug thun und dann aus vollem Herzen seufzen: »Wie liebenswürdig ist die Natur! Wie angenehm die Stille! Wie schön die christliche Tugend! ohne Ernst und Einsamkeit ist keine wahre Freude zu finden. Man muß für den Himmel leben.« Und dann eilen sie, 56 sich aufs Neue mit Gesellschaft und Vergnügungen, mit Zerstreuungen aller Art zu umgeben.

Die Gräfin M., nunmehr Gräfin G., war eine dieser Weltnaturen. Ihre Ergebenheit gegen Angelika war bloß ein tiefer Athemzug außerhalb ihres Lebenselements, und schon lange vor Angelikas Tod hatte sie sich demselben wieder zugewandt. Sie liebte das Weltleben, wo sie vermöge ihrer Schönheit und ihres feinen Tons eine Zierde war, und ihr Reichthum ihr die Mittel in die Hand gab, mit Glanz aufzutreten. Sie bewegte sich darin leicht, wie der Fisch im Wasser, leicht, wie der Denker in seinem Element, und schwamm ebenso nothwendig auf der Oberfläche, wie er in der Tiefe der Lebensfluth. Sie schrieb und erhielt jeden Morgen wohl zwanzig Billete; sie beschützte Künstler und Schriftsteller und nahm Dedikationen ihrer Werke an; sie war Mitglied von allen Kunst- und Wohlthätigkeitsvereinen, sie liebte es zu intriguiren, zu recommandiren, eine Rolle zu spielen, sich wichtig zu machen, bewundert und angebetet zu werden, und es glückte ihr sehr häufig, zumal bei solchen, welche sie nicht so ganz in der Nähe betrachten konnten. Kurz nach ihrer Vermählung eröffnete sie ihr Haus auf die glänzendste Weise, sammelte Alles um sich, was die Hauptstadt an Talenten, an Rang und an Schönheit besaß, empfing jeden Tag Gesellschaften, veranstaltete Tableaux, Liebhabertheater, Concerte, Declamationen, Vorlesungen, spielte überall die vornehmste Rolle und ließ es sich bescheiden gefallen, daß man sie die Corinna des Nordens nannte.

Und nun, mein geliebter Leser, denkst du wohl, daß ich dich in meiner Geschichte weiter führen werde, wie man auf einer gut im Stande gehaltenen Landstraße geradezu auf das Haus losfährt, wo man seine gute Mahlzeit einnimmt? Nein, ganz und gar nicht. Ein vagabundirender Geist hat sich nun einmal meiner bemächtigt, und wir schweifen aufs Neue ab, in eine Episode, dann . . . ja wie weiß ich, was dann kommen wird! – 57 Folge mir, wer Lust und Liebe hat! Ich wende mich zu Fräulein Margarethe.

Womit soll ich Fräulein Margarethe vergleichen? Ich finde kein Bild, das so gut auf sie paßt, als das einer Heilquelle. Lebhaft und originell, eine frische, eisenhaltige Ader, faßte sie das Leben und die Menschen auf eine Art auf, die eben so lustig, als gutmüthig war, und ein herzliches Lächeln über ihre Thorheiten schwebte beständig um ihre feinen Lippen. Dieses Auffassen und dieses Lächeln, das sich in ihren Worten und in ihrem ganzen Wesen kund gab, und nicht den mindesten Anflug von Bitterkeit hatte, war unwiderstehlich erquickend, und es mußte eine ganz außerordentlich stumpfe, oder sehr unglückliche Person sein, wenn sie nicht im Stande war, sie wenigstens auf einen Augenblick munter und mittheilsam zu machen. Dieses harmlose Lachen ist gewiß eines der wirksamsten Mittel, um die Menschen mit dem Leben auszusöhnen, und eben das brachte Fräulein Margarethe zu Stande. Im Innersten überzeugt von Gottes weisen Schickungen in Allem war sie auch davon überzeugt, daß es der Lebenszweck jedes Menschen sei, sich so gut als möglich auf der Welt zu amüsiren, indessen mit steter Beobachtung der zehn Gebote Gottes und aller zur Wahrung seines Ansehens nothwendigen Klugheit. Reich und unabhängig lebte sie unverheirathet, weil sie unter den vielen Partien, die sich ihr dargeboten, keine gefunden hatte, die ihr größeres Glück . . . ein angenehmeres Leben versprachen, als das, welches sie als selbstherrschendes Fräulein und Baronin genoß. Sie lebte viel in der großen Gesellschaft, nicht weil sie dieselbe besonders liebte, sondern weil sie darin Stoff für ihre kritische Laune fand, und die Bestimmtheit in ihrem Charakter, so wie ihr gesunder Verstand machte sie allgemein eben so geachtet, als man sie wegen ihrer humoristischen Laune liebte und suchte. Eine geschworene Feindin Alles dessen, was man Exaltation nennt, suchte sie alle Saiten, die ihr zu hoch gespannt schienen, niedriger 58 zu stimmen und urtheilte dabei leicht Etwas zu streng, denn sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihrem eigenen, guten und wahren Herzen nähere Bekanntschaft zu machen. Sie war vornehm, aber nicht hochmüthig, und achtete jeden selbstständigen Menschen, der Ihro Gnaden nicht zu nahe trat. Eine entschiedene Verachtung hegte sie gegen alle Schlechtigkeit und beinahe noch mehr gegen alle Dummheit. Dummdreistigkeit verabscheute sie, wie den Gottseibeiuns, und strafte sie, wo sie konnte. Selbst ruhig und fest sah sie ihre Lust an den kleinen Intriguen, Verlegenheiten, Ansprüchen und Beschwerden Anderer, auch machte ihr vielleicht das Bewußtsein ihres Einflusses auf Alle, mit denen sie in Berührung kam, nicht wenig Vergnügen. Sie war indeß nicht immer mild, nicht immer warm, allein, wie ich oben gesagt, sie war in hohem Grad eine Heilquelle, und wo sie erschien, stellte sich unwillkürlich ein frischerer Muth, mehr Behaglichkeit im äußern und mehr Munterkeit im innern Leben ein. Ich habe oft gedacht, wenn man Fräulein Margarethe hunderttausendmal multipliciren könnte, so würde die Hälfte der jetzigen Krankenhäuser, Irrenanstalten und Heilquellen entbehrlich werden.

Das Haus der Gräfin G. war angenehm und lebhaft. Fräulein Margarethe war viel dort, weil sie ihre Cousine zwar nicht besonders liebte, aber dennoch große Stücke auf sie hielt, und von der Anmuth, welche die Gräfin G. in ihrem Wesen hatte, gleichsam gefesselt war. Aber jetzt fing sie an, sich weniger wohl in ihrem Hause zu befinden. Mit Edla konnte sie nicht besonders gut zurechtkommen. Sie begegneten einander mit der größten Höflichkeit, aber damit war Alles abgethan. Auch zog sich Edla bald aus den Gesellschaftskreisen der Gräfin zurück. Nina hatte für Fräulein Margarethe, wie sie sich selbst ausdrückte, zu wenig Fleisch und Blut. Sie fand sie schön, allein sie stieß sich an der bis zu einer Art Anbetung sich versteigenden Zärtlichkeit, welche die Gräfin ihr widmete, und worüber sie ihre alten Freunde zu 59 vergessen schien. Einiger Verdruß darüber bewirkte, daß sie jetzt weniger geneigt war, Nina Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und außer ihrer Schönheit auch noch etwas Anderes an ihr bewundernswerth zu finden.

Ein wahrer Dorn in ihren Augen war die junge Dame, welche die Gräfin in ihren Schutz genommen hatte. Sie nannte sie nur die stille Klara und obgleich ihr ganzes Wesen diese Bezeichnung rechtfertigte, so hätte Fräulein Margarethe doch lieber die langweilige Klara gesagt. Unabläßig mit ihrer Näharbeit – fast immer einer ausgezeichnet schönen Stickerei – beschäftigt, schien sie für Nichts in der Welt Interesse zu haben, als diese Arbeit fertig zu bringen. Bei den glänzenden Festen, welche die Gräfin gab, saß sie ruhig und gleichgültig da und langweilte sich augenscheinlich, wenn sie nicht nähte. Sie schien wenig auf Andere zu achten und wenig darnach zu fragen, ob Andere auf sie achteten; sie nähte bloß. Wenn Andere disputirten und sich ereiferten, so saß Klara stille da und nähte; wenn Andere voll Eifer hin und her rannten, um ein Spiel oder sonst ein Vergnügen in den Stand zu bringen, so saß Klara schweigend da und nähte. Wenn Andere vor langer Weile gähnten, sich abquälten und ärgerten, so saß Klara ruhig da und nähte. Wenn man sie anredete, so sah sie auf, antwortete höflich, aber immer so kurz als möglich, schlug dann sogleich wieder die Blicke nieder – und nähte. Dieß setzte Fräulein Margarethens Geduld auf die grausamsten Proben. Dazu kam noch, daß Klara sich einen Katalog von gewissen Worten und Ausdrücken gemacht hatte, welche ihren ganzen Sprachvorrath zu enthalten schienen, und die sie zur Zeit, übrigens wie Fräulein Margarethe behauptete, öfter auch zur Unzeit anbrachte. Sie lauteten: Es kann sein. – Was thut das? – Bemühen Sie sich nicht. – Setzen Sie sich. – Lassen Sie uns ruhig bleiben u. s. w. – Besonders hörte man oft ein gewisses gleichgültiges »Ja so,« welches Fräulein Margarethe rein zur Verzweiflung brachte. Sie war 60 selbst ganz ruhig, ja sie bildete sich bei der allgemeinen Unruhe der Andern nicht wenig darauf ein; allein diese Ruhe, diese Indifferenz war eine Carikatur der ihrigen; sie mußte sich darüber wundern und zugleich ärgern. Was sie aber noch mehr verdroß, war, daß Klara bei all ihrer Näherei und ihrem Lakonismus gleichwohl eine Art Anziehungskraft auf sie ausübte, von der sie sich kaum losmachen konnte. Sie lag zum Theil in einer unbeschreiblichen Neugierde, wie ein Mensch beschaffen sein müsse, der mit Vernunft, Verstand, seinen fünf Sinnen und sämmtlichen Gliedern begabt, sich dennoch für Nichts von dem Allem interessire, wonach Andere strebten, und für jeden Eindruck unzugänglich zu sein schien. Indeß hatte Klara auch Etwas – Fräulein Margarethe wußte selbst nicht was, allein sie mußte sich unwillkürlich an Baron H's. Ausdruck heilig erinnern – etwas so Einfaches, so Wahres . . . Fräulein Margarethe fand gegen ihren Willen Wohlgefallen daran, und konnte es sich nicht verwehren, sie aufmerksam zu betrachten. Klaras Gesicht war ohne Schönheit, es hatte keinen eigentlich schönen Zug, indeß konnte man sie keineswegs häßlich nennen. Ihre dunkle Farbe ließ sie in der Entfernung häßlich scheinen, allein in der Nähe gewahrte man die Klarheit, die durchsichtige Feinheit derselben und das Spiel der Adern auf Wangen, Scheitel und Augenlidern. Wenn sie durch irgend Etwas ungewöhnliches angezogen wurde – ein Phänomen, das Fräulein Margarethe noch nicht gesehen hatte – so stieg eine Purpurflamme in ihre bleichen Wangen, die ihr einen ganz eigenthümlichen, fremden Reiz gab, und die lichtbraunen Augen, welche sich langsam unter den tiefen Augengewölben bewegten, glänzten in diesem Augenblick mit milder wohlthuender Klarheit. Eines Tages nahm sich Fräulein Margarethe vor, einen Versuch mit Klara zu machen und genau zu erforschen, was es mit ihrem Verstand für ein Bewenden habe. Sie gab sich wirklich Mühe, recht angenehm zu sein und bot ihren ganzen Vorrath 61 von Witz und Lustigkeit auf. Klara hörte ihre munteren Einfälle mit stillem Lächeln an – und nähte; sie beantwortete ihre Fragen höflich, aber kurz – und nähte; allmählig hörte sie bloß halb und antwortete mit augenscheinlicher Zerstreuung; endlich kam ein übel angebrachtes »Ja so.« Jetzt konnte es Fräulein Margarethe nicht mehr aushalten, sie wurde zornig, stand auf, und gelobte sich in ihrem Innern nie mehr Belebungsversuche mit einer so leblosen und unhöflichen Person vorzunehmen.

Aber jetzt begann eine Art Kriegszustand zwischen Fräulein Margarethe und Klara, wobei die Erstere oft sehr unmuthig wurde. Es gab gar viele Dinge, welche Fräulein Margarethe nothwendig, Klara aber unnöthig fand. Gleichsam dieser zum Trotz veranstaltete Fräulein Margarethe bisweilen eine gewisse Bewegung und Unruhe, bei welchen Gelegenheiten sich immer Klaras Vorschlag wiederholte, die Sache unterwegs zu lassen und sitzen zu bleiben. So sanft nun auch diese Worte ausgesprochen wurden, so ärgerte sich doch Fräulein Margarethe gewaltig darüber und sagte bei einer solchen Veranlassung einmal Etwas hitzig: »Meine liebe Klara, ich bin zu alt, um mich noch hofmeistern zu lassen, behalten Sie daher Ihre wohlweisen Bemerkungen zu Ihrer eigenen Erbauung.« Solche kleine Reibungen erneuerten sich ziemlich oft. Indeß hatte Fräulein Margarethe in ihrer bösen Laune Etwas, das Klara bei weitem weniger erschreckte, als ein einziger kalter Blick von der Gräfin. Auch will ich euch nicht verhehlen, meine Leser, daß ich selbst oft folgende, wohlweise Betrachtungen angestellt habe:

In manchem Zank liegt der Keim zu einer innigen Freundschaft, manches gute Einvernehmen aber beweist bloß, daß man einander Nichts zu sagen hat. Die Indifferenz will weder beißen noch küssen.

Die stille Klara hatte drei wilde Brüder; der eine war Jurist, der andere Marinelieutenant und der dritte Lieutenant bei der Linie. Die drei wilden Brüder liebten die stille Schwester aufs Zärtlichste und hatten keinen 62 höheren Wunsch, als sie bald gut verheirathet zu sehen. Sie wünschten ihr einen braven, aber zugleich reichen Mann, der auch Mittel und Lust hätte, den armen Schwägern unter die Arme zu greifen. Die drei wilden Brüder bestürmten die stille Schwester unaufhörlich mit Fragen, ob sich noch kein Freier gemeldet, mit der Mahnung sich schön zu kleiden, artig zu sein u. s. w. Sie plagten sie beständig mit den besten Absichten von der Welt.

Auch die Gräfin gab sich nicht minder als die drei wilden Brüder alle Mühe, Klara eine gute Partie zu verschaffen. Sie hielt es für eine Gewissenspflicht, und hatte ohnehin gern die Fäden zu einem kleinen Roman in ihrer Hand. Klara antwortete den drei Brüdern ebenso freundlich als ausweichend, befolgte indeß die Vorschriften der Gräfin, über die Art, wie sie sich kleiden solle, nicht. Fräulein Margarethe wünschte den Bemühungen der Gräfin und der Brüder von ganzem Herzen Glück. Sie hatte wirklich angefangen, einen kleinen Haß auf die unbegreifliche Klara zu werfen, und sie sehnte sich nach dem Tage, wo diese gefühllose Mauer ihr nicht mehr die Aussicht im Hause verderben werde.

Freier zeigten sich auch bald, und zwar wie es schien aus Antrieb des eigenen Herzens. Baron H. bewies gegen Klara eine Aufmerksamkeit, welche Jedermann merkte und deutete, nur sie selbst nicht.

Fräulein Margarethe war ärgerlich über H's. Absichten. Sie fühlte wirklich Freundschaft für ihn und hätte ihm eine bessere Frau gewünscht, als die stumme, leblose Klara. Gleichwohl sagte sie Nichts, sondern machte sich bloß sehr häufig lustig über seine vergeblichen Unterhaltungsversuche mit Klara, und ließ es nicht an Sticheleien fehlen, wovon er indeß keine Notiz nahm. Fräulein Margarethe hatte noch überdieß einen kleinen Grund, auf den Baron böse zu sein.

Dieser hatte nämlich in den Jahren, da wir ihn nicht mehr gesehen, seine Familie ganz unvermuthet und 63 auf eine eigenthümliche Art vermehrt. Wir haben bereits gesagt, daß er keine Frau gefunden; dagegen hatte er – Niemand wußte wie – einen Sohn gefunden; ein gutes, natürliches Kind, das er Filius nannte. Sein Taufname war Leo. Ob er einen Zunamen hatte, wer er war, woher er kam, wußte Niemand, und dem Baron selbst war nicht der geringste Aufschluß darüber abzulocken. Er sagte bloß, Filius sei ein Findling, und wußte jedesmal alle weitere Gespräche über seine Herkunft abzuwenden. Aber gerade dieses Dunkel, so wie gewisse halblaute Vermuthungen, die im Umlauf waren, brachten Fräulein Margarethe auf allerhand für den Baron keineswegs günstige Gedanken, und machten ihr auch den zahnlosen, Etwas eigensinnigen Filius widerwärtig, den nach ihrer Ansicht seine schönen Augen und seine lebhafte Farbe keineswegs berechtigten, den Baron überall hinzubegleiten und eine Erziehung zu erhalten, wie er sie als sein leiblicher Sohn nicht ausgezeichneter hätte bekommen können. Baron H. hegte für den Knaben eine Zärtlichkeit, die an Schwachheit gränzte, und ließ sich durch Fräulein Margarethens Fragen und Bemerkungen nicht im Mindesten irre machen, sondern beantwortete sie meistens mit der besten Laune von der Welt. Dadurch fand sich nun Fräulein Margarethe sowohl in ihrer Neugierde als in ihrem Schicklichkeitsgefühl verletzt. Sie betrachtete den Filius mit ungnädigen Augen, und zum Dank war auch er ungemein störrisch gegen sie. Dagegen hielt er sich gerne um Nina auf, und war bereit ihren leisesten Winken zu gehorchen. Man nannte ihn Ninas kleinen Anbeter, und er war wirklich ein redendes Beispiel von der Macht, welche Schönheit auf den Kindessinn ausübt.

Eines Abends war große Gesellschaft bei dem Präsidenten. Die Gräfin zog aller Augen auf sich, sogar noch mehr, als die schöne reizende Nina. Sie hatte ein rothes Sammtkleid an, einen goldgestickten Turban auf dem Kopf, und entlockte ihrer Harfe die bezauberndsten 64 Töne, während sie mit seltener Kunstfertigkeit eine Bravour-Arie von Meyerbeer dazu sang. Ein Kreis von Bewunderern schloß sich um sie. Der Präsident selbst war unter ihnen und gerieth beinahe außer sich vor Entzücken.

Der Baron näherte sich Klara, die in einem dunkelbraunen Seidekleid und mit der doppelten Tyllpelerine um den wohlgebildeten Hals, gleichsam der Schatten in dieser leuchtenden Versammlung war. Er setzte sich bequem auf einen freien Stuhl neben ihr nieder. »Ein herrliches Talent,« sagte er, mit einer Art kühlen Entzückens über den Gesang der Gräfin. Klara antwortete ein eben so kühles »Ja.«

»Sie spielen und singen vermuthlich auch?« fragte Baron H. mit vieler Theilnahme.

»Nein,« antwortete Klara ganz ruhig.

»Dann bin ich überzeugt, daß Sie vortrefflich zeichnen.«

»Nein ich verstehe mich auf gar keine schöne Kunst,« erwiederte Klara mit demselben Tone.

»Nun, was hätten Sie auch davon? Heut zu Tage spielen, singen und zeichnen alle Damen ein wenig, wie sie es nennen, und verderben damit eine Menge Zeit, die besser angewendet werden könnte. Es wäre weit passender, sie widmeten sich den edlen Beschäftigungen der Hausfrauen . . . und studirten die Kochkunst. Gewiß verstehen Sie sich auf diese vortreffliche und edle Kunst?«

»Nein, ich verstehe auch diese nicht,« sagte Klara.

»Nun das lernt man, das gibt sich bald,« tröstete der Baron. »Man hält eine geschickte Köchin . . . und dann . . . Sie verstehen doch gewiß ein Mittagsmahl anzuordnen?«

»Nein,« erwiederte Klara, »ich kann es nur essen.«

»Gut gesagt, Klara!« dachte Jemand ganz in der Nähe und ein herzliches Lachen, das zu ersticken drohte, wenn ihm nicht Luft gemacht wurde, unterbrach das Gespräch und verrieth Fräulein Margarethe als Zuhörerin, woraus diese auch gar keinen Hehl machte. Baron H. 65 erröthete leicht und warf ihr einen grimmigen Blick zu, den sie, überzeugt, daß noch vor Ende des Tages eine Versöhnung stattfinde, mit großer Standhaftigkeit ertrug. Es geschah auch wirklich so. Trotz aller zufälligen Mißhelligkeiten herrschte zwischen Baron H. und Fräulein Margarethe eine gewisse Sympathie, die sie unaufhörlich zu einander zog. Es war ihnen beiden ein eigentliches Bedürfniß sich zu amüsiren und dieses fanden sie nie so gut befriedigt, als in ihrer gegenseitigen Gesellschaft.

Trotz aller Nein Klaras ließ sich der Baron doch nicht abschrecken, im Gegentheil schien er immermehr eine wirkliche herrliche Neigung für das stille Wesen zu fassen und suchte sie auf die kleinen Künste und Wissenschaften seines Filius aufmerksam zu machen. Die vornehmste davon bestand in einer Art grober Zeichnung meistens mit Kohle oder Kreide, wofür ihn Fräulein Margarethe gern auf die Finger geklopft hätte, während der Baron die Weissagung eines neuen Michel Angelo Buonarotti darin erblickte. Es konnte nicht geleugnet werden, daß der Knabe höchst ungewöhnliche Anlagen besaß, mit ächtem Künstlergeist immer nur auf seine Kunst bedacht zu sein und überall nur Gegenstände für dieselbe zu sehen schien. Daraus entstand indeß die Ungelegenheit, daß man manche Nase und manches Auge an einem Orte erblickte, wo man sie nicht zu sehen wünschte. Vergebens kaufte Fräulein Margarethe ein Buch Zeichnungspapier und breitete die Bogen Filius in den Weg. Filius strebte nach dem Großen auch im Raum und zeichnete am liebsten auf Fußböden und Wände. Klaras Sorgfalt verhinderte indeß meist alle schädlichen Folgen, sowohl für die Wände als für Filius, und der Baron, der Nichts so sehr fürchtete, als der Phantasie des jungen Künstlers Fesseln anzulegen, war unendlich dankbar dafür. Er wurde immer aufmerksamer gegen sie und machte ihr seine Cour, besonders durch die Artigkeit, daß er ihr oft ausgezeichnet schöne Blumen verehrte, ein Geschenk, das Klara nicht ausschlagen konnte. Schon winkte die Gräfin und machte 66 ein hochzeitliches Gesicht, schon rühmten sich die drei wilden Brüder ihres künftigen Schwagers und Fräulein Margarethe sagte: »Was geschehen soll, geschehe lieber bald!« Da trat ein anderer Freier auf den Schauplatz, ein reicher junger Kaufmann, der Klara noch in ihrem elterlichen Haus kennen gelernt und sich schon damals ernstlich in sie verliebt hatte. Allein damals war er arm und konnte ihr seine Hand nicht anbieten. Jetzt hatte er sich durch Thätigkeit und Geschicklichkeit emporgearbeitet; er hatte ein Haus und ein Landgut gekauft, und kam nun, der Längstgeliebten einen Antheil an seinem Glücke anzubieten, wie er ihr schon längst einen Theil an seinem Herzen eingeräumt hatte. Wir nennen ihn Herrn Fredriks. Er ließ sich bei der Gräfin vorstellen. Sein ganzes Wesen war etwas ungeschlacht, allein sein Herz war gut und eine gewisse, frische Rührigkeit belebte seine Blicke. Baron H. sah ihn Etwas von oben an, Herr Fredriks dagegen begegnete ihm mit einigem Trotz: Beide umgaben Klara, legten aber ihre Aufmerksamkeit auf ganz ungleiche Art an den Tag. Der Baron setzte sich neben sie, rühmte ihre Arbeiten, ihren Fleiß, ließ seine mit einem schönen Brillantring geschmückte, weiße Hand unter ihren Augen mit einer goldnen Dose manövriren und bot ihr sehr häufig mit vielem Ernst eine Prise daraus an. Er sprach gemüthlich und vergnügt über die Seligkeit einer ruhigen und glücklichen Ehe, machte humoristische Bemerkungen über das Leben und die Menschen, sagte seiner Zuhörerin eine und die andre Artigkeit und blinzelte dazu mit seinen recht hübschen Augen, wie Fräulein Margarethe sie nannte. Herr Fredriks dagegen warf ihr die bedeutsamsten Blicke zu, war fast beständig zu ihren Füßen und hatte eine Art, um sie herumzutrippeln und zu stampfen, welche für die stille Klara unbeschreiblich beunruhigend war. Er sprach beständig von seinen Planen, eine Equipage zu kaufen, ein glänzendes Haus zu führen und große Gesellschaften zu geben. Seine Frau müsse sich mit jeder Gräfin messen 67 können. Inzwischen schien es keinem von beiden Freiern zu glücken, einen Eindruck auf Klaras Herz zu machen. Sie blieb sich in ihrem Benehmen gegen Beide gleich. Sie schnupfte nicht aus des Barons Dose, sah nicht auf seinen schönen Ring, sondern hörte seinen scherzhaften Erzählungen stille zu – – und nähte. Sie erwiederte Herrn Fredriks Blicke nicht, sah nicht auf, wenn er von dem neuen Kronleuchter erzählte, den er bestellt, und wenn ihr einmal ein Seufzer entfuhr, so geschah es, weil ihr unruhiger Liebhaber gar zu lange um sie herumstampfte und man konnte wohl sagen, der Seufzer war heraufgestampft. Sie äußerte keine Ungeduld, sie äußerte überhaupt Nichts, sondern sah bloß auf ihre Arbeit nieder und nähte. Fräulein Margarethe betrachtete sie mit heimlicher Erbitterung, und wünschte sie in Vaninas Wachsfigurencabinet.

»Ich habe bisher an die Bibel geglaubt,« sagte sie eines Tages zur Gräfin, »allein dort steht, es gebe nichts Neues unter der Sonne, und doch bin ich überzeugt, daß die Sonne nie ein solches Exemplar von einem Menschen, wie Klara, beschienen hat. Die drei wilden Brüder stürmten mit Nord- und Südwind auf die stille Schwester ein. Sie solle sich einmal entschließen, sie solle eilen, sich selbst und sie glücklich zu machen.

Der Jurist war für den Baron, dessen Rang und Mammon ihm gewaltig imponirten. Der Marinelieutenant und der von der Linie dagegen stritten mit allem Eifer für Herrn Fredriks: »ein reicher Kerl, ein hübscher Kerl und ein so seelenguter Junge!« Mit unbeschreiblichem Staunen und Schreck hörten sie jetzt, daß ihre Schwester sich nicht verheirathen wolle, sondern beide Freier auszuschlagen gedenke, im Fall sie sich nicht, wie Klara hoffte, durch ihre Kälte zum Rückzuge bewegen lassen, bevor es zu einer Erklärung komme. Klara hatte jetzt schwere Kämpfe auszustehen. Der Jurist, der sich als das Haupt der Familie betrachtete, hielt ihr gewaltige Vorlesungen über ihre Pflichten und malte ihr die 68 Zukunft in langen schönen oder häßlichen Zügen, je nachdem sie heirathen Jungfer werden, um die Niemand sich bekümmere, und entfernten sich in wildem Zorn.

Nach solchen Auftritten erschien Klara meistens mit Thränen in ihren sanften Augen und doch hatte sie noch härtere Drangsalirungen zu bestehen. Die Gräfin berief sie in den Morgenstunden zu sich und hielt ihr lange Reden, die zwar vielleicht allen Gesetzen der Rhetorik entsprachen, aber dessen ungeachtet nicht den mindesten Reiz für sie hatten. Die Gräfin fand viel an ihr zu tadeln, sie machte sie auf eine schonende Art auf ihre Verbindlichkeiten gegen ihre Wohlthäterin aufmerksam und predigte Moral aus Lehnberg und Bossuet. Sie bereitete Klara auf eine nächstdem bevorstehende Veränderung in ihren Lebensverhältnissen vor und sprach viel davon, was sie, die Gräfin, für Klara thun wolle. Endlich empfahl sie ihr nachdrücklich, dem einen oder andern der beiden Liebhaber einen bestimmten Vorzug zu geben; so könne es nicht mehr gehen, wie bisher, daß sie gegen beide höflich und gleichgültig sei, dieses Benehmen gleiche vollkommen dem einer Kokette, es könnte leicht gänzlich fehlschlagen u. s. w.

Als Klara erklärte, sie wolle keinem von Beiden Hoffnung machen, indem sie nichts Anderes von ihnen wünsche, als daß sie sie in Ruhe lassen, und nicht weiter an sie denken sollen, so wollte die Gräfin nur gewöhnliche, unstichhaltige Ausflüchte darin erkennen. Sie sprach von Undankbarkeit und ließ Klara fühlen, daß sie von ihren Wohlthaten lebe. Dieß machte einen tiefen und schmerzlichen Eindruck auf das arme Mädchen und sie muß wohl starke Gründe gehabt haben, auf ihrem Entschlusse zu beharren, da man ihn ihr so sauer machte. Gleichwohl bestand sie darauf und blieb still, wie zuvor bei ihrer Gleichgültigkeit und ihrer Näherei. Indeß fand die Gräfin für gut, letztere durch allerhand Aufträge und 69 Beschäftigungen zu unterbrechen; Klara bekam beständig mit Boden, Küche und Keller zu thun und wurde jeden Augenblick in ihrer sitzenden Ruhe gestört. Uebrigens ließ sie sich keinen Verdruß darüber anmerken, sondern that Alles, was man forderte, bereitwillig und recht, und blieb dagegen die Nacht auf und nähte. Ihr Aussehen verrieth jedoch eine Niedergeschlagenheit, welche Fräulein Margarethe ein wenig erquickte, denn sie fand doch mindestens einen Schein von Gefühl, während sie bisher bloß Leblosigkeit gesehen hatte, und sie gönnte Klara gern ein wenig Kummer für den vielen Verdruß, den sie ihr bereitet hatte.

Immer schwärzere Wolken sammelten sich jetzt um die stille Klara und drohten in Bälde ihre ganze irdische Wohlfahrt zu ertränken. Die Gräfin fand ihr Benehmen so sonderbar, daß sie Verdacht zu schöpfen anfing, sie möchte vielleicht geheime Beweggründe minder reiner Natur dazu haben. Sie hatte schon lange einer Art Spionirsystem gehuldigt – von allen Systemen gewiß das unglückseligste, zumal wenn es im eigenen Hause angewandt wird – sie dehnte es jetzt auf Klara aus und suchte auch Fräulein Margarethe dafür zu gewinnen; allein diese antwortete ihr kurz und gut, sie befasse sich nicht mit dergleichen.

Die Gräfin ließ Klara jetzt durch ihre Kammerjungfer bewachen, die alle ihre Handlungen ausforschen mußte, und fand bald starke Veranlassungen zu schwerem Verdacht. Ein- oder zweimal in der Woche pflegte Klara ganz allein auszugehen und kam dann gewöhnlich nach einer Stunde zurück, ohne Jemand zu sagen, wo sie gewesen, oder auch nur, daß sie ausgegangen sei. Man bemerkte oft, daß die kleinen Geschenke, die sie von Zeit zu Zeit von ihrer Beschützerin erhielt, bald verschwanden. Vergebens wurde sie erinnert, ihr Halsband und ihre Armbänder zu tragen. Klara blieb ungeschmückt und gestand auf weiteres Drängen mit Thränen in den Augen, sie habe dieselben nicht mehr, weigerte sich aber, zu 70 sagen, wohin sie gekommen seien. Auf diese Entdeckung nun begann die Gräfin die weitläufigsten Vermuthungen zu bauen, welche sie auch Fräulein Margarethe mittheilte und worin sie eine Veranlassung erkannte, schwere Hand auf Klaras Leben zu legen.

Wir haben bereits gesagt, daß es der Gräfin bei einer hohen ästhetischen Bildung gleichwohl an der Schönheit des Herzens, an Güte fehlte; wir müssen nun hinzufügen, daß sie bis zur moralischen Grausamkeit hart sein konnte gegen Personen, die ihr einmal nicht zu gefallen wußten, und auf die sie einen Groll geworfen hatte. Ihr Bedürfniß, beständig auf der Bühne zu sein, eine Rolle zu spielen und überall zu herrschen, machte sie oft auch denen unerträglich, die ihre vielen schönen Gaben bewunderten; solche aber, die ganz und gar von ihr abhingen und nicht das Glück hatten, sich ihr Wohlgefallen zu sichern, waren sehr zu beklagen. Klara fühlte bald die ganze Schwere eines Despotismus, der unter den gebildetsten Formen dennoch unbarmherzig zu unterdrücken verstand. Daß sie die Kammerjungfer und Haushälterin der Gräfin zugleich machen, daß sie einen Kopfputz um den andern verfertigen und ändern, daß sie beständig aus der Küche in die Vorrathskammer und aus der Vorrathskammer in die Küche springen mußte, um launische Befehle auszuführen, das war immer noch Nichts; aber daß sie auch nie einen freundlichen Blick erhielt, daß sie unaufhörlich Sticheleien und offenem Mißtrauen selbst in den geringsten Sachen ausgesetzt war, das quälte sie, das schnitt ihr tief ins Herz. Gleichwohl ertrug Klara Alles mit beispielloser Geduld und nähte dafür um so eifriger in ihren Freistunden. Fräulein Margarethe wußte nicht mehr, ob sie sich über sie ärgern, oder sie bewundern solle. Ernstlich mißvergnügt war sie über Klaras geheime Handlungsweise und glaubte mit Recht, eine solche lasse auf eine minder reine Aufführung schließen. 71

 


 


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