Fredrika Bremer
Nina
Fredrika Bremer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Präsident.

Wie stehts?
Wie stehts?
            Bekannte.

Und es ist wahrhaftig Zeit, daß wir den glücklichen Neuvermählten begrüßen und ihn fragen, »Wie stehts?«

»Excellent!« würde Se. Excellenz geantwortet haben, aber die Wahrheit würde uns hinter dem Rücken zuflüstern: »Nicht zum Besten.«

Die Sache verhielt sich so: Der Präsident war in seine Frau verliebt, fand sich aber in seinen alten Gewohnheiten, in seinen Bequemlichkeiten und seiner ganzen Lebensweise dermaßen gestört, daß es sowohl auf seine Gesundheit als auf seine Laune nachtheilig einwirkte. Seine schöne Gräfin war eine vortreffliche Wirthin, eine ganz artige Dame des Hauses; aber eine aufmerksame, pflegende Gattin war sie nicht. Er sollte da aufpassen, pflegen, fragen, Acht geben, ihr Vergnügen machen, Artigkeiten sagen und in Allem folgen. Der Präsident kam ganz außer Athem, war jedoch verliebt und munter; sie nannte ihn: Mein Süßer! Mein Engel! strich ihm mit ihrer weißen Hand die Wangen und dann war er entzückt, wo nicht gar selig. Ach Kupido, Kupido!

Allein diese Liebe und dieser peinliche Mißmuth, verbunden mit einem gewissen Gefühl, daß er unklug gehandelt, verstimmte ihn dennoch in seinem Innern und erweckte in ihm eine gewisse Scheu vor Edla. Er schämte sich seiner Gefühle vor der hohen Tochter, er scheute ihren Blick und wich ihrer Gesellschaft aus – 82 Letzteres um so sorgfältiger, weil er wußte, daß er ihr durch eine Kälte und eine Zurückhaltung, die Niemand weniger, als sie verdient, wehe gethan hätte. Edla sah dieses Ausweichen und verehrte des Vaters Willen, so sehr es sie schmerzte. Sie suchte ihn auch nicht mehr, denn auch sie war durch die Veränderung im Hause nicht glücklich geworden, und konnte ihm noch kein freudiges Wort darüber sagen.

Die hauptsächlichste Beschäftigung der Gräfin war Nina. Als feine Kennerin wußte sie die vollendete, bezaubernde Schönheit vollkommen zu würdigen. Sie war ganz und gar von ihr hingerissen, und bedurfte ihres Anblicks, wie der Künstler seines Ideals bedarf. Sie bot ihre ganze Kunst, alles das wirklich Einnehmende, was in ihrem Wesen und ihren Geistesgaben lag, auf, um Nina zu gewinnen und fest an sich zu fesseln. Sie gab ihr Lectionen im Harfenspiel, im Singen, im Italienischen und überhäufte sie mit Liebkosungen aller Art. Die schöne Nina wurde von ihr beinahe vergöttert, während die unbegabte Klara nur kalte Blicke und Befehle erhielt. Aber nicht zufrieden damit, ihre eigene, ganze Aufmerksamkeit auf Nina zu verwenden, wollte sie auch die aller Andern auf sie richten. Dieß ging leicht. Wer wird nicht von Schönheit und Anmuth entzückt? Wer vermag ein solch schönes Gesicht zu betrachten, ohne darin einen Gedanken Gottes zu ahnen? – Ein Kreis von Bewunderern schloß sich um Nina, allein sie waren Alle voll der tiefsten Verehrung. Nina hatte etwas Ueberirdisches, was mehr Anbetung gebot, als zum Verlieben einlud. Bald sammelten sich Künstler mit Pinseln und Meiseln um sie, theils von der Gräfin aufgefordert, theils von ihrem eigenen Schönheitssinne getrieben. Södermark wollte ihr Portrait in Oel, Professor Waj wollte ein Miniaturbild von ihr malen, Mamsell Röhl wollte sie mit schwarzer Kreide zeichnen, Fogelberg wollte ihre Büste in Marmor ausführen und ihre Hand modelliren; auch an Wachsbossirern und 83 Silhouetteurs fehlte es nicht, welche, jeder in seiner Art, diese schönen Züge, diesen unvergleichlichen Kopf wiedergeben wollten.

Nina sah sich nicht ohne Vergnügen den Gegenstand all dieser Zärtlichkeit und Huldigungen, aber dennoch trat ihr Wesen nicht aus der Wolke hervor, die sie mit magischer Dämmerung umgab. Bei all ihrer Holdseligkeit schien sie höheren Regionen anzugehören, und schwebte mehr dahin wie ein ideales Wesen, wie ein Traum aus bessern Tagen, als wie ein lebendes Menschenkind. Ninas Leben glich damals dem schönen Bild von Galatheas Triumph.

Auf ihrem von den Wellen getragenen, von Delphinen gezogenen Wagen ruht die junge Göttin sorglos. Najaden und Tritone, Scherze und Spiele umtanzen die schäumenden Wogen, Götter der Liebe bestreuen sie mit Blumen und selbst die Winde scheinen nur zu wehen, um sie zu liebkosen und ihr zu huldigen. Sie läßt sie tanzen, läßt sie Blumen streuen, läßt den Wind mit ihren Haaren spielen, läßt sich von den Fluthen forttragen und blickt sorglos darein, träumt und lächelt. Aber diese holde Ruhe, diese ungesuchte, gleichsam angeborne Göttinmanier, Huldigungen entgegenzunehmen, und dabei, wie aus den Wolken, mild und gleichgültig auf die unruhige Welt herniederzublicken, hatte bei Nina etwas ganz eigenthümlich Bezauberndes. Noch bezaubernder war sie vielleicht, wenn eine stille Wehmuth sie ganz und gar dem Bewußtsein ihrer glänzenden Umgebung zu entrücken schien, um sie in nächtliche Regionen zu führen, wohin kein Gedanke ihr folgen konnte. Dann lagerte sich eine Blässe auf ihrem Gesicht, gleich als hätte der Tod in eiliger Vorbeifahrt sie mit seinen Schwingen berührt. Gleichwohl begann jetzt öfter als gewöhnlich eine sanfte Röthe ihre Wangen zu beleben, und ihre Gesundheit schien sich unter diesem rührigen, wechselreichen Leben zu kräftigen.

Graf Ludwig war oft um Nina, aber weniger in 84 der Eigenschaft eines Liebhabers, als wie einer, der sein Eigenthum bewacht.

Fräulein Margarethe wurde dieser Abgötterei mit Nina, mit ihren Gemälden und Harfenstunden in Bälde müde. Sie scherzte häufig darüber in ihrer gewöhnlichen lustigen Weise. Manchmal verschaffte sie auch ihrem Mißmuth über dieses Wesen, sowie über die Störrigkeit Klaras Luft, und erleichterte ihr Herz in Gesprächen mit Baron H., der ihr jetzt die einzige Person zu sein schien, mit der man ein vernünftiges Wort sprechen konnte. Filius befand sich dabei weit besser, als früher.

Edla konnte den eiteln Triumph ihres Lieblings nicht ohne Unwillen sehen; sie hatte gewünscht, daß die Blume, welche sie so lange unter dem Schutz der Stille und milder Schatten gepflegt und aufgezogen, nur allmählig und vorsichtig in eine andere Atmosphäre gebracht werden sollte, und nun sah sie dieselbe plötzlich unter die Strahlen der Mittagssonne versetzt. Sie machte im Anfang Vorstellungen darüber, allein der Präsident, der dem Willen seiner Frau in Nichts zu widerstehen vermochte, verlangte ausdrücklich, Nina solle bei ihr sein, und sie überall hin begleiten, so oft sie (die Gräfin) es wünsche. Dieß war nun immer der Fall. Um daher ihren Pflegling nicht ganz aus dem Gesichte zu verlieren, blieb Edla nichts Anderes übrig, als in diese Gesellschaften mitzugehen. Allein dieß war der Gräfin unangenehm, und auch für Edla keineswegs erquicklich. Sie verließ ihr geliebtes, stilles Leben, um Gesellschaften zu besuchen, wo sie sich nicht an ihrem Platze fühlte und wo sie leicht das Aussehen eines finstern Argus für Nina gewann. Die Gräfin ließ sie bald fühlen, wie überflüssig sie sei, und that, was sie konnte, um sie durch eine Menge kleiner Demüthigungen und Widerwärtigkeiten aus ihrem glänzenden Salon zu verscheuchen. Edla dachte viel zu hoch und war viel zu unbefangen, um sich solche Ameisenbisse zu Herzen gehen zu lassen, allein sie sah sich unnütz für Nina, ja sie meinte mitunter sogar von ihr übersehen 85 zu werden, und dieß that ihr weh. Auch in anderer Beziehung wurde Edla von der Stiefmutter in ihrem Leben gestört. Durch unmerkliche aber sichere Manöver verlor sie nach und nach alle Gewalt und Bedeutung im Hause. Die alten, treuen Dienstboten wurden verabschiedet, oder außer Wirksamkeit gesetzt. Es kamen neue, die in Allem bloß den Befehlen der neuen Dame vom Hause folgten, und Edla sah sich täglich mehr und mehr zur Null gemacht, sowohl im väterlichen Hause, als im Gesellschaftsleben. Sie erblickte in ihrem Geiste bereits den Augenblick, da sie wie ein Schatten dastehen würde, und deßwegen zog sie sich schweigend auf ihr einsames Zimmer zurück, und zeigte sich bloß bei Tische, war aber dann immer ruhig und freundlich. Meine holde Leserin, die du leicht verstehen wirst, wie peinlich ein solches Wegdrängen empfunden werden, wie leicht es Herz und Gemüth verbittern kann, sprich, war es nicht eine gute und hohe Lehre, welche Edla bewog, es so still, so sanft zu ertragen? In ihrer Einsamkeit fand sie einen freieren Gesellschaftskreis, ein schöneres Leben, als sie verlassen; sie hätte sich glücklich gefühlt, hätte sie nicht ihre geliebte Schülerin vermißt, die sonst ihre tägliche Gesellschaft gewesen. Allein sie hütete sich wohl Etwas merken zu lassen, da sie sah, daß das Leben voll Zerstreuungen, das Nina führte, ihre Gesundheit mehr stärkte als schwächte, und da sie zu finden glaubte, daß dieses neue Leben ihr Vergnügen mache. Edla fragte sie darüber, und Nina gestand mit ihrer gewöhnlichen Aufrichtigkeit, daß es so sei. »Es ist so angenehm,« fügte sie hinzu, »gern gesehen und geliebt zu sein.«

Edla bewahrte diese Worte in ihrem Herzen; sie thaten ihr sehr weh. »Liebe ich sie nicht auch,« dachte sie, »weil ich ihr nicht kindisch schmeichle, sie nicht liebkose und verderbe? Ich wollte mein Leben für sie lassen.« Sie glaubte sich also nun auch von Nina verkannt und wurde immer schweigender und rückhaltender; – Nina dagegen fand Edla sehr kalt. – Es lagerte sich gleichsam 86 eine Wolke zwischen die beiden Schwestern. Beide trugen deßhalb eine heimliche Thräne in ihren Seelen. Warum durfte sie nicht fließen? Warum durfte sie nicht verrathen, was die Zunge auszusprechen verweigerte? Was ist es, was so häufig, wenigstens auf einige Zeit die besten Freunde von einander entfernen kann und einem von irgend einem bösen Geist heraufbeschworenen Zauber gleicht? Man sieht einander – aber man kann sich nicht recht treffen, ein unübersteigliches, unsichtbares Hinderniß steht im Wege; man sieht es, man leidet und weicht einander aus – oft zweifelt man, ob der Andere wirklich noch ist, wer er war. Da bedarf es oft bloß einer unbedeutenden Ursache, eines kleinen Wörtchens, um eine Spaltung herbeizuführen, welche keine Zärtlichkeit, keine Wiederkehr und Reue mehr vollkommen auszugleichen vermag. Wunden, die das Mißtrauen geschlagen hat, bluten so lange!

Und gleichwohl erlaube mir hier eine Abschweifung, mein Leser, denn es ist mir Bedürfniß, meinem Herzen in dieser Sache Luft zu machen. Ich möchte nämlich gegen das, was ich so eben im blinden Eifer behauptet, protestiren. Nein, ich glaube es nicht! Die besten Freunde, die wahren Freunde trennen sich nicht!

Es gibt Menschen, deren Worte wie ein Frostthau auf die Erde fallen, und die alles Schöne und Blühende verwelken machen. Sie sprechen ungefähr so:

»Alles unter der Sonne ist eitel und vergänglich; es lautet groß, es sieht herrlich aus, allein man kann sich auf die Menschen nicht verlassen. Was im Anfang so heiß ist, verkühlt um so schneller. Die Exaltation muß verfliegen, sie führt sonst ins Narrenhaus. Das Alltägliche ist das Beste und Sicherste u. s. w.« Und dann kommen Geschichten und Anekdoten aus dem wirklichen Leben geschöpft, die Alles dieses beweisen sollen, die den Enthusiasmus als Narrheit, Liebe und Freundschaft als einen flüchtigen Rausch oder als eigennützige Verträge brandmarken, die den Menschen zur Null und 87 das Leben zu Spülwasser machen. Und freilich kann es auch so sein, freilich hat das Leben auch eine solche reizlose, trockene und armselige Seite; allerdings zernagen auf der Bühne des Lebens die Motten auch manchen Purpurmantel, allerdings geht in dem großen Drama, das hier aufgeführt wird, manche Flamme in Rauch auf, und was ein Juwel schien, erweist sich bei näherer Prüfung als ein geschliffenes Stück Glas. Vieles, was lebendig scheint, ist in der That todt. Aber wie? Weil eine Pfütze eintrocknet, soll es keine lebendige Quelle geben? Weil ein Meteor eine Straßenlampe erlöschen kann, soll es keine ewige Sonne, keine himmlischen, heiligen Sterne geben? Gott sei von Herzen Preis und Dank gesagt! es gibt welche, sie leuchten uns und erwärmen uns in alle Ewigkeit! Und gäbe es nicht diese unsterblichen Klarheiten des Lebens und des Herzens, dieses Leben im Leben, warum wäre es dann der Mühe werth zu leben?

Es gibt bittere Erfahrungen – wer kann ihre ganze Bitterkeit beschreiben? – wo der Freund, den wir für die Ewigkeit unser geglaubt, zu erkalten, für uns verloren zu gehen scheint; aber glaube das nicht, du liebende und treue Seele, glaube es nicht! Bleibe nur du selbst und die Stunde wird kommen, wo du deinen Freund wieder findest, wo sein Herz vom Ton deiner Stimme, vom Druck deiner Hand erwärmt wird, und hätte die Trennung auch noch so lange gewährt,

»Und drück ich hier nicht mehr dir deine Hand,
So vereinen wir uns erst in einem bessern Land.«

So werden dort, dort oben über allen Wolken, über aller Dämmerung, bei einem höhern Licht die Freunde einander wieder erkennen, und weinen vor Freude, sich wieder zu besitzen.

Aber, mein freundlicher Leser, ich werde dich tödten mit meinen Abschweifungen, die nie ein Ende nehmen. Verzeih und folge mir wieder nach Hause auf einem 88 kleinen Umweg durch ein Blumengleichniß, das ich unmöglich übergehen kann.

Die Abende sind kostbare Stunden für Freunde, die beisammen wohnen. Die Eheleute wissen es wohl, und Geschwister kennen es auch. Im vollkommenen Gegensatz gegen die Blumen der Natur, die in den letzten Stunden des Tages ihre Kelche schließen, öffnet sich der Freundschaft schönste Blume, das Vertrauen, am liebsten Abends, und duftet lieblich im Schutz der Ruhe und der Dämmerung. Jetzt bespricht man die Fragen des Tages, jetzt schließt man Frieden mit seinem Herzen, wenn man es dem Freunde zuvor geöffnet und in dem seinigen gelesen hat. Jetzt erlächelt, jetzt erbittet man sich Versöhnung mit der Erde und dem Himmel, ehe die Nacht hereinbricht. Man schläft so gut darauf.

So war es früher mit Edla und Nina gewesen. Jetzt hatten sich die Sachen anders gestaltet. Wie gerne hatte nicht Edla Abends in Ninas Seele geblickt, wenn sie den Tag nicht miteinander verlebt hatten! Aber Nina kam jetzt immer spät aus der Gesellschaft, und Edla fürchtete dem Schlaf einige Zeit abzubrechen, dessen Ninas zarte Konstitution so bedürftig war, und den ihre ermüdende Lebensweise jetzt nothwendiger als je machte. Nina schlief bis tief in den Morgen hinein, und war selten schon angekleidet, wenn die Gräfin kam, um sie zu sich zu nehmen. Sie war zu schwach, sich diesem Despotismus über sie zu widersetzen, zumal, da er von ihrem Vater gebilligt wurde und auch Edlas stummen Beifall zu haben schien. Ja Nina glaubte, es könne Edla nur erwünscht sein, wenn sie sich ungestört ihren Lieblingsbeschäftigungen überlassen dürfe.

Eines Tages litt Edla heftig an der Migräne. Wie gewöhnlich klagte sie nicht, sondern blieb still auf ihrem Sopha liegen. Jedermann, wer diese Krankheit kennt, weiß, wie peinlich alles Häßliche, alles Unbehagliche während der Dauer derselben auf das Gemüth einwirkt, wie wohlthuend dagegen der Anblick irgend eines schönen 89 Gegenstandes. Nina saß an Edlas Seite und las ihr leise vor; Edla ließ ihre Augen auf dem reinen Gesichte der Schwester ruhen, und empfand es so lieblich, so angenehm, sie in ihrer Nähe zu haben. Da kam die Gräfin herein und äußerte den Wunsch, Nina solle mit ihr hinabgehen, es seien einige Freunde da – man wolle Scenen aus Fritiof vorstellen, aber es fehle nur an Nina, man könne Nichts ohne Nina thun, Nina, die schöne moderne Ingeborg! Nina war indeß glücklich bei Edla, welche sie so herzlich ansah, sie war glücklich in der Hoffnung, Edlas Schmerzen zu lindern, und überdieß zog sie ihre Lectüre an. Sie warf einen bittenden Blick auf Edla, und flüsterte in einem Ton, der um ein Ja flehte:

»Nicht wahr, Edla, du bedarfst meiner?«

Edla verstand Blick und Worte falsch, ein Hauch von Bitterkeit flog über ihre Seele, und sie sagte nicht ohne Härte:

»Nein! gehe nur! Ich bedarf deiner nicht.«

Nina stand schnell auf. Die kalten Worte gingen ihr wie ein Stich durchs Herz. Sie folgte der Gräfin. Unter der Thüre blieb sie stehen; sie fühlte ein Verlangen umzukehren und einen Kuß auf die geliebte Hand zu drücken, welche sie fortwies. Ihr Herz schwoll von Zärtlichkeit und Schmerz, aber Edla wandte sich von ihr ab gegen die Wand; die Gräfin bat sie nicht länger zu zögern; Nina drückte die Hand an ihre beklommene Brust und ging.

Edla hatte sich von Nina abgewandt. Warum? Um zwei große Thränen zu verbergen, die sich gegen ihren Willen den Weg über ihre Wangen bahnten. Wie mancher Vater, wie manche Mutter hat nicht solche Thränen geweint und mit mehr Recht, als Edla! Es sind bittre Thränen! Aber Edla empfand nie einen Schmerz, ohne ihre Brust gegen denselben zu stählen; sie vergoß nie eine Thräne, die nicht einen kräftigen Entschluß zur Reife brachte. Gedanken, die ihr schon seit einiger Zeit 90 vorgeschwebt, schlugen jetzt feste Wurzeln in ihrer Seele, und während ihr der Kopf schmerzte und ihr Herz unruhig klopfte, entwarf sie mit ruhiger Ueberlegung einen Plan für die Zukunft. Die Hauptbedingung einer möglichen Ruhe im Leben ist, daß man sich selbst, sowie diejenigen, mit denen man lebt und das Verhältniß, in welchem man zu einander steht, klar zu beurtheilen weiß. Ohne diese Fähigkeit ewige Verwirrung! Mit ihr unbedingte Klarheit und Ruhe. Nina kam erst gegen Mitternacht zurück. Leicht, wie der Westwind über Blumen hinstreicht, schlich sie sich an Edlas Bett. Edla hielt ihre Augen geschlossen. Nina glaubte, sie schlafe; sie bückte sich nieder und drückte ihre Lippen auf der Schwester Hand. Allein die Hand bewegte sich, legte sich freundlich um Ninas Hals und führte ihren Kopf an den Edlas. Die Wangen der Schwestern berührten sich. »Gute Nacht!« flüsterten sie in Tönen voll Zärtlichkeit; dieß that ihrem Herzen wohl. Sie hatten einander verstanden. Nina entschlief mit einem Engelslächeln auf ihren Lippen. Ein freundlicher, aber fester Gedanke lag mit ruhigem Ernst auf Edlas Stirne. Als die ersten Strahlen der Morgensonne die Nacht durchbrachen, war Edlas Leiden vorüber, nur eine angenehme Mattigkeit war zurückgeblieben und frisch und gewiß stand ihr gefaßter Plan vor ihrer Seele. Sie durchging ihn also noch einmal in ihren Gedanken:

»Mein Vater bedarf meiner nicht; seine neue Gemahlin ist ihm gegenwärtig Alles. Ich sehe, daß er mir ausweicht, daß mein Anblick ihm keine Freude macht. Nina ist entzückt über neue Freunde und Vergnügungen; ich kann und will sie nicht davon abhalten. Eben so wenig will ich als eine Art Zwang für sie zurückbleiben, ihre Genüsse verbittern oder wie ein Schatten über ihren Tagen stehen. Nina darf den Ernst nicht unangenehm, ihre Freundin nicht lästig finden lernen. Vielleicht bin ich ihr jetzt auch nicht, was ich sein sollte. Vielleicht hat sich irgend etwas Mißmuthiges, etwas Trübseliges in meine Seele eingeschlichen. Vielleicht kann ich in diesem 91 Augenblick nicht ganz gerecht gegen meinen Vater, gegen seine Frau und gegen Nina sein, – vielleicht empfinde ich einige Bitterkeit darüber, daß ich so vergessen, so überflüssig bin, während ich es doch ganz natürlich finden sollte. Sie haben ihren Genuß am Schönen, am Angenehmen, am Erfreulichen, an Allem, was ich nicht besitze. Sollten sie auch einigermaßen Unrecht gegen mich haben – sollte besonders Nina . . . Nina nicht gegen mich sein, wie sie könnte, wie sie sollte . . . o so will ich es ihnen nicht durch Unbilligkeit, durch üble Laune beweisen; ich will fortgehen, damit Nina die Sorge auf meinem Gesicht nicht sehen möge – aber ich werde wiederkommen und sie an meine Brust drücken. Nina kann sich nur einen Augenblick von mir entfernen, sie wird bald wieder die Meinige sein. Sie ist das Kind meines Herzens, sie kann nicht von mir getrennt werden. Aber in diesem Augenblicke bin ich eine störende Person für Alle im Hause, ich will mich entfernen. Meine Cousine S. bedarf gegenwärtig einer Freundin; ich will auf einige Monate zu ihr reisen. Ich will die Meinigen von einer störenden, wenn schon stummen Erinnerung befreien. Ich will meine Seele durch eine neue Wirksamkeit erfrischen. Ich werde mit frischerem Muth, mit fröhlicheren Gefühlen zurückkommen, vielleicht auch mit unpartheiischerm Blick für das, was hier vorgeht. Ich werde dann für meine Freunde besser und für Nina mehr sein. Nina wird sich indessen ungestört in dem Leben umsehen können, das sie jetzt verblendet. Sie wird es bald in einem klarern Licht betrachten. Meine Briefe werden vielleicht besser auf sie wirken, als meine Gegenwart. Ich bin ihretwegen nicht in Unruhe. Ein reines Licht, ein edles Gefühl liegt in der Tiefe ihrer Seele. Sie werden sich ihren Weg bahnen. Wenn ich wieder komme, werde ich ihren Blick klar finden; sie wird ihre Freundin wieder erkennen – ich werde mein Kind wieder haben.«

In dem Augenblicke, da diese Gedanken durch Edlas Seele gingen, stand sie am Fenster und sah einen unruhigen 92 Wind durch die Wolken fahren, welche in grauen und weißen Massen vorbeieilten und klare Sterne hervorschimmern ließen, deren Licht mit dem dämmernden des Tages noch stritt. Edla sah mit Vergnügen die fliehenden Wolken, die stillen, schimmernden Lichter. So stehen feste Menschengeister in einer unruhigen Welt da. Die irrenden Wolken verschwinden, die reinen Lichter glänzen ewig am Himmel der Menschheit.

Edla liebte die Sterne. Sie führte seit ihrer Jugend eine Art Gespräche mit ihnen. In Stunden des Schmerzes, in Stunden des Gebetes, in Stunden, wo ihre Seele nach der Höhe verlangte, um zu athmen, sah sie oft die Wolken sich theilen und die Sterne klar und freundlich über ihrem Haupte herabblicken. Dieser Anblick hatte sie immer wunderbar gestärkt. Sie dachte sich zwar nichts Deutliches bei diesem Sternewinken, allein sie empfand seinen Anblick lieblich, wie die Theilnahme eines Freundes, stärkend wie einen Blick aus dem Auge des Allmächtigen. Seit der Zeit, da Edla keinen Freund auf Erden hatte, war sie gewohnt, ihn im Blick der Sterne zu suchen, und diese hatten sie selten getäuscht. Ueberdieß waren sie so schön, so verheißungsreich! Ihre Unendlichkeit machte den Schöpfer so groß und alle menschliche Eitelkeit so klein.

 


 


 << zurück weiter >>