Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Notjahre

Nach den sieben fetten Jahren aber kamen die sieben mageren, und da die Sylter keinen Joseph gehabt hatten, der sie beizeiten zur Sparsamkeit vermahnt hätte, wie weiland den König Pharao, so hatten sie sich nur in den guten Jahren an das Wohlleben gewöhnt und keineswegs von dem Überfluß für die schlechten Jahre vorgesorgt. Es ist aber viel leichter, sich das Wohlleben an- als wieder abzugewöhnen, und gar mancher ist schon zum Dieb oder Schelm geworden, nur weil er das gute Essen und Trinken nicht missen mochte.

Es kam in diesen Jahren eins zum andern. Der dänische König überzog wieder Schleswig-Holstein mit Krieg. Jeder Landesteil aber, den er eingenommen hatte, mußte nach des Königs Willkür zum Unterhalt der Truppen beisteuern. Sylt mußte Häcksel und Heu liefern, Hafer und Roggen, Fleisch und Brot, aber die Schätzung des königlichen Kriegskommissars war größer als die Vorräte der Sylter. So mußten sie sich mit barem Gelde freikaufen, und die Silberhaufen in den Truhen nahmen zum Erschrecken schnell ab.

Endlich hatte der König die Festung Tönning eingenommen und war damit Herr über die herzoglichen Lande geworden. Er entließ alle herzoglichen Beamten und setzte seine eigenen dafür ein. So wurde auch auf Sylt der Landvogt seines Amtes entsetzt. An seine Stelle aber trat kein anderer, sondern der Landvogt von Föhr verwaltete nun Sylt von dort aus. Das war der älteste Sohn des »glücklichen Matthis«, Peter Matthißen, ein studierter Rechtsgelehrter. Im Sommer kam er wohl ein paarmal von Föhr herüber, aber als im Winter Sturm und Kälte die Verbindung zwischen den Inseln lahmlegten, waren die Sylter auf sich selbst angewiesen und mußten sehen, wie sie sich mit den hohen Steuerforderungen und sonstigen Nöten allein abfanden.

Es war viel Gerede auf Sylt, daß die Holländer in diesen bösen Jahren mehr Glück beim Walfischfang gehabt hätten als die Hamburger. So entschlossen sich viele, in diesem Sommer einmal in Holland Heuer zu nehmen. Zwei Brüder aus Morsum boten sich an, die Hollandfahrer mit ihrem Schmackschiff zu befördern. Es fanden sich aber allmählich 83 Mann zusammen, so daß sie mit den beiden Brüdern 85 Sylter auf dem Schiff waren. Da geschah aber das große Unglück, daß das Schiff am 23. März in einen schweren Schneesturm kam und mit Mann und Maus unterging.

Das gab einen traurigen Sommer und einen trostlosen Winter. Da war kaum eine Familie auf Sylt, die nicht einen näheren oder ferneren Verwandten zu beklagen hatte. Auch Inges Bruder Moghels war mit untergegangen, und ihr Vater nahm sich seinen Tod so zu Herzen, daß er in wenigen Monaten alt und stumpf wurde. Niemand hatte den Mut, ein frohes Erntefest zu feiern, und in der Hochzeitswoche konnte der Keitumer Pastor, der doch das größte Kirchspiel der Insel betreute, nur zwei Trauungen in sein Kirchenbuch eintragen. Der eine Hochzeiter aber war ein Mann von Seeland, der andere stammte von Föhr. Kein Sylter Mann hätte in diesem Unglücksjahr seinen Ehestand gründen mögen. Der Tod so vieler treuer Genossen bedrückte die Gemüter.

Dazu kam, daß für die andern Grönlandfahrer der Sommer fast ohne Ertrag geblieben war. Von Hamburg waren 32 Schiffe ausgefahren, die hatten insgesamt nicht mehr als acht Fische heimgebracht. So kamen die meisten Sylter mit leeren Taschen heim. Das Brotkorn war schlecht gediehen, und die Frauen sprachen untereinander: wenn wir nur mehr Fische hätten, könnten wir uns wohl auch ohne Brot behelfen, wie unsere Eltern taten. Aber seit die Männer auf Grönland fuhren und von dort nur bares Geld mitbrachten, hatte niemand mehr einen Vorrat von getrockneten Dorschen am Haus wie zu der Zeit, als die Männer noch auf Helgoland fuhren. Die Seemannsfamilien fingen an zu hungern, und die Morsumer an zu spotten: In Keitum ist die schwere Not, Morsum hat doch Speck und Brot! Preise die See, aber bleibe an Land!

Zu Lorens Hahn kamen seine Brüder:

»Seemannsleben – Freimannsleben. Wer es einmal schmeckte, kann nicht mehr an Land bleiben als ein Bauer. Aber heutzutage muß man pumpen oder versaufen. Lehre uns, was du selbst weißt, damit wir auch als Kommandeure fahren und mehr Geld verdienen können.«

Dann saßen sie bei ihm in der kalten Stube, wenn die warme Küche voll schnatternder Weiber war, und er gab ihnen weiter, was Jens Grethen ihn gelehrt hatte, und manches von dem, was ihm durch eigene Beobachtung und Erfahrung klar geworden war. Da sie aber alle für Zahlen und Formeln begabt waren, wenn sie auch sonst harte Köpfe hatten, so machte ihnen die theoretische Navigation einen mächtigen Spaß. Als sich herumsprach, daß Lorens allerhand lehren konnte, fanden sich immer mehr junge Leute bei ihm ein, so daß er gegen das Frühjahr hin auch noch den ganzen Pesel vollsitzen hatte. Nur die beiden Brüder, die mit Aaners und Niggels Petersen Hahn in der Hütte unterm Dünensand hausten, spotteten über »Lorens Schulmeister« und spielten ihm allen Schabernack, so daß Aaners und Niggels endlich ihrer überdrüssig wurden. Sie kamen zu Lorens und wollten bei ihm hausen.

»Ich bin ein altbefahrener Ehemann,« sagte Lorens und lachte; »wenn ihr es noch nicht wißt, so weiß ich es doch: im Hause ist die Frau Kapitän! Also fragt Inge.«

»Lorens ist häßlich,« rief Inge; »als ob ich nicht immer alles täte, was er will! Mir soll es recht sein, wenn ihr zu uns kommt, aber ihr müßt mir dafür versprechen, binnen drei Jahren jeder das Mädchen zu freien, das schon für euch in meinem Kopf steckt. Zeitlebens will ich nicht drei Männer im Hause haben – einer ist mehr als genug!«

»Wenn das eine Mädchen Moiken Claasen heißt, bin ich nicht dagegen,« lachte Aaners, aber Niggels meinte: gar so streng dürfte Inge mit ihm nicht sein, er wüßte noch keine.

»Ich weiß dir zehn für eine,« sagte Inge. –

Es war selten, daß Lorens und Inge jetzt so miteinander lachten. Nicht nur drückte sie die allgemeine Notlage, sondern sie hatten auch noch einen besonderen Kummer zu verwinden. So nach und nach waren zu Peter, ihrem erstgeborenen Sohn, vier kleine Schwestern gekommen. Das waren kräftige, rotbäckige Kinder, voller Leben und Frohsinn. Peter aber war von Anfang an schwächlich gewesen, und trotz aller Sorgfalt, die Inge an ihn wandte, konnte sie ihn doch nicht aufziehen. Vorm Jahr nun war er gestorben, und Inge konnte seitdem nie wieder so herzlich lachen wie in ihrer Jugend.


 << zurück weiter >>