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10. Der Wunsch ist der Vater des Erfolges

Danach ging der Winter seinen ruhigen Gang. Lorens mischte sich nicht mehr unter die Jungmänner, die nachts in Heide und Dünen ihr Wesen trieben. Abend für Abend saß er bei Inge in der Küche, rauchte seine Pfeife und stand danach noch lange Zeit im Dunkel mit ihr unter der Tür. Ihm war friedlich zumute. Seine Augenlider sanken halb herab vor lauter Behagen, wenn er so in der warmen Küche saß und ihr zusah, wie sie um das flackernde Herdfeuer herumwirtschaftete. Die Brüder gingen ihre eigenen Wege – es war nun klar, daß sie wahrhaftig Moy und Ose freien wollten. Der Vater pöselte in Stall und Scheune herum, bis Inge ihn zum Abendbrot rief. Die Sehkraft seiner Augen nahm allmählich ab; desto besser fand er sich nun im Dunkeln zurecht. Ihm war im Winter zwischen Tag und Nacht kein großer Unterschied mehr, und das Vieh war es gewöhnt, daß er so herumpöselte. So waren die jungen Leute meist allein. Inge wirtschaftete um Lorens herum und redete dabei an ihn hin, aber das Fragen gewöhnte sie sich immer mehr ab, denn je wohler er sich fühlte, desto seltener bekam sie ein Ja oder Nein aus ihm heraus. Es störte sie aber nicht; sie wußte schon, was er dachte.

Als es im Frühjahr ans Abschiednehmen ging, löste sich seine Zunge.

»Wenn es nur mehr Fische geben möchte,« sagte er; »so kommen wir nicht voran mit dem eigenen Haus. Wir werden wahrhaftig eher ins neue Jahrhundert als in den Ehestand einlaufen!«

Sie legte die Arme um seinen Hals.

»Mußt richtig fahren, Lorens,« sagte sie schelmisch; »verkehrt fahren kann jeder.«

»Ja, auf Island!« gab er zu; »das tu ich auch nicht wieder. Immerhin – wir brachten doch das Schiff heim.«

Die Trennung kam und die Ausreise mit Daniel Puttfarken an Bord, genau wie vorm Jahr. Die Reise selbst aber wurde ganz anders. Im Norden war der Winter sehr kalt gewesen. Ungewöhnlich weit im Süden schon kamen den Grönlandfahrern schwimmende Eisberge von gewaltigen Ausmaßen entgegen.

»Das gibt ein Südeisjahr,« sagte Lorens der Hahn so gleichmütig wie möglich, und Daniel Puttfarken kaute an seiner Pfeife:

»Das mag wohl sein, Kommandeur.«

Und es wurde ein Südeisjahr – so gut wie nur je. Die See ist stark im Geben und im Nehmen. Vorm Jahr hatte sie den Hamburgern dreizehn Schiffe genommen von 52, und ihnen nur 136 Fische gegeben. In diesem Jahr nahm die See nur drei Schiffe und gab den restlichen 51 Schiffen 515 Fische. Das Eis lag so breit, wie Lorens noch nie erlebt hatte, und der Südeisfisch, der Weißfisch kam von Nowaja Semlja herunter weit nach Süden den Grönlandfahrern entgegen. Sie brauchten nur zu nehmen, was Gott ihnen vor den Bug schickte, denn der Südeisfisch war noch unschuldiger und zahmer als der Westeisfisch, der Eiländische. Dieser war der vornehmste, aber so verschlagen, daß es von Jahr zu Jahr schwerer hielt, ihn zu jagen.

Mit zwölf guten Fischen im Schiffsbauch hatte Lorens die Ladung voll und segelte stolz mit allen Flaggen und Wimpeln über die Toppen gesetzt als erster die Elbe wieder hinauf.

»Ein Frauenhaar zieht stärker als ein Marssegel,« brummte Daniel Puttfarken, und Lorens lachte.

Vor Sylt dippten sie die Kommandeursflagge, aber nur das Wehen des Dünengrases antwortete ihnen. In Hamburg ließ Lorens sich kaum Zeit für ein paar lustige Tage, und ehe Inge noch recht an das Erntefest dachte, stand er eines Abends schon in der Küchentür und lachte sie an. Der silberne Krug, den er diesmal mitbrachte, faßte dreimal so viel wie der Becher vom vorigen Jahr, und als er ihn Inge überreichte, rollten ein paar Talerstücke herunter, so hoch lagen sie geschichtet.

»Junge, was 'n Berg!« rief Inge bewundernd; »davon können wir glatt ein Haus bauen.«

»Warten wir noch ein Jahr,« meinte Lorens; »groß Schiff will viel Wasser haben.«

»Weshalb muß es denn groß sein,« antwortete Inge ungeduldig, denn sie freute sich auf ihr eigenes Heim und hätte gern auch klein angefangen. »Wer weiß denn, ob es nächstes Jahr wieder viel gibt?«

Lorens lachte.

»Viel Wenig geben ein Viel, sagte die Mücke, da spuckte sie in die Nordsee. Gibt es im nächsten Jahr nicht genug, so warten wir wohl noch eins weiter.«

Aber das nächste Jahr wurde kaum weniger günstig und schlug für Lorens sogar noch großartiger ein. 140 holländische und 54 Hamburger Grönlandfahrer reisten im Frühjahr aus; jene brachten 1488 und diese 471 Fische heim. Lorens hatte diesmal nur zehn, aber mehr Eiländische als Weißfische gefangen und hatte im Frühjahr gleich aus Vorsicht 50 leere Fässer mehr als sonst mitgenommen. So gewann er 483 gefüllte Fässer gegen 437 im vorigen Jahr. Als er danach mit seinem Silberschatz nach Sylt kam, führte er nicht nur Inge, sondern auch den Zimmermann Boy Hinrich Prott vor den Kasten. »So, Buh Haulken,« sagte er, denn so nannte sich der Zimmermann für den Dorfgebrauch; »so, nun baue unser Haus. Nimm Maß nach Erk Andresens Haus und stelle es mitten zwischen Rantum und Tinnum, damit wir auch unsere Leute besuchen können. Wenn du Geld brauchst, so nimm, und wenn du sonst nicht Bescheid weißt, frage Inge, wie sie das wohl haben mag.«

Da suchte der Zimmermann über Winter eine Stelle für das Haus, und als der Frühling kam, fing er in Westerland-Süderende an zu bauen. Es wurde alles vom besten. Einen Keller legte er neben der Küche an, und die Wände baute er auf den doppelten Stein. Nach Süden zu fügte er hinter Stube und Pesel noch eine Kammer an mit schräger Decke über dem Fenster wie eine Schiffskajüte, und einem Bett in der gegenüberliegenden Wand, so breit wie die Kammer selbst und ebenso tief. Da aber durch den Außenbau sich der Silberhaufen nicht wesentlich verringerte, wandte Buh Haulken alle Kunst auf den Innenschmuck. Die Wände der Stube ließ er mit blauweißen Delfter Kacheln auslegen, für Pesel und Kammer aber ließ er einen Maler aus Schleswig kommen. Es hatte sich nämlich vorm Jahr Herzog Friedrich zu Holstein-Gottorf mit der schwedischen Prinzessin Hedwig Sophia vermählt. Zuvor aber hatte er Schloß Gottorf abbrechen und neu wieder auferbauen lassen, um mit seiner Gemahlin desto herrlicher darin wohnen zu können. Den Maler aber, der in dem neuen Schloß seine Kunst so trefflich bewiesen hatte, ließ Buh Haulken über Sommer nach Sylt kommen, damit er ihm helfen möge, den Silberberg des Lorens Petersen Hahn abzutragen. Der malte mit geschicktem Pinsel die Decken und Balken von Pesel und Kammer gar künstlich aus. Er schlang Weinranken und kletternde Rosen über die Balken, und verzierte die tiefer liegenden Deckenfelder im Pesel mit edlen Bildern aus der Leidensgeschichte unseres Herrn und Heilandes. Er schilderte den Kampf in Gethsemane, den Kreuzestod und endlich die Verklärung, alles aber so würdig gemalt, daß das Haus ein Wunderwerk für die ganze Insel wurde und heute noch ist.


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