Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Heil dem Kommandeur

Ein stolzes Gefühl, zum erstenmal als Kapitän an Bord seines Schiffes zu kommen! Lorens schlug das Herz bis zum Halse hinauf, als er seinen Fuß zum erstenmal auf das Deck von »Salomons Gericht« setzte.

Die Brüder hatten allemann mit ihm fahren wollen, aber er hatte nur die beiden Jüngsten mitgenommen: Niggels als Harpunier, Jan als Matrose. Noch fühlte er sich nicht sicher genug in seiner jungen Würde, um sich Manne und Aaners gegenüber durchsetzen zu können, die beide schon als Steuerleute fuhren. Er war schon mit einem älteren Steuermann einig geworden, der mit ihm zusammen noch auf dem »Koning Salomon« gefahren war, einem ruhigen, verständigen Mann, denn ein wenig bangte Lorens doch vor der Verantwortung, die er mit »Salomons Gericht« auf sich nahm. Heute früh hatte er nun erstmal Zimmermann, Koch, zwei Matrosen und drei Leichtmatrosen angemustert. Mit ihnen wollte er die Ausstattung einnehmen, die der Reeder selbst besorgt hatte, danach erst die andern Leute anheuern.

In den nächsten Tagen kam die Ladung an Bord, alles vom Besten! Lorens lachte das Herz im Leibe, hell klang sein Kommando über Deck, indem er das Einnehmen selbst leitete. Das war sonst die Arbeit des zweiten Steuermanns und als solche ihm noch vom »Koning Salomon« her gewöhnt. Aber diesmal wollte er sie selbst tun. Er mußte von jedem Stück auf seinem Schiff wissen, wo es sich befand; das gab ihm ein Gefühl größerer Sicherheit. Dem Schiffsvolk sagte er, daß die Steuerleute erst kurz vor der Ausreise an Bord kommen würden; das dachte nichts weiter. Außer den Brüdern wußte keiner, daß Lorens zum erstenmal als Kommandeur fuhr; er hatte mit Bedacht nur solche gewählt, die ihm fremd waren. Sie wußten nur, daß »Salomons Gericht« ein ganz neues Schiff war, und so bekamen sie gleich große Achtung vor der Sicherheit, mit der Lorens nach seinen Erfahrungen vom »Prediger« und »Koning« her seine Anordnungen traf. Darob schwoll dem Hahn der Kamm, und er krähte nicht schlecht über Deck und Schiffsvolk hin. –

Es kamen aber in den Raum: 450 neue Fässer oder Quartelen, die er, zum Platzen gefüllt mit Fischspeck wieder heimzubringen hoffte; 60 neue Walfischleinen; 3 Büschel zu Vorgängern, das ist die dünne Leine, an der die Harpune befestigt ist; 6 Schaluppen-Kompasse; 60 neue Riemen zum Rudern; 50 eichene Harpunstöcke; 40 neue Harpunen und 10 alte, denn nur mit einer alten, die schon einmal einen Fisch festgeschossen hat, darf man den ersten Wurf tun; 50 neue Lanzen; 6 Walroß-Harpunen und 6 Walroß-Lanzen, denn in den letzten Jahren war der Fisch so rar geworden, daß man die Fässer mit Walroß- und Robbenspeck hatte füllen müssen. Dann folgten die Geräte für andere Verrichtungen als den eigentlichen Fang. Für den Kampf mit dem Eis: Eisbeile, Eissägen, Eissporen. Für die Küche: Fleischkessel, Erbskessel, Grützkessel, Fischkessel und Doofpot, das ist ein irdener Topf, in dem ein glühendes Torfstück sorglich mit Asche bedeckt bis zum andern Morgen lebendig bleibt; eine Pfanne zum Dämpfen, eine Grützpfanne und eine zum Kuchenbacken. Endlich für die Kajüte: 2 Tischtücher, 12 Mundtücher, 12 Weinrömer, Eßbestecke, Lichtschneuze, Spiegel, Schreibzeug, ein Buch von der christlichen Seefahrt und 6 Psalmbücher. Als die Einrichtung fertig war, ging Lorens, sich die Kajüte zu betrachten, und schloß die Tür hinter sich zu, stellte sich vor den Spiegel, beschaute sich, soviel der Spiegel von ihm wiedergab, lachte:

»Das ist nun der große Kommandeur, Lorens der Hahn –!« Dann streckte er gegen sich selbst die Zunge heraus, lang und breit, und fügte ernsthaft hinzu: »Sieh, mein Junge, nun bist du der einzige an Bord, der das noch darf!«

Nun kam der Proviant: 18 Fässer hartes Brot, 18 Säcke weißes Brot, 1 Fäßchen Zwieback, ein Fäßchen Mehl, 15 Viertel Butter, 20 Säcke Grütze, 20 Säcke graue und 18 Säcke weiße Erbsen, 9 Tonnen Fleisch, 700 Pfund süße Milchkäse, 600 Pfund Edamer Käse, 600 Pfund Speck, 1000 Pfund Stockfisch, 30 Fässer Dünnbier, 7 halbe Fässer doppeltes Bier für Kommandeur und Offiziere, 3 Anker Anker = Schiffsanker, aber auch Flüssigkeitsmaß. Wein, ½ Anker Kornbranntwein, 2 Anker Wacholderbranntwein, 100 Pfund Sirup, 6 Pfund getrocknete Zwetschgen, 4 Pfund Rosinen, 6 Pfund Feigen, 2 Pfund Stock- und 5 Pfund Hutzucker, 4 Pfund Kaffee, ½ Ohme Essig, 1¼ Viertel Senf, 1 Flaschenkeller mit Rheinischem Enis, Lavas und Löffelkraut-Branntwein, Pfeffer, Nägelein, Muskatblüte und -nüsse, Zimmetrinden und gar das Salz in manchen Fässern; 26 Klafter Brennholz, zum Anzünden auch frische Sägespäne, und 9 Tonnen Torf, um die Hitze länger zu halten. Ferner Stopftuch, Schwämme, Binsen, Kreide und anderes Küfners Zubehör; Besen von Heide und Reisig, Schwefelstöcke, Schießpulver, Kugeln, Musketenkugeln und Hageln –.

Jedes Faß, das in den Raum hinunterwanderte, und dessen Inhalt Lorens von seinen Listen ablas, begrüßte er wie einen alten Bekannten. Sachverständig prüfte er Branntwein, Brot, Grütze und Mehl. Ähnliche Riemen wie diese hatten seinerzeit an seinen Händen die ersten Blasen erzeugt. Er ließ Walfischleinen und Vorgänger durch seine Finger laufen – alles war ihm vertraut. Denn hatte er nicht selbst als Matrose und Harpunier Riemen und Leinen gehandhabt? Wußte er nicht aus eigener Erfahrung, wie eine Harpune geschnitten sein muß, um mit dem rechten Schwung in den Walfisch zu stoßen? Mit jedem Stück, das eingenommen wurde, wuchs seine Sicherheit, und als er endlich die Ladung voll hatte und – behaglich an der Reling lehnend – zusah, wie von einem Frischwasserkahn noch gute 30 Fässer voll auf »Salomons Gericht« hinübergepumpt wurden, da hatte er das ganze Schiff vom Topp zum Kiel, vom Bug zum Heck so klar im Kopf, daß er es ohne Schwierigkeit hätte nachbilden können.

Danach ging er aus, die Hauptmasse seines Schiffsvolkes anzumustern: Daniel Puttfarken als ersten und Jakob Swien als zweiten Steuermann, die Harpuniere, Bootsmann Bootsmann = der älteste Matrose., Schiemann Schiemann = der älteste nächst dem Bootsmann., Matrosen und Leichtmatrosen, Böttcher, Barbier, Küchenjungen und Kajütswächter. Es war aber Sitte, daß der Kommandeur nur 200 Gulden, Steuerleute und Harpuniere 100-150 Gulden im voraus erhielten; sie alle aber hatten großen Anteil an jedem gefangenen Fisch. Das andere Schiffsvolk erhielt festen Monatslohn, solange die Reise währte, und auch noch eine geringe Prämie von jedem Fisch; der Vorleser oder Vorsänger aber erhielt für diesen geistlichen Dienst noch besonders 3 Gulden für jeden Fisch. Am 5. April vereidigte Lorens sein Volk darauf, das Schiff nicht zu verlassen, solange Kiel, Steng, Stag, Mast und Wand noch stände »So lange Kiel, Steng, Stag, Mast und Wand noch steht«, d. h. die Hauptteile des Schiffes zusammenhalten = Eidesformel der Grönlandfahrer.. Drei Tage später ging die Reise los.

Auf der Höhe von Sylt hatte Lorens seine Flagge dippen wollen, um Inge zu grüßen. Aber sie hielten so fern wie möglich von Land ab; von Sylt war nichts zu sehen, denn eine peitschende Bö fiel zwischen Schiff und Insel ein, und in der Erregung des Kampfes erschien Lorens sein eigener Gedanke lächerlich. Inge – wie fern lag die Erinnerung an warme, heimelige Winterabende; jetzt stand Lorens wieder unter der Herrschaft des nordischen Frühlings – die Masten bogen sich knarrend; gegen die straffgewölbten Segel prasselten erbsengroße Hagelkörner und überschütteten im Augenblick das ganze Deck mit glitschigen Massen. Liebe –? Pah – Kampf war die Losung! Und er forderte den ganzen Mann.

Ehe sie noch die ersten Eisberge in Sicht bekamen, fühlte Lorens schon keine Angst mehr vor der Verantwortung, die auf ihm lag. Breit und stattlich trat er auf und leitete ohne Scheu die Verhandlungen über die Verteilung der Arbeit unter das Schiffsvolk. Er war es nun, der mit kurzem Wort den Ausschlag gab, wenn Steuerleute und Harpuniere sich nicht einigen konnten, und er setzte in aller Ruhe seine Meinung auch gegen Daniel Puttfarken durch, der dem Alter nach fast hätte sein Vater sein können.

Sie ließen sich vom Golfstrom nach Spitzbergen mitnehmen und kamen bis zum 76. Grade hinauf, ehe sie nennenswert Eis in Sicht bekommen hatten. Dauernd steckte das Schiff die Nase in den Nebel und schnüffelte darin herum; mit den Augen konnte man rein gar nicht eindringen. Kein Fisch ließ sich blicken, nur der Nordost heulte aus seinen Windpfeifen. Endlich machten sie auf der mittleren Höhe von Spitzbergen an einem großen Eisfelde fest, und zwei Tage später fingen sie ihren ersten Fisch. Es war ein gewaltiges Tier, das an die sechzig Fässer Speck gab, und ihre Freude war groß. Lorens kargte nicht mit dem Branntwein, aber seine Augen funkelten, als hätte er ihn ganz allein ausgetrunken. Sein Kommando sprang nur so über Deck, und als der Küchenjunge gegen ihn anrannte, weil er den Hund verfolgte und deshalb den Kommandeur nicht sah, gab Lorens ihm nur in aller Gelassenheit eine Kopfnuß und ließ ihn laufen.

Als sie den Fisch binnen hatten und einen Tag darüber schliefen, wurden sie vom Eise eingeschlossen und nicht weit von ihnen zwei Bremer und ein Däne ebenfalls. So lagen sie den ganzen Juni hindurch fest. Es geschah ihnen nichts, weil kein Zug im Eise war, nur konnten sie nicht fischen, obgleich sie mehrfach aus der Ferne Wasserstrahlen aufsteigen sahen. Gegen Ende des Monats erst kamen sie wieder frei, und erfuhren alsdann von den Schiffen, die ihnen entgegenkamen, daß im Osten nichts los wäre, hingegen wohl hundert Schiffe besetzt und gegen dreißig schon im Drängen des Eises verloren gegangen. Da entschloß Lorens sich – obgleich Daniel Puttfarken darüber den Kopf schüttelte – nach Süden auf Island zu Kurs zu nehmen, was er auch tat und was ganz verkehrt ausfiel. Denn der Osten öffnete sich hernach, und es wurden allda noch viele Fische gefangen, während es an Island mit anhaltendem Nordost nicht viel zu tun gab. Sie fischten ein totes Einhorn aus der kalten Strömung, die von Nordost nach Südwest viel Treibeis mitbrachte. Der Speck füllte kaum ein paar Fässer; die Mallemucken und Haifische hatten schon ihr Teil vorweg genommen. Aber der Fisch hatte einen stattlichen Zahn von weißem Bein, der wohl einen Handelswert von 150 Talern haben mochte. Ein paar Fässer füllten sie auch mit Walroßspeck, als sie auf einer großen Scholle eine gute Herde dieser Tiere trafen, alte und junge beisammen schlafend. Sie schnitten ihnen den Paß ab, indem sie sie zu dreißig Mann einkreisten und dann ein bei ein aufwecken wollten. Das erste Tier fing aber gleich an, gewaltig zu bellen. Davon erwachten die andern und setzten sich zur Wehr, so daß sie hart zu töten waren. Endlich Anfang August trieb ihnen noch ein toter Weißfisch zu.

Walfischfänger in Eisnot.
Nach einer Darstellung vom Anfang des 18. Jahrhunderts

So brachte Lorens alles in allem etwa 150 Fässer Speck heim. Das war nicht viel, aber Lorens freute sich noch seines Glückes, als er bei der Heimkehr erfuhr, daß von den 52 Schiffen, die im Frühjahr von Hamburg ausgereist waren, nur 39 heimkehrten; 13 Hamburger waren im Eise verloren gegangen.

»Kommen wir doch mit dem Schiff heim!« Das entschlüpfte ihm fast gegen seinen Willen, aber Daniel Puttfarken sog doch etwas verstimmt an seiner Pfeife.

»Jee –« er sog auch an den Worten, als hätte er selbst nicht recht Luft, »mit den Fischen ist es wie bei uns mit den Enten im Herbst, Kommandeur: man muß die rechten Plätze kennen und dann abwarten. Kommen sie, dann kommen sie; kommen sie nicht, dann ist da auch nichts zu machen. Das Nachlaufen hat allerwege keinen Zweck.«

Der Reeder aber war es wohl zufrieden, daß Lorens ihm »Salomons Gericht« unbeschädigt heimbrachte. So hatte er nur ein Schiff in diesem schlimmen Jahr verloren, »de dree Helden Davids«, das ohnehin nicht mehr viel getaugt hatte und zum erstenmal ganz nach neuester Mode auf Beschädigung oder völligen Verlust versichert gewesen war. Die andern aber brachten zum Teil große Gewinne heim. So konnte der Reeder wohl zufrieden sein und war es auch. Lorens wurde mit den andern Kommandeuren zusammen aufgefordert, seinen Anteil am Fang an einem bestimmten Tage selbst abzuholen. Als er sich zu diesem Zweck in dem Landhause des Reeders einstellte, fand er dort eine erlesene Gesellschaft, und das jüngste Töchterchen überreichte ihm feierlich den Lohn seiner Mühen: einen Becher voll blanker Talerstücke. Der Becher selbst aber war ebenfalls aus schwerem, getriebenen Silber, und der Reeder drückte Lorens kräftig die Hand und sagte freundlich:

»Nehmt ihn als Handgeld aufs nächste Jahr, Kapitän Petersen; Ihr fahrt mir doch wieder ›Salomons Gericht‹?«

Und Lorens schlug herzhaft ein.


 << zurück weiter >>