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3. Beim glücklichen Matthis

Als Lorens heimkam, sah der alte Jens Grethen mit Stolz auf den Enkel.

»Bist ein Mann geworden,« sagte er wohlgefällig; »hast du den Schein bekommen?«

Lorens nickte.

»Nun kann ich mit einem Helgoländer auf Part fahren; Jan Ölk bot es mir schon an.«

Der Großvater verzog den Mund.

»Bist wohl selbst ein ganzer Helgoländer geworden?«

Darauf wußte Lorens nichts zu antworten, war er sich selbst doch noch nicht klar über das, was er wollte.

»Weißt du vom glücklichen Matthis von Föhr?« fragte er nach einer Weile.

Der Großvater stocherte das Feuer, daß es hoch aufflammte. Dabei sah Lorens, daß die alten Augen ihn aufmerksam beobachteten. Er kannte den Blick; der zog jeden Gedanken aus ihm heraus.

»Soll ich auf Grönland fahren?« fragte er langsam. Nun spürte er plötzlich, daß die Frage ihm seit Jahren im Herzen gebrannt hatte. Und ehe der Großvater noch eine Antwort gab, hatte er sie schon selbst gefunden.

»Ja, ich will auf Grönland fahren,« sagte er laut, und Jens Grethen nickte.

»Tu's!« stieß er hervor; »wer nicht fährt, wenn Segelwind weht, muß warten, bis Segelwind wiederkommt – vielleicht muß er warten bis zum Nimmermehrtage.« –

Vor Weihnachten noch segelte Lorens einmal nach Föhr hinüber, um mit Matthis Peters, dem glücklichen Grönlandfahrer, zu sprechen. Er fand sein Haus bald. Wie es auf Föhr Sitte war, daß auch ein Reicher nicht höher bauen durfte als ein Armer, so war auch das Haus des reichen Matthis nicht höher, als daß Lorens das Strohdach leicht mit der Hand anrühren konnte. Freilich aber riß er die Augen auf, als er dann eintrat. Schon das hohe, aus Walfischrippen gebaute Tor vor dem schmucken Vorgärtchen, in dem noch jetzt ein paar bunte Blumen blühten, war ihm aufgefallen. An der Haustür aber fand er einen blinkenden Messingdrücker und innen im Flur die Kopfsteine zu zierlichem Muster gefügt. Die Stubentüren waren bunt ausgemalt und durch die blankgeputzten grünen Glasscheiben, die über der Haustür eingefügt waren, fiel so viel Licht ins Haus, daß man noch jetzt am Nachmittage die Malerei erkennen konnte. Eine freundliche Frau trat Lorens entgegen, und als er ihr sein Begehr vermeldet hatte, nahm sie ihn mit in die warme Küche.

»Matthis wird bald kommen,« meinte sie und setzte ihm einen Topf heiße Milch vor, dazu ein großes Stück Brot, auf dem sie wahrhaftig noch einen Klump Butter glatt drückte; »es wird ihn freuen, daß du zu ihm kommst. Aber ihr habt auf Sylt doch genug Grönlandfahrer; weshalb fragst du die nicht?«

Lorens schüttelte nur den Kopf. Er wußte nichts zu antworten. Freilich, die Petersen aus Tinnum fuhren schon lange auf Grönland und Jens Schwennen von Keitum auch. Aber keiner von ihnen hatte es zum Kommandeur Kommandeur = Kapitän eines Grönlandfahrers. gebracht, und keiner hieß »der Glückliche«. Das konnte er der Frau doch nicht sagen. Stumm folgte er ihr mit den Blicken, wie sie in ihrer weiten und reichen Tracht sich so würdig um ihn her bewegte. Nun die Dunkelheit einfiel, entzündete sie ein helles Öllämpchen, das über dem Tisch baumelte, und setzte sich selbst ans Spinnrad in die Ecke. Das sah gemütlich aus und feierlich zu gleicher Zeit – anders als daheim, wo die Mutter bei den kleinen Kindern nie recht zu Ruhe und Ordnung kommen konnte.

Als Matthis Peters heimkam, nahm er ihn in die Stube und zündete auch dort ein Öllämpchen an.

»Lorens Petersen von Sylt bist du, Lorens der Hahn – ja, ja;« er lachte behaglich vor sich hin. »Hättest damals mitkommen sollen, mein Junge, wir haben gute Jahre gehabt seitdem. Sieh, jetzt habe ich die Schiffslisten meist schon im Herbst voll; sie wollen alle mit mir fahren. Aber geh in Hamburg zu Andrees Pieters; da findest du Heuer. Wie steht es denn mit der Wissenschaft?« Er stellte ein paar Fragen an ihn und nickte zu des Jungen Antworten beifällig mit dem Kopf. »Mußt sehen, daß du noch mehr lernst, du Hahn. Glück ist nichts, Kenntnisse sind alles. Ich weiß, wie der Fisch läuft, und laufe ihm nach, das ist das ganze Geheimnis. Glück – bah –!« Er zuckte die Achseln.

Lorens brannte das Herz – ein Mann wollte er werden, ein großer Grönlandkommandeur, ein glücklicher Lorens so gut wie ein glücklicher Matthis. Kenntnisse, sagte der –?

»Sieh,« fuhr Matthis fort, »hier starb vor ein paar Jahren Richardus Petri, der Prediger war in St. Laurentii. Der lehrte mich und andere auch, was er nur irgend selbst wußte. Das war ein gut Teil, aber es war nicht mehr, als du auch schon weißt. Das andere, was Steuermannskunde und Grönlandfahrten betrifft, das habe ich mich selbst gelehrt, und das kannst du auch. Sperr Augen und Ohren auf. Merke dir, was andere wieder vergessen, so kommst du vorwärts. Glück –? Hoho, Kenntnisse sind Glück. Wenn du ein paar Jahre auf Grönland gefahren hast, dann komm wieder zu mir. Dann kann ich dich lehren, was ich fand. Was würde es dir nützen, wenn ich dir von Westeisjahren und Südeisjahren spräche? vom eiländischen Fisch und vom Weißfisch? Du würdest mich doch nicht verstehen. Geh erst zu Andrees Pieters; der lehrt dich das Nächste.«

Lorens brannte das Herz, als er sich in dunkler Nacht zu seinem Schiff zurücktastete. Er konnte nicht schlafen, obgleich er unter Deck kroch, und kaum spürte er den ersten Druck der steigenden Flut, so stakte er das Schiff flott und segelte heimwärts. Bei Tagesgrauen war er wieder in Rantum. Da konnte er dem Großvater sein Herz ausschütten. Der sagte nicht viel zu alledem, aber er nickte beistimmend mit dem Kopf, als der Enkel ihm von Andrees Pieters sprach. Doch als Lorens ihm dann das Haus schilderte, die freundliche Küche und die blanke Stube, in die Matthis Peters ihn geführt hatte, da seufzte der Alte und sagte leise:

»Ja, ja – als deine Großmutter noch lebte, da sah es hier auch anders aus, mein Junge; denke daran, wenn du dir später selbst eine Frau suchst!«

*

Anfang April trieb sich Lorens der Hahn in Hamburg herum. Andrees Pieters hatte er bald ausfindig gemacht und rieb stundenlang den Rücken an den verräucherten Wänden, denn für Schiffsjungen und ähnliches Jungvolk gab es da keine Sitze. Er hätte schon auf manchem Grönlandfahrer als Junge ankommen können, aber das wollte er nicht; er wollte gleich als Leichtmatrose Leichtmatrose = junger Mensch, der zum erstenmal als Matrose fährt. fahren. Wie? Hatte er nicht seinen Helgoländer Schein in der Tasche? Trotzig schüttelte er den Kopf, wenn ihn Andrees Pieters in die Rippen stieß: er sollte doch zugreifen! Alle andern Sylter hatten nach und nach ihren Platz gefunden; er war der einzige, der noch übrig geblieben war. Da kam an einem Nachmittage der glückliche Matthis selbst in die Schenke.

»Sieh, sieh –« sagte er und spuckte aus; »ja, ja, ich brauche noch einen Kajütswächter Kajütswächter = kleiner Junge, der des Kommandeurs Kajüte sauber hält und ihn selbst bedient.

»Ich will nur als Matrose fahren,« gab Lorens zurück; »nehmt mich doch, Herr Kommandeur.«

»Brauche ich nicht mehr. Komm als Junge Junge = Schiffsjunge. mit. Kann immer sein, daß ein Mann über Bord geht.«

Lorens biß die Zähne zusammen.

»Wofür einer an Bord kommt, dafür muß er auch fahren,« antwortete er eigensinnig. »Bin ich Junge, bleibe ich Junge, und wenn der Kapitän selbst über Bord ginge.«

Matthis nickte beifällig.

»Hast recht, aber brauchen kann ich dich dann nicht.«

Damit ging er an die Toonbank und ließ sich einen Kümmel einschenken. Lorens stiegen die Tränen würgend in die Kehle. Verpaßte er wieder eine Gelegenheit? Aber diesmal hatte Matthis nicht gesagt: bist unklug. Im Gegenteil: hast recht! hatte er gesagt; also –! Im nächsten Augenblick warf er den Kopf hoch. Das Wort Leichtmatrose war an sein Ohr geschlagen.

»Jee – da ist wohl noch einer,« sagte Andrees Pieters in seiner nöhligen Art, und schnell trat Lorens vor. »Kannst nicht warten, bis du gerufen wirst, du Querkopf? Ja, das wäre er, Oom Siewert, erst fünfzehn, aber ein Helgoländer Mann.«

Oom Siewert wandte sich um, und schweigend maßen Steuermann und Junge sich mit den Blicken.

»Name?« fragte der Ältere kurz.

»Lorens Petersen.«

»Mußt dich anders nennen; ich habe schon einen Lorens Petersen an Bord.«

Schon tat der Junge den Mund auf, um seinen Namen in das gewohnte Lorens Jens Grethen zu wandeln, da rief der glückliche Matthis von der Toonbank herüber:

»Schreibt Lorens Petersen der Hahn, Oom Siewert; so steht es auf seinem Helgoländer Schein. Es ist der, von dem ich Euch gestern sprach.«

Der Steuermann hob die Brauen.

»Gekräht wird bei uns nicht; komm morgen früh sechs Uhr an Bord.«

»Wie heißt das Schiff?«

»De Prediger Salomon.«

Da sah Lorens der Hahn seinen alten Großvater vor sich, wie er mit dem Finger die Zeilen entlang rutschte und mit zittriger Stimme las: »Dies sind die Reden des Predigers, des Sohns Davids, des Königs von Jerusalem ...« und er wußte, daß er recht fahren würde auf seiner ersten Grönlandfahrt mit dem »Prediger Salomon«. Oom Siewert aber, der aus Holland gebürtig war, trug den jungen Matrosen als Lorenz Pieterß Haan in seine Schiffsliste ein.


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