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6. Eine verhängnisvolle Reise

Vier Sommer hintereinander fuhr Lorens der Hahn als zweiter Steuermann auf dem »Koning Salomon«, drei Sommer als Harpunier. Danach kam er als erster Steuermann zu Matthis Peters von Föhr, dem glücklichen Matthis, und lernte mehr bei ihm, als Matthis selbst zu lehren hatte, denn Lorens sperrte Augen und Ohren auf und suchte selbst weiter, wo ihm noch etwas unklar war. Weshalb hatte Matthis Peters Glück, wenn er im Frühjahr gegen Alt-Grönland und Jan Mayen Kurs nahm und im Sommer nach Spitzbergen fuhr? Einfach, weil der Fisch so lief. Und weshalb lief der Fisch so? Weil seine Aasgründe um diese Zeit an diesen Orten am besten waren. Das Wasser muß dunkelgrün sein, dann enthält es das beste Walfischfutter. Lorens der Steuermann fischte sich einen Eimer von diesem Wasser und griff hinein und fühlte, daß er voll war von glibberigen, glamserigen, qualligen runden Dingern, die er in der Hand zerdrücken konnte. War aber das Wasser bläulich, dann lief es ihm klar durch die Finger, und niemals hielt sich der Eiländische Fisch ohne Not darin auf.

Lorens lernte, daß der Eiländische oder Westeisfisch niemals nach Island ging noch nach dem Nordkap, der Nordkaper hingegen nie nach Grönland; der folgte nicht dem dunkelgrünen Wasser, sondern den Heringen, wie auch der Finfisch tat. Wo sich aber Finfische in Mengen fanden, wurden keine Walfische mehr gespürt. Deshalb und wegen des festen und trockenen Speckes jagte Matthis Peters nur in ganz mageren Jahren dem Finfisch nach.

Lorens lernte auch, was Matthis Peters gemeint hatte, als er ihm von Westeisjahren und Südeisjahren sprach. Wenn das Eis so liegt, daß es sich zwischen der Bäreninsel und Spitzbergen mit dem grönländischen Eis verbunden hat, dann sagt der Schiffer: »Das Eis liegt breit, es ist ein Südeisjahr.« Dann kommt der Weißfisch von Nowaja Semlja herunter, der kürzer, dicker und heller von Farbe ist als der Eiländische Fisch und leichter zu fangen, denn er ist noch weniger gejagt als dieser und daher weniger mißtrauisch. In andern Jahren hingegen, wenn das Eis nicht so breit liegt und meist aus Westen treibt, ist die Jagd viel schwieriger; diese nennt der Schiffer Westeisjahre.

Alles hat seine Gründe, dachte Lorens oft, man muß sie nur suchen und finden. Was er aber fand, das behielt er für sich, nicht aus Geiz, sondern weil es in der Natur der Sylter liegt, mehr zu denken als zu reden.

Im dritten Sommer, als Lorens mit dem glücklichen Matthis fuhr, bekamen sie einen an Bord, der anders war als all die blonden, schweigsamen Sylter und Föhrer, Nord-, Ost- und Westfriesen, aus denen sich in der Hauptsache die Mannschaft der Grönlandfahrer zusammensetzte. Er hieß Gottfried Köhler, hatte schwarze Haare und dunkle Augen und stammte tief aus dem Binnenlande. In Breslau hatte er die Arzneikunde studiert, aber dabei war ihm ein Bericht der »Grönländischen Compagnie« in Kopenhagen in die Hände gefallen, und seitdem stand sein Sinn Tag und Nacht nur darauf, auch einmal dorthin zu reisen, wo die Sonne im Sommer nicht untergeht, sondern sich nur gegen den Horizont senkt und wieder aufsteigt, ohne ihn berührt zu haben.

Endlich hatte Gottfried Köhler die Sehnsucht nach der See und allen Abenteuern einer solchen Grönlandfahrt nicht länger bemeistern können. Er hatte sich aufgemacht und war nach wochenlanger Wanderung in Hamburg angekommen. Dort meldete er sich als Schiffsbarbier bei Andrees Pieters und kam so auf das Schiff des glücklichen Matthis. In jenen Zeiten galten Arzt und Barbier ziemlich gleich. Beide schnitten den Männern die Haare, zogen kranke Zähne aus und renkten verstauchte Gliedmaßen wieder ein. Auf jedem Grönlandfahrer mußte ein Mann sein, der etwas von Heilkunde verstand, denn gar zu leicht kam es vor, daß sich einer an Beil oder Messer verletzte, oder daß die Leute sich die Hände wund rieben, wenn sie im Sturm die festgefrorenen Segel reffen mußten. Der Heilkundige mußte Wachdienst tun so gut wie jeder andere und mußte ebenso gut bei der Walfischjagd, dem Abspecken und Schneiden des Specks helfen.

Mit allem war Gottfried Köhler einverstanden, solange sie noch im Hamburger Hafen lagen. Auch die Elbfahrt gefiel ihm nicht übel. Kaum aber hatten sie Kuxhaven hinter sich und die ersten Nordseewellen kamen ihnen entgegen, da wurde ihm schon wunderlich zumute, und längst, ehe sie Helgoland in Sicht bekamen, war der Schiffsbarbier schon seekrank. Er machte das aber nicht schweigend ab wie das andere Schiffsvolk, sondern jammerte und klagte, daß sogar die kleinen Jungen über ihn lachten.

Hinter Helgoland hörte das Spucken allmählich auf, und Gottfried Köhler gewöhnte sich mehr ein. Er tat ordentlich seinen Dienst und stand sogar mehr als nötig an Deck herum, wenn er eigentlich Freizeit hatte und schlafen konnte. Dann aber kamen sie ins Eis, und die Wache- und Schlafenszeiten änderten sich. Alle andern Leute krochen unter Deck, sobald ihre Wache beendet war, dachten nichts weiter, sondern schliefen im nächsten Augenblick schon fest ein. Gottfried Köhler aber wollte ein Tagebuch führen; er wollte den Sonnenschein an Deck genießen; er wollte die Fische und Seehunde beobachten, die aus dem Wasser emporschnellten – er wollte dies und wollte das, lauter Nebendinge. So kam er nie ordentlich zum Schlafen, und endlich ging er zum Kommandeur und bat ihn, ob er nicht mehr Freizeit bekommen könnte als die andern Leute.

»Denn ich bin ein studierter Mann und will andere Dinge als nur Schiffsdienst tun,« schloß er mit Selbstgefühl; »deshalb kann ich mit so wenig Schlaf nicht auskommen.«

Matthis Peters sah den Bittsteller nicht schlecht von oben bis unten an.

»Zu mir bist du gekommen, um Schiffsdienst zu tun, nichts weiter,« sagte er gelassen. »Hättest auf Vorrat schlafen sollen, ehe wir ins Eis kamen. Nun gewöhne dich nur daran; kommen wir an den Fisch, gibt es noch weniger Schlaf.«

Und sie kamen an den Fisch. Der Ruf: »Waal – Waal!« der alle andern mit Leben erfüllte, der dem ganzen schläfrigen Schiffsvolk das Jagdfieber durch die Adern trieb, der wurde dem Binnenländer bald zur Qual. Er schlief mit dem Hackmesser in der Hand ein, er schlief in der Schaluppe am Riemen. Er war glücklich, wenn der Fisch fortschwamm, ehe sie ihn festmachen konnten, und freute sich wie unklug, wenn irgend etwas den Kommandeur veranlaßte, die Schaluppen erst gar nicht streichen zu lassen; noch unkluger aber war es von ihm, diese Freude ganz unverhohlen zu zeigen. Das Schiffsvolk murrte.

»Der schwarze Teufel verhext uns noch den Fisch,« brummte einer, und niemand widersprach.

Es kam nun so, daß sie einen schönen Fisch binnen hatten und nach guter Mahlzeit eben unter Deck kriechen wollten, als vom Krähennest her wieder der jauchzende Ruf flog:

»Waal – Waal –« und gleich danach das scharfe Kommando:

»Fall – fall – over all!«

Die Leiber der todmüden Leute strafften sich, die Fäuste griffen nach den gewohnten Geräten, nur Gottfried Köhler blieb sitzen, tief im Schlaf versunken. Lorens stieß ihn hart mit dem Fuß.

»Fall – fall – over all!«

Der Schläfer fuhr hoch.

»Laßt mich weiter schlafen!«

»Bist wohl unklug, Mann,« antwortete Lorens ruhig. »Deine Schaluppe wird gestrichen. Mach fort, daß du an deinen Platz kommst.«

Da sprang Gottfried Köhler auf und schlug nach ihm. Matthis Peters legte ihm schwer die Hand auf die Schulter.

»Wahr den Steuermann!«

»Steuermann hin – Steuermann her –« schrie Gottfried Köhler außer sich. »Schinder seid ihr, Menschenschinder! Ja, du auch, du Hund, du gemeiner –« und er griff nach einem Beil, das ihm in Reichweite lag.

Er wollte auf den Kommandeur eindringen, aber ehe er nur die Hand heben konnte, war er schon gefesselt und lag im dunklen Raum. Aber ihm scholl noch einmal der Schrei:

»Fall – fall – over all!« Dann setzte das gewohnte Getriebe ein, und in doppelter Eile folgten die Schaluppen dem Fisch.

Sie bekamen ihn ein, und in den nächsten Tagen bearbeiteten sie ihn wie gewöhnlich; Gottfried Köhler wieder mitten unter ihnen, denn sie konnten das Paar Hände nicht entbehren, aber es war kein Leben, keine Freude am Werk diesmal zu spüren. Es lag wie ein Druck über dem ganzen Volk vom Kommandeur bis zum Hund hinunter. Wenn die Strafe auch aufgeschoben war – aufgehoben konnte sie doch nicht werden, einfach um der Disziplin willen. Das Schlimme aber war, daß Gottfried Köhler nicht einmal Reue zeigte, sondern im Gegenteil tat, als wäre er im Recht. Wenn ihn der Schlaf ankam, legte er sein Hackmesser einfach beiseite, ging unter Deck und schlief einen Stremel. Einmal hatte ihn der Kommandeur noch gewarnt:

»Wahr' dich, Gottfried Köhler!«

Aber der Aufsässige hatte nur den Kopf zurückgeworfen und tat nach wie vor. Da wandte sich das Schiffsvolk von ihm ab. Niemand kümmerte sich mehr um ihn; sie mieden ihn alle wie einen Gezeichneten. Doch Gottfried Köhler verstand diese schweigsamen Männer nicht. Er wollte nicht wissen, wie schwer sein Vergehen war, das schwerste, das es im Rahmen der strengen Schiffsdisziplin überhaupt gab: Auflehnung gegen die Person des Vorgesetzten. Das zog schärfste Strafen nach sich und mit Recht. Denn wie sollte der Kapitän ein Schiff sicher durch alle Stürme führen, an Eisbergen und Klippen vorüber, wenn jeder Mann tun dürfte, wie ihm beliebt? An Bord gilt nur ein Wort, ein Gesetz: das des Kapitäns, und seine Person darf niemand antasten. –

Als der Fisch in den Fässern steckte, ließ der Kommandeur Gottfried Köhler zu sich in die Kajüte rufen. Da saß er mit allen Offizieren feierlich am weißgedeckten Tisch, auf dem die große Bibel mit den silbernen Schließen lag. Die Männer zeigten gleichmütige Gesichter, ruhig und kalt, so daß Gottfried Köhler wieder den Eindruck hatte, als nähme man sein Vergehen nicht schwer. Matthis Peters selbst eröffnete sogleich das Verhör:

»Bekennst du dich schuldig des Aufruhrs und der Meuterei?«

»Durchaus nicht, Herr Kommandeur,« entgegnete der Studiosus zungenfertig. »Ich vertrat nur mein Menschenrecht. Denn der Schlaf ist von Gott dem Menschen gegeben, damit er sich darin stärke für seine Arbeit. Ihr aber mordet den Schlaf und mordet damit auch den Menschen –«

Matthis Peters hob gelassen die Hand.

»Sprecht, Lorens Petersen Hahn, was hat der Mann nach unserm Recht und Gesetz verwirkt?«

Lorens sah mit Unbehagen auf den jungen Menschen. Er konnte die Erinnerung daran nicht los werden, daß er selbst es gewesen war, der ihn angeheuert hatte.

»Ein Wort zuvor, Herr Kommandeur,« sagte er aus dieser Erinnerung heraus gegen allen Brauch. »Es war meine Schuld, daß ich einen unbefahrenen Mann an Bord brachte. Er wird Abbitte tun, wenn er sein Unrecht einsieht. – Du sagst, du willst Arzt werden und kranke Menschen heilen,« wandte er sich an Gottfried Köhler. »Dann wird es auch bei deiner Arbeit Nächte geben, in denen es heißt: Fall – fall – over all! Denn die Krankheit fällt den Menschen wohl auch unversehens an und fragt nicht danach, ob der Arzt müde ist.«

Lorens sprach langsam – bedachtsam – er wunderte sich selbst, daß die andern ihn ruhig ausreden ließen. Als er aber merkte, daß Gottfried Köhler den Kopf sinken ließ, als machte ihn der Vergleich mit dem eigenen Beruf betroffen, nützte er den Augenblick, indem er gegen ihn schloß:

»So wirst du Abbitte leisten und Reue tun nach dem Brauch.«

Der Studiosus hob schnell den Kopf.

»Gehe ich dann straffrei aus?«

»Das ist unmöglich um des Beispieles willen für die andern, aber der Herr Kommandeur wird dann Gnade vor Recht gehen lassen.«

Matthis Peters nickte bestätigend.

»Drei Tage an den Mast und jeden Tag fünfzig –«

»– Prügel?« schrie Gottfried Köhler auf. »Prügel? Nie – niemals! Dann lieber kielholen, wie das Schiffsvolk sagt, daß meine Strafe sein wird.«

Matthis Peters schwoll die Zornader an der Schläfe, aber er blieb äußerlich kalt.

»Wie du willst,« sagte er hart. Dann legte er die Hand auf die große Bibel und tat den Spruch: »Kielholen, bis er Abbitte leistet; dann drei Tage an den Mast und fünfzig Stück täglich.«

Das Kielholen war die schwerste Strafe vor der Todesstrafe, die auf den Schiffen verhängt werden konnte. Dabei wurden dem Schuldigen Gewichte an die Füße gebunden. Um den Leib wurde ihm ein Tau befestigt, das zuvor unter dem Schiffskiel durchgeholt war. Das andere Ende hielten die stärksten Matrosen am anderen Bord in der Hand. Dann wurde der Verurteilte auf seiner Seite ins Wasser geworfen. Er sank sofort unter, und so schnell sie konnten, zogen die Leute an der andern Seite ihn wieder herauf, so daß also auch er einmal unter dem Kiel durchgeholt wurde. Es kamen dabei oft Arm- oder Beinbrüche vor. Auch konnte wohl ein Mann dabei ertrinken, wenn die andern nicht schnell genug zogen. Holten sie aber gar zu geschwind das Tau ein, ehe der Mann noch tief genug weggesackt war, so zerschlug er sich wohl am Schiffskiel die Schädeldecke.

So ging es auch mit Gottfried Köhler. Als er das erstemal unterm Kiel durch wieder an Deck geholt wurde, war sein Gesicht blutüberströmt, und am Hinterkopf hatte er eine klaffende Wunde. Er riß noch einmal die Augen auf und hob die Faust gegen den Kommandeur:

»Wahr' dich, glücklicher Matthis! Dein Glück geht mit mir zugrunde.«

Dann fiel er um und war tot. –

Es war gerade die beste Fangzeit des Jahres, und die Jagd war gut. In dem Getriebe der Arbeit und der Hitze der Jagdleidenschaft würde Lorens wohl Gottfried Köhler schnell vergessen haben, wenn er nicht nach wenigen Tagen schon mit Schrecken bemerkt hätte, daß der Kommandeur anfing, unsicher zu werden. Der glückliche Matthis vertraute seinem Glück nicht mehr so fest wie bisher. Er wagte nicht recht etwas, dann aber suchte er durch unüberlegtes Zupacken an anderer Stelle das Versäumte wieder einzuholen und kam dadurch gerade recht in sein Unglück hinein.

Wenn das Eis zu treiben beginnt, flüchten die Schiffe gern in geschützte Buchten, wo sie vor dem harten Druck der schiebenden Massen sicher sind. Nun begab es sich in jenem Jahr, daß das Eis zu treiben begann, als Matthis Peters und seine Leute gerade den siebenten Fisch im Schiffsraum verstaut hatten. In anderen Jahren wäre er da als erster in die Nordbai von Spitzbergen gesegelt, von der sie nicht weit entfernt waren. Er hatte sein Glück nicht zum wenigsten dem Umstand zu danken gehabt, daß er niemals den sicheren Gewinn ohne Not wieder aufs Spiel setzte. »Einer zur Zeit ist guter Fang,« pflegte er zu sagen und wartete ruhig ab, bis ihm der zweite von selbst in Sicht kam.

In diesem Jahre aber sah Matthis Peters nicht auf die Fische, die er schon gefangen hatte, sondern nur auf alle, die ihm fortgeschwommen waren, und er meinte, er dürfte nicht in Ruhe und Sicherheit ein paar Tage stilliegen. So gab er Befehl, alle Segel zu setzen, um vor dem treibenden Eis in freies Wasser zu fliehen. Am ersten Tage ging noch alles gut, am zweiten aber schlossen sich die Schollen schon enger um das Schiff, und am dritten kamen sie an ein großes Feld, an dem sich das treibende Eis staute. Da stand die Sonne schon hoch am Himmel. Ehe sie aber noch ihre volle Höhe erreicht hatte, war das Schiff schon so vom Eise besetzt, daß Matthis Peters Befehl geben mußte, Schaluppen und Lebensmittel aufs Eisfeld zu schaffen. Sie hatten sich aber kaum mit drei von den Schaluppen aufs Feld gerettet, da kam von neuem ein drängendes Schieben in die Massen. So sahen sie ihr reichgeladenes Schiff mit vollen Segeln und zwei Schaluppen bis über die Spitzen der Mastbäume und Flügel auf einmal unter das Eis geschoben.

Der glückliche Matthis biß die Zähne zusammen, daß sein Gesicht schrecklich anzusehen war. Aber er jammerte und klagte nicht, sondern beriet mit Steuerleuten und Harpunieren die nächsten Maßnahmen, um wenigstens das Schiffsvolk zu retten. Ach, da war wenig zu tun. Sie konnten nur, was sie an Schiffsvolk und Lebensmitteln hatten, möglichst gerecht auf die drei Schaluppen verteilen. Dann mußte die Besatzung einer jeden sehen, wie sie irgendwo an offenes Wasser käme. Matthis Peters übernahm das Kommando der ersten Schaluppe; die zweite befehligte Lorens der Hahn; die dritte der älteste Harpunier. Da aber nach dem Aussehen des Himmels das ganze Schiffsvolk einig war, daß sie im Südost noch am ehesten offenes Wasser erwarten dürften, blieben sie alle fürs erste beisammen. Mit großer Anstrengung schleppten sie die schweren Boote über das holperige Eis und erreichten so am zweiten Tage gegen Abend den Rand des Feldes. Vor ihnen lag ein breiter Streifen offenen Wassers, in dem hier und da emporspritzende Strahlen die Anwesenheit von Walfischen verrieten. Bei diesem Anblick sank Matthis Peters ganz in sich zusammen; er setzte sich auf den Rand seiner Schaluppe und stützte den Kopf in die Hände.

»Was wäre es für eine Schwierigkeit –« sagte er seufzend; »hätten wir nur ein anderes Schiff, wir fänden Gelegenheit genug, all diesen Schaden zu ersetzen.«

»Wohl, wohl, Kommandeur,« antwortete Lorens gelassen, bei sich aber dachte er: Hätte-gefangen und fangen-können sind nicht gut auf den Tisch zu setzen. Nach einer Weile, da er sah, daß Kommandeur und Schiffsvolk immer nur nach den blasenden Fischen starrten, sagte er laut: »Es helfen keine schönen Worte gegen einen Walfisch, Kommandeur; wir müssen wohl sehen, an ein Schiff zu kommen. Am besten halten wir wohl hier unterm Felde weiter auf den West.«

»West?« Matthis schüttelte den Kopf. »Um den Ost meint Ihr wohl, Steuermann?«

Sie konnten sich nicht einigen. Der Führer der dritten Schaluppe schloß sich der Meinung des Kommandeurs an, aber Lorens blieb hartnäckig auf der seinen bestehen und merkte auch bald, daß seine Leute fast alle auf seine Seite traten.

»Tut, was Ihr wollt,« sagte Matthis Peters endlich trübe. »Wenn einer von Eurer Schaluppe zu uns kommen will und einer von den unsern zu Euch, soll es mir recht sein. Aber wie wir dann geteilt haben, muß es auch bleiben, und wenn wir noch einmal zusammentreffen sollten, dürft Ihr keinen Proviant nachfordern.«

Zwei von Lorens' Leuten wollten lieber mit um den Ost fahren, dafür aber traten drei von den andern zu ihm über, und da die Bemannung so wie so nicht gleich geteilt werden konnte, mußte Lorens sie auch nehmen. Dann teilten sie noch einmal den Proviant und trennten sich unter Schluchzen und gegenseitigen Segenswünschen. Matthis drückte Lorens noch einmal die Hand.

»Du hast kein Vertrauen mehr zu meinem Glück,« sagte er leise. »Kräh nicht zu stolz, du Hahn, wenn du erst hoch auf dem Mist stehst. Auch der Kapitän kann einmal über Bord fallen.«

So trennten sie sich. Lorens ließ seine Schaluppe zu Wasser bringen, und sie nahmen Kurs nach Westen. Das Wetter war still, aber der Himmel bedeckt, und am folgenden Tage nahm ein starker Nebel ihnen alle Sicht. Sie ruderten aber stetig weiter, nach Möglichkeit Kurs haltend, und trafen am Abend des dritten Tages richtig auf einen Grönlandfahrer, auf den sie strack zuhielten. Es war »de Eendracht« von Bremen. Der Kommandeur wollte sie aber keineswegs aufnehmen, und als sie ihre Schaluppe an seinem Schiff festmachten, um sich mitschleppen zu lassen, wurden sie mit brennenden Hölzern beworfen, so daß sie genötigt waren, wieder loszulassen.

Danach wurde das Schiffsvolk sehr verzagt. Sie hatten, als sie »de Eendracht« in Sicht bekamen, ein gut Teil Proviant verzehrt, um recht Kraft zum Rudern zu haben. Nun mußten sie fürchten, bald zu verhungern. Glücklich entdeckte Lorens noch ein Feld mit Walrossen, und als sie eins dieser Tiere erlegt hatten, es ihnen auch gelungen war, ein Feuer von Treibhölzern anzuzünden, sie also abkochen und eine tüchtige Mahlzeit halten konnten, faßten sie wieder Mut. Einen Tag lang lagen sie noch an diesem Eisfelde fest, dann wagten sie sich wieder auf die offene See und fanden nach mehreren angstvollen Tagen und Nächten endlich ein kleines Schiff, »die vier Brüder« genannt, das schon volle Fahrt hatte und sie in aller Schleunigkeit auf die Heimreise mitnahm. –

Dies war der letzte Sommer gewesen, in dem Lorens mit dem glücklichen Matthis fuhr. Er wußte wohl, daß ein Mann kein Glück mehr haben kann, wenn er das Vertrauen zu sich selbst und die ruhige Sicherheit verliert. So verließ er ihn und nahm sich vor, sobald als möglich selbst als Kommandeur zu fahren.


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