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Dreizehntes Kapitel.

Ruhe nach dem Kampf.

 

Der See wurde die ganze Nacht und den folgenden Tag hindurch mit dem Schleppnetz durchsucht, obgleich die Wildhüter um der jungen Fasanenentchen willen heftige Einsprache dagegen erhoben. Das Einzige aber, was man fand, war die italienische Mütze. Das Hexengrab, welches zu meiner Freude vom Hause nicht sichtbar ist, mißt bei niedrigstem Wasserstande mehr als vierzig Fuß Tiefe. Drei oder vier Jahre später fing der junge William Hiatt einen riesigen Hecht in dem See, den er mit unserer Bewilligung nach Gloucester zum Ausstopfen schickte. Gleich dem berühmten Fisch von Samos hatte dieser Hecht einen Ring verschluckt, der Conrad von Gloucester zugeschickt wurde. Es war Lepardo's Siegelring: auf einem Blutjaspis war das Kreuz der Familie mit den Buchstaben L. D. C. darunter gravirt.

Ob der mitternächtliche Mörder am Streiche einer englischen Faust gestorben, oder Vivisection durch die Vendetta eines Hundes erlitten, (eine verzeihlichere und würdigere Einrichtung, als die der Menschen), dies weiß nur Er allein, der die Wage der Vergeltung in der Hand hält und auf unsere Versuche, die Schalen in Bewegung zu setzen mit Verachtung und Zorn herabsieht. Ich bin in meinem Herzen froh und werde es stets sein, daß ich nicht bei der furchtbaren Schlußscene der Tragödie vom Tode meines Vaters mitwirkte.

Conrad's Geschicklichkeit und Geistesgegenwart hatten dem theuren Pächter das Leben gerettet. Wir schickten sofort nach Gloucester und ließen den tüchtigsten Arzt der Stadt holen. Dieser erklärte, daß er selber den Verband gar nicht besser hätte anlegen können; aber er that, was Conny nicht wagen durfte – er zog die Kugel des Mörders aus der Wunde. Nur der erste Schuß hatte ernstlichen Schaden angerichtet, da er mit sicherer Hand auf das große, edle Herz gezielt war. Dank dem Wehen der Weidenzweige, denn Lepardo war ein berühmter Schütze, hatte er es um zwei Zoll verfehlt. Der zweite, wild in der Nähe abgefeuerte Schuß hatte die linke Schläfe gestreift und dem Pächter die Besinnung geraubt.

Sechs Wochen lang wurde unser theurer Freund, dessen Geduld Alle außer mir in Erstaunen setzte, von seinem Devonshirer Heim fern gehalten. Ich sandte sofort nach London um Mr. Dawe und die Kinder kommen zu lassen, und gern hätte ich auch Mrs. Huxtable von Devon herbeigeholt, aber ihr Gatte wollte es nicht zugeben. Durch Ann Maples, welche Lady Cranberry in »unerhörter Weise« verlassen, als sie von Mrs. Fletcher erfahren hatte, daß ich sie wieder nehmen würde, übersandte er seiner Frau die herzlichsten Grüße, und sie möge um des Himmels willen zu Hause bleiben. Es sei gar keine Ursache den Kopf zu verlieren und die Farm zu Grunde gehen zu lassen. Es würde schon genug Aufhebens um ihn gemacht; er wolle sich von nun an aber auch nicht mehr mit seiner Stärke brüsten, da so eine Pille ihn habe über den Haufen werfen können. Aber Miß Clara – Gott segne ihr liebes Gesicht – die pflege ihn gerade, als wäre sie seine eigene Tochter und trage die Schürze, die Du ihr gegeben. »Und die Küche müßtest Du sehen, Honor, Du hast so gerne schöne Küchen. Da wird den ganzen Tag gekocht und gebraten, und dreimal müssen sie den Schornstein in vierzehn Tagen fegen lassen –« diese Probe der drei Seiten langen Botschaft wird genügen. Ich hoffe nur, daß Ann Maples ein Viertel davon im Gedächtniß behalten hat.

Seine wunderbare Miß Clara pflegte ihn jedoch nicht lange. Nach der schon Ende der nächsten Woche vom Arzte gegebenen Erklärung, daß alle Gefahr vorüber sei (so stark war des Pächters Constitution) gingen Conrad, Lily und ich unter Segel, um in Korsika einer traurigen Pflicht zu genügen. In jenem Briefe, der nur wie vom Grabe zu kommen schien, richtete mein verstorbener Onkel, nachdem er mir seine Freude und Dankbarkeit über den glücklichen Abschluß seines Lebens ausgedrückt, folgende Worte an mich:

»Ja, mein liebes Kind, der Schluß meines vergeudeten, müden Lebens. Du wirst vielleicht verwirrt und bestürzt über Das sein, was ich Dir mittheilen werde. Du gehörst aber nicht zu den beschränkten Seelen, welche Alles als Aberglauben verdammen, was über ihre Philosophie hinausgeht. In derselben Nacht, als Du mir meine neue Lily gebracht, dieses süße Geschöpf, das so sehr der Mutter gleicht, lag ich stundenlang vollständig wach im Bette. Ich dachte an meine beiden Lily's, diese lieblichen und liebenden Wesen. Nicht im geringsten aufgeregt war ich, sondern ruhig, nachdenklich und glücklich. Bald nach zwei Uhr, in der Stunde, wo unsere Lebensflamme am niedrigsten brennt, hörte ich, wie eine sanfte Stimme, so süß wie himmlische Musik meinen Namen dreimal rief. Ich erkannte die Stimme sofort, sie hatte zu oft an meiner Brust gemurmelt, als daß ich sie jetzt nicht hätte kennen sollen. Nicht in Uebereilung, sondern mit längst entschlossenem Sinn antwortete ich: ›Mein süßes Herz,« (ihr eigener einfacher Zärtlichkeitsausdruck) »mein süßes Herz, ich will Dich nicht länger einsam lassen.‹ Es kam keine Erwiederung in Worten; aber das Licht, das goldige Licht ihres Lächelns, wie ich es in Korsika gesehen, als sie aus dem Grabe gekommen war, um mich zu trösten. Und auch jetzt, wie nach jenem Besuch, umfing mich ein tiefer fester Schlaf, ein Schlaf, so vollkommen ruhig, wie er uns nur selten vor dem langen letzten Schlaf zu Theil wird. Es war kein Wunder, daß Ihr, Du und Lily, mich am folgenden Tage so gestärkt fandet. Am Morgen wußte ich, daß ich schnell von der Erde scheiden würde, und ich freute mich dessen. Dieses kalte Hinderniß sollte zur Seite geworfen und die geflügelte Seele von dieser gelähmten Hülle befreit werden. Am dritten Tage würde ich auf immer mit meiner Lily wiedervereint sein. Den ersten Tag widmete ich den harmlosen Freuden des Lebens, und ich konnte mich nicht entschließen, Dich abreisen zu lassen, denn das würde sie in Schmerz verwandelt haben. Am zweiten Tage ordnete ich alle geschäftlichen Angelegenheiten, bei welcher trockenen Arbeit ich mich oft durch die Gesellschaft meines lieblichen Kindes erfrischte. An diesem, dem dritten, schreibe ich Dir und bin, Dank der Gnade Gottes, so ruhig, als wolle ich schlafen gehen.

Meine beiden geliebten Töchter und mein theurer Sohn, ich flehe Euch an, nicht schmerzlichem Kummer um mich nachzuhängen. Nur zu gut kenne ich die Last übermäßigen Grames und weiß, daß sie den Geschiedenen mehr bedrückt als die Zurückbleibenden. Weßhalb wollen wir, da das Scheiden so kurz, die Wiedervereinigung ewig ist, die Zwischenzeit dadurch trostloser machen, daß wir jeden Fußtritt zählen?

»Ach, es ist leicht, so zu sprechen und zu denken, aber schwer, so zu empfinden. Die Zeit will mit dem Kummer zur Seite wandeln und seinen Arm nicht entbehren. Dann denkt an mein Glück, meine Lieben, und daß Euer eigenes das meinige erhöhen wird. Jetzt noch eine Bitte, die völlig zu begreifen Ihr noch zu jung seid. Wenn Ihr, meine drei Kinder, es ohne große Schwierigkeiten bewerkstelligen könnt, so erfüllt mir den Wunsch, meine Leiche neben die meines Weibes zu legen. Der Name der kleinen Kirche ›Sankt Katharina auf der Klippe‹ kann dem scharfen Gedächtniß meiner Clara nicht entgangen sein. Lily ruht neben ihrem Vater in der Ecke nach dem Meere zu. Jedes der beiden Gräber hat ein Kreuz, welches nach meiner Zeichnung vom Alabaster des Signors gefertigt ist. Das meiner Lily genügt auch für mich. Laßt meinen Namen zu dem ihren hinzufügen.«

Diesen letzten Wunsch hielten wir nicht allein für heilig, sondern wir erfüllten ihn in einer Weise, die ihm wahrscheinlich am liebsten gewesen wäre. Wir rüsteten seine eigene »Lilie,« ihre Liebesbarke, wie sie die Yacht genannt hatten, wieder aus, engagirten einen tüchtigen Kapitän nebst Mannschaft und gingen, die alte Cora mit uns nehmend, von Gloucester nach dem Mittelländischen Meere unter Segel. Die arme Cora war jetzt die Hingebung selber gegen Conrad und Lily, seit sie wußte, daß sie gesetzliche Nachkommen und Erben der Familie Della Croce waren. Die letzten Familienereignisse kannte sie nur nach der Version ihres Gebieters und sie hatte wenig auf die Kinder gegeben, denen in ihren Augen der Makel der Namenlosigkeit anhaftete, obgleich sie nicht umhin konnte, der lieblichen Lily ihr Herz zuzuwenden. Durch ihre Aussagen verbunden mit der schriftlichen Erklärung meines theuren Onkels, seinen Reliquien, Dokumenten und meinem eigenen durch Balaam und Balak bestätigtem Zeugniß begründeten wir jetzt ohne Schwierigkeiten die Ansprüche der Kinder Onkel Edgar's. Der alte Graf Gaffori, ein höchst ehrwürdiger Signor, hätte uns gern einen Monat mit der Durchsicht seiner Rechnungen zurückgehalten. Wir baten ihn inständigst, seine Stellung als Lily's Vormund noch ferner zu bekleiden.

So weit unsere Trauer uns die Freude an Naturschönheit gestattete, entzückte uns Alle die Balagna. Bei der Bestattung des Signors Valentine, dessen Andenken noch allgemein geliebt und verehrt wurde, war fast die ganze Gemeinde versammelt, und manche würdige Matrone vergoß jetzt Thränen, die als anmuthiges Mädchen bei seiner Hochzeit gelächelt und Blumen gestreut hatte. Sie alle brannten vor Neugier, unsere schöne Lily zu sehen, denn die Geschichte ihrer Eltern hatte sie gerührt, wie eben südliche Naturen gerührt werden, und viele von ihnen hatten ihre Mutter geliebt und angebetet.

Trotz dieses allgemeinen Wunsches traf sie nicht ein einziger spähender Blick, als sie tief verschleiert sich neigte und dem wehmüthigen Vocero weinend lauschte. Voran unter den Leidtragenden standen die beiden Alten Pedro und Marcantonia, die ihres geliebten Herrn Tochter mit Thränen und Küssen begrüßt hatten. Was mich betrifft, ich liebe die Corsen; ein Zug edler Einfachheit charakterisirt die Männer, ein anmuthiges herzliches und würdevolles Wesen die Frauen. In kurzer Zeit verstand ich zum größten Theil, was sie sprachen. Die finstere Vendetta, sagten sie mir, sei im Aussterben und würde in wenigen Jahren zu den Schrecknissen der Vergangenheit gehören. Gott gebe es in Seiner Gnade.

Es muß Etwas in Onkel Edgar's Natur gelegen haben, das die südlichen Herzen ebenso für ihn einnahm, wie mein Vater die Liebe der Briten gewonnen.

Noch vor dem Ende des Augusts waren wir Alle wieder in Vaughan St. Mary und fanden den Pächter, Beany Dawe und die beiden Kinder so vergnügt vor, als wären sie dort geboren und erzogen. Die alte Cora war auf Veduta-Thurm geblieben, und ich hatte ihr jetzt mit der Erlaubniß Mr. Dawe's das kostbare Cordis zum Geschenk gemacht. Sie beabsichtigt jedoch, es mir durch ihr Testament zu vermachen. Bald darauf erhielt sie von Conrad eine gehaltvollere Gabe. Als nächster Verwandter und gerichtlich anerkannter Erbe Lepardo's verkaufte er alle in dem Hause der Lucasstraße hinterlassenen Sachen. Den Ertrag, bis auf ein Zehntel, welches er dem Verein gegen Thierquälerei schenkte, übergab er Cora. Da die Sammlungen, Iguanodons und andere Ungethüme Preise erzielten, die so schwer zu erklären sind, wie sie selber, war die arme Cora gut versorgt, was sie natürlich Alles dem Herzen der heiligen Madonna zuschrieb.

Jetzt weiß ich auch endlich, wie aus Nummero 19 Grove-Straße Nummer 37 Lucas-Straße geworden ist. Die Verwandelung der Nummer habe ich schon erklärt, der Namenswechsel war folgendermaßen zugegangen. Der Baumeister, welcher den älteren Theil der Straße gekauft und den neueren hinzugebaut hatte, besaß einen Sohn auf der Universität, der erfahrener in den Booten als den Büchern von Oxford war. Als dieser Studiosus eines Tages, bald nachdem er zum dritten Mal durchgefallen, sehr eifrig über den Büchern saß, entdeckte er, daß Lucus das lateinische Wort für Grove (Hain) ist. Er schlug sich vor die Stirn und eine große Idee stellte sich ihm dar. Hatte es nicht Nymphen und Philosophen des Haines gegeben? Die Straße, welche er einst erben würde, sollte durch ihren Namen vor allen anderen Hainen von London, ausgezeichnet werden, wo die Nachtigall weder flötet, noch – aber ich werde poetisch und verstehe den Gradus ad Parnassum nicht. Genug, er schrieb ernstlich an seinen Vater, wobei er die Beschreibung seines verunglückten Examens, die nachgerade eine abgedroschene Geschichte war, vergaß, und nur bat, daß seine Oxforder Studienzeit wenigstens durch die Straße, welche seine, während derselben gemachten Schulden getilgt, mit einem klassischen Namen gefeiert würde. Trotzdem er deutlich und mit großen Buchstaben » Lucus« geschrieben, las der Vater es für »Lucks.« Die Mutter meinte indessen, einen so gewöhnlichen Namen könne Alexander nicht geschrieben haben, es hieße natürlich »Lucas.« Die Familie Lucas sei ja ganz nahe mit ihr verwandt, und Rosa ein sehr nettes Mädchen. Sie wußte jetzt, was im Werk sei, und Alexander habe gar keine so üble Wahl getroffen. Und so wurde Lucas auf die Straßenschilder gemalt, und der Baumeister wollte sich nicht so lächerlich machen, abermals den Namen zu ändern, als Alexander protestirte.

Als der Pächter noch gerade pünktlich zu der in der Gegend von Exmoor immer etwas spät beginnenden Ernte die Heimreise antrat, küßte ich ihn – Du hast es selber gesehen – Conrad – und warf ihm, ehe er sich noch von seiner Ueberraschung erholen konnte, Etwas in die tiefe Tasche seines Rockes, mit der Weisung es nicht früher zu besichtigen, als bis er zu Hause sei. Es war eine von unseren Rechtsanwälten ausgefertigte Schenkungsakte der Farm Tossil's Barton. Ich war freilich noch nicht mündig, doch hatte ich sie vorläufig unterschrieben und Conny und ich, wir unterzeichneten sie Beide noch einmal, als wir unseren ersten Besuch auf dem Pachthofe abstatteten. Vielleicht ist sie trotzdem nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht ganz gültig, sollte aber jemals ein Vaughan die Familienehre so weit vergessen, um irgendwelche Ansprüche darauf gründen zu wollen, so wird mein Geist ihn sicherlich verfolgen. Ich denke, ehe dieser Fall eintreten kann, wird des Pächters Recht durch unendlich langjährigen Besitz gesichert sein. Er ist jetzt ein wohlhabender Mann. Der junge Jack, der seinem Vater gleicht, hält noch treu zu Tabby Badcock, die zu einem blühenden Mädchen herangereift ist. Meine Sally jedoch hat diese drohende Degradirung der Familie reichlich dadurch ausgeglichen, daß sie auf George Tamlin, den Sohn unseres ersten Pächters, der aus Devonshire stammt, ihr Auge geworfen und sein Herz gefesselt hat. Die junge Dame ist abwechselnd sechs Wochen hier und zu Hause und ihre Hochzeit soll bei uns sein, wenn ihr Vater sie für gesetzt genug hält. Beany Dawe, der nicht gern arbeitet, lebt noch auf Tossils Barton und erhält von der Regierung als endlich anerkannter Barde sechs Pence tägliche Pension.

Von mir, Clara Vaughan, habe ich zu berichten, daß ich an meinem 21. Geburtstage, also am 31. Dezember 1851 nicht meinen Namen wechselte, aber ihn in das alte Kirchenbuch einen halben Zoll unterhalb einer besseren, kräftigeren Handschrift einschrieb. Wir hatten allen Tand und überflüssiges Gepränge vermieden. Es waren keine vier Geistliche und zehn mit einander kichernde Brautjungfern da. Die eine Classe wurde durch unseren guten Pfarrer, die andere durch Lily und Annie Franks vertreten. Mein für die Gelegenheit neuentdeckter Pathe fungirte sehr würdevoll als Brautvater und der junge Peter Green stand Conrad zur Seite. Lily Vaughan sah' so entzückend lieblich aus, daß Niemand in der ganzen Welt – aber Conrad, halte den Mund, ich angle nicht nach Complimenten, erniedrige Dich nicht so für einen Kuß; ich kenne natürlich alle meine Vorzüge, aber welchen Werth haben sie für mich, da Du erklärst, daß sie Dir gehören? – Lily Vaughan also war von so strahlender Lieblichkeit umflossen, daß der junge Herkules, der Stern von der Distaff-Straße, glaubte, die Sonne selber neige sich ihm entgegen. Er fand seine Ruhe nicht früher wieder, bis wir eine wirklich lustige Hochzeit in Vaughan Park hatten. Mein theurer Gatte und ich, wir streuten ihnen Rosen im Andenken an Lily's Mutter, denn der Schatten des Todes war vorübergezogen.

Der alte Mr. Green (ach nein, noch nicht fünfzig), also Mr. Green, der Aeltere, kam zu der Gelegenheit von London, und mir hat noch fast niemals ein Mann so gefallen. Er schien Alles zu wissen und nicht oberflächlich wie Dr. Roß, sondern bis auf das Mark und das innerste Wesen. Und dabei war er ein vollkommener Gentleman, der die Fühlhörner seines Wissens nicht ausstreckt, und den Wunsch nach einem Strohhalm, um sie zurückzuscheuchen, in uns erregt. So wenig Platz ich habe, muß ich doch noch erwähnen, wie er sich benahm, als sein Sohn ihm seine Liebe eröffnete.

»Ist es eine Dame, Peter?«

»Das sollte ich meinen, Vater.«

»Liebst Du sie von ganzem Herzen?«

»Von ganzem Herzen. Ich bin nicht weichlich, aber ich weiß, daß ich sterben würde, wenn –«

»Genug, mein Sohn, Du hast meine volle Einwilligung und die Deiner Mutter ist Dir ebenfalls sicher. Wahrscheinlich hast Du sie schon erhalten. Ihr jungen Bursche seid so versteckt. Laß mich Deine Stirn küssen, mein Junge, wenn ich auch keine dramatische Scenen liebe.«

Nach solch edlem Benehmen verdiente er das Kind seines alten Freundes und zugleich ein Mädchen, wie sein Sohn es im ganzen Königreich nicht besser hätte finden können, als Schwiegertochter zu erhalten. Der einzige Fehler, den er begeht, ist der, daß er sie zu sehr liebt, um sie in Corsika zu lassen, obgleich der dortige Handel ihnen wenigstens Fünfzigtausend jährlich einbringt. Als Lily sich verliebte, sagte ich ihr, daß sie ein Auge für die Oelbäume habe. Und Oliven hat die Liebliche wahrlich genug und Oelzweiglein dazu. Das älteste heißt Clara. »Clara Green.« Der Klang sagt mir nicht ganz zu, aber das Wesen ist etwas Wunderschönes, frischer und lieblicher, als das Frühlingsgrün. Meine Clara mißt aber einen Zoll mehr in der Wade und ich glaube, daß ihre Augenwimpern länger sind. Ihr Haar wiegt mehr, das ist sicher. Wir vergleichen sie sehr oft, denn sie bringen nur die Hälfte des Jahres auf dem Veduta-Thurm zu. Im heißen Sommer leben sie hier und die Kinder (meine machen es nicht besser) lassen der lieben Annie Elton (vormals Annie Franks) nur äußerst wenige Erdbeeren übrig. Es ist aber nur die Schuld Mr. Shelfers. Was nützt ein Gärtner, wenn er den ganzen Tag Dessert gestattet.

Allherbstlich gehen wir nach Corsika und helfen bei der Olivenernte. Der alte Veduta-Thurm gleicht dann einem von jungen zwitschernden Stimmchen erfüllten Nest im Epheu. Und die Beiden, die einander in so treuer Liebe gehören, träumen vielleicht in ihrem friedlichen Schlafe von den schönsten Blüthen Europas, die zarte Händchen über sie streuen. Conny ist jedesmal entzückt von dem Rogliano und Luri, und wenn Peter Green auf ihn hört (was Jeder außer mir thut), so wird er diese gehaltreichen und dennoch ätherischen Weine dem edlen britischen Publikum zuführen, das selbst den Rausch nur verfälscht liebt.

Oh, originelle Mrs. Shelfer, oh, Balaam und Balak, darf ich Eure Annalen übergehen? Die beiden Exekutoren haben mit der erhaltenen Belohnung ein Schenklokal etablirt, dem sie den Namen » Posse-Comitatus« beilegten, und das bald der Sammelplatz Aller wurde, die handelnd oder leidend in Beziehungen zu dem Exekutionswesen stehen. Da zu solchen Zeiten mehr als doppelt so viel wie sonst getrunken und bezahlt wird, so erfreut das Lokal sich des besten Zuspruches.

Die arme Mrs. Shelfer und Charley haben ihre 325 Pfund durchaus nicht weise angelegt. Es ging meistens im Erwerben »ewiger Dankbarkeit« darauf, ein Werth, dessen Hebung erst auf die Zeit fällt, wo des Käufers Zeit vorüber ist. Aber Patty besitzt zu meiner Freude noch die dreißig Pfund jährlich in der Bank, welche die gute und dankbare Miß Minto ihr hinterlassen hat. »Ich kann nicht daran rühren, meine Beste, nicht die Königin, noch der Lordmayor oder die ganze königliche Familie, die Regierung hat ihren Schein dafür gegeben.« Sei dem, wie ihm wolle, aber was viel wichtiger ist – Mr. Shelfer kann nicht daran rühren. Mit Stolz kann ich berichten, denn solchen Glanz erwartete ich kaum, daß sämmtliche Katzen, Vögel, Eichhörnchen, Mäuse und Affen wie eine glückliche Familie in unserem nördlichen Pförtnerhause wohnen, wo Patty als Königin des Geflügels ein nützliches und glückliches Leben führt. Ich glaubte mindestens einen Leitartikel in der Times zu finden, als Mr. Shelfer die Hauptstadt verließ. Im Interesse des Diskontos ließ man ihn jedoch ungehindert ziehen, nachdem er zweiundzwanzig Abschiedsdiners überstanden hatte. Wie bedurfte er, als er nach Vaughan Park kam, der Landluft! Jetzt widmet er sich den Spalierbäumen und der Allee, und ich hoffe, er findet Harmonie darin. Jedenfalls stört er dieselbe nie durch übermäßige Anstrengungen. Seine Pfeife ist aber von einiger Bedeutung in Bezug auf die grünen Fliegen, welche den Pfirsichen viel Schaden thun. Mr. Shelfer ist deßhalb gezwungen, die Hälfte seiner Zeit damit zu verbringen, sie durch Rauchen zu vertreiben.

»Aber, Mr. Shelfer, für fünf Schillinge Tabak berechnen Sie mir wöchentlich dafür?«

»Gewiß, Miß Clara. Zeugt von einer ausgezeichneten Constitution, wissen Sie. Eine sehr harte Arbeit, das viele Rauchen. Und die Sonne scheint so auf die Mauer und dabei nur ein Quart Bier für den ganzen Nachmittag. Mitunter, wissen Sie, muß ich es mir sogar selber holen! Sie können's mir glauben Miß, die Leute sind in Gloucestershire zu unverschämt!«

Patty brachte natürlich alle ihre Staatsmöbel mit, obgleich sie nun schon fünfundzwanzig Mal »aufgeschrieben« waren. Die Inventur-Abschriften hatte sie alle zum Einpacken verwendet. Ueber die gesetzliche Bestimmung derselben hatte sie etwas eigenthümliche Ansichten.

»Ja, ja, Miß, gekostet haben sie ihr Theil, aber es thut mir nicht leid darum. Es ist doch immer eine Sicherheit, sehen Sie. Hätte ich sie nicht, so würde ich mich halb todt ängstigen vor Dieben, hier wo Alles so frei und grün ist, schlimmer als der Regents-Park. Guter Gott, ich getraute mich nicht vor die Thür, wenn Sie mich nicht hinauszögen. Aber wie schön die Blumen hier wachsen, ganz so schön wie auf Damenhüten. Wissen Sie übrigens schon, Miß, daß Onkel John wieder zu Hause ist? Sie haben ihm nur die Schulter angefressen, da sie seinen ledernen Gürtel zarter fanden. Nächste Woche wird er kommen, um den Mann abzuführen, der seiner Frau die Theekanne in den Hals warf. Oh, oh, was doch Alles für unchristliche Dinge auf dem Lande passiren. Und so will denn der alte Mann doch noch nicht das Zeitliche segnen; es wäre doch so nett gewesen, noch dazu wo Onkel John kommt.«

Der alte Mann war der arme Whitehead, nach dessen Pförtnerhaus es Mrs. Shelfer gelüstete, weil dasselbe größer war und eine lebhaftere Lage hatte, als das ihre.

»Nein, Mrs. Shelfer, er wird durchkommen. Sie wünschen doch wohl sein Ende nicht?«

»Ei Gott bewahre, meine Beste; nein, nein, ich gönne ihm seine Zeit. Aber eigentlich sollte sie doch schon vorüber sein. Was nützt er denn noch in der Welt? Gebe Gott ihm ein friedliches Ende, es wäre für uns alle am besten.«

Als Onkel John ankam, schalt er mich wegen meines Mangels an Klugheit in jener Nacht, wo ich geblendet worden. Ich hatte von den vier Männern im Zimmer gerade den am wenigsten beachtet, den ich besonders hätte in's Auge fassen sollen. So sagte er; ich aber glaube bestimmt, und verhehlte ihm diesen Glauben keineswegs, daß er sehr wenig außer jener zur Zeit von Edgar Vaughan gegebenen Anzeige und Beschreibung entdeckt, die er aus den Archiven von der Bow-Straße Das Hauptquartier der Metropolitan Police befindet sich im New Scotland Yard an der Bow Street, ugs. ›Scotland Yard‹ genannt. und Whitehall Whitehall ist der Sitz der britischen Regierung und Verwaltung. wieder ausgegraben und zu benutzen versucht hatte. Trotzdem verzieh ich ihm aufrichtig, umsomehr da ohne meine Blindheit selbst die blinde Liebe mich als ein zu vermeidendes Wesen erkannt und ich meinen Conrad niemals erobert haben würde.

Jetzt aber muß ich noch eine begründete Klage erheben. Trotzdem eine neue Miß Clara (eine solche kleine Schönheit) und ein kleiner Harry, um dessentwillen ich diese Geschichte erzähle, vorhanden sind – warum beharrt trotzdem Jeder auf dem Gute, bis zum letzten Gärtnerburschen dabei, mich »Miß Clara« zu nennen? Ich bin mitunter so ärgerlich darüber, daß ich mit dem Fuße aufstampfe, und welch' böses Beispiel ist das für meine Kinder. Himmel, wenn meine Lieblinge jemals so unartig sein wollten, wie ich in ihrem Alter war, so würde ich sofort die größte Birke auf den Gütern umhauen lassen. Um aber wieder auf meinen Aerger zurückzukommen, war ich etwa in den Tagen der Trübsal entschiedener und willensstärker als jetzt, wo ich die glücklichste aller jungen Mütter in England bin? Conny, sage die Wahrheit, halte ich Dich nicht in Ordnung?

»Mein geliebtes Herz, das will ich meinen. Ich fürchte mich fast ebenso vor Dir, wie vor der kleinen Clary. Clary soll jetzt auf Guidice reiten und Harry auf dem kleinen Hund Sampiero und mit kommen, um zuzusehen, wie Papa Pick, Pick, Pick macht.«

»Nein, Clary bei Mama sein und zusehen Kritze-Kratz, Kritze-Kratz wie Köchin Pastetenkruste macht. Clary hat heute Mama lieb und morgen Papa.«

Und das liebliche Herz springt auf den Schemel und zupft an dem Bart meiner Feder. Harry kommt unter dem Tisch hervor und macht sich zu einem Anfall bereit. Mein Gatte streicht mein Haar zurück und umarmt mich. Mit dem Schreiben ist es jetzt vorbei.

»Ich liebe Euch alle drei für heute, morgen und für immer. Nur reißt mich nicht in Stücke.«

 

Ende.

 


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