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Zwölftes Kapitel.

Rache von Mensch – und Thier.

 

Wie lange wir so innig umschlungen dasaßen, Eine die stillen Thränen der Anderen fortküssend, weiß ich so wenig wie ich noch von unseren Gedankenflügen weiß – waren's Gedanken oder Engel? Da öffnete sich sachte – nicht etwa die Himmelsthür, sogar nicht einmal der Haupteingang des Zimmers, sondern eine schmale Seitenthür, und herein kroch mit schleichend, vorsichtigen Schritten der Mann, den ich jetzt vor allen Menschen verachtete und bemitleidete. Lily hörte weder seinen Eintritt, noch sah sie ihn, meine Augen und Ohren waren jedoch durch mancherlei Gefahren geschärft. Der schwere Schlag, der mich bei meiner Rückkehr betroffen, hatte mich so betäubt, daß dieser Mann, wenigstens sein jetziges Vorhaben, mir ganz aus der Erinnerung gewichen war. Ich hatte dem Pächter zwar mitgetheilt, weil ich ihm dies schuldig zu sein glaubte, aus welchem Grunde ich ihn mit mir genommen, und wie ich mich auf seinen Muth und seine wunderbare Kraft verlassen; hatte ich doch zu der Zeit keine andere Hülfe. Seit ich aber heimgekehrt war und die Trauerbotschaft vernommen, hatte ich die ganze Angelegenheit keines Gedankens mehr gewürdigt. Selbst Lepardo Della Croce konnte einen abgeschiedenen Geist nicht mehr überfallen. So hatte ich in jenem Erdsturz des Gemüthes, das unterwühlt von eigenem Leid sich sofort in die Tiefe des fremden Kummers versenkt, nicht einmal daran gedacht, das Haus bewachen zu lassen oder auch nur Guidice, der seine eigene Vendetta hatte, als Posten aufzustellen.

Mit einem noch bis an das Heft verborgenen Dolche näherte er sich schleichend dem Lager, die biegsamen Glieder hin und her windend wie eine Katze oder ein Leopard. Dann erhob er sich und stand aufrecht, nicht an unserer, sondern der uns gegenüberliegenden Seite des Bettes und blickte stier auf seines vermeintlichen Opfers Angesicht.

Ich drängte Lily hinter die Gardine zurück und beobachtete den Vorgang. Niemals in meinem ganzen stürmischen Leben, unter all den schrecklichen Eindrücken, die mich jemals mit Schauder erfüllt, sah ich etwas so Unheimliches, so über alle Beschreibung, alle Begriffe Furchtbares, wie dieses höhnische, trotzige Antlitz, als die Wahrheit ihm mit einem Schlage klar ward. Nicht sein Körper allein, auch Geist und Seele, (wenn Gott ihm den Fluch einer solchen zuertheilt) schienen zermalmt, als sei er zwischen einem sausenden Dampfwagen und die feuerspeiende Mündung einer Kanone geschleudert worden. Ehe er sich noch sammeln konnte, trat ich ihm entgegen. Ich war ganz weiß gekleidet und mein aufgelöstes Haar reichte bis über meinen Gürtel herab. Meinen Reiseanzug hatte ich abgeworfen und nach dem ersten besten Gewande gegriffen. Man sagt, daß Weiß mir am vortheilhaftesten kleide, weil es mein Haar und meine Augen so gut hervorhebt. Er hielt mich für einen Geist, den Vendetta-Geist vom Jenseits, und schreckte vor mir zurück.

Ich redete ihn an: »Lepardo Della Croce, dies ist eine Mahnung des Himmels. Staub auf Asche – das ist der Menschen Rache. Ich habe sie lange gehegt, aber ich verachte sie jetzt. Gehen Sie in Frieden und beten Sie zu dem Allmächtigen, daß Er anders sein möge, als Sie. Warten Sie, ich will Sie hinaus geleiten. Sie haben hier einen rachsüchtigen Feind, der Sie in Atome zerreißen würde.«

Ich zeigte ihm den Weg, an jeder Ecke zitternd, daß wir Guidice begegnen könnten, denn ich wußte, daß er mir nicht gehorchen würde, wenn er den Verhaßten zu Gesicht bekäme. Lepardo war mir, nachdem er eine Weile schweigend und unfähig die Augen von dem friedlichen Antlitz des Todten zu wenden, dagestanden hatte, wie ein Träumender gefolgt. Ohne Jemand zu begegnen, führte ich ihn den Corridor entlang, die Treppe hinab und hinaus auf die östliche Terrasse. Dort winkte ich ihm mit der Hand und deutete auf den dunklen Schlupfwinkel im Gebüsch jenseits der Mineralquelle. Der Mondschein ruhte auf dem schwarzen Gewässer, das sich schmal wie ein Faden durch das Gras schlängelte. Ueber uns hing der Epheu, die Ranke der Vergessenheit. Der Mörder wendete sich jetzt zu mir herum und blickte mich an. Bisher war er gesenkten Hauptes wie verwirrt neben mir hingeglitten. Oh, hätte er doch ein Wort der Reue gesprochen! Er schwieg und schauderte nur, als der Epheu über unseren Häuptern raschelte. Sein Antlitz war bleich wie das Mondlicht. Sah er in mir etwas Höheres als den Geist der Vendetta?

Abermals deutete ich nach den Bäumen und trieb ihn zur Eile an. Er hatte zwei starke Feinde im Hause. Eine Minute konnte Alles entscheiden. Plötzlich, als schüttele er einen Zauberbann von sich ab, floh er, die italienische Mütze schwenkend, und seine geschmeidige kräftige Gestalt verschwand in den Lorbeerbüschen. Eine Minute lang blieb ich sinnend stehen; dann wendete ich mich langsam, schritt um die Ecke des Hauses und blickte auf die grauen steinernen Fensterkreuze des Zimmers, welches einst meinem Vater gehört hatte.

Noch quälten mich Zweifel und Bedenken. Welches Recht hatte ich, ein unerfahrenes junges Mädchen, mich hier zum Richter aufzuwerfen und mehr noch, Straflosigkeit und Freisprechung für ein Verbrechen gegen alle Menschlichkeit zu gewähren? Da stand eine riesige Gestalt neben mir und aus der Giebelthür hervor stürzte Guidice wuthschnaubend und mit gesträubtem Fell. Eindringlich und gebieterisch rief ich ihn zurück, doch er sah mich weder an, noch hörte er, sondern setzte wie ein Hühnerhund kreuz und quer doch mit gesenkter Schnauze über das Terrain.

»Meine verdammt langsamen Knochen!« sprach der Pächter. »Aber Miß, kriegen will ich ihn noch. Ich sah ihn laufen und werd' ihn schon zu finden wissen.«

»Nein, nein, ich will ihn nicht verfolgt sehen. Er soll frei ausgehen und bereuen.«

»Mit Verlaub, Miß, das darf nicht sein. Mit einem Menschen, der so etwas begangen hat, haben wir kein Recht, Blindekuh zu spielen. Niemals habe ich gegen Ihren Willen gehandelt, Miß; doch jetzt, Nichts für ungut, muß ich es thun. Sehen Sie, der große Hund weiß es besser.«

Als der Bluthund die Spur gefunden hatte, stürzte der Pächter ihm nach und geradewegs in das Gestrüpp hinein, nachdem er die Mineralquelle an derselben Stelle übersprungen, wo damals die Fußtapfen gewesen. Guidice und Pächter Huxtable waren schon große Freunde; denn der Hund war stets im ersten Moment mit sich einig, ob ihm Jemand gefiel oder nicht.

Ich war so von Schreck überwältigt, daß ich eine Weile kein Glied zu rühren vermochte. Der Pächter war ganz unbewaffnet, nicht einmal einen Stock hatte er. Was konnte er selbst mit Guidice's Hülfe gegen Feuerwaffen ausrichten, die Lepardo bestimmt bei sich führte? Wie sollte ich es vor mir selber verantworten, wenn John Huxtable jenem listigen und verzweifelten Bösewicht zum Opfer fiele?

Entschlossen, wenn möglich in der Nähe zu sein, rannte ich den schmalen Pfad entlang, der zu dem kleinen Thor führte, durch welches sie wahrscheinlich in den Park gedrungen waren. Ich hatte richtig vermuthet: es stand weit offen. Mit stockendem Athem blickte ich umher, denn von hier führten die Spuren in verschiedene Richtungen. Kein Lebenszeichen bemerkte ich außer dem Klopfen meines Herzens, das ich im Halse fühlte, und das Krächzen einer Eule aus einer hohlen Ulme. Ich warf mich in das thauige Gras und strengte meine Augen vergeblich an, bis ich an einigen im Mondschein wie Silber glänzenden Birken zuerst eine Gestalt, die in der Entfernung einem Reh glich, vorüberhuschen und dann einen großen Mann in raschen Sätzen hinterdrein rennen sah. Ich lief auf einem Richtwege auf das »Hexengrab« zu, wie die Stelle des See's genannt wird, auf welche der von ihnen verfolgte Pfad zuführt. Nach Athem ringend, denn ich hatte eine halbe Meile weit zu laufen, traf ich auf eine Scene, die mir vollends den Athem raubte. Am äußersten Ende eines kleinen Thales, unter einer Weide und wenige Fuß vom Wasser entfernt, stand Lepardo Della Croce, von seinen Verfolgern in die Enge getrieben. Einige Ellen entfernt machte Guidice die wüthendsten Anstrengungen, sich von der Faust des Pächters loszureißen. Vielleicht wäre es keiner anderen Hand in England gelungen, ihn zu halten. Seine Augen funkelten gleich den rothen Sternen einer Rakete und ein tiefes Wuthgeheul rang sich aus seiner heftig arbeitenden Brust, während er die riesigen Zähne fletschte und zum blitzschnellen Sprunge bereit auf den Hinterfüßen stand. Der Pächter stützte sich, um ihn halten zu können, gegen einen Baumstumpf.

»Hollah, Mann, ergebt Euch! Im Namen der Königin, des Lord Oberrichters und des Obersherifs von Devon befehle ich Euch (zum Teufel, Du großer Hund!), Euch zu ergeben, und ich will Euch Nichts zu Leide thun und auch den Hund nicht loslassen.«

Lepardo antwortete ruhig und mit einer Stimme, die mir das Blut erstarren machte: »Habt Ihr Euer Leben lieb? Dann geht mir aus dem Wege. Ich habe Euren Tod und den fünf solcher Hunde hier in meiner Hand.«

Ich sah den Lauf eines großen Revolvers im Mondlicht glänzen. Er hielt ihn so ruhig wie eine Tabakspfeife. Hätte es mein Leben gegolten, so wäre es mir unmöglich gewesen, mich zu regen. Der Athem stockte mir in der Brust.

»Alle Wetter, der Mann muß toll sein,« sprach der Pächter ganz gleichmüthig. »Wißt Ihr nicht, wer ich bin? Glaubt Ihr mit dem Spielzeug den John Huxtable schrecken zu können? Solche Dinger habe ich wer weiß wie viele in einem kleinen Schaufenster in London gesehen. Wollt Ihr Euch nun ergeben? Ihr sollt vorm Gerichtshof in Exeter stehen, da ein Devonshirer Euch ergriffen hat, und mehr könnt Ihr nicht verlangen. Still gestanden! Ich habe Furcht, daß der große Hund Euch anfällt. Ruhig, Du Hund!«

Und der Pächter näherte sich, den großen Hund mit sich ziehend, dem Mörder so kaltblütig, als halte derselbe nur eine Stange Süßholz in der Hand.

»Narr, im Augenblick, wo Du jenen Baumstumpf passirst, liegt Dein großer Leichnam darauf.«

»Nur zu,« sprach der Pächter, »ich wußte, daß Ihr eine Memme seid, und das ist mir lieb. Doch hört: Wenn Ihr schießt, so lasse ich den großen Hund los. Alles, was recht ist, ich weiß, was ehrliches Spiel heißt. Wollt Ihr aber Vernunft annehmen, so will ich den Hund an jenen Baum binden mit meinem Hosenträger – ich nehme immer Karrenseile dazu – und dann ergreife ich Dich als Gefangenen der Königin mit meiner linken Hand, ohne die rechte aus der Tasche zu nehmen. Seht her!«

Der Pächter versenkte seine Rechte in die geräumige Tasche seines Beinkleides. Der Corse schien erstaunt.

»Aberwitziger Clown, würdiger Sohn Deines stierköpfigen Vaterlandes, bleib' an dem Baumstumpf; da, nimm das!«

Er feuerte die Pistole ab, ein lauter Knall – der Pächter war getroffen. Dieser ließ jetzt den Hund los und stürzte auf Lepardo zu; seine Rechte fiel auf die Schläfe desselben und schien den Schädel zu zerschmettern – ein zweiter Schuß zugleich mit dem Schlag, und der Pächter brach zusammen.

»Großer Gott!« rief ich und sprang hinzu, während der befreite Guidice ihn rächen durfte, obwohl nur, wie ich glaube, an einer Leiche.

Ich sah, wie der Körper, mochte er todt oder lebend sein, sich am Boden wälzte und die Zähne des Hundes seine Kehle gepackt hielten. Dann hörte ich ein Gurgeln, Zerren und Knirschen, worauf ein klatschender Fall in das Wasser folgte.

Der Hund und der Mörder, Mann und Hund versanken zusammen in dem See. Zwanzig Fuß vom Ufer entfernt erschien, durch das Mondlicht geisterhaft beleuchtet, zum letzten Mal vor Anbruch des jüngsten Tages – das Antlitz Lepardo's Della Croce.

Selber halb ertrunken, denn er wollte seines Vaters Mörder und seinen eigenen Vivisektor nicht freigeben, so lange noch ein Athem in ihm war, keuchte mein tapferer treuer Hund Guidice endlich dem Ufer zu. Er sank zuerst erschöpft und athemlos zu Boden, dann schüttelte er sich zufrieden, wankte auf die Stelle zu, wo ich neben dem Pächter knieete und forderte mich durch Schweifwedeln zum Beifall auf. Das Wasser, welches ihm vom Fell und Schweif tropfte, netzte des Pächters nach oben gewendetes Antlitz und belebte ihn für einen Augenblick.

»Keinen Gürtel, nein, Junge, ich will ihn nicht. Kommt mir vor wie ein Erlaubnißschein zum Betrügen. Hätt' auch das Geld lieber nicht genommen, wär's nicht um die armen Kinder gewesen, neun Kinder und noch Eines in Aussicht. Will kein Bier mehr trinken, aber Beany soll seines haben.«

Und sein Kopf fiel auf meinen Schooß. Ich hielt ihn für todt und wie ich schrie und weinte, bis ich neben ihn sank und Guidice mir das Gesicht leckte, kann Niemand außer den Wildhütern sagen, die von den Schüssen erschreckt eiligst herbeikamen.

Dieser Seite des See's widmeten sie eine besondere Aufmerksamkeit, denn hier nistete in diesem Sommer eine Brut Fasanenenten, die in England, wie ich glaube, äußerst selten sind und denen sich deßhalb Niemand nähern durfte. Der arme Guidice ließ keinen der Männer heran, bis ich im Stande war, ihn anzurufen. Nun bemerkte ich, daß auch er blutete; wahrscheinlich hatte der Dolch des Feindes ihn verwundet, als er Letzterem auf die Brust gesprungen. Der Stich war unter der Schulter eingedrungen und dicht am Herzen vorbei gegangen.

Der Pächter und Guidice wurden auf die hölzernen Schleusenflügel des Hexenbaches gelegt, welcher sich hier in den See ergießt, und so nach dem Hause gebracht. Als wir in die Allee einbogen, denn wir mußten den breiten obgleich weiteren Weg einschlagen, hörten wir einen Wagen herankommen. Es war die Kutsche, welche ich Conrad nebst einem eiligen Billet, um ihn auf seines Vaters Tod vorzubereiten, entgegengesandt hatte. Er war durch eine Herausforderung Lepardo's in London zurückgehalten worden. Dies war natürlich eine Kriegslist gewesen, um ihn fern zu halten. Wie erfreut war ich, sein ruhiges edles Antlitz wieder zu sehen, als er vom Wagen sprang und meine schwankende Gestalt in seine Arme schloß. In einer Minute hatte er Alles verstanden und wußte, was hier zu thun war. Er litt nicht, daß die Leute den armen Pächter in den Wagen hoben, was sie thörichterweise beabsichtigten, sondern ließ die rauhe Tragbahre niederlegen, untersuchte die Wunden beim Laternenlicht und verband sie geschickt mit dem ihm für den Augenblick zu Gebot stehenden Mitteln.

»Oh, Conrad wird er sterben?«

»Nein, Geliebte, ich hoffe nicht. Er wäre aber sicher gestorben, wenn sie ihn noch viel länger hätten bluten lassen.«

»Ich habe nie gehört, daß Du ein Wundarzt bist, Conny.«

»Könnte ich mich Bildhauer nennen, wenn ich nicht Anatomie studirt hätte? Theuerstes Herz, wie Du zitterst. Begieb Dich in der Kutsche nach Hause und treffe die nöthigen Anordnungen. Ein Zimmer zu ebener Erde, groß und luftig, mit einer breiten Eingangsthür. Ich will bei den Männern bleiben, und danach sehen, daß sie ihn sanft tragen. Der arme Guidice kann mit Dir zusammen heimkehren.«

So sah Conrad zum ersten Mal die Heimstätte seiner Vorfahren – drinnen die Leiche seines Vaters – und dessen Rächer hilflos hineingetragen! Ich trat ihm unter der Thür entgegen.

War dies vielleicht ein wenig tröstlich für Dich, mein Geliebter?



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