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Viertes Kapitel.

Eine Tochter wiedergefunden.

 

So ungeduldig Isola war, ihren wirklichen Vater zu sehen, drang sie dennoch auf dem Wege nach Paddington heftig in mich, nach ihres Bruders Wohnung heranzufahren, um ihn wenn möglich mitzunehmen, oder wenigstens um zu erfahren, wo er sei und wie lange er abwesend bleiben würde. Ich aber weigerte mich entschieden, es zu thun. Obgleich ich nicht mehr halb so stolz war, wie früher, konnte ich mich dennoch nicht so weit erniedrigen.

»Conny wird es aber recht unbillig von mir finden,« fuhr sie fort, »wenn ich ihm solchen Vorsprung beim wirklichen, guten Papa abgewinne. Und er könnte mir so hübsch darüber weg helfen, denn ich fürchte mich ganz entsetzlich, obgleich Du das nicht begreifen wirst.«

»Isola, laß den Unsinn. Um meines armen Onkels und um Deinetwillen würde ich vor Nichts zurückschrecken, was ehrenhaft und schicklich ist; aber weder kann ich mit Deinem Bruder Conrad reisen, noch mich in die Nähe seiner Wohnung begeben. So weit ist es doch noch nicht mit mir gekommen, wie ich auch immer gedemüthigt worden bin.«

»Aber, Geliebte, es braucht Dich ja Niemand zu sehen. Du weißt doch auch, in welchem seltsamen Irrthum er sich befunden hat.«

»Natürlich wußte ich es und wiederholte es mir unaufhörlich. Konnte ich dies aber seiner Schwester sagen?«

»Er befindet sich allerdings in einem starken Irrthum, wenn er glaubt, daß ich ihm jemals verzeihen könne. Kein Irrthum, den je ein Mensch begehen kann, ist als Entschuldigung für das anzuführen, was er gethan hat. Selbst wenn er infolge der ungeheuerlichsten Abgeschmacktheit geglaubt hat, daß mein Vater den seinigen ermordete, anstatt es sich eher umgekehrt verhält, könnte das seine Rohheit, seine niedrige Rohheit und Heftigkeit gegen eine Dame rechtfertigen? Was er gethan, das habe ich Dir niemals gesagt, und er schämte sich hoffentlich, davon zu sprechen. Aber er hat mich gestoßen, mich, Clara Vaughan, von sich gestoßen, daß ich fast zu Boden gestürzt wäre!«

»Oh, Donna, wie blitzen Deine Augen! Und Du nennst mich erregbar. Ich will Dir das Haar zurückstreichen. So, jetzt gieb mir einen Kuß. Conny thut mir recht leid. Er liebt Dich von ganzem Herzen, und Du siehst aus, als könntest Du ihn tödten. Aber ich denke, der neue, gute Papa wird schon Alles wieder in Ordnung bringen.«

»Wirklich? Laß uns nur erst zu ihm gehen.«

Wir kamen noch gerade zu rechter Zeit für den Zug, der um zwei Uhr abging; vorher telegraphirte ich meinem Onkel, daß ich zurückkäme, um seinen Rath einzuholen, ehe ich weitere Schritte thäte. Dies war einestheils der Wahrheit gemäß, und anderntheils so viel von der Wahrheit, wie ich ihm vorläufig zu enthüllen wagte. Die Depesche sandte ich nicht um einen Wagen in Gloucester vorzufinden, sondern um meinen Onkel auf unsere Ankunft vorzubereiten. Inmitten meiner Freude ängstigte ich mich vor dem, was kommen würde, und ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte. Isola plauderte unaufhörlich, so lange wir uns auf der Bahn befanden. Noch hatte sie kaum Etwas von unseren reichen englischen Naturschönheiten gesehen. Obgleich der Zug nur durch eine flache Gegend führt, sind einige Punkte unterhalb Swindon doch so schön, daß sie das Gemüth mit Befriedigung erfüllen. Unsere Gemüther konnten aber nicht davon erfüllt werden, weil sie schon voll Aufregung waren. In der Nähe von Stroud war Isola in höchster Extase und verlangte, daß ich den Besitzer jeder hübschen Wiese kenne.

Als wir aber in meines Onkels, oder (wie sie jetzt wohl genannt werden müßte), in meine Kutsche gestiegen waren, verfiel die theure Isola in das tiefste Schweigen. Sie verschloß ihr Staunen in sich und ließ mich nicht einmal in die Tiefe ihrer süßen Augen blicken, bis sie am Fuß der alten Steintreppe, die schon Hunderte ihrer Vorfahren betraten, aus dem Wagen sprang. Dann blickte sie an dem großen grauen Hause empor, das von dem Julidämmerlicht umflossen war, und dessen Giebel die Fledermäuse umschwirrten. Da sah ich unter ihren dunklen Augenlidern eine lichte Thräne erglänzen.

Nachdem ich meine liebliche Cousine, die von Jedermann angestarrt wurde und die sich scheute, den Blick vom Steinpflaster zu erheben, nach meinen behaglichen Zimmern geführt und sie unter der Obhut der guten Mrs. Fletcher gelassen, lief ich nach meines Onkels Lieblingszimmer. Der Athem wurde mir kurz, mein Herz schlug in heftiger Erregung, und mein einziger klarer Gedanke war der, daß ich meine Sache schlecht machen würde. Ich bemerkte, daß er sich seit Montag sehr verändert hatte. Er sprach zuerst:

»Mein liebes Kind, noch einen Kuß. Du bist fast so groß wie ich, seit meine aufrechte Haltung von mir gewichen ist. Von dem Augenblick an, wo Du abgereist warst, habe ich Dich stündlich, ja, in jeder Minute vermißt. In der letzten Nacht habe ich kein Auge geschlossen. Wir wollen es aufgeben, mein Herz. Gott hat Dich mir als Ersatz für Tochter und Sohn gesandt.«

»Das ist Alles recht schön, Onkel, aber ich bezweifle es stark.« Ich mußte einen leichten Ton annehmen, da ich fürchtete, die Stimme; würde mir versagen. »Ich glaube bestimmt, daß die stolze Clara sich noch einst an der Pumpe waschen muß.«

Er wußte, was ich meinte. Es bezog sich auf eine alte Geschichte in unserer Gegend von der zweiten Frau eines Edelmannes, welche ihren Stiefkindern nicht die Benutzung eines irdenen Waschbeckens gestattete.

»Was – willst Du sagen, daß« (und er begann heftig zu zittern) »daß Du irgend eine Spur, einen Anhalt gefunden hast, der zur Entdeckung meiner armen Lieblinge führen kann?«

»Ja, Gott sei gedankt. Oh, Onkel, ich bin so froh!«

Und ich warf mich an seine Brust. Sein Kopf fiel schwer auf meine Schulter, und ich fühlte, daß ich zu hastig gewesen. Er konnte nicht sprechen, er seufzte nur tief auf. Ich strich ihm das weiße Haar aus der Stirn und blickte ihn an, als sei ich erstaunt über seine Zuversichtlichkeit.

»Lieber Onkel, wir dürfen es noch nicht als bestimmt annehmen. Ich meine nur, oder bilde mir ein, Etwas entdeckt zu haben, das mit der Zeit, wenn es richtig verfolgt wird – aber Du weißt, wie sanguninisch ich bin.«

»Clara, Du spielst mit mir. Es ist der falsche Weg, mein liebes Kind, ich kann es nicht ertragen. Einen plötzlichen Stoß kann ich aber aushalten. Laß mich Alles sofort wissen. Sind sie am Leben oder todt?«

»Am Leben, denke ich, lieber Onkel; und ich hoffe sie bald zu finden, wenn Du mir in Ruhe Deinen Rath ertheilst.«

»Du hast sie gefunden. Keine Ausflüchte mehr! Ich lese es in Deinen Augen. Sage mir sofort die ganze Wahrheit wenn Du mich nicht tödten willst.«

Er erhob sich, als wolle er mich festhalten, aber seine schwachen Beine trugen ihn nicht, und ich mußte ihn statt dessen festhalten. Er fiel auf einen Stuhl und versuchte vergebens zu sprechen. Seine Augen jedoch verließen die meinigen mit keinem Blick.

»Theuerster Onkel, ich sage Dir die Wahrheit. Natürlich kann ich es nicht bestimmt wissen, und ich will nicht gern einen Irrthum begehen. Deßhalb will ich mehr Beweise zu erlangen suchen.«

»Ich gebrauche keine weiter. Laß mich sie nur sehen.«

Er sprach sehr langsam, und seine Gesichtsmuskeln zuckten bei jedem Wort.

»Nun bleibe ruhig und denke darüber nach, wie Du mir helfen kannst, lieber Onkel, denn ich weiß nicht, was ich thun soll. Besitzest Du irgend Etwas, ein Andenken oder Dergleichen von ihrer geliebten Mutter?«

Ich hatte die Absicht, ihn zu zerstreuen, denn ich bemerkte Anzeichen von Lethargie, und ich zitterte jetzt mehr als er.

Schwach lächelnd über die Thorheit meiner Frage bei einer Liebe, wie der seinigen, antwortete er in großer Erschöpfung:

»Nimm den Schlüssel von meinem Halse. Die große, schwarze Kiste in – in –«

Das Kinn fiel ihm auf die Brust, er konnte den Schlüssel nicht fassen, seine Augen aber zeigten noch Verständniß und folgten allen meinen Bewegungen. Ich nahm den Schlüssel sammt dem Bande und läutete nach Jane, der sorgsamsten und treuesten aller Krankenpflegerinnen. Flüsternd ertheilte ich ihr die Weisung, meinem Onkel ein Glas Cognak und Wasser zu geben und rannte die Treppe hinan. Nun fiel mir plötzlich ein, daß ich kein Recht hatte, die Kiste ohne Zeugen zu öffnen. Ich wußte sofort, welche Kiste mein Onkel meinte, denn er hatte dieselbe stets mit solcher ängstlichen Sorge gehütet. Wer konnte mir besser zur Zeugin dienen, als seine eigene neue Tochter? Ich flog also nach meinen Zimmern und zog die bestürzte Isola den breiten Corridor hinab. Die arme Kleine war so erschrocken, daß sie kaum athmen konnte. Ich hatte keinen bestimmten Zweck vor Augen, die alte Kiste gerade in dem Moment zu öffnen, obgleich ich mich oft gesehnt hatte, ihren Inhalt kennen zu lernen. Meine Geistesgegenwart hatte mich verlassen, und mich leitete nur die unklare Idee, dort Etwas zu finden, wodurch die furchtbare Stockung des Lebens, welche so leicht in Tod übergehen konnte, gehoben werden möge.

Die Kiste befand sich in einem panelirten Wandschrank am Kopfende von meines Onkels Bett. Als ich Isola das Licht zum Halten gab, nahm sie es wie träumend; ihre Wangen waren so bleich, wie das Wachs der Kerze, und sie hielt dieselbe so, daß ein heißer Tropfen auf meinen Hals fiel. Das Schloß und die Haspen der langen Kiste bewegten sich leicht und geräuschlos. Wahrscheinlich war sie seit langen Jahren täglich geöffnet und betrachtet worden.

So schön geordnet, daß ich kaum daran rühren mochte, lagen die Kleider, Schmucksachen, Briefe und kleinen Andenken, die Handschuhe, Taschentücher und Feenpantöffelchen, der Hochzeitsanzug, der kokette Schleier und das kecke Hütchen der Verstorbenen. Ich bin, Gott Lob, nicht übermäßig empfindsam, denn sonst würde ich jetzt nicht mehr am Leben sein, aber der Anblick dieser Sachen überwältigte mich mehr, als irgend eine meiner eigenen Kümmernisse. Die kleinen in Silberpapier gehüllten Packete, die an den Enden zusammengedreht und in der Mitte mit Stecknadeln geschlossen waren (so ungeschickt, wie Männer stets mit Nadeln umzugehen pflegen), die leichten, hellen, für eine liebliche Gestalt angefertigten Gewänder, die so sorgsam zusammengefaltet und sich dennoch nicht in den richtigen Lagen befanden, und an denen Zettel mit den Daten steckten, wo die Theure sie zuletzt getragen, ein vertrocknetes Farrenkraut und ein verschrumpfter Myrtenzweig – alle diese geheiligten Schätze erfüllten mich mit solcher Ehrfurcht, daß ich mich scheute, sie mit meinen Fingern zu durchwühlen; hätte ich es gekonnt, so würde ich nie verdienen, selber einmal so betrauert zu werden. Wie uns oft profane Einfälle an unrechter Stelle zu stören pflegen, so drängte sich mir auch jetzt der Gedanke auf, ob die arme Dame, wenn sie durch Thränen wieder in's Leben zurückgerufen werden könne, ihre Sachen nicht vielleicht in besserer Ordnung vorgefunden haben würde, als sie dieselben gehalten hatte; wenigstens, wenn sie in diesem Punkte ihrer Tochter geglichen, welche weinend auf den Knieen lag und am liebsten jedes einzelne Stück geküßt hätte. Ihre kleinen Hände huschten so flink wie weiße Mäuschen dazwischen herum, und ihr Schluchzen wurde durch Ausrufungen unterbrochen.

»Theuerste Isola, Du mußt diese Sachen nicht so durcheinander werfen. Dein Vater wird böse darüber sein.«

»Würde er es sein?« sagte ich zu mir selber; »nicht, wenn er wüßte, wessen Hände es thun.«

Sie beachtete meine Worte nicht.

»Nun lege das silberne Messer mit dem Pfirsichstein zusammen fort, wie Du es gefunden hast.«

Zu meinem Erstaunen steckte sie den Stein in den Mund. Auf der inneren Seite des Papiers standen die Worte:

»Dieses Messer und den Pfirsichstein fand ich in der Tasche meiner Lily. Den Stein sollte ich pflanzen. Ich werde es thun, wenn ich ihre Kinder gefunden habe. E. V. Januar 1834.«

»Aber, Du Närrchen, das ist doch zu unartig.« Mit diesen Worten gab ich ihr einen leichten Stoß. In ihrer unachtsamen Weise fiel sie auf die geöffnete Kiste, und ihre behende Gestalt lag zwischen den Kleidern ihrer Mutter. Ein plötzlicher Gedanke fuhr mir durch den Kopf.

»Isola, wirf das häßliche, dunkle Kleid ab!«

»Häßlich, Clara? Du sagtest noch heute Morgen, wie hübsch es sei.«

»Das gehört nicht hierher. Herunter damit, oder ich zerreiße es. Nun, den anderen Arm heraus.«

Im Nu waren ihre schönen Formen in blendender Weiße vor meinen Augen enthüllt. Nachdem ich ein hellblaues seidenes Gewand sorgsam aus der Kiste genommen, warf ich es ihr über den Kopf und zog ihre mit Grübchen gezierten Arme durch die Aermel. Dann schloß ich es mit den Türkisknöpfen und legte den Gürtel um ihre schlanke Taille. Ihre blauen Augen blickten so erstaunt drein, wie Veilchen in einen Schneesturm. Darauf führte ich sie vor den Spiegel, und so stolz wir Beide auch immer schon auf ihre Schönheit gewesen, waren wir jetzt von demselben Gedanken ergriffen. Ich sah es im Spiegel an ihrem seitwärts gewendeten runden Kinn und der verschämten Beugung des Nackens, sie sah es dort drüben ebenso deutlich an dem Glanz meiner feuchten Augen. Keine von uns hatte jenes lieblichste aller Mädchen bisher nur halb so lieblich gesehen. Der Stolz auf ihre herrliche Schönheit überzog ihre Wangen mit lichtem Roth, und aus dem Schatten ihrer Wimpern hervor leuchtete der tiefe Azur ihrer sanften Augen. Bei keiner unserer englischen Schönheiten habe ich solche Augen gesehen, wie die ihren. Einige mochten ihnen wohl an Farbe und Klarheit, obwohl nicht an Glanz gleichkommen. Die herrliche Wölbung ihres oberen und die dichten Franzen ihres unteren Lides gaben jedoch ein bald lebhaftes, bald gedämpftes Licht, welches der matte angelsächsische Blick niemals besitzt. Es glich den Mondesstrahlen, die unter einem Brückenbogen hindurchhuschen.

Das Kleid paßte ihr vortrefflich. Es war gerade für so eine schlanke, elastische Gestalt gemacht, die zart und weiß wie ein reifbedeckter Blüthenzweig und trotzdem voller Wärme und Leben war. Freilich zeigte es, ich muß es gestehen, obwohl es der Zeit und dem Klima wohl angemessen gewesen, für unsere mädchenhaften Begriffe etwas zu viel von dem schwellenden Schnee. Deßhalb zog ich einen Châle von Flor, vielleicht einen echten Fazoletto, über ihre runden Schultern und schlang ihr denselben um die Taille. Das Chalcedon-Berloque nahm ich ihr vom Halse und befestigte es an ihrem Gürtel. Dann raffte ich ihr lockiges Haar, das fast so stark und lang wie das meine war, nach korsikanischer Sitte zusammen und band eine rosa und weiß gestreifte Mantille darüber. Nun sagte ich ihr, sie möge sich in ihr Spiegelbild verlieben, während ich einige Blumen aus dem Treibhaus hole. Diese befestigte ich geschickt an der Seite ihres schöngeformten Kopfes in der klaren Mantille, und mein Liebling war in vollem Putz. Nun küßte ich ihren süßen Mund und bewunderte sie mehr, als sie sich selbst bewunderte.

»Clara, Du magst Dir so viel Mühe geben, wie Du willst, so kannst Du mich doch nicht viertel so hübsch machen, wie Du bist.«

»Nicht ganz so groß, mein Engel und nicht annähernd so stolz, aber tausendmal lieblicher.«

»Ich wünsche, daß ich es glauben könnte. Ich sehne mich stets, mit Dir zu tauschen.«

»Sprich keinen Unsinn, Schatz. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich mich sterblich in Dich verlieben. Nun bin ich stolz auf Dich, als auf eine Vaughan. Komm' jetzt mit mir.«

Ich führte sie durch die Gallerie und vor ihres Vaters Thür, ehe sie Zeit hatte, nachzudenken.

Sie glaubte, daß ich sie auf einem anderen Wege nach meinen Zimmern zurückführe. An der Thür des Kranken verließ ich sie, während ich hinein ging, um zu sehen, wie viel gewagt werden dürfte.

Mein Onkel lehnte in dem tiefen Armstuhl, und seine schwachen Augen hingen mit gespanntem Blick an der Thür. Vergebens bemühte er sich, seine Enttäuschung zu verbergen und mich dankbar anzuschauen. Er hatte sichtlich auf einen theureren Anblick gehofft, als den einer Bruderstochter.

Nachdem ich Jane durch das andere Zimmer hinausgesandt, damit sie Isola nicht begegne, setzte ich mich neben ihn, um ihn zu prüfen. Der Cognac mit Wasser hatte seine Lebensgeister wieder gestärkt, aber ihn fieberhaft und erregbar gestimmt. Er küßte mir die Hand, um einige scharfe und ungeduldige Bemerkungen wieder gut zu machen, und ich sah, daß der Moment günstig war.

»Lieber Onkel, was wirst Du dazu sagen, daß ich Dir wieder einen Gast mitgebracht habe, dies Mal das lieblichste Mädchen in London. Dem Namen nach kennst Du sie sehr gut. Du hast oft gewünscht, meinen holden Liebling Isola zu sehen. Und auch sie sehnt sich, Dich kennen zu lernen. Eins mußt Du mir aber ehrlich versprechen. Sei recht lebhaft und heiter mit ihr; sie ist noch etwas furchtsam in diesem alten Hause.«

»Mein liebes Kind, ich kann sie heute Abend nicht sehen. Natürlich meinst Du das auch nicht. Entschuldige mich freundlichst bei ihr. Du sagst, sie sei sehr liebenswürdig, deßhalb glaube ich bestimmt, daß sie mich entschuldigen wird.«

»Sollte sie es auch entschuldigen, so würde ich es doch nicht thun. Wenn Du wüßtest, wem sie ähnlich sieht, so würde es auch Dein Wunsch nicht sein.«

»Was meinst Du? Hast Du meine Kiste wieder verschlossen?«

»Ja, und hier ist der Schlüssel. Ich fand darin das Portrait einer Dame, (dies hatte ich meiner Cousine nicht gezeigt), das der schönen Isola sehr ähnlich ist.«

Er begann wieder zu zittern; deßhalb dachte ich: je schneller, desto besser. Ich rückte den Lampenschirm so, daß der Schatten auf die Thür fiel, und lief hinaus, um seine Tochter zu holen.

»Nun sei kein Kind, Isola. Bedenke, wie krank er ist. Halte Dich so viel wie möglich im Schatten; und wenn er errathen sollte, wer Du bist, so stelle Dich, als wenn er Dir ganz gleichgültig sei.«

»Ich will mein Möglichstes versuchen, Clara. Aber ich glaube nicht, daß mir dies gelingen wird.«

Sie bebte so sehr, daß ich genöthigt war, sie zu stützen, wie sie mich an dem Abend stützte, wo wir uns zuerst begegneten. In förmlicher Weise führte ich sie hinein und begann sie steif mit folgenden Worten vorzustellen, während ich sie noch zurückhielt:

»Onkel Edgar, das ist meine liebste Freundin, von der Du schon so viel gehört hast, Miß Isola –« (Roß konnte ich nicht sagen). »Aber, Onkel, aber Isola, mein Liebling –«

Es war Alles umsonst; ich hätte meine Künste sparen können. Im Moment, wo sie die Schwelle überschritten hatte, waren seine funkelnden Augen auf sie gerichtet, und der gelähmte Mann stürzte ihr wie von galvanischem Leben ergriffen, entgegen.

»Meine Lily, meine Lily,« war Alles, was er schluchzend hervorbringen konnte, »meine aus dem Grabe auferstandene Lily!« Mit voller Kraft zog er sie an seine Brust, und ihre dunkeln Locken waren von Silber überglänzt. Thränen – doch ich ließ sie allein, sobald ich sie Beide neben einander auf dem Sopha sah.



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